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Gläserne Ode an die Geduld der Musik
Eröffnung der ewigen Baustelle Hamburger Elbphilharmonie: In Anwesenheit der Politik (inklusive Kanzlerin Angela Merkel) zeigte das Orchester unter Thomas Hengelbrock auch die akustischen Qualitäten des markanten Glasbaus.
13. Januar 2017 - Ljubisa Tosic
„Ich bin in Liverpool geboren, erwachsen wurde ich in Hamburg.“ Wer weiß, ob John Lennon, der mit den Beatles einst Hamburger Clubs bespielte, bei der Eröffnung der Elbphilharmonie dabei wäre. Womöglich würde er eines jener Projekte unterstützen, die sich im Schatten des Glasbaus wähnen. Etwa den popaffinen Golden Pudel Club, der abbrannte und nun auf Wiedererrichtung und Mithilfe der Kulturpolitik hofft.
Komponist Wolfgang Rihm wäre sicher angereist, allerdings wurde er krank. Man wünscht ihm bei der Einweihung im Großen Saal, der 2200 Plätze bietet, gute Besserung. Dennoch „sehen Sie einen glücklichen Intendanten“, erklärt Christoph Lieben-Seutter zuvor, Chef des neuen Kunstraumes. Auch bei Besuchern, welche die Elbphilharmonie einfach so aufgesucht hätten, wäre ein Lächeln aufs Antlitz gezaubert worden, schwärmt Lieben-Seutter.
Für seine Verhältnisse (er war auch Chef des Wiener Konzerthauses) wirkt er fast euphorisch. Verständlich. Letztlich ist alles fertig geworden, auch Rihms Eröffnungsstück Reminiszenz. Alles andere wäre nur als boshafte Komponistenpointe des Widerstands zu werten gewesen.
Die Elbphilharmonie wurde ja auch Wahrzeichen der Geduld und Misswirtschaft. Sie war, nun mit sieben Jahren Verspätung eröffnet, Weltwunder und schlechter Planungswitz zugleich. Von den ersten unrealistischen Schätzungen (77 Millionen) ging es fast hinauf bis zu schwindelerregenden 800 Millionen. 2007 kam Lieben-Seutter, um Inhalte für den Prachtbau zu entwerfen. Statt zügig Richtung Projektvollendung (für 2010) zu gleiten, musste er jedoch Geduld neu definieren.
Auch daran wird erinnert: Bundespräsident Joachim Gauck („Elphie ist erwacht!“) spricht vom Planungsalbtraum, der nun zum verwirklichten Traum wurde. Vom „Amphitheater der Tonkunst und des Bürgersinns“ spricht er, aber auch davon, dass Risiko gute Kalkulation benötige. Dies sei eine wichtige Lehre: „Sie haben sich in Hamburg etwas zugemutet“, so Gauck, in dessen Unterton Mitleid wie Ermahnung mitzuschwingen scheinen. Wie auch immer. Selbst wenn es die Musik nicht gäbe, die das Gebäude beleben soll, würde „Elphie“, die Welle aus Glas, errichtet auf einem alten Backsteinsockel, imposant und unverwechselbar wirken.
Eine 80 Meter lange Rolltreppe führt zur Plaza, die ein erhabenes Panorama bietet. Hafen und Stadt im Blick, geht es hinauf zum Großen Saal, wo das NDR Elbphilharmonie Orchester unter Dirigent Thomas Hengelbrock mittig, im Sinne der Hördemokratie, postiert ist. Kanzlerin Angela Merkel erlebt es, für sie gibt es trotz ihrer Verspätung Standing Ovations. Auch Akustiker Yasuhisa Toyota lauscht den im oberen Bereich des höhlenartigen Saales transparent, klar, aber nicht extrem warm wirkenden Klängen.
