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Kann denn Bauen Sünde sein?
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Rathaus, Investor und beteiligte Architekten sehen das geplante Hochhaus im Unesco-geschützten Zentrum als Segen für Wien. Anderen gilt das Projekt als Höhepunkt dreister Immobilienspekulation, städtebaulicher Scharlatanerie und politischer Ungeniertheit.

13. Januar 2017 - Reinhard Seiß
Der größte Feind des Weltkulturerbes in europäischen Städten sei die Geldgier, warnte Wiens Vizebürgermeisterin und Planungsstadträtin Maria Vassilakou – freilich noch bevor sie am Hochhausprojekt des Risikokapitalfonds-Managers Michael Tojner Gefallen fand. Dieser Satz ließe sich auf die gesamte Stadtentwicklung Wiens übertragen, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten unübersehbar und nicht zu ihrem Besten durch sogenannten Investorenstädtebau mitgeprägt wurde. Und zwar nicht gegen den Willen des Rathauses, sondern mit seiner tatkräftigen Unterstützung.

Insofern wäre das Vorhaben Michael Tojners, das renovierungsbedürftige Hotel Intercontinental in einen multifunktionalen Komplex samt Spielcasino zu verwandeln sowie am angrenzenden Gelände des Wiener Eislaufvereins einen luxuriösen Apartmentturm zu errichten, kein großer Aufreger gewesen. Doch liegt der Standort zwischen Stadtpark und Konzerthaus in der Zone des Weltkulturerbes „Historisches Zentrum von Wien“, was einen Störfaktor von außen ins Spiel brachte: nämlich die Unesco, die auf einer ortsüblichen Gebäudehöhe beharrte. Dies führt seit nunmehr fünf Jahren, weit überdas Rathaus hinaus, zu einem bisher nicht dagewesenen politischen, urbanistischen und medialen Spiegelfechten all jener, die an dem Projekt Interesse haben – und offenbart in seltener Klarheit die moralische Verfasstheit der beteiligten Akteure.

Da wäre zunächst Wiens Bürgermeister Michael Häupl, der sich vor allem dann in Stadtentwicklungsthemen einmischt, wenn Investoren die Felle davonzuschwimmen drohen. So war es beim Bahnhof Wien Mitte, den er medienwirksam als „Ratzenstadl“ bezeichnete und partout durch das viel kritisierte Großprojekt des rathausnahen Bauträgers BAI saniert haben wollte. Und so ist es im Fall des WEV-Areals, dessen umstrittene „Neuorganisation“ er als wichtige Maßnahme sieht, „um Wien zukunftsfit zu machen“. Dieses Mal übt das sozialdemokratische Urgestein gar den Schulterschluss mit einem Apologeten des Heuschreckenkapitalismus, der stolz behauptet, mit seinen Investments nicht auf die Verdoppelung des Kapitals, sondern auf dessen Verdreifachung binnen fünf Jahren zu zielen.

Förderlich für ihr gutes Gesprächsklima könnte sein, dass Michael Tojner sein Hotel-&-Casino-Konzept im Intercontinental gemeinsam mit „Krone“-Herausgeber Christoph Dichand verfolgt. Der Finanzjongleur und die Familie Dichand sind bereits über das Auktionshaus Dorotheum wirtschaftlich miteinander verbunden, das sie gemeinsam mit den Bautycoons Erwin und Hanno Soravia in der Ära von FPÖ-Finanzminister Karl-Heinz Grasser – laut Rechnungshof ungewöhnlich günstig – dem Staat abgekauft hatten. Kenner der heimischen Politik wissen, dass sich ein Wiener Bürgermeister besser nicht gegen die „Kronen Zeitung“ und ihren Gratis-Ableger „Heute“ beziehungsweise gegen die Geschäftsinteressen der Familie Dichand stellt. Dagegen kann deren Wohlwollen politisch durchaus hilfreich sein.

Undurchsichtiges Firmenkonstrukt

Die Grünen wiederum orteten 2009, damals noch in der Opposition, vermutlich zu Recht „Grundstückspekulation“, als Geschäftsfreunde von Tojner mit einem recht undurchsichtigen Firmen- und Stiftungskonstrukt das vom WEV gepachtete Eislaufgelände vom staatseigenen Stadterweiterungsfonds erwarben – wobei der im ÖVP-geführten Innenministerium angesiedelte Fonds Angebote von bis zu neun Millionen Euro ausgeschlagen hatte, um das 10.000 Quadratmeter große Areal schließlich für 4,2 Millionen zu veräußern. Diesmal wurde nicht nur der Rechnungshof, sondern auch die Staatsanwaltschaft aktiv. Die Liegenschaft wurde 2012 jedenfalls von Tojners Firma Wertinvest übernommen, nachdem diese kurz davor das benachbarte Intercontinental gekauft hatte. Während sich die Basis der Wiener Grünen bis heute gegen das Bauvorhaben stemmt, steht ihre Vorsitzende mittlerweile hinter Tojner – und betont den öffentlichen Mehrwert seines Investments. Kritiker führen dagegen ins Treffen, dass seine Gegenleistungen zum einen der Beschwichtigung der zunächst skeptischen bis ablehnenden Anrainerdienten, zum anderen ohnehin ihm selbst und seinem Projekt zugute kämen.

