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Der Spa­nier mit dem Schrau­ben­zie­her
Der Standard

Der spa­ni­sche Ar­chi­tekt Al­ber­to Cor­ral hat mit „Ubu­ild“ ein Fer­tig­teils­ys­tem ent­wi­ckelt, das es selbst Heim­wer­ker-Lai­en er­laubt, ihr Ei­gen­heim mit nur ei­nem Ak­ku­schrau­ber zu bau­en. Der Er­fin­der ist fest da­von über­zeugt, den Zahn der Zeit ge­trof­fen zu ha­ben. Doch wird sich die idea­li­sti­sche Idee durch­set­zen?

28. April 2016 - Jan Marot
Es ist ein biss­chen wie Le­go – und er­in­nert an die Ikea-Men­ta­li­tät des „Do it your­self“. Das sind zwei der skan­di­na­vi­schen Wur­zeln des un­längst pa­ten­tier­ten Sys­tems Ubu­ild. Die vor­ge­fer­tig­ten, pass- und mil­li­me­ter­ge­nau­en Teils­tü­cke soll es selbst Lai­en er­mög­li­chen, ih­ren mo­du­la­ren Haus­ei­gen­bau in Re­kord­zeit von nur zwei bis drei Ta­gen in die Hö­he zu schrau­ben.

Der Vor­stel­lungs­kraft sind da­bei kaum Gren­zen ge­setzt, ab­ge­se­hen da­von, dass man aus Holz wohl kaum ei­nen Wol­ken­krat­zer bau­en wird kön­nen. Die Wohn­flä­chen sind va­ria­bel, auch ein, zwei, drei Stock­wer­ke pro­blem­los um­setz­bar, be­tont der Er­fin­der, Al­ber­to Cor­ral, aus dem nord­west­spa­ni­schen La Co­ru­ña mit knapp 240.000 Ein­woh­nern. Der Ar­chi­tekt, Jahr­gang 1963, ist „über­zeug­ter Idea­list“, sagt er dem Stan­dard. Er be­treibt ein klei­nes, aber fei­nes Bü­ro in der ga­li­ci­schen Haupt­stadt.

Da­mit nicht ge­nug: Das nö­ti­ge Werk­zeug be­schränkt sich – rein theo­re­tisch – auf ei­nen Schrau­ben­zie­her. Bes­ser noch: auf ei­nen po­ten­ten Ak­ku­schrau­ber. Für sei­nen Er­fin­der ist die­ser qua­si das Pen­dant zu Ike­as le­gen­dä­rem In­bus­schlüs­sel, wenng­leich ein sol­cher wei­taus we­ni­ger Bla­sen an den Hän­den und wohl auch we­ni­ger graue Haa­re be­schert.

Cor­ral hat an der Tech­ni­schen Hoch­schu­le ET­SA stu­diert, ehe er ein­mal quer durch Eu­ro­pa reis­te, „um al­les an Ar­chi­tek­tur zu ver­in­ner­li­chen, was er kann“, wie er sich er­in­nert. In den Som­mer­mo­na­ten ar­beit­ete er 1986 und 1987 noch zu Stu­di­en­zei­ten im schwe­di­schen Gö­te­borg so­wie bei den Lon­do­ner ISER Ar­chi­tects, wo er Er­fah­run­gen sam­mel­te – ehe er sich selbst­stän­dig mach­te.

Das Ei­gen­bau-Ei­gen­heim sei „sein Ba­by“. Jah­re­lang ha­be er da­ran ge­grü­belt, nach­dem er in ei­ner Mö­bel­tisch­le­rei Va­ri­an­ten der per­fek­ten Ver­bin­dung von Holz­ele­men­ten sah und ei­nen Heu­re­ka-Mo­ment ver­spür­te. „Das, was im Klei­nen geht, kön­ne man ja auch im gro­ßen Maß­stab nut­zen“, dach­te er sich. Es folg­ten Geo­me­trie-Rech­nun­gen en mas­se, und suk­zes­si­ve nahm Ubu­ild ei­ne Form an.

Sym­bio­se mit der Na­tur

Da­bei bleibt Cor­ral sei­ner Phi­lo­so­phie treu – näm­lich sei­nen An­spruch an Ar­chi­tek­tur in ei­ne glo­ba­le Vi­si­on über die Be­dürf­nis­se der Ge­sell­schaft zu bet­ten und da­bei ei­ne Sym­bio­se mit Na­tur und Nach­hal­tig­keit ein­zu­ge­hen. Der Er­fin­der ist fest da­von über­zeugt, mit Ubu­ild den Zahn der Zeit zu tref­fen. Das Ei­gen­heim hat in Spa­nien Tra­di­ti­on, wenng­leich mit der tie­fen Wirt­schafts­kri­se vor al­lem der jun­gen Ge­ne­ra­ti­on hier­für das Bud­get und oft auch ei­ne lang­fri­sti­ge Per­spek­ti­ve feh­len.

Re­al um­ge­setzt wur­den bis­lang al­ler­dings nur we­ni­ge Pro­to­ty­pen. Doch da­für gibt es be­reits dut­zen­de un­ter­schied­li­che Ent­wür­fe – et­wa für Ar­bei­ter-Ei­gen­bau­sied­lun­gen für 1000 Men­schen in der chi­le­ni­schen Ata­ca­ma­wü­ste mit ih­ren ex­tre­men Tem­pe­ra­tur­schwan­kun­gen von 40 Grad Cel­si­us zwi­schen Tag und Nacht oder für ein Was­ser­kraft­werk-Pro­jekt im Re­gen­wald Bo­li­viens, wo die Ar­beits­kräf­te rasch und be­quem Un­ter­kunft fin­den sol­len.

