Artikel
Ästhetisierung des Designs
Wilhelm Wagenfelds Fotoarchiv in einer Bremer Ausstellung
Der grosse Designer Wilhelm Wagenfeld sammelte systematisch Fotografien seiner Entwürfe. Sie wurden bei anstehenden Entwicklungsaufgaben zu Rate gezogen, wie eine Ausstellung in Bremen zeigt.
16. Februar 2016 - Bettina Maria Brosowsky
In den 1920er Jahren hatte sich die Fotografie in den Massenmedien wie auch der Werbung etabliert. Und emanzipierte sich nun neuerlich – nach ihrer ersten Abkehr vom kunsthandwerklichen, an der Malerei orientierten «Piktorialismus» mit Ende des Ersten Weltkriegs. Neben eine schnörkellos sachliche Strömung, vertreten beispielsweise durch Albert Renger-Patzsch, stellte sich jetzt der subjektive, verstärkt experimentelle Bildzugriff, propagiert etwa durch László Moholy-Nagy. Er sah die Kamera dem menschlichen Auge überlegen, das visuelle Eindrücke stets mit kognitiven Erfahrungen abgleiche. Nur die Fotografie mitsamt ihren Verzerrungen und Verkürzungen liefere das wahre zweidimensionale «rein optische Bild», so Moholy-Nagy. Mit seiner Spielart innerhalb der europäischen Bewegung der «Nouvelle Vision» verfolgte er sowohl surreale Tendenzen in der Bildkomposition als auch grafisch forcierte Anwendungsformen wie die Montage mit Schrift und Farbe in der Werbung.
Sehen und fühlen
Der Produktgestalter Wilhelm Wagenfeld (1900–1990) hatte ab 1923 unter László Moholy-Nagy (1895–1946) am Bauhaus in Weimar studiert. Dort leitete er unter anderem die Metallwerkstatt – mit einer «glücklichen Naivität», so Wagenfeld im Rückblick, und alles Technische bewundernd. Wagenfeld reformierte nach 1930 die ökonomisch wie ästhetisch rückständige deutsche Glasindustrie, entwickelte seine späteren Klassiker, etwa für die Jenaer Glaswerke: transparent zartes Teegeschirr, aber auch handfeste Küchenutensilien. Und dabei kam es für kurze Zeit zu einer neuerlichen Begegnung mit Moholy-Nagy, der bis 1937 eine richtungweisende Werbung der Jenaer Glaswerke verantwortete. Leicht surreale Arrangements, so der Rapport gläserner Teetassen mit einer magischen Fehlstelle etwas ausserhalb der Bildmitte, waren die fotografische Grundlage. Unklar ist allerdings, ob Wagenfeld diese Art optischer Verfremdung wirklich schätzte. Für ihn sollte gute Objektfotografie «sachlich, ernsthaft und keine Effekthascherei» sein.
Stets stand der haptische Gebrauchswert eines Alltagsgegenstandes im Mittelpunkt der Formfindungsprozesse Wagenfelds. Deshalb sah er nicht die Zeichenmaschine, sondern die Modellwerkstatt als eigentliche Geburtsstätte neuer Geräte. Mitarbeiter bezeichneten später Wagenfelds Methode als ein «Sehen mit der Hand». Aber auf eine visuelle Beweisführung, das «Fühlen mit dem Auge» verzichtete Wagenfeld in seinem Arbeitsprozess natürlich keineswegs. Nicht nur seine Zeichnungen – Entwurfsskizzen wie vermasste Werkpläne gleichermassen – sind von ästhetischer Autonomie.
Fotografie und Gestaltung
Wilhelm Wagenfeld pflegte zur internen wie externen Abstimmung vielfältige Gebrauchsweisen der Sachfotografie. Die Wagenfeld-Stiftung in Bremen, die den Nachlass des gebürtigen Hanseaten verwaltet, sichtete für ihre derzeitige Ausstellung zur Beziehung zwischen Fotografie und Design Wagenfelds aus rund 2000 Abzügen, Filmstreifen- und Glasplattennegativen bestehendes Bildarchiv.
