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„Ein Hochhaus hat große Auswirkungen auf die Stadt“
Die einen wollen Wohnen mit Ausblick, die anderen sorgen sich ums Stadtbild: Hochhäuser vermehren sich auch in Wien. Architekturpsychologe Riklef Rambow erklärt, warum diese so emotional diskutiert werden.
28. Januar 2017 - Franziska Zoidl
Standard: In Wien, aber auch in deutschen Städten wie Frankfurt werden immer öfter Wohntürme gebaut. Eine gute Entwicklung?
Rambow: Der Imagewandel, den Wohnhochhäuser gerade vollziehen, scheint auf den ersten Blick verwunderlich. Lange Zeit galten Hochhäuser als potenzielle soziale Brennpunkte und wurden als zum Wohnen ungeeignet erachtet. Denn Wohnen im Hochhaus kommt mit einer Reihe von Nachteilen daher, das ist bis heute so.
Standard: Welchen?
Rambow: Wenn man zum Beispiel oberhalb des sechsten oder siebten Stockwerks wohnt, dann hat man keinen direkten Bezug mehr zur untersten Ebene. Dann kann man etwa seine Kinder nicht mehr unten spielen lassen. Problematisch kann auch die Anzahl an Wohnungen sein, die an einem Erschließungsstrang hängen und nur über den Aufzug erreichbar sind. Das führt schnell zu Anonymität, geringer sozialer Kontrolle, zu Angsträumen und Verwahrlosung. Die beste Möglichkeit, dem entgegenzuwirken, ist ein Concierge, der keine Fremden ins Haus lässt. Und dass die Wohnungen so teuer sind, dass nur Leute einziehen, die es sowieso nicht verkommen lassen.
Standard: Leistbares Wohnen entsteht also nicht?
Rambow: Im sozialen Wohnbau würde ich weiterhin davon abraten, zu großen Einheiten zurückzukehren, denn das würde wieder die Probleme von früher verursachen. Die Nachteile extremer Verdichtung müssen mit hohem finanziellem Aufwand kompensiert werden. Wir haben es bei dieser Renaissance des Wohnhochhauses also eindeutig mit hochpreisigem Wohnen zu tun. In New York entstehen derzeit beispielsweise extrem schlanke Wolkenkratzer, die von guten Architekten geplant werden. Das sind Angebote für Paare oder Singles, die sie oft nicht dauerhaft bewohnen. Der schlanke Grundriss sorgt für exzellente Sicht und Belichtung, erhöht aber die Kosten noch einmal immens. Für diese Klientel hat das Wohnen im Hochhaus erhebliche Vorteile.
Standard: Nämlich?
Rambow: Es ist ja nicht schlecht, wenn man im 17. Stock auf der Terrasse sitzt, sofern die Windverhältnisse passen und der Straßenlärm unten nur noch ein entferntes Grummeln ist. Der fehlende Kontakt zum Boden wird so sogar zum Vorteil für die Bewohner: keine Belästigung durch Lärm, Gestank, keine Einblicke und fantastische Fernsicht.
Standard: Von jenen, die von diesen Vorteilen wohl eher nicht profitieren, werden solche Türme oft emotional diskutiert. Warum?
Rambow: Die Wahrnehmung in der Bevölkerung ist nicht ganz zu Unrecht: Da kaufen sich Leute ein, die es sich leisten können, mit den Wirren des Alltags nichts zu tun zu haben. Ein Hochhaus hat ja große Auswirkungen auf die Stadt, besonders auf die Straßenebene. Dort ist es zugig und schattig, und es gibt einen Tiefgaragenschlund, der die Autos richtiggehend einsaugt. So bekommt man ein Bild der Stadt, das wenig mit sozialem Austausch zu tun hat.
Standard: Auch die Symbolik eines Hochhauses selbst ist wenig sozial. Es gilt als hierarchisches Gebäude.
Rambow: Man muss jetzt gar nicht mit der Phallussymbolik argumentieren – obwohl das auch nicht völlig falsch wäre. Man kann auch an den Turmbau zu Babel erinnern: Das Nach-oben-Bauen birgt immer hohes Risiko und ist nah an der Allmachtsfantasie. Die bekanntesten Hochhäuser waren immer bewusste Anstrengungen von Firmen oder Regierungen, ein machtvolles Zeichen zu setzen. Da gibt es nicht viel zu deuteln. Das ist eine bewusste Machtgeste – und die gefällt nicht allen. Mit dem Trump Tower haben wir derzeit ja ein extremes Beispiel täglich vor Augen.
Standard: In Wien wird oft kritisiert, dass ein Hochhaus nicht in das Stadtbild passt.
