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Wien, vom Belvedere aus gesehen
Das Heumarktprojekt hat eine enorme destruktive Energie. Der Turm ist mit atemberaubender Arroganz in die Physiognomie der Stadt geklotzt. Das Einzige, was zu zählen scheint, sind Profit und die Frage, ob der Tourismus weiter rundläuft.
11. Juli 2017 - Andreas Nierhaus
Angesichts der offiziellen Visualisierung des Heumarkt-Hochhauses, Standort Oberes Belvedere, geraten internationale, mit planungs- und baupolitischen Gepflogenheiten Wiens nicht vertraute Fachleute ins Staunen: Wie kann die Stadtregierung allen Ernstes ein solches Projekt unterstützen? Die Unesco hat reagiert und Wien auf die Rote Liste des Weltkulturerbes gesetzt.
Von den Kritikern des Turms wurde der Blick vom Oberen Belvedere, den Bernardo Bellotto, genannt Canaletto, 1759/60 in einem berühmten Gemälde (heute im Kunsthistorischen Museum) inszenierte, wiederholt ins Treffen geführt, um die Gefahr, die von diesem Projekt ausgeht, auf eine griffige Formel zu bringen. Befürworter wandten dagegen ein, dass man eine Stadt des 21. Jahrhunderts nicht auf der Grundlage einer Vedute aus dem 18. Jahrhundert planen könne. Der ehemalige Direktor des Architekturzentrum Wien, Dietmar Steiner, meinte in Canalettos Gemälde ein absolutistisches Blickregime zu erkennen, das in Zeiten der „demokratischen“ Vision von Google Earth ausgedient habe – und verkannte dabei mit erschreckender Naivität Machtinteressen des Internetkonzerns. So weit kann Lobbyarbeit für ein umstrittenes Projekt führen.
Doch die Gegner des Projekts verteidigen kein reaktionäres Stadtbild, wie Steiner und die höchst effiziente PR-Maschinerie des Projektbetreibers suggerieren: Zwar ist die Ansicht Wiens vom Oberen Belvedere nur eine von vielen Möglichkeiten, sich der Illusion hinzugeben, diese Stadt „als Ganzes“ zu erfassen; es ist aber die einzige Perspektive, in der von einem öffentlichen innerstädtischen Ort die singuläre, von Schriftstellern immer wieder beschriebene „Stadtlandschaft“ Wiens „auf einen Blick“ anschaulich und verständlich wird. Dieser Blick ist also nicht deshalb so besonders, weil ihn Canaletto gemalt hat, sondern – umgekehrt – hat Canaletto diesen Standort bewusst gewählt, weil sich in ihm die topografischen und baulichen Charakteristika dieser Stadt ikonisch verdichten. Aus diesem Grund blicken jedes Jahr Hunderttausende von dieser einen Stelle auf die Stadt. Nach dem Willen der Stadtregierung sollen sie in Zukunft vor allem ein Hochhaus sehen.
Stadtplanung und Architektur sind immer auch Spiegel der jeweils herrschenden baukulturellen (Macht-)Verhältnisse und Ausdruck der Haltung, die die gewählten politischen Vertreter der ihnen anvertrauten Stadt gegenüber einnehmen. Mehr als andere Projekte wirft das Hochhaus auf dem Heumarkt die Frage nach der tieferen Motivation seiner Entwickler und Förderer auf. Blickt man hinter die Visualisierungen, wird enorme destruktive Energie sichtbar. Der Turm ignoriert nicht nur die sensiblen Proportionen der Ringstraßenzone, sondern ist mit atemberaubender Arroganz in die Physiognomie der Stadt geklotzt.
Dass sich der Architekt bei seinem Entwurf für die Besonderheiten Wiens nicht interessiert hat, ist einem globalisierten Architekturbetrieb zu verdanken, der zunehmend allerorten das Immergleiche abwirft, ohne auf Geschichte und Tradition des Ortes einzugehen. Einem Investor wiederum, der auf Gewinnmaximierung um jeden Preis abzielt, kann man seine baukulturelle Verantwortungslosigkeit nicht zum Vorwurf machen – den beteiligten Politikern dagegen sehr wohl.
Vonseiten der Stadt wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die drohende Aberkennung des Weltkulturerbes durch die Unesco dem Tourismus nicht schaden würde. Hier tritt mit erschreckender Offenheit zutage, dass die Erhaltung des Stadtbildes vollständig wirtschaftlichen Interessen untergeordnet wird. Das bauliche Erbe ist nur dann gut, wenn es dem Tourismus förderlich ist, die internationale Blamage wird mit der bekannten Provinzialität quittiert. Die perfide Behauptung, die Gegner des Projekts würden zeitgenössische Architektur in Wien verhindern wollen, stempelt wider besseres Wissen alle Kritiker zu Ewiggestrigen und suggeriert, Wien würde an einem Mangel an „moderner“ Architektur leiden. Das Gegenteil ist wahr: Im Welterbe-Areal wird so viel gebaut wie lange nicht, über die Qualität mancher Neubauten ließe sich aber trefflich streiten.