Suite der Kontraste
Der schalltechnisch durch Stahlfederkonstruktionen von Außenschwingungen entkoppelte Saal muss natürlich auch „eingespielt“ werden, es müssen sich die Musiker zudem an ihn gewöhnen. Es braucht Feinarbeit. Der erste Eindruck ist sehr respektabel. Delikat hat Hengelbrock ein Programm zusammengestellt, das auch Renaissance und Moderne übergangslos zu einer eindringlichen, Kontraste bietenden Suite bündelt. Sie pendelt zwischen Oboensolo (Brittens Pan ) und Zimmermann (Photoptosis), zwischen Caccini und Messiaen und stellt Wagners Parsifal -Vorspiel in die Nähe von Rihms impulsivem, zwischen Idylle und dramatischer Entladung changierendem Reminiszenz .
Das vom Architekturbüro Herzog & de Meuron entworfene Gebäude auf dem ehemaligen Kaispeicher ist eine Art Stadt in der Stadt. Auch daraus erklären sich die Mehrkosten, die nicht allein den Musikbereich betreffen. In dem gläsernen Bau finden sich neben drei Konzertsälen ein Hotel und 46 Wohnungen samt Parkgarage – und eben die Aussichtsplattform, von der aus jene Stadt überblickt wird, die alles bezahlt hat. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz nennt es wohl auch deshalb „ein Haus für alle“, gar eine „Einladung an die Welt“ und „ein Zeichen der Zuversicht“, das zeige, was „wir als Kulturnation Deutschland schaffen können“. Mag sein, dass sich die Kanzlerin zitiert fühlt.
Lieben-Seutter weiß hingegen, dass die Arbeit jetzt erst beginnt. Er soll nicht nur ein gläsernes Wahrzeichen in Strahleform halten. Er soll es durch Inhalte zum Anziehungspunkt formen. Was den Andrang anbelangt, darf er sich momentan nicht beschweren. Bis Saisonende ist alles ausverkauft, er plant Zusatzkonzerte, um die Nachfrage zu besänftigen – auch durch das Ensemble Resonanz, das hier ebenfalls eine Bleibe findet und für Überraschendes steht. Die Stunde der Wahrheit würde etwa ab der dritten Saison kommen, meint er. Ab da würde sich zeigen, ob Inhalte, vielfach zu Themenfestivals gebündelt, ausreichend Reiz versprühen.
Er hat aber auch jenes Konzerthaus weiter zu füllen, in dem er während der Wartezeit Musik anbot – in der Laeiszhalle. Ein Besuch ist Lieben-Seutter bis in alle Ewigkeit aber sicher. Unerschrockene und womöglich kunstaffine Industriekletterer werden dreimal im Jahr das Vergnügen haben, das Glashaus zu reinigen.
Komponist Wolfgang Rihm wäre sicher angereist, allerdings wurde er krank. Man wünscht ihm bei der Einweihung im Großen Saal, der 2200 Plätze bietet, gute Besserung. Dennoch „sehen Sie einen glücklichen Intendanten“, erklärt Christoph Lieben-Seutter zuvor, Chef des neuen Kunstraumes. Auch bei Besuchern, welche die Elbphilharmonie einfach so aufgesucht hätten, wäre ein Lächeln aufs Antlitz gezaubert worden, schwärmt Lieben-Seutter.
Für seine Verhältnisse (er war auch Chef des Wiener Konzerthauses) wirkt er fast euphorisch. Verständlich. Letztlich ist alles fertig geworden, auch Rihms Eröffnungsstück Reminiszenz. Alles andere wäre nur als boshafte Komponistenpointe des Widerstands zu werten gewesen.
Die Elbphilharmonie wurde ja auch Wahrzeichen der Geduld und Misswirtschaft. Sie war, nun mit sieben Jahren Verspätung eröffnet, Weltwunder und schlechter Planungswitz zugleich. Von den ersten unrealistischen Schätzungen (77 Millionen) ging es fast hinauf bis zu schwindelerregenden 800 Millionen. 2007 kam Lieben-Seutter, um Inhalte für den Prachtbau zu entwerfen. Statt zügig Richtung Projektvollendung (für 2010) zu gleiten, musste er jedoch Geduld neu definieren.
