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Realität gewordene Traumobjekte
Ausstellung Sottsass Associati in Prato
Das Museum für Gegenwartskunst Luigi Pecci in Prato zeigt das Schaffen des heute 82jährigen Ettore Sottsass und seiner jungen Associati aus den Jahren 1980 bis 1999. Spielte früher das Design die Hauptrolle, so wird die Architektur bei Sottsass Associati jetzt immer wichtiger.
7. Mai 1999 - Irene Meier
In einem Alter, da sich andere zur Ruhe setzen, gründete Ettore Sottsass jun. mit 63 Jahren seine Sottsass Associati im Verbund mit jungen internationalen Gestaltern und Architekten. Und ein Jahr später, 1981, mischte er mit der Gruppe Memphis die italienische Designwelt neu auf. Damals war der 1917 in Innsbruck geborene italienische Architekt längst ein berühmter Mann. Seit 1958 entwarf er Schreibmaschinen und Computer für Olivetti und machte innovatives Gestalten auch für das Industrial Design zum Thema und Marktfaktor. Legendär wurde die Reiseschreibmaschine Valentine von 1969, die durch ihre leuchtend rote Farbe vom banalen, grauen Gebrauchsgegenstand zum Objekt mit ausgeprägtem Eigencharakter mutierte.
Fliessende Grenzen
Eine klar definierte physische Präsenz zeichnet alle seine Objekte der sechziger und siebziger Jahren aus, als er zu einem Hauptvertreter des Radical Design wurde, das sich gegen eine Banalisierung des Alltags und seiner Gegenstände wandte. Poesie sollte wieder Einzug halten in die Wohnräume und Büros, zum Beispiel mit dem Standspiegel Ultrafragola von 1970, der den Betrachter nachts in ein mildes rosafarbenes Licht taucht, das der breite wellenförmige Rahmen verströmt. Vollends zu Guru-Status kam Sottsass mit der Gründung der Gruppe Memphis, deren Objekte alle überkommenen Regeln von rein funktionalem Design über den Haufen warfen: Möbel und Gegenstände in bizarren Formen und voller Farben wie aus einer Traumwelt. Die Grenzen zwischen Kunst und Design, zwischen angewandter und bildender Kunst waren bei Sottsass stets fliessend. Dadurch hat sein Schaffen stets polarisiert - und tut es immer noch.
In Prato ist ein Querschnitt - «frammenti», so der Untertitel der Ausstellung - des Schaffens von Sottsass und seinen Associati von 1980 bis 1999 zu sehen. Partner von Sottsass sind heute Marco Zanini, Johanna Grawunder, Mike Ryan, Mario Milizia und James Irvine. Zum Studio-Mailand, das rund 35 Personen beschäftigt, zählen neben Designern und Architekten heute auch Graphiker, die entsprechende Aufträge realisieren - ein modernes, ganzheitliches Arbeitskonzept. So umfasst die Ausstellung eine breite Spannweite an Arbeiten, die vom Plakat für die Filmbiennale Venedig bis zum Modell des kürzlich fertiggestellten Flughafens Malpensa 2000 bei Mailand reichen. Sympathischerweise stellt sich Sottsass selber in keiner Weise ins Zentrum der Ausstellung, auch wenn er in allen Arbeiten als Kopf und Seele allgegenwärtig ist. Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter - von der Telefonistin bis zum Computerspezialisten - stellt sich am Eingang der Schau auf Tafeln mit einer sehr persönlichen Auswahl an Photos selber vor - unter ihnen unauffällig auch Altmeister und Übervater Ettore.
Wichtige Werke aus den frühen achtziger Jahren sind die Showrooms für die Bekleidungsfirma Esprit, einer davon auch in Zürich. Jedes Element der Innenarchitektur hat einen spezifischen Eigencharakter, der sich in Form, Farbe und Material manifestiert. Das Resultat sind Räume, die geprägt sind durch die Präsenz von Einzelteilen wie wuchtigen farbigen Säulen, bunten Teppichböden, markanten Treppenaufgängen oder mit unübersehbaren Laminatmustern überzogenen klobigen Möbeln - wahrlich keine kühl funktionalen Interieurs, sondern solche, die Fröhlichkeit und viel Vitalität ausstrahlen und einen unverwechselbaren Stil einleiteten. Mit dem Haus Wolf, das Sottsass 1987-89 zusammen mit der jungen amerikanischen Architektin Johanna Grawunder in Colorado für einen Kunstsammler baute, wurde das erste Haus einer ganzen Serie realisiert. Die Ausstellung in Prato macht mit zahlreichen Originalmodellen und grossformatigen Photographien deutlich, dass sich der Akzent des Schaffens von Sottsass Associati immer mehr vom Design und von der reinen Innenarchitektur Richtung Architektur verlagerte. Wobei bei allen Häusern - meist luxuriöse Villen mit viel Umschwung - auch den Innenräumen eine wichtige Rolle zukommt. Entsprechend sind sie durch Einbauten und Möblierung bis ins Detail definiert. Das Design fällt nicht weg, sondern ist in die Architektur integriert. Zudem werden die Design- Objekte - ineinandergeschachtelte turmartige Regale beispielsweise, bei denen jedes Einzelelement eine andere Oberflächenstruktur und -farbe hat - zusehends zu Kleinarchitekturen. Ihnen sind in Prato wie auch den Keramiken von Sottsass, die weniger Gebrauchsobjekte denn Skulpturen sind, eigene Kabinette eingerichtet, die ihren Kunstcharakter unterstreichen. Möbel wie Architekturen begleitet Sottsass mit farbigen Skizzen, die ihn auch als begabten Maler und Zeichner ausweisen.
