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Lasst die Kinder frei!
Welche Haltung gegenüber unseren Kindern verrät die heimische Spielplatzkultur? Welche Art von Erwachsenen wird einmal aus den Kindern, für die keine Spielplätze, sondern Hochsicherheitszonen geplant werden? Ein Appell.
17. September 2016 - Stephanie Drlik
Im öffentlichen Raum unserer Städte zeichnet sich bereits seit geraumer Zeit ein Trend der gesellschaftlichen Entmündigung ab. Er hat sich aus der Erwartungshaltung der Menschen entwickelt, eine zur Gänze abgesicherte und kontrollierte Stadt vorzufinden. Die Verantwortung für die Folgen des eigenen Handelns wird bereitwillig an Stadtverwaltungen abgegeben, die den Erwartungen der Bürger entsprechen und rechtlich abgesicherte Rahmenbedingungen schaffen. Bedingungen, die durch enge Normen und Vorschriften wenig Gestaltungsspielraum für Planer zulassen und die zu teils skurrilen Raumsituationen führen. Nirgendwo scheint diese Skurrilität stärker ausgeprägt als in jenen Bereichen der öffentlichen Stadträume, die für die Nutzung durch Kinder vorgesehen sind. Entmündigung und Verantwortungsentzug werden hier von Verwaltungen besonders rigoros exekutiert.
Angst scheint die Triebkraft dieser Entwicklung, Angst der Eltern um ihre Kinder und Angst der Verwaltungen vor Regressionen. Doch auch Planer sind nicht aus ihrer Verantwortung zu nehmen, denn neben der erwähnten fehlenden Verantwortungsbereitschaft und der oftmals wenig vorhandenen autonomieunterstützenden Erziehungskompetenz der Eltern liegt das tatsächliche Problem in einer Stadtplanungspraxis, die Kinder zu wenig im Stadtraum berücksichtigt. Einfach „draußen“ sein und selbstbestimmt das Wohnumfeld erobern ist – nicht zuletzt aufgrund des omnipräsenten motorisierten Individualverkehrs – kaum möglich. Der kindliche Raumbedarf, der sich mit zunehmendem Alter in wachsenden und autonom bestimmten Aktionsradien abzeichnen sollte, beschränkt sich in Folge auf speziell ausgewiesene, meist eingezäunte und streng reglementierte Hotspots des Kinderspiels, die allseits bekannten Spielplätze.
Zwar immer lustig-bunt gestaltet, haben sie dennoch im Gros der Fälle nur wenig mit adäquatem Entwicklungsraum für Kinder und Jugendliche zu tun. Schaukel, Rutsche, Sandkiste und Klettergerüst auf Rindenmulch werden von den Gartenämtern in einstudierter Manier hundertfach über den Stadtraum gestempelt. Doch die Vervielfältigung eines bereits in einfacher Ausführung unzureichenden Prototyps steigert auch in der Massenanwendung nicht die Qualität. Noch vor dem ersten Betreten kennt das Kind den verhaltenskontrollierten, bis zur garantierten Langeweile abgesicherten Spielplatz. Möglichkeiten für Abenteuer, Erkundung und Herausforderung sind bei immer gleichen Klettergerüsten, die mit immer gleichen Schaukeln und Wipptieren kombiniert werden, schnell erschöpft. Beim Anblick dieser Spielplatzklassiker kommt einem unweigerlich die Kleintierhaltung in Käfigen in den Sinn.
Eltern von Kleinkindern mögen sich über die eingezäunten Sicherheitszonen freuen, doch spätestens ab dem Schulalter benötigen Kinder für ihre gesunde Entwicklung mehr als eine bloße Ansammlung von geprüften Spielgeräten auf einer fallschutzgesicherten Fläche. Angemessene Spielfreiräume sollten freies, nicht angeleitetes Spielen ermöglichen, idealerweise ohne ständige elterliche Kontrolle. Spielen bedeutet lernen, und sich im Spiel körperlich auszuprobieren muss auch die Möglichkeit beinhalten zu fallen und sich zu verletzen. Ein Lerneffekt, der für die motorische Entwicklung und die spätere Risikokompetenz der Kinder verantwortlich ist – Risikokompetenz, die man in Stadtverwaltungen leider vergeblich sucht.
So eigenartig die punktuelle Bündelung von spielenden Kindern auf eingezäunten Plätzen ist, es gäbe durchaus auch in dieser Methode Potenziale auszuschöpfen. Doch ist eine Spielfläche erst einmal als solche ausgewiesen, geschieht in unserer ÖNORM- und TÜV-geprüften Welt der Sicherheit Absonderliches. Klettergerüste werden zu Todesfallen, Blumenwiesen zu stechinsektenanziehenden Gefahrenzonen, regennasse Holzoberflächen zu knochenbrechenden Folterinstrumenten. Dass dennoch da und dort etwas Außergewöhnliches zustandekommt, ist dem persönlichen Engagement einzelner Planer geschuldet, die Normen und Vorschriften ausreizen, langwierige Planungsprozesse in Kauf nehmen und trotz aller Auflagen die Kinderbedürfnisse nicht aus den Augen verlieren.