Um das unpopuläre Projekt aber nicht allein verantworten zu müssen, regte die Wiener Stadtplanung ein „Kooperatives Verfahren“ an, im Zuge dessen externe Experten ab Mitte 2012 herausfinden sollten, welche baulichen Entwicklungen an diesem Standort prinzipiell möglich seien. Dazu lud Wertinvest an die 50 Personen zu mehreren Workshops ein – freie Architekten und Planer, namhafte Universitätsprofessoren, aber auch Magistratsbeamte, Gemeinderäte, Anrainervertreter. Die wesentlichsten Vorgaben dafür stammten allerdings nicht von der Wiener Stadtplanung, die eine höhere Bebauung als jene des angrenzenden, gründerzeitlich geprägten Heumarkts für „schwer vorstellbar“ hielt, sondern vom Investor: Der 43 Meter hohe Hotelbau von 1964 könne umgebaut oder durch einen Neubau ersetzt werden. Die Eisfläche müsse erhalten bleiben, könne aber verlagert werden, um Platz für den geplanten Wohnbau zu schaffen. Dieser solle auf bis zu 18.000 Quadratmetern Apartments mit mindestens drei Meter Raumhöhe und attraktiver Aussicht bieten.

Schnell war klar, dass all diese Parameter nur in Form eines Hochhauses realisierbar wären – weshalb die Unesco gleich zu Beginn des Prozesses unmissverständlich klarstellte: Sollte auf dem Grundstück höher als 43 Meter, als das bestehende Hotel, gebaut werden, würde Wiens Innenstadt den Status als Weltkulturerbe verlieren. Statt die Vorgaben daraufhin zu hinterfragen und die gewünschten Kubaturen zu reduzieren, stellten die Experten alsbald „fachlich fest, dass ein Höhenakzent positiv zu bewerten ist“ und zudem „auch von wirtschaftlicher Seite viele Argumente für einen baulichen Hochpunkt sprechen“. Aus einer städtebaulichen Beschäftigung mit dem Ort wurde eine immobilienwirtschaftliche Beschäftigung mit den Renditevorstellungen des Investors – für deren Rechtfertigung dem Leiter des Verfahrens, einem Raumplanungsprofessor der TU Wien, keine noch so hohle Planerfloskel zu schade schien. So empfahl er für das geplante Wohnhaus schließlich einen markanten Turm als „identitätsstiftendes Gebäude mit Leitfunktion und Signalwirkung“.

Kurze Zeit später fand eine Ausstellung statt, in der das Ergebnis des als Brainstorming konzipierten Expertenverfahrens zur Überraschung mancher Teilnehmer bereits als Grundlage für die Flächenwidmung vorgestellt wurde. Und passenderweise hatte Wertinvest schon ein Modell für eine entsprechende Bebauung samt 73 Meter hohem Apartmentturm parat. So breit die Projektbefürworter auch aufgestellt waren – sie wurden von den Reihen jener, die über dieses Ergebnis und sein Zustandekommen empört waren, noch übertroffen: In seltener Einigkeit und Vehemenz verfassten so gut wie alle unabhängigen Architektur- und Planungsinstitutionen Wiens sowie herausragende Persönlichkeiten der lokalen Szene ein umfassendes Protestschreiben an die Stadt. Ihre Reaktion mag das latente Unwohlsein im Rathaus darüber, dass man einen derartigen Dimensionssprung in der Ringstraßenzone ohne jegliches großräumige Konzept genehmigt, noch weiter verstärkt haben. Jedenfalls wurde eine Projektgruppe aus Planern, Wissenschaftlern und Fachbeamten zusammengestellt, um einen „Masterplan Glacis“ auszuarbeiten. Dass sich darin gleich mehrere Experten fanden, die bereits am „Kooperativen Verfahren“ teilgenommen hatten, erhöhte die Treffsicherheitdes übergeordneten Papiers, das im Nachhinein die Rechtfertigung für das zuvor entwickelte Projekt bieten sollte.

