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Weiterbauen, in Gaudis und in Gottes Namen
Neue Zürcher Zeitung

Der Architekt Gaudí soll jetzt seliggesprochen werden.

3. April 1999 - Markus Jakob
Der Architekt Gaudí soll jetzt seliggesprochen werden. Die positio – der Nachweis seiner einwandfreien Lebensführung und Wundertätigkeit – wird dem Vatikan demnächst zugestellt. Ist dieses Prozedere einmal überstanden, rückt auch die Heiligsprechung in den Bereich des Möglichen. Sankt Antoni Gaudí wäre der erste Baukünstler überhaupt, der kanonisiert wird. Jene, die seine Beatifikation betreiben, nennen ihn den «Architekten Gottes». Welche Wunder er denn gewirkt habe? «Nun», scherzt der Leiter des Gaudí-Lehrstuhls in Barcelona, Joan Bassegoda, «sind nicht einige seiner Bauten wundersam genug?»

Der Sühnetempel der Sagrada Familia freilich, mit dessen Planung der Visionär sich 43 Jahre lang beschäftigte, gilt Gaudí-Kennern als eher zweitrangiges Werk – ganz abgesehen vom Weiterbau, den viele für einen Stumpfsinn halten. Der katalanische Architekt hatte hier das Unmögliche angestrebt: ein allumfassendes Bauwerk, das Gotteshaus schlechthin – Mischung aus einer fünfschiffigen gotischen Basilika und einem Zentralbau –, wobei jedes Element, von den Türmen und Gewölben bis zum geringfügigsten ornamentalen Detail, mit christlicher Symbolik geladen und im Hinblick auf die liturgischen Abläufe durchdacht war.

Indessen hatte Gaudí den Bau gar nicht selbst begonnen. Bis heute ist nicht ganz geklärt, unter welchen Umständen er, erst 31jährig, 1883 an die Sagrada Familia berufen wurde und inwieweit ihn das neogotische Projekt seines Vorgängers Villar in seiner planerischen Freiheit einschränkte. Bis zu seinem Tod 1926 vermochte er lediglich die noch von Villar entworfene Krypta, die Apsis, einen kleinen Abschnitt des um den ganzen Tempel herumführenden Kreuzgangs sowie die Geburt-Christi-Fassade auszuführen; deren vier wabenartige Glockentürme mit ihren Fialen aus glasierten Kacheln und venezianischem Glas vollendete sein erster Nachfolger Sugrañes.

Der Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs unterbrach 1936 die Bauarbeiten, und die Zerstörung der Bauhütte mit Gaudís Plänen und Modellen schien den Weiterbau auf alle Zeiten zu vereiteln. Dennoch wuchsen zwischen 1954 und 1977 die nächsten vier Türme heran, die der Passionsfassade. Dann wurden die Fundamente für das Langhaus gelegt. 1996 waren die Seitenschiffe mit den Emp

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