Vielleicht liegt es an den eingeschränkten Möglichkeiten der zahlenmäßig enormen Nutzergruppe der Kinder, Rechte eigeninitiativ einzufordern. Vielleicht missversteht man aber auch das Thema „Spiel“ in der Planungsszene, denn Kinder und ihr Freiraumanspruch werden in der österreichischen Baukultur leider nach wie vor zu wenig ernst genommen. Die Idee der integrativen Lebensraumgestaltung, die möglichst viele Aspekte des Alltagslebens der Stadtbewohner räumlich verwebt, schließt heute die freiräumlichen Bedürfnisse der Kinder nur selten ein. Statt sie in isolierte Spielstationen zu verbannen, sollten sich Kinder überall dort im öffentlichen Raum wiederfinden, wo sie und ihre Begleiter ihren Tagesablauf bestreiten, also vor allem zwischen den Spielplätzen. Dafür müssen sich Planungsverantwortliche vom Denken in Spielplatzeinheiten verabschieden und Quartiere ganzheitlich betrachten. Die bespielbare Stadt bietet einen öffentlichen, generationenübergreifenden Multifunktionsraum an, der uns allen zur Verfügung steht, auch unseren Kindern.
Bei der Konzeption neuer Wohnquartiere in Stadterweiterungsgebieten lassen erste zaghafte Versuche die Richtung erahnen, in die sich unsere Städte entwickeln könnten. Doch Spielraumplanung auf städtebaulicher Ebene ist in Österreich nach wie vor unüblich. Die lebensräumliche Aus- beziehungsweise Eingrenzung minderjähriger Stadtnutzer ist schon derart normal, dass der Handlungsbedarf weder bei Stadtverwaltungen noch bei der sonst ausgesprochen initiativ agierenden Bevölkerungsgruppe der Eltern erkannt wird. Landschaftsarchitekturschaffende bieten zahlreiche Ideen und Lösungsansätze an, doch unsere Spielplatzkultur ist festgefahren einfältig. Ist das nahe Wohnumfeld nicht mit großzügigen Grünanlagen oder Landschaftsräumen ausgestattet, sind Kinder in Städten wohl weiterhin auf Spielplätze angewiesen. Spielplätze, die in den meisten Fällen nicht den Bedürfnissen der Kinder entsprechen.
Die gebaute Spielplatzrealität spiegelt die Haltung einer Gesellschaft gegenüber ihren Kindern wider. Was sagt die österreichische Spielplatzkultur über uns als Gesellschaft aus? Was sollen diese Kinder für Erwachsene werden, die wir aus unserem Lebensraum hinaus in präparierte Hochsicherheitszonen hinein planen? Die Folgen der mangelnden Lebensraumplanung sind jedenfalls schwerwiegend. Zunehmend insularisierte oder verhäuslichte Kindheitsstrukturen machen Kinder krank. Kommunen sollten reagieren, bevor wir Übergewicht, ADHS, Konzentrationsstörungen, motorische Einschränkungen und die sozialen Defizite der Kinder in der volkswirtschaftlichen Bilanz ablesen können. In diesem Sinne der Appell an Planende, Verwaltungsverantwortliche und Eltern: Traut den Kindern mehr zu, und lasst sie frei!
Angst scheint die Triebkraft dieser Entwicklung, Angst der Eltern um ihre Kinder und Angst der Verwaltungen vor Regressionen. Doch auch Planer sind nicht aus ihrer Verantwortung zu nehmen, denn neben der erwähnten fehlenden Verantwortungsbereitschaft und der oftmals wenig vorhandenen autonomieunterstützenden Erziehungskompetenz der Eltern liegt das tatsächliche Problem in einer Stadtplanungspraxis, die Kinder zu wenig im Stadtraum berücksichtigt. Einfach „draußen“ sein und selbstbestimmt das Wohnumfeld erobern ist – nicht zuletzt aufgrund des omnipräsenten motorisierten Individualverkehrs – kaum möglich. Der kindliche Raumbedarf, der sich mit zunehmendem Alter in wachsenden und autonom bestimmten Aktionsradien abzeichnen sollte, beschränkt sich in Folge auf speziell ausgewiesene, meist eingezäunte und streng reglementierte Hotspots des Kinderspiels, die allseits bekannten Spielplätze.
Zwar immer lustig-bunt gestaltet, haben sie dennoch im Gros der Fälle nur wenig mit adäquatem Entwicklungsraum für Kinder und Jugendliche zu tun. Schaukel, Rutsche, Sandkiste und Klettergerüst auf Rindenmulch werden von den Gartenämtern in einstudierter Manier hundertfach über den Stadtraum gestempelt. Doch die Vervielfältigung eines bereits in einfacher Ausführung unzureichenden Prototyps steigert auch in der Massenanwendung nicht die Qualität. Noch vor dem ersten Betreten kennt das Kind den verhaltenskontrollierten, bis zur garantierten Langeweile abgesicherten Spielplatz. Möglichkeiten für Abenteuer, Erkundung und Herausforderung sind bei immer gleichen Klettergerüsten, die mit immer gleichen Schaukeln und Wipptieren kombiniert werden, schnell erschöpft. Beim Anblick dieser Spielplatzklassiker kommt einem unweigerlich die Kleintierhaltung in Käfigen in den Sinn.