Aus diesem Pool an Fachleuten wurde ein Städtebauprofessor der TU Wien darüber hinaus beauftragt, bis Ende 2014 ein neues Hochhauskonzept zu verfassen. Üblicherweise wird ein solches nicht alle zwölf Jahre erstellt, doch erwies sich das – an sich zahnlose – Konzept von 2002 insofern als hinderlich, als es das Wertinvest-Projekt untersagt hätte: Zum einen galt das Welterbegebiet auf den alten Plänen als Ausschlusszone für Hochhäuser. Zum anderen würde Tojners geplantes Hochhaus mitten in den berühmten Blick vom Belvedere auf die Altstadt ragen – laut Konzept von 2002 eine der wichtigsten Sichtachsen, die von Verbauung freizuhalten sind. Noch selten wurden Konzepte in Wien öffentlich so sehr kritisiert wie diese beiden – und das zu Recht. Der tendenziös formulierte Masterplan Glacis setzt eine behutsame Weiterentwicklung der Ringstraßenzone gleich mit Stillstand und Musealisierung – und drängt geradezu auf eine Öffnung für eine neue Maßstäblichkeit. Radikale Veränderungen der Bebauungsstruktur wie das Tojner-Projekt werden als „Offensive Stadtreparatur“ verniedlicht, wobei die Autoren die Erklärung schuldig bleiben, welche sanierenden oder aufwertenden Effekte nachweislich von Hochhäusern im historischen Kontext ausgehen. In eine ähnliche Kerbe schlägt auch das neue Hochhauskonzept, wenn es von „das Umfeld belebenden Systembrüchen“ spricht. Konkrete Vorgaben zu Standorten, Höhen oder Volumen sucht man vergeblich, dafür liest man von „lokalen urbanen Anreicherungen“ oder „räumlicher und funktionaler Klärung“. Bewusst setzte der Autor „viel mehr auf qualitative, als auf quantitative Lösungen“, was das Risiko hoher Beliebigkeit ins sich birgt – die vielleicht ja auch gewollt war.

2014 wurde der Architekturwettbewerbfür den gesamten Komplex entschieden und der Brasilianer Isay Weinfeld zum Sieger erklärt. Nun gab es konkrete Bilder zum Projekt, sodass die PR-Maschinerie von Wertinvest voll anlaufen konnte. Das Architekturzentrum Wien vermochte dank Tojners Untersützung eine Weinfeld-Ausstellung zu zeigen, die offenbar auch den Direktor des Hauses überzeugte – zumal er das Projekt davor noch verteufelt hatte. Auch viele Printmedien, allen voran natürlich „Krone“ und „Heute“, widmeten dem geplanten Bau und seinen Vätern auffallend viel und wohlwollende Aufmerksamkeit. Und schließlich konnte jetzt auch das Flächenwidmungsverfahren beginnen. Doch kam das Vorhaben noch einmal ins Stocken: Mitte Mai 2016 zog Planungsstadträtin Vassilakou die Reißleine und verordnete eine Nachdenkpause. Der Fachbeirat für Stadtplanung und Stadtgestaltung hatte soeben starke Bedenken gegenüber dem Projekt geäußert, obwohl dessen Vorsitzender durch seine Teilnahme im „Kooperativen Verfahren“ schon früh in die Planungen eingebunden war. Als triftigerer Grund gilt aber ohnehin, dass Alexander Van der Bellen eine Woche später zur ersten, nachträglich annullierten Stichwahl um die Bundespräsidentschaft antrat und der Projektstopp das grüne Lager versöhnen sollte. Wenig verwunderlich, endete die Nachdenkpause eine Woche nach der zweiten Stichwahl im Dezember 2016 – worauf Vassilakou gemeinsam mit Häupl und Tojner den endgültigen Entwurf präsentierte.

Eher marginale Änderungen

In einem Vermittlungsverfahren – geleitet vom Autor des Hochhauskonzepts – wurde der geplante Apartmentturm um sieben Meter niedriger und etwas schlanker. Dafür soll das Intercontinental entgegen Weinfelds Plänen jetzt doch abgerissen und etwas breiter wiederaufgebaut werden, was die im Hochhaus verlorenen Flächen mehr als nur wettmacht. Obwohl diese eher marginalen Änderungen nichts an den vom Fachbeirat bemängelten Punkten änderten, gab er wenige Tage später grünes Licht. Weniger beeindruckt zeigten sich die Vertreter der Unesco, die im Sommer noch einmal ihre Forderung nach einer grundlegenden Überarbeitung des Projekts sowie der für sie untauglichen Instrumente Masterplan Glacis und Hochhauskonzept bis 1. Februar 2017 wiederholt hatten. Doch scheint das Rathaus nicht mehr darauf reagieren zu wollen und den Verlust des Welterbes als Preis für Tojners Projekt in Kauf zu nehmen. Wien brauche dieses Etikett nicht, tönt es vom Bürgermeister abwärts bis zum Tourismusdirektor.

Parallel dazu machen einige Planungsexperten und Architekturjournalisten Stimmung gegen die vermeintliche Sturheit der Unesco. Besagter Städtebauprofessor klagte jüngst in einem Interview, die Unesco habe sich in ihrer Position „eingebunkert und in den letzten viereinhalb Jahren keinen Deut bewegt“: „Auf dieser Basis kann man nicht verhandeln.“ Vielleicht trifft er damit ungewollt den Kern der Differenzen mit der Unesco: In der Wiener Stadtplanung gibt es nichts Unverhandelbares. Selbst Gesetze und Verordnungen weisen einen hohen Ermessensspielraum auf – und das sieht man an allen Ecken und Enden. Wien böte sich die Chance, im Umgang mit dem Weltkulturerbe eine neue, aufrichtigere Planungskultur zu erlernen. Mit ihr könnten wir nicht nur das historische Zentrum unversehrt an kommende Generationen weitergeben, sondern die gesamte Stadt.

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