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Die ba­na­le Wohn­box löst das Asyl­pro­blem nicht
Der Standard

Kri­sen ha­ben im­mer auch et­was Gu­tes. So lässt der Flücht­lings­strom Ös­ter­reichs Po­li­tik end­lich das The­ma „leist­ba­res Woh­nen“ an­ge­hen. Doch of­fen­bart die ak­tu­el­le De­bat­te vor al­lem jah­re­lan­ge Ver­säum­nis­se.

15. Februar 2016 - Reinhard Seiß
Nach Ti­rol und Vor­arl­berg mach­te jüngst auch Nie­de­rös­ter­reich ei­nen Vor­stoß, wie für tau­sen­de Asyl­su­chen­de, aber auch für die wach­sen­de Zahl ver­ar­men­der Ös­ter­rei­cher rasch und güns­tigst Wohn­raum ge­schaf­fen wer­den kann: Wohn­bau­lan­des­rat Wolf­gang So­bot­ka prä­sen­tier­te den Ent­wurf ei­nes klo­bi­gen Bil­lig­baus mit acht Klein­woh­nun­gen, den man in ei­ner er­sten Etap­pe noch heu­er 100-mal im gan­zen Land rea­li­sie­ren will.

Ein­ge­spart wur­de da­bei, auf den er­sten Blick er­sicht­lich, al­lem vo­ran die Ar­chi­tek­tur, wes­halb der be­rech­tig­te Auf­schrei von Ar­chi­tek­ten­kam­mer und Ar­chi­tek­tur­fa­kul­tät nicht lan­ge auf sich war­ten ließ. So­bot­ka lenk­te ein und nahm das An­ge­bot ei­ner fach­li­chen Be­glei­tung sei­tens der TU Wien an.

Doch ver­mag dies nur die Spit­ze des wohn­bau­po­li­ti­schen Eis­bergs ab­zu­tau­en. Denn Not­lö­sun­gen wie „Wohn.Chan­ce.NÖ“ ba­sie­ren auf ei­nem ge­wachs­enen Fun­da­ment aus jahr­zehn­te­lan­gen Fehl­ent­wi­cklun­gen. An­statt die hei­mi­sche Wohn­bau- und Sied­lungs­po­li­tik von Grund auf und für al­le Woh­nungs­su­chen­den neu aus­zu­rich­ten, blei­ben die Kos­ten­trei­ber und Qua­li­täts­hem­mer im Wohn­bau wei­ter un­be­rührt.

Das be­ginnt bei der Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der So­bot­kas Pro­to­typ für je­de Woh­nung ei­nen Pkw-Stell­platz vor­sieht – was aufs Er­ste so­gar ei­ner ge­wis­sen Lo­gik folgt, zu­mal das Son­der­pro­gramm „nicht auf Bal­lungs­räu­me fo­kus­siert“, Bahn und Bus in Nie­de­rös­ter­reichs Pe­ri­phe­rie aber un­brauch­bar sind. Trotz­dem ist es ab­surd, Wohn­bau­ten für Flücht­lin­ge und an­de­re Men­schen un­ter­halb der Ar­muts­gren­ze bis aufs Letz­te ab­zu­spe­cken, gleich­zei­tig aber für den Lu­xus ei­nes Au­tos aus­zu­rüs­ten.

Die Lö­sung kann nur sein, Stand­or­te zu wäh­len, die ih­re Be­woh­ner Bil­dungs- und Ge­sund­heits­ein­rich­tun­gen eben­so wie Ar­beits- und Han­dels­stät­ten zu Fuß, per Rad und mit leis­tungs­fä­hi­gen öf­fent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln er­rei­chen las­sen. An wem die De­bat­te um Nach­hal­tig­keit und Kli­ma­schutz in den letz­ten 20 Jah­ren nicht spur­los vor­über­ge­gan­gen ist, der weiß, dass die­se ver­kehrs­po­li­ti­sche An­for­de­rung längst für je­den ge­för­der­ten Wohn­bau gel­ten müss­te – und Kin­dern und Ju­gend­li­chen eben­so zu­gu­te-kä­me wie al­ten oder be­hin­der­ten Men­schen.

Am fal­schen Platz ge­spart

Ver­bil­ligt wer­den soll der Dis­kont-Wohn­bau – nicht nur in Nie­de­rös­ter­reich – da­durch, dass die öf­fent­li­che Hand da­für Grund­stü­cke im Bau­recht für et­wa 50 Jah­re be­reits­tellt, statt dass Wohn­bau­trä­ger wie üb­lich pri­va­tes Bau­land an­kau­fen. Man fragt sich, wa­rum die­se Stra­te­gie nicht auch im her­kömm­li­chen so­zia­len Wohn­bau An­wen­dung fin­det, zu­mal die Grund­stück­skos­ten in wei­ten Tei­len Ös­ter­reichs der Haupt­grund für die mas­si­ve Teue­rung des Woh­nens sind.

