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Unterirdisches Lichterfest
Neue Zürcher Zeitung

Neues Design für Münchens U-Bahnhöfe

17. März 1999 - Oliver Herwig
Der Abstieg ist vorprogrammiert. Unbarmherzig geht es nach unten, ins Herz der Erde. Doch kein staubiger Grubenkorb nimmt die Besucher auf, sondern eine metallene Fahrtreppe. Rechts stehen, links gehen. Ein langgezogener Bahnsteig kommt in den Blick, eine Halle ohne Stützen oder störende Träger. Roher, unbehandelter Beton, zwei Gleise. Hier ist Endstation, wortwörtlich. Denn mit dem U-Bahnhof «Westfriedhof» läuft die U 1 im Münchner Norden aus. Wer freilich auf stille Einkehr und Ruhe hoffte, sieht sich einer theatralischen Inszenierung gegenüber. Im Untergrund führte der sonst für fragile Lichtobjekte bekannte Designer Ingo Maurer martialisch Regie. Bekannt wurden Maurer und sein Team bereits in den frühen achtziger Jahren durch ironisch gebrochene Leuchtobjekte. Niedervolthalogenanlagen im High-Tech-Look lagen damals ganz im Trend. Dieser spielerisch-leichte Ansatz fehlt beim Münchner Grossprojekt. Hier tauchen elf überdimensionale Halbkugeln aus Aluminium, entfernt an mutierte Trockenhauben oder gestürzte Schüsseln erinnernd, den Bahnsteig in farbiges Licht: gelb, rot, blau. Fahrgäste stellen sich hier gerne an den Rand, näher an die Gleise, um etwas Abstand zwischen sich und die schwebenden Ungetüme zu bringen. An den Tunnelwänden kann sich das Auge endlich festsaugen. Über sie fliesst Maurers Blau, ein irisierender Ton, der die gesamte Station durchdringt und zusammenhält.

München leuchtet unterirdisch

Auch jenseits der festlichen Plätze und weissen Säulentempel, der antikisierenden Monumente und Barockkirchen, die Thomas Manns Diktum vom «leuchtenden München» beschwört, gibt es Mindestanforderungen an die Ästhetik öffentlicher Räume. Der unvermeidliche Aufenthalt im Untergrund solle, so Stadtrat Rolf Schirmer in einer Festschrift zum U-Bahn-Bau, eine positive Grundstimmung hervorrufen. Zugleich räumt er ein, dass nicht jede Station höchsten Ansprüchen genüge. Münchens unterirdische Welten sind weder Elysium noch Inferno, sondern zuallererst Spiegelungen einer zeitverhafteten Architektur. Dieses Schicksal teilten sie freilich mit anderen Referenzpunkten auf dem europäischen Kontinent, etwa mit der 1998 eröffneten, ganz in puristisches Weiss getauchten Lissabonner Metrostation Baixa/Chiado oder mit der Jubilee Extension Line, die den «Millennium Dome» mit dem Londoner Stadtzentrum verbinden soll. Letztlich ist der Vorwurf der Zeitgebundenheit ungenau; denn gerade das avancierteste Design schreibt sich als spezifische Signatur in alle Projekte ein. Kaum anders ist die Situation beim Münchner «Westfriedhof». Freilich gelang dem Architekturbüro Auer & Weber inmitten des beschaulichen Villenvororts Gern ein beinahe magischer Ort: kein beliebiger Platz unter der Erde, kein Verteilerbahnhof für Menschen, sondern ein Raum mit hohem Wiedererkennungswert.
Der U-Bahn-Bau und die nachfolgenden Olympischen Spiele 1972 wurden für München zum grossen Sprung nach vorn. Noch immer spricht der ehemalige Oberbürgermeister Hans- Jochen Vogel von einem Projekt, das die Struktur der Stadt wie kaum ein anderes in diesem Jahrhundert verändert habe. Es klingt paradox: Gerade das Unsichtbare, ja Klandestine des Tunnelbaus half im Zuge der «fröhlichen Spiele», die Isarmetropole vollends in die Moderne zu schieben. Rund 80 Bahnhöfe und ebenso viele Kilometer Schienen umfasste 1998 das unterirdische Netz, und 900 000 Fahrgäste nutzen dieses Angebot täglich. Allein dies sei Grund genug, in den Stationen mehr als nur «räumliche Strukturen zur Bewältigung der Fahrgastströme» zu sehen, sondern «vor allem die architektonische Formung öffentlicher Räume», erklärt Oberbürgermeister Christian Ude. Dabei scheint manches in die Jahre gekommen. Vom Glanz eines Otl Aicher und seines feinsinnigen Farbprogramms etwa blieben nur noch Relikte einer verblassenden Ästhetik, bestens zu erleben in den Stationen der U 3, die geradewegs zum Olympiazentrum führt.

Transparente Bahnstation

Neue Perspektiven bot die erweiterte U 1. Mit den neuen Stationen der in einem Winkelhaken Münchens Nordwesten mit dem Südosten verbindenden Linie entstanden vielschichtige Variationen über das Thema «moderner U-Bahnhof». Unter den teils in Spektralfarben schillernden, teils auf pure Materialästhetik setzenden Stationen bildet St. Quirin zweifellos das Highlight. Hier bricht alles Unterirdische nach oben, drängt ans Licht. Eine mächtige Glasfront beherrscht die Szene. Am Computer entstand ihr geschwungenes Schalentragwerk, das knapp oberhalb des Bahntrassees einsetzt und hinaufreicht bis zum Mittelgrat des transparenten Daches. Geblendet vom unvermittelt einfallenden Tageslicht, erleben die Fahrgäste für wenige Augenblicke echt bayrisches Himmelsgewölk. Doch auch umgekehrt geht der Blick. Vom Rand des Kraters, der sich um die Panoramascheibe erstreckt, zwischen Unkraut und Schneeresten, tut sich eine zunächst befremdliche Perspektive nach innen auf: hinein ins Herz der unterirdischen Verkehrsströme. Besonders abends, wenn die Station gleissend in den Nachthimmel zu entschweben scheint, wird das gekrümmte Glasauge von St. Quirin zur veritablen Flimmerkiste für Passanten. Darüber vergisst man leicht, dass die vorgelagerte Mulde alles andere als gelungen ist. In ihr sammelt sich bereits Unrat, und dieser beschert dem High-Tech-Bahnhof und seiner eleganten Frontscheibe nicht die beste Aussicht. Und doch gelang mit der gläsernen Dachschale, für die der Architekt Paul Kramer vom U-Bahn-Referat in Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro Elsner verantwortlich zeichnet, etwas Wunderbares. Ganz selbstverständlich gibt sie Einsicht in den sonst so verschlossenen und düsteren Untergrund. Wer U-Bahnhöfe als ungeliebte Durchgangsbereiche kennt, als Orte, die möglichst schnell zu überwinden sind, wird in den Stationen der erweiterten Linie 1 auf ein subterranes Reich der Überraschungen treffen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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