Monument des Versagens
Das Hochhaus hat in jedem Fall das Zeug zum Monument: Es wird einst vom Versagen der Planungspolitik, vom Ausverkauf der Stadt, von der Privatisierung des öffentlichen Raumes und von der Preisgabe jeglicher Baukultur im Wien des Jahres 2017 Zeugnis ablegen. Verantwortliche Politiker sollten wissen, dass sie unserer – nicht nur ihrer – Stadt mit diesem Denkmal neoliberaler Baupolitik für alle Zeiten schweren Schaden zufügen. Ein Blick auf Wien vom Belvedere aus wird sich in Zukunft nicht mehr lohnen – außer für den Investor.
Von den Kritikern des Turms wurde der Blick vom Oberen Belvedere, den Bernardo Bellotto, genannt Canaletto, 1759/60 in einem berühmten Gemälde (heute im Kunsthistorischen Museum) inszenierte, wiederholt ins Treffen geführt, um die Gefahr, die von diesem Projekt ausgeht, auf eine griffige Formel zu bringen. Befürworter wandten dagegen ein, dass man eine Stadt des 21. Jahrhunderts nicht auf der Grundlage einer Vedute aus dem 18. Jahrhundert planen könne. Der ehemalige Direktor des Architekturzentrum Wien, Dietmar Steiner, meinte in Canalettos Gemälde ein absolutistisches Blickregime zu erkennen, das in Zeiten der „demokratischen“ Vision von Google Earth ausgedient habe – und verkannte dabei mit erschreckender Naivität Machtinteressen des Internetkonzerns. So weit kann Lobbyarbeit für ein umstrittenes Projekt führen.
Doch die Gegner des Projekts verteidigen kein reaktionäres Stadtbild, wie Steiner und die höchst effiziente PR-Maschinerie des Projektbetreibers suggerieren: Zwar ist die Ansicht Wiens vom Oberen Belvedere nur eine von vielen Möglichkeiten, sich der Illusion hinzugeben, diese Stadt „als Ganzes“ zu erfassen; es ist aber die einzige Perspektive, in der von einem öffentlichen innerstädtischen Ort die singuläre, von Schriftstellern immer wieder beschriebene „Stadtlandschaft“ Wiens „auf einen Blick“ anschaulich und verständlich wird. Dieser Blick ist also nicht deshalb so besonders, weil ihn Canaletto gemalt hat, sondern – umgekehrt – hat Canaletto diesen Standort bewusst gewählt, weil sich in ihm die topografischen und baulichen Charakteristika dieser Stadt ikonisch verdichten. Aus diesem Grund blicken jedes Jahr Hunderttausende von dieser einen Stelle auf die Stadt. Nach dem Willen der Stadtregierung sollen sie in Zukunft vor allem ein Hochhaus sehen.
Stadtplanung und Architektur sind immer auch Spiegel der jeweils herrschenden baukulturellen (Macht-)Verhältnisse und Ausdruck der Haltung, die die gewählten politischen Vertreter der ihnen anvertrauten Stadt gegenüber einnehmen. Mehr als andere Projekte wirft das Hochhaus auf dem Heumarkt die Frage nach der tieferen Motivation seiner Entwickler und Förderer auf. Blickt man hinter die Visualisierungen, wird enorme destruktive Energie sichtbar. Der Turm ignoriert nicht nur die sensiblen Proportionen der Ringstraßenzone, sondern ist mit atemberaubender Arroganz in die Physiognomie der Stadt geklotzt.
Dass sich der Architekt bei seinem Entwurf für die Besonderheiten Wiens nicht interessiert hat, ist einem globalisierten Architekturbetrieb zu verdanken, der zunehmend allerorten das Immergleiche abwirft, ohne auf Geschichte und Tradition des Ortes einzugehen. Einem Investor wiederum, der auf Gewinnmaximierung um jeden Preis abzielt, kann man seine baukulturelle Verantwortungslosigkeit nicht zum Vorwurf machen – den beteiligten Politikern dagegen sehr wohl.
Vonseiten der Stadt wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die drohende Aberkennung des Weltkulturerbes durch die Unesco dem Tourismus nicht schaden würde. Hier tritt mit erschreckender Offenheit zutage, dass die Erhaltung des Stadtbildes vollständig wirtschaftlichen Interessen untergeordnet wird. Das bauliche Erbe ist nur dann gut, wenn es dem Tourismus förderlich ist, die internationale Blamage wird mit der bekannten Provinzialität quittiert. Die perfide Behauptung, die Gegner des Projekts würden zeitgenössische Architektur in Wien verhindern wollen, stempelt wider besseres Wissen alle Kritiker zu Ewiggestrigen und suggeriert, Wien würde an einem Mangel an „moderner“ Architektur leiden. Das Gegenteil ist wahr: Im Welterbe-Areal wird so viel gebaut wie lange nicht, über die Qualität mancher Neubauten ließe sich aber trefflich streiten.
Monument des Versagens
Das Hochhaus hat in jedem Fall das Zeug zum Monument: Es wird einst vom Versagen der Planungspolitik, vom Ausverkauf der Stadt, von der Privatisierung des öffentlichen Raumes und von der Preisgabe jeglicher Baukultur im Wien des Jahres 2017 Zeugnis ablegen. Verantwortliche Politiker sollten wissen, dass sie unserer – nicht nur ihrer – Stadt mit diesem Denkmal neoliberaler Baupolitik für alle Zeiten schweren Schaden zufügen. Ein Blick auf Wien vom Belvedere aus wird sich in Zukunft nicht mehr lohnen – außer für den Investor.
Andreas Nierhaus ist Kunsthistoriker und lebt in Wien.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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