In Deutsch­land ist es rech­tens und kei­nes­wegs un­üb­lich, dass Ge­mein­den nur dann Grün­land in Bau­land um­wid­men, wenn sie die­ses zum dop­pel­ten oder drei­fa­chen Ag­rar­land­preis er­wer­ben kön­nen, um es dann in­fras­truk­tu­rell zu er­schlie­ßen und zum Selbst­kos­ten­preis an Bau­wil­li­ge für bei­spiels­wei­se 99 Jah­re ab­zu­ge­ben. Hier­zu­lan­de scheut sich die Po­li­tik, das Recht auf pri­va­tes Ei­gen­tum an Grund und Bo­den mit ei­ner ge­sell­schaft­li­chen Ver­pflich­tung zu ver­knüp­fen. Da­durch bleibt ei­nes ih­rer wich­tigs­ten Macht­in­stru­men­te er­hal­ten: näm­lich durch sim­ple Än­de­run­gen im Flä­chen­wid­mungs­plan aus­ge­such­te Grund­ei­gen­tü­mer über Nacht zu Mil­lio­nä­ren ma­chen zu kön­nen.

Macht­in­stru­men­te

Po­li­ti­sche Macht ist auch mit der Ver­ga­be der Wohn­bau­för­de­rung ver­bun­den, wo­bei hier eben­falls seit Jahr­zehn­ten Re­form­ver­wei­ge­rung herrscht. Nach wie vor wer­den Ein­fa­mi­li­en­häu­ser auf der grü­nen Wie­se sub­ven­tio­niert und da­mit öf­fent­li­che Folg­ekos­ten für die Er­schlie­ßung durch Stra­ßen, Was­ser und Ka­na­li­sa­ti­on ver­ur­sacht. Statt­des­sen müss­te sich die För­de­rung aus­schließ­lich auf zen­trums­na­he, Bo­den wie In­fras­truk­tur spa­ren­de und da­mit auch leist­ba­re Sied­lungs­for­men kon­zen­trie­ren – so­wie die Sa­nie­rung und Um­nut­zung des ste­tig wach­sen­den Leers­tands in den Orts- und Stadt­ker­nen for­cie­ren.

Auch die so­zi­al­po­li­ti­sche Steue­rungs­wir­kung der Wohn­bau­för­de­rung könn­te ei­ne wei­taus hö­he­re sein, wür­den im groß­vo­lu­mi­gen Wohn­bau tat­säch­lich kin­der­ge­rech­te, ge­mein­schafts­för­dern­de und ge­ne­ra­tio­nen­über­grei­fen­de Mo­del­le be­vor­zugt Un­ter­stüt­zung fin­den.

Ein er­ster Schritt wä­re schon ge­tan, wenn die Wohn­bau­för­de­rungs­bei­trä­ge der Ar­beit­neh­mer und Ar­beit­ge­ber in Hö­he von im­mer­hin ei­nem Pro­zent je­des Brut­to­ge­halts auch wirk­lich in den Wohn­bau flie­ßen wür­den. Seit Auf­he­bung der Zweck­bin­dung die­ser Mit­tel im Jahr 2008 kön­nen die Län­der die­se Bei­trä­ge auch für ganz an­de­re Aus­ga­ben ver­wen­den – wo­bei aus­ge­rech­net So­bot­ka am ve­he­men­tes­ten von al­len neun Wohn­bau­lan­des­rä­ten ge­gen ei­ne von Ex­per­ten ge­for­der­te Wie­der­ein­füh­rung die­ser Bin­dung auf­tritt.

Rat­sam er­scheint in je­dem Fall ei­ne Eva­luie­rung der nie­de­rös­ter­rei­chi­schen Wohn­bau­for­schung: 700.000 Eu­ro per an­num flie­ßen seit Mit­te der 1990er-Jah­re in die Ent­wi­cklung von In­no­va­tio­nen, auch für ein kos­ten­güns­ti­ge­res Bau­en – doch nun, da es da­rauf an­kam, schau­te of­fen­bar nichts Bes­se­res da­bei her­aus als ei­ne ba­na­le Wohn­box, die Fach­leu­te nicht ein­mal für bau­ord­nungs­kon­form hal­ten.
[ Dr. Rein­hard Seiß ist Raum­pla­ner, Film­ema­cher und Fach­pu­bli­zist in Wien; Buch- und DVD-Ver­öf­fent­li­chun­gen, u. a. „Häu­ser für Men­schen. Hu­ma­ner Wohn­bau in Ös­ter­reich“; in­ter­na­tio­na­le Lehr- und Vor­trags­tä­tig­keit; Mit­glied des Bei­rats für Bau­kul­tur im Bun­des­kanz­ler­amt, Mit­glied der Deut­schen Aka­de­mie für Städ­te­bau und Lan­des­pla­nung ]

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