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90 und immer recht leise
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Der Holzmeister-Schüler Franz Kiener ist kein „Stararchitekt“. Doch gerade jemand wie er trägt zu einer lebendigen Baukultur Österreichs bei. Zum 90. Geburtstag: ein Rückblick.

14. Mai 2016 - Ingrid Holzschuh
Der Wiener Architekt Franz Kiener feiert heuer seinen 90. Geburtstag. Ein geeigneter Anlass für eine Retrospektive auf sein Werk, das uns einen interessanten Einblick in die österreichische Architekturgeschichte der letzten 70 Jahre gewährt.

In der Staatsgewerbeschule in Salzburg erhielt er seine bautechnische Ausbildung, danach folgte das Studium (1948–1951) der Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Seine architektonische „Erziehung“ prägten seine Lehrer Clemens Holzmeister (1886–1983) und Eugen Wachberger (1904–1971), die nach 1945 mit ihrem in der Akademie geschaffenen Klima wesentlich zur Veränderung der baulichen Szene der 1950er-Jahre beitrugen. Die Wiederentdeckung der Moderne und die Anknüpfung an die internationalen Tendenzen standen im Fokus der jungen Architektengeneration. Als Teilnehmer am ersten Konrad-Wachsmann-Seminar (1956) der Sommerakademie Salzburg kam Kiener mit Themen wie Planen im Raster, modulare Ordnungssysteme und Vorfertigung erstmals in Berührung. „In meinen Bauten war es mir immer wichtig, ein Ordnungsprinzip aufrechtzuerhalten, weil sich dadurch vieles lösen lässt“, so Kiener im Rückblick.

Nach mehreren Praxisjahren im Büro von Wachberger legte Franz Kiener 1959 seine Ziviltechnikerprüfung ab, und die ersten Erfolge als selbstständiger Architekt folgten. Gemeinsam mit Gustav Peichl (*1928) und Wilhelm Hubatsch (1904–1974) entwickelte er 1959 den Masterplan der „Gartenstadt Süd“ (Südstadt) in Maria Enzersdorf – der erste groß angelegte Versuch, im Nachkriegs-Österreich moderne Vorstellungen des Städtebaus in einer Planung zu realisieren. Initiiert wurde das Projekt von den niederösterreichischen LandesgesellschaftenNEWAG und NIOGAS (heute EVN) und dem Land Niederösterreich.

Die Aufgabe bestand im Entwurf einer funktional gegliederten Siedlung für rund 7500 Menschen mit einem Verwaltungszentrum der Landesgesellschaften, einem Sportzentrum und zentralen Einrichtungen. Der Auftrag für die Siedlung blieb aus, und die Architektengemeinschaft wurde ausschließlich mit der Planung des Verwaltungsgebäudes (1959–1963) beauftragt. Das Bürohaus, umgesetzt in der Bildsprache der Nachkriegsmoderne, besticht bis in die Gegenwartdurch seinen geometrischen, klar definierten Baukörper und wurde zum Landmark der Südstadt. Über 50 Jahre nach der Errichtung besteht das Gebäude heute noch in seinen ursprünglichen Materialien, womit es der Definition einer „nachhaltigen“ Architektur mehr als gerecht wird.

In den 1960er-Jahren war der Bausektor von Themen wie „industrielle Vorfertigung“ und „Möglichkeiten des Fertigbaus“ bestimmt. Das Bundesministerium für Bauten und Technik beauftragte 1968 eine Studiengemeinschaft mit der Untersuchung der Möglichkeiten und Voraussetzungen für die Anwendung von Methoden und Systemen der Vorfertigung im österreichischen Schulbau. Neben Viktor Hufnagl (1922–2007), Ferdinand Kitt (1919–1973), Herbert Thurner (1905–1998), Fritz Gerhard Mayr (*1931) und Ottokar Uhl (1931–2011) gehörte auch Franz Kiener zu der Gruppe: „Der Idee lag die Notwendigkeit zugrunde, billiger und schneller zu bauen und damit unabhängiger vom Baumeistermarkt zu sein; das waren die Ziele.“ Die praktische Umsetzung der theoretischen Studienerkenntnisse erfolgte schließlich 1973 beim Bau von drei Modellschulen in Imst, Vöcklabruck und Wörgl. Dabei wurde das Architektenteam Franz Kiener und Ferdinand Kitt mit dem Neubau des Bundesrealgymnasiums in Imst (1970–1973) beauftragt. Sowohl das Thema der Vorfertigung als auch die in den 1970er-Jahren um sich greifenden, neuen pädagogischen Unterrichtskonzepte bestimmten deren architektonisches Konzept. Das Resümee von Kiener: „Es hat sich herausgestellt, dass wir beim Schulbau mit kompletten Fertigteilen nicht zurande kommen. Vor allem war es ein politisches Problem, weil die Bürgermeister die Wirtschaft in der Region beleben wollten. Für die Entwicklung und Produktion der Fertigteile musste man allerdings erst Firmenfinden, was sich gerade im ländlichen Bereich als sehr schwierig erwies.“

Mit der Modellsanierung des Karl-Marx-Hofes (1989), die zum Prototyp der nachfolgenden Sanierungen der Gemeindebauten aus der Zwischenkriegszeit wurde, begann Kieners langjährige Tätigkeit in der Wiener Stadterneuerung. Begriffe wie Zweischeiben-Isolierverglasung, thermische Sanierung und Vollwärmeschutz fanden in die Terminologie der Architektur Einzug. Neue, veränderte Herausforderungen, die sich mit dem Aufbringen eines Wärmedämmverbundsystems oder dem Einbau von Isolierglas-Fenstern ergaben, galt es zu bewältigen. Gemeinsam mit dem Bundesdenkmalamt, den Behörden und den Professionisten wurden neue Systeme entwickelt und erprobt. Eine ungeliebte Planungsaufgabe, da sie vom Architekten einfordert, seine Gestaltung der bestehenden Architektur unterzuordnen. Nicht so für Franz Kiener, der den Dialog immer in den Mittelpunkt seiner Arbeit als Architekt stellte. Sein Credo lautet: „Sich einlassen auf die Wünsche der Bauherren, diese respektieren und gemeinsam eine für beide vertretbare Lösung finden.“ Der Erfolg zeigt sich auch in der großen Zahl gebauter Einfamilienhäuser in ganz Österreich.

Franz Kiener ist kein Theoretiker, sondern ein Praktiker, dem das Bauen und die Suche nach fachgerechten Lösungen ein großes Anliegen war und ist. In seinen Bauten und Entwürfen spiegelt sich österreichische Architekturgeschichte, und die Vielzahl seiner Arbeitsgemeinschaften zeugt von seinen persönlichen und beruflichen guten Kontakten zu Architektenkollegen. Über 40 Jahre engagierte er sich als Vorstandsmitglied für die Zentralvereinigung der ArchitektInnen Österreichs, was einmal mehr sein Interesse am Architektenstand undseine lebenslange Überzeugung als Architekt bekräftigt.

Franz Kiener gehört nicht zu den „Stararchitekten“, die in der Öffentlichkeit präsent sind, sondern vielmehr zu jenen, die aus der „zweiten Reihe“ heraus agieren und deshalb oftmals unbekannt bleiben. Ein Blick auf deren Leben und Werk zeigt, dass es gerade diese Architekten sind, die mit ihren Bauten die Architekturlandschaft wesentlich mitgestalten und zu einer lebendigen Baukultur Österreichs einen wichtigen Beitrag leisten.

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