Eltern von Kleinkindern mögen sich über die eingezäunten Sicherheitszonen freuen, doch spätestens ab dem Schulalter benötigen Kinder für ihre gesunde Entwicklung mehr als eine bloße Ansammlung von geprüften Spielgeräten auf einer fallschutzgesicherten Fläche. Angemessene Spielfreiräume sollten freies, nicht angeleitetes Spielen ermöglichen, idealerweise ohne ständige elterliche Kontrolle. Spielen bedeutet lernen, und sich im Spiel körperlich auszuprobieren muss auch die Möglichkeit beinhalten zu fallen und sich zu verletzen. Ein Lerneffekt, der für die motorische Entwicklung und die spätere Risikokompetenz der Kinder verantwortlich ist – Risikokompetenz, die man in Stadtverwaltungen leider vergeblich sucht.
So eigenartig die punktuelle Bündelung von spielenden Kindern auf eingezäunten Plätzen ist, es gäbe durchaus auch in dieser Methode Potenziale auszuschöpfen. Doch ist eine Spielfläche erst einmal als solche ausgewiesen, geschieht in unserer ÖNORM- und TÜV-geprüften Welt der Sicherheit Absonderliches. Klettergerüste werden zu Todesfallen, Blumenwiesen zu stechinsektenanziehenden Gefahrenzonen, regennasse Holzoberflächen zu knochenbrechenden Folterinstrumenten. Dass dennoch da und dort etwas Außergewöhnliches zustandekommt, ist dem persönlichen Engagement einzelner Planer geschuldet, die Normen und Vorschriften ausreizen, langwierige Planungsprozesse in Kauf nehmen und trotz aller Auflagen die Kinderbedürfnisse nicht aus den Augen verlieren.
Vielleicht liegt es an den eingeschränkten Möglichkeiten der zahlenmäßig enormen Nutzergruppe der Kinder, Rechte eigeninitiativ einzufordern. Vielleicht missversteht man aber auch das Thema „Spiel“ in der Planungsszene, denn Kinder und ihr Freiraumanspruch werden in der österreichischen Baukultur leider nach wie vor zu wenig ernst genommen. Die Idee der integrativen Lebensraumgestaltung, die möglichst viele Aspekte des Alltagslebens der Stadtbewohner räumlich verwebt, schließt heute die freiräumlichen Bedürfnisse der Kinder nur selten ein. Statt sie in isolierte Spielstationen zu verbannen, sollten sich Kinder überall dort im öffentlichen Raum wiederfinden, wo sie und ihre Begleiter ihren Tagesablauf bestreiten, also vor allem zwischen den Spielplätzen. Dafür müssen sich Planungsverantwortliche vom Denken in Spielplatzeinheiten verabschieden und Quartiere ganzheitlich betrachten. Die bespielbare Stadt bietet einen öffentlichen, generationenübergreifenden Multifunktionsraum an, der uns allen zur Verfügung steht, auch unseren Kindern.
Bei der Konzeption neuer Wohnquartiere in Stadterweiterungsgebieten lassen erste zaghafte Versuche die Richtung erahnen, in die sich unsere Städte entwickeln könnten. Doch Spielraumplanung auf städtebaulicher Ebene ist in Österreich nach wie vor unüblich. Die lebensräumliche Aus- beziehungsweise Eingrenzung minderjähriger Stadtnutzer ist schon derart normal, dass der Handlungsbedarf weder bei Stadtverwaltungen noch bei der sonst ausgesprochen initiativ agierenden Bevölkerungsgruppe der Eltern erkannt wird. Landschaftsarchitekturschaffende bieten zahlreiche Ideen und Lösungsansätze an, doch unsere Spielplatzkultur ist festgefahren einfältig. Ist das nahe Wohnumfeld nicht mit großzügigen Grünanlagen oder Landschaftsräumen ausgestattet, sind Kinder in Städten wohl weiterhin auf Spielplätze angewiesen. Spielplätze, die in den meisten Fällen nicht den Bedürfnissen der Kinder entsprechen.
Die gebaute Spielplatzrealität spiegelt die Haltung einer Gesellschaft gegenüber ihren Kindern wider. Was sagt die österreichische Spielplatzkultur über uns als Gesellschaft aus? Was sollen diese Kinder für Erwachsene werden, die wir aus unserem Lebensraum hinaus in präparierte Hochsicherheitszonen hinein planen? Die Folgen der mangelnden Lebensraumplanung sind jedenfalls schwerwiegend. Zunehmend insularisierte oder verhäuslichte Kindheitsstrukturen machen Kinder krank. Kommunen sollten reagieren, bevor wir Übergewicht, ADHS, Konzentrationsstörungen, motorische Einschränkungen und die sozialen Defizite der Kinder in der volkswirtschaftlichen Bilanz ablesen können. In diesem Sinne der Appell an Planende, Verwaltungsverantwortliche und Eltern: Traut den Kindern mehr zu, und lasst sie frei!
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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