Rambow: Das große historische Potenzial von Städten wie Wien liegt in der Horizontalen. Den größten Reiz hat die Stadt in den sehr einheitlich gestalteten Gründerzeitvierteln, die höchstens sechsgeschoßig sind. Das ist ein sehr positiv besetztes Bild. Heute prallen aber oft zwei Vorstellungen von Stadt aufeinander: auf der einen Seite die europäische, fußgängerorientierte Stadt mit Boulevards und eher niedrigen Gebäuden, auf der anderen Seite die amerikanische Stadt, die in die Höhe und in die Breite wächst. Ein geplantes Hochhaus kann bei Menschen Ängste und Unwohlsein auslösen. Das spielt sich auf einer emotionalen Ebene ab, hat aber, wie gesagt, auch eine reale Grundlage. Jede Stadt sollte sich genau überlegen, wo Hochhäuser zugelassen werden. Denn der Stadt drohen dadurch gewisse Gefahren. Hochhäuser können zu einer Verödung führen und das Leben aus der Stadt förmlich absaugen. Es ist städtebaulich anspruchsvoll, Hochhäuser mit flacheren Bebauungen zu verzahnen.
Standard: Kennen Sie Positivbeispiele?
Rambow: Sicher New York. Niemand, der Manhattan schon einmal durchwandert hat, würde sagen: Ohne die Hochhäuser wäre es interessanter. Auch in Frankfurt haben die Hochhäuser alles in allem zu einer Qualitätssteigerung der Stadt und zu einem Gewinn an Charakter geführt.
Standard: Gewöhnen sich die Menschen irgendwann an umstrittene Türme?
Rambow: Manchmal ja und manchmal nein. Auf Gewöhnung zu spekulieren sollte kein Argument in der Diskussion über Architektur und Stadt sein. Es geht immer um fundierte Argumente für Qualität.
Standard: Wie könnte man die Akzeptanz erhöhen? Partizipation?
Rambow: Mit Partizipation kommt man bei dieser Thematik meines Erachtens kaum weiter – denn dann würde der Hochhausbau wohl in den meisten Fällen ganz abgelehnt werden. Ich denke, der beste Weg ist eine transparente, verlässliche und gut begründete Stadtplanung.
Standard: Könnten gestalterische Maßnahmen helfen?
Rambow: Vieles von dem, was geplant wird, ist durchaus von hoher gestalterischer Qualität. Das hilft, auch wenn es keine Garantie für Akzeptanz ist. Es gibt gestalterische Mittel, von denen ich abrate: Verspiegelte oder dunkle Komplettglasfassaden wirken oft verschlossen, außerdem kann es zu Blendeffekten für die Umgebung kommen. Sehr exaltierte, aufdringliche Formen, von denen man sich absieht, sind nicht förderlich, ebenso plumpe Proportionen. Eine gewisse Ensemblewirkung und Rücksichtnahme auf die Nachbarschaft sind immer hilfreich. Das funktioniert nur mit guten Architekten und wohlmeinenden Bauherren, die bereit sind, sich auf einen Dialog mit der Stadt einzulassen, und nicht einfach irgendeinen Klopper hinstellen.
Rambow: Der Imagewandel, den Wohnhochhäuser gerade vollziehen, scheint auf den ersten Blick verwunderlich. Lange Zeit galten Hochhäuser als potenzielle soziale Brennpunkte und wurden als zum Wohnen ungeeignet erachtet. Denn Wohnen im Hochhaus kommt mit einer Reihe von Nachteilen daher, das ist bis heute so.
Standard: Welchen?
Rambow: Wenn man zum Beispiel oberhalb des sechsten oder siebten Stockwerks wohnt, dann hat man keinen direkten Bezug mehr zur untersten Ebene. Dann kann man etwa seine Kinder nicht mehr unten spielen lassen. Problematisch kann auch die Anzahl an Wohnungen sein, die an einem Erschließungsstrang hängen und nur über den Aufzug erreichbar sind. Das führt schnell zu Anonymität, geringer sozialer Kontrolle, zu Angsträumen und Verwahrlosung. Die beste Möglichkeit, dem entgegenzuwirken, ist ein Concierge, der keine Fremden ins Haus lässt. Und dass die Wohnungen so teuer sind, dass nur Leute einziehen, die es sowieso nicht verkommen lassen.
Standard: Leistbares Wohnen entsteht also nicht?
Rambow: Im sozialen Wohnbau würde ich weiterhin davon abraten, zu großen Einheiten zurückzukehren, denn das würde wieder die Probleme von früher verursachen. Die Nachteile extremer Verdichtung müssen mit hohem finanziellem Aufwand kompensiert werden. Wir haben es bei dieser Renaissance des Wohnhochhauses also eindeutig mit hochpreisigem Wohnen zu tun. In New York entstehen derzeit beispielsweise extrem schlanke Wolkenkratzer, die von guten Architekten geplant werden. Das sind Angebote für Paare oder Singles, die sie oft nicht dauerhaft bewohnen. Der schlanke Grundriss sorgt für exzellente Sicht und Belichtung, erhöht aber die Kosten noch einmal immens. Für diese Klientel hat das Wohnen im Hochhaus erhebliche Vorteile.
Standard: Nämlich?
Rambow: Es ist ja nicht schlecht, wenn man im 17. Stock auf der Terrasse sitzt, sofern die Windverhältnisse passen und der Straßenlärm unten nur noch ein entferntes Grummeln ist. Der fehlende Kontakt zum Boden wird so sogar zum Vorteil für die Bewohner: keine Belästigung durch Lärm, Gestank, keine Einblicke und fantastische Fernsicht.