Interesse an Architektur
Das Haus Wolf, das eine neue Ära bei Sottsass Associati einläutete, besteht aus einer Ansammlung von einfachen architektonischen Einzelteilen. Es ist aus verschieden grossen, kubischen Elementen, die sich in der Oberflächenstruktur, Farbe oder Materialisierung unterscheiden, scheinbar zufällig wie von Kinderhand zusammengestellt. Der weitläufige Aussenraum ist in die Gestaltung mit einbezogen. Nicht «Monument», sondern «Ort» soll das Haus sein, betont Sottsass. Sowohl die Design-Objekte wie auch die Häuser von Sottsass Associati scheinen aus einer anderen, einer Traumwelt zu stammen.
Überraschenderweise werden diese Traumvorstellungen bei Sottsass dann aber wirklich in real existierende, einzigartige Objekte und Bauten umgesetzt. Alle diese Schöpfungen haben eine Dimension, die weit über ihren Gebrauchswert hinausweist, unsere Phantasie anregt und befriedigt. Nach dem Haus Wolf folgten sich die Architekturentwürfe Schlag auf Schlag, einige kamen allerdings über das Projekt nicht hinaus. Gebaut wurden u. a. das Haus Olabuenaga in Hawaii (1989-97), das das Prinzip des Hauses Wolf weiterführt, ein Golfklub mit Hotel in China (1994-96) und ein Haus für den Galeristen Bruno Bischofberger bei Zürich (1991-98). Der letzte grosse Auftrag an Sottsass Associati war der Innenausbau des Flughafens Malpensa 2000 bei Mailand (1994-98). Hier wurde versucht, die Hektik eines Durchgangsorts mit klar definierten architektonischen, auf eine menschliche Dimension zugeschnittenen Strukturen in prägnanten, aber zurückhaltenden Farben zu beruhigen. (Bis 30. Mai)
[Katalog: Sottsass Associati. 1980-1999. Frammenti. Hrsg. Milco Carboni, Rizzoli, Mailand 1999. 280 S., Lit. 49 000. Englische Ausgabe bei Universe Publishing, New York 1999.]
Fliessende Grenzen
Eine klar definierte physische Präsenz zeichnet alle seine Objekte der sechziger und siebziger Jahren aus, als er zu einem Hauptvertreter des Radical Design wurde, das sich gegen eine Banalisierung des Alltags und seiner Gegenstände wandte. Poesie sollte wieder Einzug halten in die Wohnräume und Büros, zum Beispiel mit dem Standspiegel Ultrafragola von 1970, der den Betrachter nachts in ein mildes rosafarbenes Licht taucht, das der breite wellenförmige Rahmen verströmt. Vollends zu Guru-Status kam Sottsass mit der Gründung der Gruppe Memphis, deren Objekte alle überkommenen Regeln von rein funktionalem Design über den Haufen warfen: Möbel und Gegenstände in bizarren Formen und voller Farben wie aus einer Traumwelt. Die Grenzen zwischen Kunst und Design, zwischen angewandter und bildender Kunst waren bei Sottsass stets fliessend. Dadurch hat sein Schaffen stets polarisiert - und tut es immer noch.
In Prato ist ein Querschnitt - «frammenti», so der Untertitel der Ausstellung - des Schaffens von Sottsass und seinen Associati von 1980 bis 1999 zu sehen. Partner von Sottsass sind heute Marco Zanini, Johanna Grawunder, Mike Ryan, Mario Milizia und James Irvine. Zum Studio-Mailand, das rund 35 Personen beschäftigt, zählen neben Designern und Architekten heute auch Graphiker, die entsprechende Aufträge realisieren - ein modernes, ganzheitliches Arbeitskonzept. So umfasst die Ausstellung eine breite Spannweite an Arbeiten, die vom Plakat für die Filmbiennale Venedig bis zum Modell des kürzlich fertiggestellten Flughafens Malpensa 2000 bei Mailand reichen. Sympathischerweise stellt sich Sottsass selber in keiner Weise ins Zentrum der Ausstellung, auch wenn er in allen Arbeiten als Kopf und Seele allgegenwärtig ist. Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter - von der Telefonistin bis zum Computerspezialisten - stellt sich am Eingang der Schau auf Tafeln mit einer sehr persönlichen Auswahl an Photos selber vor - unter ihnen unauffällig auch Altmeister und Übervater Ettore.
