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Urlaub in der KPČ-Villa
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Das andere Ferien-Resort

In den 1950er-Jahren wurden Architekten in Prag aufgrund von „modernistischem Formalismus“ inhaftiert – später mussten sie eine Wochenendsiedlung für die kommunistischen Machthaber am Moldau-Stausee planen. Heute wird dort exklusiv geurlaubt.

10. Juni 2017 - Iris Meder
Die Lage: großartig. Ein Nadelwald über der Moldau, unweit des Schwarzenberg-Schlosses Orlik, eine Stunde südlich der Hauptstadt. Segeln, schwimmen,fischen, tagsüber dienstliche Besprechungen, danach gemütlich auf der Terrasse sitzen und bei einem Gläschen mit den Kollegen auf das zwischen den Kiefernstämmen glitzernde Wasser schauen. Alles, was man brauchte, um sich von der anstrengenden Arbeit in Prag zu erholen.

Andere hatten es nicht so gut. Um im berüchtigten Prager Gefängnis Pankrác zu sitzen, konnten schon Anklagen wie „modernistischer Formalismus“, „architektonischer Kosmopolitismus“ oder „funktionalistische Vergangenheit“ ausreichen – juristisch verbrämt als „Devisenvergehen“ oder „Bereicherung an sozialistischem Eigentum“. Nach NS-Widerstandskämpfern, gefolgt nach Kriegsende von NS-Größen und Kollaborateuren, saßen seit den „Säuberungen“ der Stalinzeit auch sozialistische Intellektuelle in Pankrác ein, darunter mehrere Architekten. Stalins Schatten waren lang: In der Sowjetunion herrschte das „Tauwetter“ Chruschtschows, in Prag drohte, vertrat man seine kulturellen Auffassungen zu offen, mehrjährige Haft.

Die Perversion der kommunistischen Machthaber kannte keine Grenzen. Als man 1959 daran ging, am neu angelegten Moldau-Stausee eine Wochenendhaussiedlung für die Funktionäre der KPČ zu planen, wurden eben jene inhaftierten Architekten zur Planung verpflichtet, die ihre architektonische Überzeugung ins Gefängnis gebracht hatte. Für die Ausführungsplanung zog man inhaftierte Techniker, Handwerker und Bauleiter heran. Praktisch: Die inkognito arbeitenden Planer konnten niemandem von der streng geheimen, auf keiner Karte verzeichneten Siedlung erzählen. Und: Man musste sie nicht bezahlen. Unter der Leitung des Technischen Instituts des Innenministeriums entstand das, was heute in Tschechien als „Knastprojekt“ bekannt ist.

Zur Erschließung des 470 Hektar großen Areals wurden 15 Kilometer neue Straßen und Wege angelegt, durchgehend elektrisch beleuchtet und gesäumt von immergrünen Bäumen, die eine Lokalisierung des Geländes sogar aus der Luft unmöglich machten. Zäune und Schranken riegelten das streng bewachte Areal von der Außenwelt ab. Wer beim Segeln oder Surfen dem Funktionärsufer zu nahe kam, wurde von Polizeibooten umgehend zu „erlaubten“ Gestaden eskortiert. Für die Planung der euphemistisch „Wochenendhütten“ genannten Bungalows hatte die Nomenklatura eindeutige Vorgaben: „Die Wände haben auf jeden Fall lotrecht und gerade zu sein, keinesfalls wie Damenkleider!“, lautete eine eher skurrile.

Mehrfache Planänderungen auf Wunsch der Politbüro-Mitglieder sind dokumentiert. Letztlich entstand jedoch ein singuläres Ensemble dessen, was in Tschechien in Anlehnung an die Brüsseler Weltausstellung von 1958 als „Brüsseler Stil“ bezeichnet wird: Perverserweise stand gerade dieser für die Hoffnung auf eine internationale Öffnung in der Kultur eines Staatssozialismus, dessen Konzept ein „menschliches Antlitz“ (noch) nicht vorsah.

Zentrum der Anlage ist ein Hotelbau mit Außen- und Innenpool, Saunen und Tennisplatz. Die Zimmer – alle mit Fernsehern „Firma Grundig, mit Fernbedienung“, wie man nach der Samtenen Revolution von 1989 erfuhr – dienten auch zur Unterbringung von Mitgliedern der sozialistischen Bruderparteien, die zur Hirsch- und Schwarzwildjagd anreisten. Den Hotelbau plante, wie man heute weiß, Bedřich Rozehnal, Professor an der TH Brünn und international anerkannter Spezialist für Krankenhäuser, den sein funktionalistischer Ansatz und offene Worte zur Organisation der Brünner Universität nach Pankrác gebracht hatten. Auch den locker im umgebenden Wald verstreuten 15 Funktionärsvillen, Sportanlagen und Cafépavillons, meist mit Flachdächern, offenen Grundrissen, großen Fensterwänden und Terrassen, ist der Einfluss des tschechischen Funktionalismus anzusehen, kombiniert mit den stumpfwinkligen Grundrissen und gekurvten Linien Oscar Niemeyers und Le Corbusiers. Kein Wunder: Le Corbusiers ehemaliger Mitarbeiter Jaroslav Vaculík war ebenso unter den Planern.

Das größte Haus entwarfen der Architekt Jiří F. Kaisler und der Statiker František Bäumelt für den damaligen Staatspräsidenten Antonín Novotný. Die Villa mit repräsentativer Empfangshalle, Pool und wellenförmigem Sonnendach liegt in größerer Entfernung auf einem Hügel mit Blick über den Stausee. Sie könnte ohne Weiteres in Lugano stehen oder in Beverly Hills. Gerade diese Villa war es, die nach 1989 durch Vandalismus am meisten beschädigt wurde. Seit 2010 ist sie im Besitz der Familie der früheren Besitzer des Grundstücks, ebenso wie die einstige Villa des Premierministers. „Privateigentum“-Schilder und Schranken halten Unbefugte fern. Einige Villen sind dauerhaft vermietet, etwa die Hälfte ist als Ferienhäuser über das nach wie vor bestehende Hotel zu mieten.

Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus fiel das Areal an den Staat, der anteilig an der heutigen Betreibergesellschaft beteiligt ist. Der Ruf der Anlage blieb miserabel: In den 1990er-Jahren bewohnten mehrere Mitglieder der tschechischen Mafia und der tschetschenische Terrorist Schamil Bassajew die Bungalows. Innerhalb von zwei Jahren flogen auf dem Gelände zwei Autos in die Luft, wenig später wurde ein lästiger Kronzeuge bestialisch aus dem Weg geräumt und ein seitdem vermisster Geschäftsmann und Polizeispitzel gekidnappt.

Das heutige Spa-Hotel Orlik hat sich von seiner dunklen Vergangenheit befreit. Die vernachlässigten Gebäude wurden umsichtig restauriert und ihr Moderne-Glamour für eine junge Klientel wirkungsvoll inszeniert. Mit Midcentury-Möbelklassikern nach Entwürfen von George Nelson und Charles und Ray Eames sind Hotel und Villen sicher weitaus schicker eingerichtet, als sie es je waren – durchgestylt bis zur passenden Typografie und eleganten Zimmerschlüsselanhängern. Von der Vergangenheit der Anlage erwähnen Website und Infomaterial nichts –ein Lageplan des Gesamtareals wird aber bereitwillig ausgedruckt und auch der Standort der Präsidentenvilla eingezeichnet. Die vor einigen Jahren vielfach publizierten Ruinen der Moderne gibt es hier nicht mehr zu sehen. Aber Nutzung ist ohnehin die beste Denkmalpflege.

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