Wagenfeld sammelte systematisch Fotografien seiner Arbeiten, nach Verlusten im Zweiten Weltkrieg nicht zuletzt auch deshalb, um die Dokumentation früher Entwürfe zu reorganisieren. Werkfotos aktueller Produkte kamen kontinuierlich hinzu. Die Abzüge wurden auf Karton montiert und chronologisch, nach Firmen oder auch nach Materialien in Ordnern zusammengestellt, mit Verweisen zum jeweiligen Fotografen, zu den Negativen und den greifbar vorliegenden Duplikaten. Diese Ordner, von denen 53 erhalten sind, dienten als reines Archiv, aber auch als Referenzmappen zur Kommunikation mit Firmen und als Grundlage für Ausstellungen oder Kataloge.
Sie hatten aber auch eine dritte, interne Funktion im Entwurfsprozess. Deshalb wurden auch verworfene oder ausgemusterte Entwürfe und Varianten archiviert und immer wieder als Bezugsmaterial anstehender Entwicklungsaufgaben zu Rate gezogen. Um eine Vergleichbarkeit der Objekte zu ermöglichen, bevorzugte Wagenfeld eine sachliche Fotografie.
Die Objekte sind meist vor neutralem Hintergrund harmonisch ausgeleuchtet, aus der Perspektive normal empfundenen Gebrauchs aufgenommen und ohne Effekte, etwa harte Schatten, inszeniert. In der Regel sind sie als Einzelstück unter Verzicht atmosphärischer Arrangements – etwa eines gedeckten Tisches – aufgenommen. Dergestalt dekontextualisiert und optisch systematisiert, unterstützten die Fotografien nun eine ästhetische Kanonisierung während Wagenfelds jahrzehntelanger Entwurfsarbeit, die Herausbildung von materialspezifischen Typen etwa oder morphologischen Reihen aus Grundform und Variationen. Bis weit in die 1960er Jahre folgte die Werkfotografie dieser sachlichen Ästhetik, im Urvertrauen in das Medium, dass es die Wirklichkeit «objektiv» abbildet.
Künstlerische Interpretationen
In Werbung und Präsentation kamen aber immer auch komplexere Kompositionen und künstlerische Interpretationen zum Einsatz. Die Bremer Ausstellung zeigt in einem Exkurs Beispiele freier zeitgenössischer Inszenierungen von Wilhelm Wagenfelds Produkten, etwa mittels kräftigem Schattenwurf in Hans Hansens Fotografien, die eigenen optischen Gesetzen folgen. Moholy-Nagy hätte daran seine Freude gehabt.
Sehen und fühlen
Der Produktgestalter Wilhelm Wagenfeld (1900–1990) hatte ab 1923 unter László Moholy-Nagy (1895–1946) am Bauhaus in Weimar studiert. Dort leitete er unter anderem die Metallwerkstatt – mit einer «glücklichen Naivität», so Wagenfeld im Rückblick, und alles Technische bewundernd. Wagenfeld reformierte nach 1930 die ökonomisch wie ästhetisch rückständige deutsche Glasindustrie, entwickelte seine späteren Klassiker, etwa für die Jenaer Glaswerke: transparent zartes Teegeschirr, aber auch handfeste Küchenutensilien. Und dabei kam es für kurze Zeit zu einer neuerlichen Begegnung mit Moholy-Nagy, der bis 1937 eine richtungweisende Werbung der Jenaer Glaswerke verantwortete. Leicht surreale Arrangements, so der Rapport gläserner Teetassen mit einer magischen Fehlstelle etwas ausserhalb der Bildmitte, waren die fotografische Grundlage. Unklar ist allerdings, ob Wagenfeld diese Art optischer Verfremdung wirklich schätzte. Für ihn sollte gute Objektfotografie «sachlich, ernsthaft und keine Effekthascherei» sein.
