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Natur der Stadt, grün und grau
Sein Leitsatz hat nach wie vor Gültigkeit: Stadträume schaffen, die lebenswert und schön zugleich sind. Der Schweizer Dieter Kienast (1945 bis 1998): Entwerfer, Forscher, Leitfigur der europäischen Landschaftsarchitektur. Nun erschien die erste Monografie zu seinem Œuvre.
26. März 2016 - Stephanie Drlik
Unsere Arbeit ist die Suche nach einer Natur der Stadt, deren Farbe nicht nur Grün, sondern auch Grau ist.“ So der Beginn der „Zehn Thesen zur Landschaftsarchitektur“, verfasst von einem der wichtigsten Protagonisten der europäischen Landschaftsarchitektur, dem Schweizer Dieter Kienast (1945 bis 1998). Er war Entwerfer, Planer, Forscher, Hochschullehrer und leidenschaftlicher Theoretiker, der stets die kritische, interdisziplinäre Auseinandersetzung gesucht hat. Kienast begann seine Arbeit mit der „Natur der Stadt“ zu einer Zeit, als die Ökologiebewegung ihre volle Kraft entwickelte und die sogenannte „Befreiung des Grüns in der Stadt“ oberste Prämisse der Freiraumplanung war.
Als in den 1980er-Jahren Publikationen wie etwa „Grün in der Stadt. Von oben, von selbst, für alle, von allen“ oder „So laßt uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen“ Disziplin-leitend waren, suchte Kienast nach Möglichkeiten, eine ökologisch intakte Umwelt zu gestalten, die lebenswert und zugleich schön sein sollte. Seine Art der absolutistischen Formgebung brachte ihm jedoch nicht nur Zuspruch aus der Kollegenschaft ein. Man warf ihm vor, an den Bedürfnissen der Menschen vorbei zu planen, seine Arbeiten seien sublimiert und wirklichkeitsfremd. Dabei stand Kienasts Schaffen in direktem Zusammenhang mit grundsätzlichen Themen der Gesellschaft, der Kultur und Natur, nur entsprach sein Blickwinkel eben nicht dem des landschaftsplanerischen Mainstream dieser Zeit. Die räumliche und ästhetisch-sinnliche Erlebbarkeit wurde in Kienasts Freiräumen zur spezifischen Form der Alltagsbewältigung, zur Nutzungskomponente.
Bislang zeigten einige Werkschauen Abschnitte von Dieter Kienasts Schaffen, eine vollständige Monografie fehlte jedoch. Diese Lücke wurde nun geschlossen. Die Kunsthistorikerin Anette Freytag widmete viele Jahre ihrer Forschungstätigkeit an der ETH Zürich dem Schaffen des unorthodoxen Landschaftsarchitekten. Als Abschluss ihrer langjährigen wissenschaftlichen Studien wurde nun eine umfassende Publikation veröffentlicht. „Dieter Kienast. Stadt und Landschaft lesbar machen“ (GTA Verlag der ETH Zürich), ein Buch in der Ästhetik eines Bildbandes, das in seiner Erscheinung an Kienasts wunderschöne Plangrafiken erinnert. Doch die Publikation ist weit mehr als ein hübscher Bildband. Freytag hat nicht nur die über mehrere Standorte verteilte Fülle an Unterlagen aufgearbeitet und Kienasts Entwurfshaltung seinen theoretischen Positionen kritisch nachgespürt. Die Forscherin liefert auch den fachkulturellen und gesellschaftspolitischen Kontext der 1970er- bis 1990er-Jahre mit und interpretiert Kienasts Werk vor diesem Hintergrund.
Dieter Kienast begann 1972 als Mitarbeiter im Schweizer Büro Peter Paul Stöckli, wo er 1980 als Partner einstieg. Das Büro Stöckli & Kienast erweiterte sich 1987 erneut und wurde zu Stöckli, Kienast & Koeppel. Aus einer gemeinsam mit Ehefrau Erika Kienast-Lüder und Günther Vogt geführten Bürozweigstelle in Zürich ging die Büropartnerschaft Kienast Vogt Partner hervor. Aus diesen drei Partnerschaften resultierte ein enorm umfangreiches Œuvre.