Wichtige Werke aus den frühen achtziger Jahren sind die Showrooms für die Bekleidungsfirma Esprit, einer davon auch in Zürich. Jedes Element der Innenarchitektur hat einen spezifischen Eigencharakter, der sich in Form, Farbe und Material manifestiert. Das Resultat sind Räume, die geprägt sind durch die Präsenz von Einzelteilen wie wuchtigen farbigen Säulen, bunten Teppichböden, markanten Treppenaufgängen oder mit unübersehbaren Laminatmustern überzogenen klobigen Möbeln - wahrlich keine kühl funktionalen Interieurs, sondern solche, die Fröhlichkeit und viel Vitalität ausstrahlen und einen unverwechselbaren Stil einleiteten. Mit dem Haus Wolf, das Sottsass 1987-89 zusammen mit der jungen amerikanischen Architektin Johanna Grawunder in Colorado für einen Kunstsammler baute, wurde das erste Haus einer ganzen Serie realisiert. Die Ausstellung in Prato macht mit zahlreichen Originalmodellen und grossformatigen Photographien deutlich, dass sich der Akzent des Schaffens von Sottsass Associati immer mehr vom Design und von der reinen Innenarchitektur Richtung Architektur verlagerte. Wobei bei allen Häusern - meist luxuriöse Villen mit viel Umschwung - auch den Innenräumen eine wichtige Rolle zukommt. Entsprechend sind sie durch Einbauten und Möblierung bis ins Detail definiert. Das Design fällt nicht weg, sondern ist in die Architektur integriert. Zudem werden die Design- Objekte - ineinandergeschachtelte turmartige Regale beispielsweise, bei denen jedes Einzelelement eine andere Oberflächenstruktur und -farbe hat - zusehends zu Kleinarchitekturen. Ihnen sind in Prato wie auch den Keramiken von Sottsass, die weniger Gebrauchsobjekte denn Skulpturen sind, eigene Kabinette eingerichtet, die ihren Kunstcharakter unterstreichen. Möbel wie Architekturen begleitet Sottsass mit farbigen Skizzen, die ihn auch als begabten Maler und Zeichner ausweisen.
Interesse an Architektur
Das Haus Wolf, das eine neue Ära bei Sottsass Associati einläutete, besteht aus einer Ansammlung von einfachen architektonischen Einzelteilen. Es ist aus verschieden grossen, kubischen Elementen, die sich in der Oberflächenstruktur, Farbe oder Materialisierung unterscheiden, scheinbar zufällig wie von Kinderhand zusammengestellt. Der weitläufige Aussenraum ist in die Gestaltung mit einbezogen. Nicht «Monument», sondern «Ort» soll das Haus sein, betont Sottsass. Sowohl die Design-Objekte wie auch die Häuser von Sottsass Associati scheinen aus einer anderen, einer Traumwelt zu stammen.
Überraschenderweise werden diese Traumvorstellungen bei Sottsass dann aber wirklich in real existierende, einzigartige Objekte und Bauten umgesetzt. Alle diese Schöpfungen haben eine Dimension, die weit über ihren Gebrauchswert hinausweist, unsere Phantasie anregt und befriedigt. Nach dem Haus Wolf folgten sich die Architekturentwürfe Schlag auf Schlag, einige kamen allerdings über das Projekt nicht hinaus. Gebaut wurden u. a. das Haus Olabuenaga in Hawaii (1989-97), das das Prinzip des Hauses Wolf weiterführt, ein Golfklub mit Hotel in China (1994-96) und ein Haus für den Galeristen Bruno Bischofberger bei Zürich (1991-98). Der letzte grosse Auftrag an Sottsass Associati war der Innenausbau des Flughafens Malpensa 2000 bei Mailand (1994-98). Hier wurde versucht, die Hektik eines Durchgangsorts mit klar definierten architektonischen, auf eine menschliche Dimension zugeschnittenen Strukturen in prägnanten, aber zurückhaltenden Farben zu beruhigen. (Bis 30. Mai)
[Katalog: Sottsass Associati. 1980-1999. Frammenti. Hrsg. Milco Carboni, Rizzoli, Mailand 1999. 280 S., Lit. 49 000. Englische Ausgabe bei Universe Publishing, New York 1999.]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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