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Ein Theaterhaus für Möbel
Neue Zürcher Zeitung

Das neue Schaudepot von Vitra

Es gibt sich betont bescheiden: das Schaudepot von Vitra in Weil am Rhein. Doch in seinem Inneren wartet eine der weltweit bedeutendsten Möbelsammlungen auf Liebhaber des modernen Designs.

16. Juni 2016 - Gabriele Detterer
Man darf sich im Wettbewerb um die Gunst der Öffentlichkeit nicht abhängen lassen. Das gilt auch für Museen. Wer aber die Publikumsresonanz erhöhen will, muss sich verändern. Überall folgen Museen dieser Notwendigkeit, vergrössern Ausstellungsflächen durch Anbauten oder bauen sich ein zweites Haus. In diesem Zusammenhang hat nun auch das Vitra-Design-Museum in Weil am Rhein ein neues Konzept entwickelt, das eine «Öffnung des Sammlungsdepots und einen Blick hinter die Kulissen» verspricht. Sind Depots in der Regel nur einem kleinen Personenkreis zugänglich, so will das Vitra-Design-Museum nun seinem Publikum die Lagerbestände tagtäglich zugänglich machen. Hierfür liess die Möbelfirma auf ihrem Campus ein Schaudepot errichten. Die Bezeichnung sagt es deutlich, es handelt sich um Lagerraum und Schaufläche in einem.

Überzeitliche Formgestalt

Die einfache Gestalt des roten Giebelhauses verrät nichts darüber, dass die Möbelsammlung des Vitra-Design-Museums zu den weltweit grössten ihrer Art zählt. Sie lässt auch nicht ahnen, welch spannende Zeitreise durch die Stilgeschichte des Möbeldesigns von 1800 bis in die Gegenwart im Inneren des Gebäudes aufgerollt wird. Der Neubau, dessen schlichte Aussenhülle den Inhalt umso bedeutender erscheinen lässt, ist ein Werk der Basler Architekten Herzog & de Meuron, die bereits 2010 für den Möbelhersteller das extravagante Vitra-Haus erbauten.

Hinsichtlich Licht und Raumklima müssen Sammlungsdepots konservatorischen Ansprüchen gerecht werden. Diesem Zweck folgend, entwarfen Herzog & de Meuron einen fensterlosen, zehn Meter hohen Giebelbau aus Backstein. Die Wahl des Baustoffes stellt eine Verbindung her zur benachbarten Shedhalle und zum Fabrikgebäude von Alvaro Siza aus dem Jahre 1994. Vor allem aber bringt die das Schaudepot kennzeichnende Kombination von archaischer Form und Backsteinmauerwerk eine Zeitdimension des Bewahrens zum Ausdruck. Unübersehbar trotzt der Neubau architektonischem Überschwang, setzt einen Kontrapunkt zum gegenüberliegenden, expressiv-dynamischen Feuerwehrhaus, dem 1993 vollendeten Erstlingswerk von Zaha Hadid, und erinnert gleichzeitig an eine toskanische Scheune. Auch wenn der Ziegelbau laut Jacques Herzog in erster Linie eine starke physische Präsenz vermitteln soll, evoziert er zusammen mit dem Aussenraum eine mediterran anmutende Idylle – wobei der erhöhte Vorplatz zur kleinen Piazza wird.

Neugier wecken

Betritt man das Schaudepot, so befindet man sich in einer grossen, weissen Giebelhalle. Hier wechseln sich Einzelobjekte mit gleichmässig ausgeleuchteten Regalen ab, in denen rund 400 Schlüsselwerke des Möbeldesigns aufbewahrt werden. Karl Friedrich Schinkels gusseiserner Gartenstuhl von 1825 erzählt uns von der Freizeitkultur einer Epoche zwischen Aufbruch und politischer Restauration, und Josef Hoffmanns Sitzmaschine (1906) erinnert an den Ornament-Streit seiner Zeit. Vorbei an modernen Designklassikern – darunter seltene Entwürfe von Gerrit Rietveld und Alvar Aalto – gelangt man zu den farbenfrohen, zwanglose Lebenslust verströmenden Möbeln der 1960er Jahre und zu den Ikonen der Pop-Ära.

Mintgrün leuchtet das modulare Sitzmöbel «Additional System» von Joe Colombo und knallrot der auf Monroes verführerischen Kussmund anspielende Diwan «Marilyn Bocca» von Studio 65. Schliesslich entdeckt man auch Objekte aus dem 3-D-Drucker wie Joris Laarmans «Aluminium Gradient Chair» (2014). Dieser veranschaulicht, wie unaufhaltsam die technische Entwicklung im digitalen Zeitalter voranschreitet. Immer aber ist der phantasievolle Geist der Designer zu spüren, der sich über Stilkonventionen hinwegsetzt und Neues erfindet. Etwa in der zwischen den Regalen eingerichteten Wechselausstellung «Radical Design» mit Objekten von Superstudio, Piero Gilardi, Alessandro Mendini und Gaetano Pesce.

Ikonen und Alltagsdesign

Um die Trennung zwischen dichtem Lagern und optisch ansprechender Zurschaustellung durchlässig zu machen, schufen Herzog & de Meuron einen horizontalen Wandaufbruch, der eine Sichtverbindung zwischen der Haupthalle und dem Untergeschoss herstellt. Denn unten im Basement lagern auf verglasten Regalen weitere Kostbarkeiten aus der insgesamt siebentausend Objekte umfassenden Möbelsammlung, zu der noch rund tausend Leuchten kommen. Diese umfangreichen Bestände sind das Resultat der in den 1980er Jahren von Rolf Fehlbaum begonnenen Sammlungstätigkeit. Dabei dokumentieren Teile der Bestände auch die Entwicklung des Alltagsdesigns, das sich besonders in der Nachkriegszeit im Gleichschritt mit der modernen Industrieproduktion und der wirtschaftlichen Prosperität wandelte.
[ Das Vitra-Design-Museum und das Schaudepot sind täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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