Auch daran wird erinnert: Bundespräsident Joachim Gauck („Elphie ist erwacht!“) spricht vom Planungsalbtraum, der nun zum verwirklichten Traum wurde. Vom „Amphitheater der Tonkunst und des Bürgersinns“ spricht er, aber auch davon, dass Risiko gute Kalkulation benötige. Dies sei eine wichtige Lehre: „Sie haben sich in Hamburg etwas zugemutet“, so Gauck, in dessen Unterton Mitleid wie Ermahnung mitzuschwingen scheinen. Wie auch immer. Selbst wenn es die Musik nicht gäbe, die das Gebäude beleben soll, würde „Elphie“, die Welle aus Glas, errichtet auf einem alten Backsteinsockel, imposant und unverwechselbar wirken.
Eine 80 Meter lange Rolltreppe führt zur Plaza, die ein erhabenes Panorama bietet. Hafen und Stadt im Blick, geht es hinauf zum Großen Saal, wo das NDR Elbphilharmonie Orchester unter Dirigent Thomas Hengelbrock mittig, im Sinne der Hördemokratie, postiert ist. Kanzlerin Angela Merkel erlebt es, für sie gibt es trotz ihrer Verspätung Standing Ovations. Auch Akustiker Yasuhisa Toyota lauscht den im oberen Bereich des höhlenartigen Saales transparent, klar, aber nicht extrem warm wirkenden Klängen.
Suite der Kontraste
Der schalltechnisch durch Stahlfederkonstruktionen von Außenschwingungen entkoppelte Saal muss natürlich auch „eingespielt“ werden, es müssen sich die Musiker zudem an ihn gewöhnen. Es braucht Feinarbeit. Der erste Eindruck ist sehr respektabel. Delikat hat Hengelbrock ein Programm zusammengestellt, das auch Renaissance und Moderne übergangslos zu einer eindringlichen, Kontraste bietenden Suite bündelt. Sie pendelt zwischen Oboensolo (Brittens Pan ) und Zimmermann (Photoptosis), zwischen Caccini und Messiaen und stellt Wagners Parsifal -Vorspiel in die Nähe von Rihms impulsivem, zwischen Idylle und dramatischer Entladung changierendem Reminiszenz .
Das vom Architekturbüro Herzog & de Meuron entworfene Gebäude auf dem ehemaligen Kaispeicher ist eine Art Stadt in der Stadt. Auch daraus erklären sich die Mehrkosten, die nicht allein den Musikbereich betreffen. In dem gläsernen Bau finden sich neben drei Konzertsälen ein Hotel und 46 Wohnungen samt Parkgarage – und eben die Aussichtsplattform, von der aus jene Stadt überblickt wird, die alles bezahlt hat. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz nennt es wohl auch deshalb „ein Haus für alle“, gar eine „Einladung an die Welt“ und „ein Zeichen der Zuversicht“, das zeige, was „wir als Kulturnation Deutschland schaffen können“. Mag sein, dass sich die Kanzlerin zitiert fühlt.
Lieben-Seutter weiß hingegen, dass die Arbeit jetzt erst beginnt. Er soll nicht nur ein gläsernes Wahrzeichen in Strahleform halten. Er soll es durch Inhalte zum Anziehungspunkt formen. Was den Andrang anbelangt, darf er sich momentan nicht beschweren. Bis Saisonende ist alles ausverkauft, er plant Zusatzkonzerte, um die Nachfrage zu besänftigen – auch durch das Ensemble Resonanz, das hier ebenfalls eine Bleibe findet und für Überraschendes steht. Die Stunde der Wahrheit würde etwa ab der dritten Saison kommen, meint er. Ab da würde sich zeigen, ob Inhalte, vielfach zu Themenfestivals gebündelt, ausreichend Reiz versprühen.
Er hat aber auch jenes Konzerthaus weiter zu füllen, in dem er während der Wartezeit Musik anbot – in der Laeiszhalle. Ein Besuch ist Lieben-Seutter bis in alle Ewigkeit aber sicher. Unerschrockene und womöglich kunstaffine Industriekletterer werden dreimal im Jahr das Vergnügen haben, das Glashaus zu reinigen.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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