Zu den bekanntesten Arbeiten zählen die streng formalen Gestaltungen ab Mitte der 1980er-Jahre, etwa die Freiraumgestaltung für die École cantonale de langue français in Bern (1983 bis 1991), der Friedhof Fürstenwald in Chur (1992 bis 1996) oder der Gartenhof für das Bürohaus der Schweizerischen Rückversicherungs-Gesellschaft Swiss Re (heute Bank Vontobel) in Zürich (1994 bis 1995). Mit Kienast Vogt Partner wurden die Aufträge zunehmend internationaler, Projekte wie etwa der Berggarten auf der Internationalen Gartenschau 2000 bei Graz (1997 bis 1999) oder die Außenanlagen der Tate Modern Gallery in London (1995 bis 2001) konnten verwirklicht werden.
Kienasts Werk entzieht sich allen simplen Definitionen, seine Freiraumgestaltungen weisen aber durchgehend die typisch markante, formgeladene Ästhetik zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit auf. Bewusst gesetzte Brüche und Disharmonien in einer geometrischen Ordnung machen die sinnliche Erfahrung der „gebauten, domestizierten Natur der Stadt“, wie Kienast es formulierte, bewusst.
Die Gestaltungen basieren stets auf dem Kontrastwirken zwischen den vom Menschen gesetzten Formen und der sich diesen Formen widersetzenden Natur. Als ausgebildeter Gärtner und promovierter Pflanzensoziologe wusste Kienast um den richtigen Umgang mit Vegetation. Und er verfügte über eine hoch entwickelte Sensibilität für den passenden Einsatz von Materialien und Formen. Beton, Stahl, Naturstein, Stampflehm, Hecken, Wiesen, Beete und Bäume ordnen den Raum. Kienast organisierte den Freiraum nach typisch postmodernen Entwurfsprinzipien. Er stellte den Ort in seinem Kontext dar und legte Spuren der Geschichte frei. Seine starken Kompositionen waren jedoch – ausgenommen einiger bewusst gesetzter, veränderlicher Pflanzelemente – bis ins Detail festgeschrieben, was ihnen auch die Kritik der beschränkten Aufnahmefähigkeit von Veränderungs- oder Aneignungsprozessen einhandelte.
Parallel zu seiner gestalterischen Praxis hatte Kienast mehrere Professuren inne, am Interkantonalen Technikum Rapperswill (1981 bis 1991), an der Universität Karlsruhe (1992 bis 1997) und ab 1997 an der ETH Zürich. Mit seinem hohen Qualitätsanspruch an die Landschaftsarchitektur als konzeptionell planerische Tätigkeit hat Kienast die Gartenarchitektur zur Landschaftsarchitektur und somit in den Planungsstand erhoben. Er verhalf der Disziplin zu einem neuen, erweiterten Selbstverständnis: Landschaftsarchitektur als integraler Teil der Stadtentwicklung und der großmaßstäblichen Planung. In dieser Entwicklung wurde Kienast zum Impulsgeber, zu einer charismatischen Leitfigur und zu einem respektierten und gleichberechtigten Partner der Architektenschaft.
Die Forschung von Anette Freytag, die nun in dieser hochwertigen Publikation resultierte, gibt Dieter Kienast und seinem Schaffen den festen Platz in der Geschichte der zeitgenössischen europäischen Landschaftsarchitektur, der ihm gebührt. Das Buch macht nicht nur Lust, wieder einmal Kienast und seiner wegweisenden Arbeit nachzuspüren, es dient auch als willkommener Anstoß, der zu einem guten Zeitpunkt kommt. Denn wie schon 40 Jahre zuvor steht die Disziplin wieder an einer Wende. Die Landschaftsarchitektur wird im Zeitalter des Anthropozäns mehr und mehr zum entscheidenden Qualitätsfaktor bei der Entwicklung zukunftsfähiger Städte. Werden wir dabei den ökologischen, gesellschaftlichen und gestalterischen Anforderungen gerecht?
