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Ein Rochen über der Einfahrt
Die neue, zeltartige Überdachung einer Firmenzufahrt fungiert nicht nur als Witterungsschutz, sondern setzt ein deutliches architektonisches Zeichen. Verantwortet von Claire Braun, zu begutachten in Vodňany, Tschechien.
18. Februar 2017 - Judith Eiblmayr
Wenn man die Grenze zwischen Österreich und Tschechien übertritt, sollte man meinen, dass landschaftlich kein allzu großer Unterschiedzwischen den beiden historisch die meiste Zeit eng verbundenen Staaten besteht. Prinzipiell stimmt das auch: Das Wald- und Mühlviertel gehen über in waldige Gebiete mit der Richtung Prag fließenden Moldau, an deren Strom nicht nur Schlösser errichtet, sondern auch zahlreiche Mühlen und Flößerei betrieben wurden. Südböhmen zeugt durch die Vielfalt der Baukultur und die meist vorbildlich restaurierten Dörfer und Städte von der Kultiviertheit der auch an Bodenschätzen reichen Region. Die unzähligen Schlösser belegen gleichzeitig den Reichtum des altösterreichischen Adels, der in dieser Gegend für seine wirtschaftlichen Interessen wie die Holzwirtschaft und privaten dazu, wie die Jagd, ideale Bedingungen fand.
Zwischen all den Wäldern, Flüssen und Teichen wurde Agrarland angelegt, das im Laufe der Jahrhunderte immer wichtiger wurde. Hier liegt der große Unterschied zwischen den beiden Nachbarstaaten, der einem jedoch erst beim zweiten Blick bewusst wird: Es sind die riesigen Felder. Ein einziger Acker zieht sich manchmal weit über sanfte Hügel hinweg, und seine Begrenzung ist erst am Horizont auszumachen. Die relative Kleinteiligkeit in der österreichischen Landwirtschaft geht knapp hinter der Grenze in eine Dimensionierung über, die eher an US-amerikanisches Farmland erinnert.
Inmitten dieser Land(wirt)schaft hat sich eine österreichische Firma angesiedelt, um von genau jenen großen Flächen zu profitieren. Pöttinger Landtechnik, ein seit 1871 bestehendes Familienunternehmen aus Grieskirchen in Oberösterreich, Hersteller von landwirtschaftlichen Geräten und Maschinen, hat 2007 in Vodňany, nordöstlich von Budweis, ein Werk für Lackiertechnik eröffnet und erfolgreich etabliert. Zur Standortaufwertung sollte nun zwischen der bestehenden Produktionshalle, über ein Portierhaus hinweg, wo die An- und Abmeldung von Lkws stattfindet, die Zufahrt auf das Betriebsgelände überdacht werden: einerseits als Witterungsschutz gegen Niederschlag und Sonne, andrerseits um ein markantes architektonisches Zeichen zu setzen.
Klaus Pöttinger, der bislang gemeinsam mit seinem Bruder Heinz den Familienbetrieb in der vierten Generation führte, betraute mit der Bauaufgabe die Architektin Claire Braun aus Vöcklabruck, die immer wieder für die Firma Pöttinger planerisch tätig war. Dass sie eine zeichenhafte Architektursprache beherrscht, zeigte sich in der flachen Bogenform einer Fußgänger- und Radfahrbrücke in Grieskirchen, die zwei Gebäude der Firma verbindet und mit gekonnter Leichtigkeit eine Straße überspannt. Mit eben dieser Leichtigkeit ging Claire Braun auch an die Bauaufgabe einer Überdachung heran – immerhin galt es 2200 Quadratmeter Fläche abzudecken. Sie bediente sich einer Membrankonstruktion, die eher als ephemer wahrgenommen wird, etwa als Partyzelte oder „Sunsails“ für Terrassenüberdachungen, in der Architektur allerdings etwas aus der Mode gekommen ist. In freier Form gestaltbar und für große Spannweiten geeignet, ist die Leichtigkeit eines folienbespannten Tragwerks eine Technologie, die für diesen Zweck ideal zu sein scheint.
Als raffinierten Kontrapunkt zur klassisch kistenförmigen Ausformung der Betriebsstätte definierte Claire Braun mit ihrer Planung wie selbstverständlich zwischen neun Auflagerpunkten einen sehr großen stützenfreien Außenraum, ohne dass einem Deckenbalken oder Fachwerkträger schwer über dem Kopf hängen. Ganz im Gegenteil, die HP-Schale des Daches zieht an den Rändern schwungvoll in die Höhe, öffnet den Blick zum Himmel und scheint eher abzuheben, als auf den Raum eine bedrückende Wirkung auszuüben. Konstruktiv funktioniert das Ganze vereinfacht ausgedrückt wie ein Sonnenschirm: Das PVC-Polyestergewebe wird über zwei bogenförmige Träger, die wegen ihrer Unterspannung durch zarte Stäbe „Spinnen“ genannt werden, gezogen; in die „Borten“ der Membran sind Stahlseile eingebracht, die zwischen den Stützen verfestigt werden. Sobald die Seile angezogen werden und das Gewebe somit unter Spannung gerät, entwickelt es seine spezielle Form, die von Architektinnenhand entwickelt und von den Tragwerksplanern, Büro für Leichtbau – Tritthart + Richter aus Radolfzell in Deutschland, auf Realisierbarkeit durchgerechnet wurde.