Zwei Pi­lot­häu­ser ste­hen der­zeit in der Tisch­le­rei von Ou­tei­ro de Rei, die mit der Fer­ti­gung der Ubu­ild-Ele­men­te be­auf­tragt ist. Aber auch ei­ne Un­ter­kunft für die Ret­tungs­schwim­mer an ei­nem See bei As Pon­tes hat Cor­ral be­reits in die Tat um­ge­setzt. Seit der Pa­tent­an­mel­dung und ei­nem er­schie­ne­nen Ar­ti­kel in der Lo­kal­zei­tung La Voz de Ga­li­cia gin­gen je­doch un­ent­wegt An­ru­fe In­te­res­sier­ter ein, freut er sich.

„Holz ist leicht und lang­le­big, so­fern man es rich­tig be­han­delt“, sagt Al­ber­to Cor­ral. „Noch da­zu ist es at­mungs­ak­tiv. Das ist schlicht­weg der per­fek­te Bau­stoff.“ Bei sei­nen zie­gel- und be­ton­af­fi­nen Lands­leu­ten wird es aber noch ei­ni­ges an Über­zeu­gungs­ar­beit be­dür­fen, um sie von Ubu­ild zu über­zeu­gen. Ver­bin­den doch Spa­nier mit Zie­geln Fort­schritt, wo­hin­ge­gen sie in Holz ne­ben Feu­er­ge­fahr auch Pro­ble­me mit des­sen Le­bens­dau­er und Feuch­tig­keit se­hen. „Nein! Holz über­dau­ert Jahr­hun­der­te. Doch das ist hier­zu­lan­de nur den we­nigs­ten be­kannt.“

Cor­rals Vi­si­on: Mit ei­nem güns­ti­gen klei­nen Mo­dell kön­ne sich ein jun­ges Paar ein er­stes Ei­gen­heim er­rich­ten und dies je nach Be­darf und Nach­wuchs nach und nach mo­du­lar aus­bau­en. Kom­men sie dann selbst in die Jah­re und eman­zi­pie­ren sich die Kin­der, dann wä­re bei­spiels­wei­se ein Schlaf- oder Wohn­zim­mer­mo­dul die per­fek­te Mit­gift, meint Cor­ral.

Aus­bau­fä­hi­ge Mo­del­le

Zu­dem wä­ren Ubu­ild-Häu­ser auch für Ka­ta­stro­phen­hilfs­ein­sät­ze ide­al – et­wa für Spi­tä­ler, Schu­len oder eben als Un­ter­künf­te für Be­trof­fe­ne und Hel­fer. Braucht es doch nicht ein­mal ei­nen Bau­kran. Der Clou da­bei: Die meis­ten Teils­tü­cke kön­nen al­lein ge­ho­ben wer­den. Für die schwe­ren Bal­ken rei­chen ein, zwei Per­so­nen aus. Ge­schraubt wird al­lein. Ak­tu­ell ist das spa­ni­sche Mi­li­tär, das just in La Co­ru­ña die Ba­sis der Lo­gis­ti­kein­hei­ten be­hei­ma­tet, am Sys­tem in­te­res­siert. Die möch­te Ubu­ild für ei­ne For­schungs­sta­ti­on in der An­tark­tis be­nüt­zen. Cor­ral: „Wenn ich hier­für den Zu­schlag be­kom­me, dann plat­ze ich vor stolz.“

Ge­deckt wird ein Ubu­ild-Mo­dul mit Zie­gel­schin­deln oder Blech­dach – oder ein­fach nur mit ei­ner han­dels­üb­li­chen, wit­te­rungs­fes­ten Lkw-Pla­ne aus PVC. Die Idee hat­te Cor­ral, als er in La Co­ru­ña ei­nen der vie­len Sat­tel­schlep­per­zü­ge vor­bei­fah­ren sah. Hoh­le Wand­mo­du­le und hin­ter­lüf­te­te Fass­ade­ne­le­men­te sol­len Feuch­tig­keit und Tem­pe­ra­tur ab­lei­ten. Ein­ge­schloss­ene Luft­ka­nä­le, die man je nach Wett­er­la­ge öff­nen und schlie­ßen kann, er­mög­li­chen ei­ne ge­wis­se Kon­trol­le der Raum­tem­pe­ra­tur. Und auch an Strom- und Was­ser­lei­tun­gen hat der Er­fin­der ge­dacht. Die­se las­sen sich in die Eck­pfei­ler so­wie in Wand- und Bo­den­tei­le in­te­grie­ren.

Mas­si­ve Schrau­ben, die sich in den Bo­den dre­hen, sol­len als Fun­da­ment die­nen und da­bei den Kon­takt zum Un­ter­grund auf ein Mi­ni­mum re­du­zie­ren – ei­ne „nicht­in­va­si­ve Idee“, wie Cor­ral be­tont. Die Schrau­ben, die leicht trans­por­tier­bar sind, sol­len so­gar Stark­win­den stand­hal­ten kön­nen. Ide­al wä­re dies für die Er­rich­tung von Be­hau­sun­gen in Na­tio­nal­parks oder et­wa für Sai­son­ho­tels in­mit­ten un­be­rühr­ter Na­tur.

Wer­muts­trop­fen am gan­zen Pro­jekt ist der nicht wirk­lich bil­li­ge Qua­drat­me­ter­preis. Man­gels Auf­trags­vo­lu­men ist Ubu­ild mit 400 bis 800 Eu­ro pro Qua­drat­me­ter der­zeit noch ver­gleichs­wei­se hoch be­mes­sen. Al­ber­to Cor­ral ist Op­ti­mist. „Das ist nur ei­ne Fra­ge der Mas­sen­pro­duk­ti­on. Je mehr Ubu­ild-Häu­ser er­rich­tet wer­den, de­sto nie­dri­ger wird der Preis.“

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