Dieter Kienasts landschaftsarchitektonischer Leitsatz ist jedenfalls nach wie vor gültig und darf uns in dieser Zeit des Wandels als Inspiration und Prüfstein dienen: Es gilt, eine ökologisch intakte Umwelt zu schaffen, die lebenswert, aber auch schön sein sollte.
Als in den 1980er-Jahren Publikationen wie etwa „Grün in der Stadt. Von oben, von selbst, für alle, von allen“ oder „So laßt uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen“ Disziplin-leitend waren, suchte Kienast nach Möglichkeiten, eine ökologisch intakte Umwelt zu gestalten, die lebenswert und zugleich schön sein sollte. Seine Art der absolutistischen Formgebung brachte ihm jedoch nicht nur Zuspruch aus der Kollegenschaft ein. Man warf ihm vor, an den Bedürfnissen der Menschen vorbei zu planen, seine Arbeiten seien sublimiert und wirklichkeitsfremd. Dabei stand Kienasts Schaffen in direktem Zusammenhang mit grundsätzlichen Themen der Gesellschaft, der Kultur und Natur, nur entsprach sein Blickwinkel eben nicht dem des landschaftsplanerischen Mainstream dieser Zeit. Die räumliche und ästhetisch-sinnliche Erlebbarkeit wurde in Kienasts Freiräumen zur spezifischen Form der Alltagsbewältigung, zur Nutzungskomponente.
Bislang zeigten einige Werkschauen Abschnitte von Dieter Kienasts Schaffen, eine vollständige Monografie fehlte jedoch. Diese Lücke wurde nun geschlossen. Die Kunsthistorikerin Anette Freytag widmete viele Jahre ihrer Forschungstätigkeit an der ETH Zürich dem Schaffen des unorthodoxen Landschaftsarchitekten. Als Abschluss ihrer langjährigen wissenschaftlichen Studien wurde nun eine umfassende Publikation veröffentlicht. „Dieter Kienast. Stadt und Landschaft lesbar machen“ (GTA Verlag der ETH Zürich), ein Buch in der Ästhetik eines Bildbandes, das in seiner Erscheinung an Kienasts wunderschöne Plangrafiken erinnert. Doch die Publikation ist weit mehr als ein hübscher Bildband. Freytag hat nicht nur die über mehrere Standorte verteilte Fülle an Unterlagen aufgearbeitet und Kienasts Entwurfshaltung seinen theoretischen Positionen kritisch nachgespürt. Die Forscherin liefert auch den fachkulturellen und gesellschaftspolitischen Kontext der 1970er- bis 1990er-Jahre mit und interpretiert Kienasts Werk vor diesem Hintergrund.
Dieter Kienast begann 1972 als Mitarbeiter im Schweizer Büro Peter Paul Stöckli, wo er 1980 als Partner einstieg. Das Büro Stöckli & Kienast erweiterte sich 1987 erneut und wurde zu Stöckli, Kienast & Koeppel. Aus einer gemeinsam mit Ehefrau Erika Kienast-Lüder und Günther Vogt geführten Bürozweigstelle in Zürich ging die Büropartnerschaft Kienast Vogt Partner hervor. Aus diesen drei Partnerschaften resultierte ein enorm umfangreiches Œuvre.