Die einzelnen Elemente des Tragwerks wie Stützen oder Schraubverbindungen waren keine Spezialanfertigungen, wurden jedoch möglichst zart dimensioniert, was der ganzen Anlage die erwähnte Leichtigkeit verleiht. An drei rund fünf Meter hohen, nach außen hin schräg abfallenden Stahlbetonfundamenten sind die zwei Tragebögen, an denen das Gewebe linear befestigt ist, gelenkig gelagert; vier weitere Ecken der Membransind über schräge Stützen zum Boden hin abgespannt; zwei Auflagerpunkte sind an der Fassade des bestehenden Gebäudes befestigt. An der Form der Betonstützen kann man denKräfteverlauf des statischen Systems ablesen. Wie sich unschwer erkennen lässt: Es sind gewaltige Kräfte, die da wirken.
Die Ableitung des Regenwassers von der Dachfläche erfolgt an den Auflagerpunkten der Bögen vorbei über eingelegte Polokalrohre im Inneren der frei stehenden Fundamente und weiter unterirdisch in Sickerschächte; im Bereich der Stahlsäulen rinnt das Regenwasser einfach in die Wiese. Wo Gewebeteile aufeinandertreffen, sind diese durch verzahnte Stahleinlagen nach dem Reißverschlussprinzip miteinander verspannt; auch dies ein schönes formales Element, das wie ein leicht geschwungenes Rückgrat seinen organischen Charakter und die Selbstverständlichkeit dieser Überdachungsart unterstreicht.
Knapp 50 Jahre ist es her, dass der deutsche Architekt Frei Otto gemeinsam mit Rolf Gutbrod mit der Entwicklung seiner „leichten Flächentragwerke“ die Architektur von Mauern und Dachstühlen befreite und bei der Expo in Montreal 1967 den deutschen Pavillon als membranüberspannten Raum ausbildete. Fünf Jahre später wurde die Olympiaanlage von München mit ihren Zeltdächern von Behnisch & Partner und Frei Otto zum wohl berühmtesten Bauwerk biomorpher Architektur. Claire Braun nahm nach Absolvierung einer Spezialausbildung zu Membrankonstruktionen den Schwung dieser Architektur wieder auf und setzte sie am richtigen Ort gekonnt ein.
Vodňany liegt am Fluss Blanice, entwickelte sich aus einem Fischerdorf und ist Sitz eines Universitätsinstitutes für Fischerei und Hydrobiologie. Um bei einer biomorphen Metapher zu bleiben: Von der Seite betrachtet, hat die Dachform die Eleganz eines springenden Mantarochens; eine Assoziation, die der Dynamik der weltweit agierenden Firma Pöttinger gerecht wird. Claire Braun ist ein stimmiges architektonisches Zeichen gelungen.
Zwischen all den Wäldern, Flüssen und Teichen wurde Agrarland angelegt, das im Laufe der Jahrhunderte immer wichtiger wurde. Hier liegt der große Unterschied zwischen den beiden Nachbarstaaten, der einem jedoch erst beim zweiten Blick bewusst wird: Es sind die riesigen Felder. Ein einziger Acker zieht sich manchmal weit über sanfte Hügel hinweg, und seine Begrenzung ist erst am Horizont auszumachen. Die relative Kleinteiligkeit in der österreichischen Landwirtschaft geht knapp hinter der Grenze in eine Dimensionierung über, die eher an US-amerikanisches Farmland erinnert.
Inmitten dieser Land(wirt)schaft hat sich eine österreichische Firma angesiedelt, um von genau jenen großen Flächen zu profitieren. Pöttinger Landtechnik, ein seit 1871 bestehendes Familienunternehmen aus Grieskirchen in Oberösterreich, Hersteller von landwirtschaftlichen Geräten und Maschinen, hat 2007 in Vodňany, nordöstlich von Budweis, ein Werk für Lackiertechnik eröffnet und erfolgreich etabliert. Zur Standortaufwertung sollte nun zwischen der bestehenden Produktionshalle, über ein Portierhaus hinweg, wo die An- und Abmeldung von Lkws stattfindet, die Zufahrt auf das Betriebsgelände überdacht werden: einerseits als Witterungsschutz gegen Niederschlag und Sonne, andrerseits um ein markantes architektonisches Zeichen zu setzen.