Stets stand der haptische Gebrauchswert eines Alltagsgegenstandes im Mittelpunkt der Formfindungsprozesse Wagenfelds. Deshalb sah er nicht die Zeichenmaschine, sondern die Modellwerkstatt als eigentliche Geburtsstätte neuer Geräte. Mitarbeiter bezeichneten später Wagenfelds Methode als ein «Sehen mit der Hand». Aber auf eine visuelle Beweisführung, das «Fühlen mit dem Auge» verzichtete Wagenfeld in seinem Arbeitsprozess natürlich keineswegs. Nicht nur seine Zeichnungen – Entwurfsskizzen wie vermasste Werkpläne gleichermassen – sind von ästhetischer Autonomie.
Fotografie und Gestaltung
Wilhelm Wagenfeld pflegte zur internen wie externen Abstimmung vielfältige Gebrauchsweisen der Sachfotografie. Die Wagenfeld-Stiftung in Bremen, die den Nachlass des gebürtigen Hanseaten verwaltet, sichtete für ihre derzeitige Ausstellung zur Beziehung zwischen Fotografie und Design Wagenfelds aus rund 2000 Abzügen, Filmstreifen- und Glasplattennegativen bestehendes Bildarchiv.
Wagenfeld sammelte systematisch Fotografien seiner Arbeiten, nach Verlusten im Zweiten Weltkrieg nicht zuletzt auch deshalb, um die Dokumentation früher Entwürfe zu reorganisieren. Werkfotos aktueller Produkte kamen kontinuierlich hinzu. Die Abzüge wurden auf Karton montiert und chronologisch, nach Firmen oder auch nach Materialien in Ordnern zusammengestellt, mit Verweisen zum jeweiligen Fotografen, zu den Negativen und den greifbar vorliegenden Duplikaten. Diese Ordner, von denen 53 erhalten sind, dienten als reines Archiv, aber auch als Referenzmappen zur Kommunikation mit Firmen und als Grundlage für Ausstellungen oder Kataloge.
Sie hatten aber auch eine dritte, interne Funktion im Entwurfsprozess. Deshalb wurden auch verworfene oder ausgemusterte Entwürfe und Varianten archiviert und immer wieder als Bezugsmaterial anstehender Entwicklungsaufgaben zu Rate gezogen. Um eine Vergleichbarkeit der Objekte zu ermöglichen, bevorzugte Wagenfeld eine sachliche Fotografie.
Die Objekte sind meist vor neutralem Hintergrund harmonisch ausgeleuchtet, aus der Perspektive normal empfundenen Gebrauchs aufgenommen und ohne Effekte, etwa harte Schatten, inszeniert. In der Regel sind sie als Einzelstück unter Verzicht atmosphärischer Arrangements – etwa eines gedeckten Tisches – aufgenommen. Dergestalt dekontextualisiert und optisch systematisiert, unterstützten die Fotografien nun eine ästhetische Kanonisierung während Wagenfelds jahrzehntelanger Entwurfsarbeit, die Herausbildung von materialspezifischen Typen etwa oder morphologischen Reihen aus Grundform und Variationen. Bis weit in die 1960er Jahre folgte die Werkfotografie dieser sachlichen Ästhetik, im Urvertrauen in das Medium, dass es die Wirklichkeit «objektiv» abbildet.
Künstlerische Interpretationen
In Werbung und Präsentation kamen aber immer auch komplexere Kompositionen und künstlerische Interpretationen zum Einsatz. Die Bremer Ausstellung zeigt in einem Exkurs Beispiele freier zeitgenössischer Inszenierungen von Wilhelm Wagenfelds Produkten, etwa mittels kräftigem Schattenwurf in Hans Hansens Fotografien, die eigenen optischen Gesetzen folgen. Moholy-Nagy hätte daran seine Freude gehabt.
[ Bis 3. April im Wilhelm-Wagenfeld-Haus, Bremen. Katalog: Die Entdeckung der Dinge. Fotografie und Design. Hrsg. Julia Bulk. Wienand-Verlag, Köln 2015. 144 S., € 25.–. ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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