Standard: Von jenen, die von diesen Vorteilen wohl eher nicht profitieren, werden solche Türme oft emotional diskutiert. Warum?
Rambow: Die Wahrnehmung in der Bevölkerung ist nicht ganz zu Unrecht: Da kaufen sich Leute ein, die es sich leisten können, mit den Wirren des Alltags nichts zu tun zu haben. Ein Hochhaus hat ja große Auswirkungen auf die Stadt, besonders auf die Straßenebene. Dort ist es zugig und schattig, und es gibt einen Tiefgaragenschlund, der die Autos richtiggehend einsaugt. So bekommt man ein Bild der Stadt, das wenig mit sozialem Austausch zu tun hat.
Standard: Auch die Symbolik eines Hochhauses selbst ist wenig sozial. Es gilt als hierarchisches Gebäude.
Rambow: Man muss jetzt gar nicht mit der Phallussymbolik argumentieren – obwohl das auch nicht völlig falsch wäre. Man kann auch an den Turmbau zu Babel erinnern: Das Nach-oben-Bauen birgt immer hohes Risiko und ist nah an der Allmachtsfantasie. Die bekanntesten Hochhäuser waren immer bewusste Anstrengungen von Firmen oder Regierungen, ein machtvolles Zeichen zu setzen. Da gibt es nicht viel zu deuteln. Das ist eine bewusste Machtgeste – und die gefällt nicht allen. Mit dem Trump Tower haben wir derzeit ja ein extremes Beispiel täglich vor Augen.
Standard: In Wien wird oft kritisiert, dass ein Hochhaus nicht in das Stadtbild passt.
Rambow: Das große historische Potenzial von Städten wie Wien liegt in der Horizontalen. Den größten Reiz hat die Stadt in den sehr einheitlich gestalteten Gründerzeitvierteln, die höchstens sechsgeschoßig sind. Das ist ein sehr positiv besetztes Bild. Heute prallen aber oft zwei Vorstellungen von Stadt aufeinander: auf der einen Seite die europäische, fußgängerorientierte Stadt mit Boulevards und eher niedrigen Gebäuden, auf der anderen Seite die amerikanische Stadt, die in die Höhe und in die Breite wächst. Ein geplantes Hochhaus kann bei Menschen Ängste und Unwohlsein auslösen. Das spielt sich auf einer emotionalen Ebene ab, hat aber, wie gesagt, auch eine reale Grundlage. Jede Stadt sollte sich genau überlegen, wo Hochhäuser zugelassen werden. Denn der Stadt drohen dadurch gewisse Gefahren. Hochhäuser können zu einer Verödung führen und das Leben aus der Stadt förmlich absaugen. Es ist städtebaulich anspruchsvoll, Hochhäuser mit flacheren Bebauungen zu verzahnen.
Standard: Kennen Sie Positivbeispiele?
Rambow: Sicher New York. Niemand, der Manhattan schon einmal durchwandert hat, würde sagen: Ohne die Hochhäuser wäre es interessanter. Auch in Frankfurt haben die Hochhäuser alles in allem zu einer Qualitätssteigerung der Stadt und zu einem Gewinn an Charakter geführt.
Standard: Gewöhnen sich die Menschen irgendwann an umstrittene Türme?
Rambow: Manchmal ja und manchmal nein. Auf Gewöhnung zu spekulieren sollte kein Argument in der Diskussion über Architektur und Stadt sein. Es geht immer um fundierte Argumente für Qualität.
Standard: Wie könnte man die Akzeptanz erhöhen? Partizipation?
Rambow: Mit Partizipation kommt man bei dieser Thematik meines Erachtens kaum weiter – denn dann würde der Hochhausbau wohl in den meisten Fällen ganz abgelehnt werden. Ich denke, der beste Weg ist eine transparente, verlässliche und gut begründete Stadtplanung.
Standard: Könnten gestalterische Maßnahmen helfen?
Rambow: Vieles von dem, was geplant wird, ist durchaus von hoher gestalterischer Qualität. Das hilft, auch wenn es keine Garantie für Akzeptanz ist. Es gibt gestalterische Mittel, von denen ich abrate: Verspiegelte oder dunkle Komplettglasfassaden wirken oft verschlossen, außerdem kann es zu Blendeffekten für die Umgebung kommen. Sehr exaltierte, aufdringliche Formen, von denen man sich absieht, sind nicht förderlich, ebenso plumpe Proportionen. Eine gewisse Ensemblewirkung und Rücksichtnahme auf die Nachbarschaft sind immer hilfreich. Das funktioniert nur mit guten Architekten und wohlmeinenden Bauherren, die bereit sind, sich auf einen Dialog mit der Stadt einzulassen, und nicht einfach irgendeinen Klopper hinstellen.
Riklef Rambow (52) ist Architekturpsychologe und Leiter des Fachgebiets Architekturkommunikation am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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