Klaus Pöttinger, der bislang gemeinsam mit seinem Bruder Heinz den Familienbetrieb in der vierten Generation führte, betraute mit der Bauaufgabe die Architektin Claire Braun aus Vöcklabruck, die immer wieder für die Firma Pöttinger planerisch tätig war. Dass sie eine zeichenhafte Architektursprache beherrscht, zeigte sich in der flachen Bogenform einer Fußgänger- und Radfahrbrücke in Grieskirchen, die zwei Gebäude der Firma verbindet und mit gekonnter Leichtigkeit eine Straße überspannt. Mit eben dieser Leichtigkeit ging Claire Braun auch an die Bauaufgabe einer Überdachung heran – immerhin galt es 2200 Quadratmeter Fläche abzudecken. Sie bediente sich einer Membrankonstruktion, die eher als ephemer wahrgenommen wird, etwa als Partyzelte oder „Sunsails“ für Terrassenüberdachungen, in der Architektur allerdings etwas aus der Mode gekommen ist. In freier Form gestaltbar und für große Spannweiten geeignet, ist die Leichtigkeit eines folienbespannten Tragwerks eine Technologie, die für diesen Zweck ideal zu sein scheint.
Als raffinierten Kontrapunkt zur klassisch kistenförmigen Ausformung der Betriebsstätte definierte Claire Braun mit ihrer Planung wie selbstverständlich zwischen neun Auflagerpunkten einen sehr großen stützenfreien Außenraum, ohne dass einem Deckenbalken oder Fachwerkträger schwer über dem Kopf hängen. Ganz im Gegenteil, die HP-Schale des Daches zieht an den Rändern schwungvoll in die Höhe, öffnet den Blick zum Himmel und scheint eher abzuheben, als auf den Raum eine bedrückende Wirkung auszuüben. Konstruktiv funktioniert das Ganze vereinfacht ausgedrückt wie ein Sonnenschirm: Das PVC-Polyestergewebe wird über zwei bogenförmige Träger, die wegen ihrer Unterspannung durch zarte Stäbe „Spinnen“ genannt werden, gezogen; in die „Borten“ der Membran sind Stahlseile eingebracht, die zwischen den Stützen verfestigt werden. Sobald die Seile angezogen werden und das Gewebe somit unter Spannung gerät, entwickelt es seine spezielle Form, die von Architektinnenhand entwickelt und von den Tragwerksplanern, Büro für Leichtbau – Tritthart + Richter aus Radolfzell in Deutschland, auf Realisierbarkeit durchgerechnet wurde.
Die einzelnen Elemente des Tragwerks wie Stützen oder Schraubverbindungen waren keine Spezialanfertigungen, wurden jedoch möglichst zart dimensioniert, was der ganzen Anlage die erwähnte Leichtigkeit verleiht. An drei rund fünf Meter hohen, nach außen hin schräg abfallenden Stahlbetonfundamenten sind die zwei Tragebögen, an denen das Gewebe linear befestigt ist, gelenkig gelagert; vier weitere Ecken der Membransind über schräge Stützen zum Boden hin abgespannt; zwei Auflagerpunkte sind an der Fassade des bestehenden Gebäudes befestigt. An der Form der Betonstützen kann man denKräfteverlauf des statischen Systems ablesen. Wie sich unschwer erkennen lässt: Es sind gewaltige Kräfte, die da wirken.
Die Ableitung des Regenwassers von der Dachfläche erfolgt an den Auflagerpunkten der Bögen vorbei über eingelegte Polokalrohre im Inneren der frei stehenden Fundamente und weiter unterirdisch in Sickerschächte; im Bereich der Stahlsäulen rinnt das Regenwasser einfach in die Wiese. Wo Gewebeteile aufeinandertreffen, sind diese durch verzahnte Stahleinlagen nach dem Reißverschlussprinzip miteinander verspannt; auch dies ein schönes formales Element, das wie ein leicht geschwungenes Rückgrat seinen organischen Charakter und die Selbstverständlichkeit dieser Überdachungsart unterstreicht.
Knapp 50 Jahre ist es her, dass der deutsche Architekt Frei Otto gemeinsam mit Rolf Gutbrod mit der Entwicklung seiner „leichten Flächentragwerke“ die Architektur von Mauern und Dachstühlen befreite und bei der Expo in Montreal 1967 den deutschen Pavillon als membranüberspannten Raum ausbildete. Fünf Jahre später wurde die Olympiaanlage von München mit ihren Zeltdächern von Behnisch & Partner und Frei Otto zum wohl berühmtesten Bauwerk biomorpher Architektur. Claire Braun nahm nach Absolvierung einer Spezialausbildung zu Membrankonstruktionen den Schwung dieser Architektur wieder auf und setzte sie am richtigen Ort gekonnt ein.
Vodňany liegt am Fluss Blanice, entwickelte sich aus einem Fischerdorf und ist Sitz eines Universitätsinstitutes für Fischerei und Hydrobiologie. Um bei einer biomorphen Metapher zu bleiben: Von der Seite betrachtet, hat die Dachform die Eleganz eines springenden Mantarochens; eine Assoziation, die der Dynamik der weltweit agierenden Firma Pöttinger gerecht wird. Claire Braun ist ein stimmiges architektonisches Zeichen gelungen.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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