Zu den bekanntesten Arbeiten zählen die streng formalen Gestaltungen ab Mitte der 1980er-Jahre, etwa die Freiraumgestaltung für die École cantonale de langue français in Bern (1983 bis 1991), der Friedhof Fürstenwald in Chur (1992 bis 1996) oder der Gartenhof für das Bürohaus der Schweizerischen Rückversicherungs-Gesellschaft Swiss Re (heute Bank Vontobel) in Zürich (1994 bis 1995). Mit Kienast Vogt Partner wurden die Aufträge zunehmend internationaler, Projekte wie etwa der Berggarten auf der Internationalen Gartenschau 2000 bei Graz (1997 bis 1999) oder die Außenanlagen der Tate Modern Gallery in London (1995 bis 2001) konnten verwirklicht werden.
Kienasts Werk entzieht sich allen simplen Definitionen, seine Freiraumgestaltungen weisen aber durchgehend die typisch markante, formgeladene Ästhetik zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit auf. Bewusst gesetzte Brüche und Disharmonien in einer geometrischen Ordnung machen die sinnliche Erfahrung der „gebauten, domestizierten Natur der Stadt“, wie Kienast es formulierte, bewusst.
Die Gestaltungen basieren stets auf dem Kontrastwirken zwischen den vom Menschen gesetzten Formen und der sich diesen Formen widersetzenden Natur. Als ausgebildeter Gärtner und promovierter Pflanzensoziologe wusste Kienast um den richtigen Umgang mit Vegetation. Und er verfügte über eine hoch entwickelte Sensibilität für den passenden Einsatz von Materialien und Formen. Beton, Stahl, Naturstein, Stampflehm, Hecken, Wiesen, Beete und Bäume ordnen den Raum. Kienast organisierte den Freiraum nach typisch postmodernen Entwurfsprinzipien. Er stellte den Ort in seinem Kontext dar und legte Spuren der Geschichte frei. Seine starken Kompositionen waren jedoch – ausgenommen einiger bewusst gesetzter, veränderlicher Pflanzelemente – bis ins Detail festgeschrieben, was ihnen auch die Kritik der beschränkten Aufnahmefähigkeit von Veränderungs- oder Aneignungsprozessen einhandelte.
Parallel zu seiner gestalterischen Praxis hatte Kienast mehrere Professuren inne, am Interkantonalen Technikum Rapperswill (1981 bis 1991), an der Universität Karlsruhe (1992 bis 1997) und ab 1997 an der ETH Zürich. Mit seinem hohen Qualitätsanspruch an die Landschaftsarchitektur als konzeptionell planerische Tätigkeit hat Kienast die Gartenarchitektur zur Landschaftsarchitektur und somit in den Planungsstand erhoben. Er verhalf der Disziplin zu einem neuen, erweiterten Selbstverständnis: Landschaftsarchitektur als integraler Teil der Stadtentwicklung und der großmaßstäblichen Planung. In dieser Entwicklung wurde Kienast zum Impulsgeber, zu einer charismatischen Leitfigur und zu einem respektierten und gleichberechtigten Partner der Architektenschaft.
Die Forschung von Anette Freytag, die nun in dieser hochwertigen Publikation resultierte, gibt Dieter Kienast und seinem Schaffen den festen Platz in der Geschichte der zeitgenössischen europäischen Landschaftsarchitektur, der ihm gebührt. Das Buch macht nicht nur Lust, wieder einmal Kienast und seiner wegweisenden Arbeit nachzuspüren, es dient auch als willkommener Anstoß, der zu einem guten Zeitpunkt kommt. Denn wie schon 40 Jahre zuvor steht die Disziplin wieder an einer Wende. Die Landschaftsarchitektur wird im Zeitalter des Anthropozäns mehr und mehr zum entscheidenden Qualitätsfaktor bei der Entwicklung zukunftsfähiger Städte. Werden wir dabei den ökologischen, gesellschaftlichen und gestalterischen Anforderungen gerecht?
Dieter Kienasts landschaftsarchitektonischer Leitsatz ist jedenfalls nach wie vor gültig und darf uns in dieser Zeit des Wandels als Inspiration und Prüfstein dienen: Es gilt, eine ökologisch intakte Umwelt zu schaffen, die lebenswert, aber auch schön sein sollte.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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