Artikel

Eine kleine Theorie des Architekturberufs
newroom
15. August 2016 - Gregor Schuberth
Was Architekten gut können 1: Ungefragt Skizzen machen, manchmal schnell denken, Rotwein mit dem Schraubenzieher aufmachen, Maßbänder verlegen, Küchenplatten selber zuschneiden, Bilder ungerahmt aufhängen, Röcke nähen, Trickfilme modellieren, Photoshopfilter in der richtigen Reihenfolge auf Englisch aufsagen, Mäusefallen in Arbeitsräumen aufstellen, Partys abrechnen, nach Theaterstücken über das Bühnenbild diskutieren, Steinmuster sammeln, geistreich über Dachgesimse reden.

Eine kleine Theorie der Berufe. Dass die TU in Wien eine Art Sammelbecken war, hat man immer geahnt, sobald man mit irgendjemand ins Gespräch gekommen ist. Jede/ jeder Zweite hatte eigentlich etwas ganz anderes vor und war nur vorübergehend dort gelandet (bei mir war es eine erfolglose Bewerbung auf der Filmakademie). Einige blieben dann doch, und damit hielt sich auch ein Zug, den man bei Architekturschaffenden häufiger antrifft: Sie können einiges recht gut und finden fast alles interessant.

Insgeheim hänge ich ja der These an, dass die Talentiertesten eines Jahrgangs Kunst studieren. Diejenigen, die weniger gut zeichnen können, dafür ein bisschen rechnen und mit Spuren von Realitätssinn ausgestattet sind, studieren Architektur. Die Übrigen verteilen sich dann auf die restlichen Berufe.

Der russische Architekt und Künstler Alexander Brodsky schreibt in einem Ausstellungskatalog: Ich bin noch immer erstaunt, dass ich Architekt geworden bin. Da schwingt auch Respekt mit; der Beruf ist sehr alt, und in Vielem verblüffend konstant. Man geht auf Wegen, auf denen vor einem schon viele gegangen sind.

Die dunkle Seite der Architektur. Dass einen schon beim Entlangschreiten der Kupferbüsten am Resselpark eine Kühle überkommen konnte, die sich über die Hauptstiege in die hallenartigen Institutsräume zu einer gewissen Schwere steigerte, gehörte für mich zu einer Stimmung der Anfangsjahre des Studiums. Und rund um den Berufseintritt die Erfahrung, dass Büros, die eine freundliche Architektur machen, im Inneren oft gar nicht freundlich funktionieren. Später bei der Arbeit an konkreten Projekten der Anspruch, Entwürfe zuzuspitzen oder zu variieren − um bei der abendlichen Diskussion mitreden zu können − und die Unruhe und Konfusion einer morgendlichen Baubesprechung, wenn vieles in Frage gestellt wird. Ein Spagat an den man sich ein wenig gewöhnt, und laufend hofft, darin etwas Ertüchtigendes zu entdecken.

Doch gibt es auch eine populäre Seite. Was Alma Mahler-Werfel an Walter Gropius fand, hat mich immer gewundert, wo der doch stundenlang vor seinen Plänen gebrütet haben muss. Immerhin wurde er eine Zeit lang aufgenommen in den Olymp der prominenten (und begabten) Liebhaber. Neben der Fachwelt gibt es auch ein Leben in der Popkultur. Weil Architektur viele was angeht, Entwicklungen veranschaulicht oder Trends eine Gestalt verleiht. Dann werden die Sounds mancher Büros durch die Gassen der Stadt gepfiffen und von den Taxifahrern verrissen. Wo die Grenze zwischen einer Fachdiskussion und dem Stadtgespräch liegt ist oft gar nicht so leicht festzustellen. Das muss kein Nachteil sein, wird doch in anderen Spezialwissenschaften der Mangel an Austausch und Öffentlichkeit oft beklagt.

Was Architekten gut können 2: Bleistifte spitzen und Himmelsrichtungen bestimmen. Genau, ausdauernd und motiviert sein. Abmessen und einschätzen, Proportionen wittern, das Gewicht der Dinge kennen. Alt oder jung sein, anspruchslos leben bei Bedarf, unabhängig bleiben nach Laune. Noch mehr Skizzen machen.
Erschienen in „Das war Mies. – 5 Jahre Architekturvermittlung“, August 2016, Textauszug. http://www.schuberthundschuberth.at/texte-plastilin/theorie-architektur.html

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: newroom

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: