Artikel
Nix Urbi, nur Orbi
Bürotürme zu bauen, die halb leer stehen, und ganze Büroviertel zu entwickeln, die keiner braucht, hat durchaus Sinn – wenn Immobilienfonds mit Pensionsgeldern und Politiker mit Steuergeldern dafür geradestehen. Der jüngst eröffnete Orbi Tower krönt Wiens überflüssigstes Büroquartier – TownTown.
3. November 2017 - Reinhard Seiß
Wie groß der Bürobestand der Bundeshauptstadt ist, weißniemand so genau, und auch nicht, wie viel davon leer steht. Die Dunkelziffer unvermieteter Büroflächen bewegt sich rund um eine Million Quadratmeter. Sicher istnur, dass auch heuer wieder Zigtausende ungenutzte Quadratmeter hinzukommen – an die 10.000 allein im kürzlich fertiggestellten Orbi Tower, dem Höhe- und Schlusspunkt des vielleicht überflüssigsten Büroviertels der Stadt: TownTown.
Anstatt dem seit den Neunzigerjahren grassierenden Bürobauboom stadtplanerische Zügel anzulegen und als Grundlage dafür Daten über den Büromarkt zu erheben, verfiel die Stadt Wien um das Jahr 2000 auf die Idee, auch selbst daran mitverdienen zu wollen. Wie geschaffen für ein Pilotprojekt schien das Areal eines ebenerdigen U-Bahn-Teilstücks samt einer U-Bahn-Remise in Erdberg, im Südosten Wiens, dem zu dieser Zeit hoffnungsvollsten Stadterweiterungsgebiet. Der auserkorene Standort, unmittelbar am Kreuzungspunkt der beiden Stadtautobahnen A4 und A23, war bereits weitgehend im Eigentum der Wiener Linien respektive der Wiener Stadtwerke. Durch eine Überplattung der U3 sollte ein vier Hektar großer Bauplatz inbester Verkehrslage – und darauf ein „neuer, selbstständig funktionierender Stadtteil“ entstehen. Zur Realisierung gingen die kommunalen Versorgungsbetriebe mit den Bauunternehmern Hanno und Erwin Soravia eine „Public Private Partnership“ ein, an der beide Seiten in etwa zur Hälfte beteiligt waren.
Aus den Entwürfen eines städtebaulichen Expertenverfahrens für dieses Großbauvorhaben wählten die Projektbetreiber den Vorschlag von Architekt Wilhelm Holzbauer und dessen Partnern aus, der bereits eine ansehnliche Dichte aufwies. Mit GustavPeichl und Coop Himmelb(l)au stießen dann noch zwei weitere prominente Büros zum Planungsteam, sodass auch die beabsichtigte Baumasse weiter wuchs. Schließlich sollten rund 20 Bürobauten, darunter auch Hochhäuser mit bis zu 120 Metern, knapp 130.000 Quadratmeter Bürofläche schaffen und erhofften 5000 Beschäftigten Platz geben.
„Die Idee zu TownTown wurde, nicht untypisch für solche Projekte, ohne jegliche Vorabstimmung mit der Wiener Stadtplanung geboren“, erinnert sich der inzwischen pensionierte Planungsbeamte Klaus Steiner. „Ebenso symptomatisch war dabei die Wahl von Architekten, deren Namen den nötigen Flächenwidmungsbeschluss im Gemeinderat quasi garantieren – und die dafür bekannt sind, bei nahezu jeder Aufgabenstellung eine sehr dichte Bebauung oder ein Hochhaus vorzuschlagen.“ Auf diese Weise, so Steiner, könne der Grundstückswert eines Remisendachs von null auf Tausende Euro pro Quadratmeter steigen. „So etwas ist für den Eigentümer bilanztechnisch sehr erfreulich, hat mit Städtebau allerdings nichts zu tun.“
Ab 2002 hätten die ersten Gebäude auf der Betonplatte entstehen sollen. Aufgrund des damals schon veritablen Büroleerstands in Wien sowie der Konkurrenz durch andere, vonder Planungspolitik inzwischen gehypte Entwicklungsgebiete fanden sich jedoch keine Interessenten. Für die Soravia-Gruppe war es nach einiger Zeit bloß ein wirtschaftliches Problem, dass die 47 Millionen Euro teure Einhausung der U-Bahn brachlag. Im Fall der Wiener Stadtwerke aber, die in den Jahren 2002 und 2003 laut Medienberichten zweistellige Millionendefizite verbuchten, wurde die Investition über kurz oder lang auch zu einem politischen Problem – und zwar für die Stadt Wien als hundertprozentige Eigentümerin des Konzerns. Denn zu dessen Aufgaben zählen Energieversorgung, öffentlicher Verkehr oder auch Bestattung, nicht aber die spekulative Entwicklung von Immobilien.
Im Bemühen, das Projekt trotz Stillstands zumindest medial am Leben zu halten, ging das Rathaus zunächst absonderliche Wege. So rief der damalige Planungsstadtrat, Rudolf Schicker, gemeinsam mit den Developern einen Ideen-Contest für Schüler aus dem Bezirk zur Gestaltung der geplanten „Piazza“ in TownTown aus – und pries den Zeichen- und Malwettbewerb nach Abschluss imSommer 2004 als „gelungene Einbindung der Bevölkerung in ein Großbauvorhaben“. Im Frühjahr 2005 erwog ein bereits resigniertwirkender Felix Joklik, Generaldirektor der Wiener Stadtwerke, in einem Interview sogar den Bau von Wohnungen statt Büros auf der Betonplatte – ungeachtet ihrer Lage direkt am Autobahnkreuz.
„Die Wiener Stadtwerke waren merklich verstimmt“, wusste der Immobilienjournalist Franz Artner damals zu berichten, „dass der politische Rückenwind für den Standort Erdberg nachgelassen hatte und sich die Rathaus-PR auf andere Hotspots der Stadterweiterung stürzte, allen voran auf die Vermarktung des Flugfelds Aspern.“ Auch private Unternehmen hätten sich von der Unberechenbarkeit der Wiener Standortpolitik enttäuscht gezeigt: So siedelten sich die global tätigen Wirtschaftsprüfer und Steuerberater PricewaterhouseCoopers 2002 – im guten Glauben, dass der Bürodistrikt zügig realisiert werde – unmittelbar neben TownTown an. Da das Großprojekt aber jahrelang auf Eis lag, blieben die Synergien mit anderen namhaften Firmen im Umfeld und die gute Adresse aus. „Ausländische Investoren fragten immer wieder, wo der zukunftsträchtigste Bürostandort Wiens sei, doch ließ sich diese Frage nie seriös beantworten“, so Artner. Wien ignorierte hier internationale Trends der Stadtentwicklung: „In Hamburg waren die Bürostandorte einst auch über die ganze Stadt verstreut. Als die Planungspolitik die Entwicklung aber auf die Hafencity konzentrierte, folgten ihr die Investoren bereitwillig dorthin.“
Schließlich gelang in Erdberg aber doch noch die Wende. Obwohl seitens des Rathauses mehrmals betonte wurde, dass die Stadt Wien keinen Quadratmeter in TownTown anmieten werde, wurde im Herbst 2005 bekannt, dass mit dem Wiener Krankenanstaltenverbund, der Landessanitätsdirektion und der Magistratsabteilung für Gesundheitswesen gleich drei städtische Institutionen an den bislang verwaisten Bürostandort übersiedeln sollen. So konnten die ersten 26.000 Quadratmeter Mietfläche endlich gebaut – und umgehend an einen deutschen Immobilienfonds weiterverkauft werden. Weiteren Gebäuden folgten weitere Dienststellen der Stadtverwaltung, etwa die Magistratsabteilung für Soziales oder jene für die Wiener Kindergärten. Sie verließen ihre Amtshäuser, um fortan an private Immobilieneigner Miete zu zahlen.
2009 verkaufte die Soravia-Gruppe ihre Beteiligung, unter anderem an einen – Medienberichten zufolge – rathausnahen Developer. Das diffuse Konstrukt dahinter vermochte auch ein Bericht des Stadtrechnungshofs von 2014 nur vage wiederzugeben, er legt aber nahe, dass dieser Deal klar zulasten der Wiener Stadtwerke gegangen sein dürfte. Nutznießer war offenbar die Soravia-Gruppe, zumal Erwin Soravia damals in einem Interview bekannte: „Wir haben an TownTown sehr gut verdient.“ Die TownTown AG selbst fuhr dagegen laut Zeitungsmeldungen jahrelang Verluste in Millionenhöhe ein. So waren nicht wenige bass erstaunt, als Erwin Soravia 2013 das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien verliehen wurde. Bürgermeister Michael Häupl sah es als „ein Dankeschön der Stadt für die unternehmerischen Leistungen Soravias“ und würdigte diesen auch als persönlichen Freund. Bei nüchterner Betrachtung dessen, was der Immobilientycoon in Wien hinterlassen hat, stechen freilich weniger die Verdienste Soravias um die Stadt als seine Verdienste an der Stadt ins Auge. TownTown, das „größte PPP-Hochbauprojekt Österreichs“, wurde jedenfalls schon vor seiner Fertigstellung zum Synonym für die Abfederung privater Spekulationsverluste durch die öffentliche Hand.
Den Abschluss der rund 15-jährigenEntwicklung des Viertels bildeten zwei gut 100 Meter hohe Türme. Als erste der beiden „beeindruckenden Landmarks“ entstand das in seiner äußeren Erscheinung banale und schon nach Kurzem schäbig wirkende Hochhaus der Architekten Baumschlager & Eberle. Durch seine abweisende, verschlossene Sockelzone über mehrere Geschoße hinweg erinnert es eher an Festungsarchitektur denn an ein urbanitätsstiftendes Gebäude. Damit schließt der Turm nahtlos an die restliche Bebauung des „Office Campus“ an, die sich aufgrund der U-Bahn-Überplattung meterhoch vom angrenzenden Straßenraum abhebt – und einen massiven Fremdkörper im Stadtgefüge darstellt, anstatt sich mit der umliegenden Struktur zu verweben. Auch innerhalb von TownTown mag nicht so recht das Gefühl einer Downtown aufkommen – „Piazza“ hin, vereinzelte Läden und Gastronomen her. Die Öffnungszeiten der beiden Lokale etwa sind deckungsgleich mit den Amtszeiten der umliegenden Magistratsabteilungen. Nach Dienstschluss und an Wochenenden ist die Beamtenburg ausgestorben.
Verwertungsprobleme gab es im Fall des Baumschlager-&-Eberle-Turms keine, da die Stadtwerke den Bau gleich selbst als neues Headquarter für sich und ihre Tochter Wien Energie in Anspruch nahmen. Allerdings kam auch dies dem Steuerzahler nicht eben billig. Denn zunächst sollte der Bau an die deutsche Commerzbank verkauft und zurückgemietet werden. Ein halbes Jahrnach der getroffenen Vereinbarung traten die Stadtwerke jedoch von diesem Deal zurück – was sich die Commerzbank mit 1,6 Millionen Euro abgelten ließ. Auch der eben fertig gewordene, gestalterischambitioniertere Orbi Tower nach Plänen der Architekten Zechner & Zechner kommt nicht ohne öffentliche Gelder aus. Die Wiener Stadtwerke Holding, die zu ihr gehörende Wipark Garagen GmbH und noch andere stadtnahe Mieter sorgen maßgeblich für seine derzeit rund 50-prozentige Auslastung. Noch vor wenigen Jahrzehnten hat man erst dann zu bauen begonnen, wenn ein Projekt etwa zur Hälfte vorvermietet war – am heutigen Wiener Büromarkt gibt dieser Verwertungsgrad bei Fertigstellung bereits Anlass zu Jubelmeldungen auf den Immobilienseiten der heimischen Medien. Jedenfalls fand der Orbi Tower schon vor seiner Eröffnung einen Käufer, nämlich die dem Rathaus eng verbundene Bank Austria. Dabei würde diese auch ohne ihr Engagement in TownTown über eigenen reichen Fundus an unausgelasteten Bürobauten verfügen: Ihre Immobilientochter BAI müht sich redlich ab, die eigenen Projekte an andere Banken und Versicherungen, vorzugsweise aus dem Ausland, abzustoßen.
Was beinah nach einem Pyramidenspiel klingt, bezieht seine innere Logik von den Finanzmärkten. Diese wurden ab den Neunzigerjahren durch die europaweite Teilprivatisierung der bis dahin öffentlichen Rentensysteme binnen Kurzem mit frischem Geld geradezu überschwemmt, zumal die Pensionsfonds in den ersten Jahren überwiegend Einnahmen verbuchten und noch kaum Auszahlungen anstanden. Als auch Österreich 2003 die „prämienbegünstigte Zukunftsvorsorge“ einführte, scheute sich die schwarz-blaue Regierung nicht, dies offen als „Förderung der privaten Altersvorsorge und des österreichischen Kapitalmarkts“ zu propagieren. In ganz Europa wurden die Pensionskassen von den Gesetzgebern zu sicherenVeranlagungen verpflichtetet, wobei als sicher vor allem Investitionen in Immobilien gelten. Bürobauten versprechen dabei höhere Erträge und problemlosere Mieter als Wohnbauten. Dass Büros heute im Unterschied zu Wohnungen oft leer stehen und damit gar keine Rendite abwerfen, scheint für die Fondsmanager von untergeordneter Bedeutung zu sein, werden die Folgen ihrer Entscheidungen doch erst in mittlerer bis ferner Zukunft schlagend – und dann von den künftigen Rentenbeziehern zu tragen sein.
Mit seiner investorenfreundlichen Stadtplanung hat sich Wien jedenfalls als attraktiver Standort für in Beton gegossene Scheinwerte international positioniert: Weder engt man Developer durch städtebauliche Vorgaben ein, noch beschneidet man Flächenwidmungsgewinne bei Gewährung außergewöhnlicher Höhen – und selbst die Anwendung der seit Kurzem möglichen städtebaulichen Verträge, die private Gegenleistungen für die öffentliche Infrastruktur- und Verkehrserschließung von Großprojekten enthalten können, obliegt dem Gutdünken der Politik. Wer bauen will, dem wird nichts in den Weg gelegt. Dies lockte zunächst deutsche Kapitalanlagegesellschaften an, die in der Bundesrepublik um die Jahrtausendwende kaum mehr interessante Objekte fanden. Nach einer Analyse der Immobilienexperten von CB Richard Ellis stieg der Anteil deutscher Fonds an den gesamten Immobilieninvestitionen in Österreich allein von 2000 auf 2001 von 14 auf 33 Prozent – und erreichte in den Folgejahren mehr als 50 Prozent. In der Hauptstadt war dieser Wert noch viel höher.
Inzwischen tummeln sich in Wien auch niederländische, britische oder US-amerikanische Anleger – ja neuerdings zählen sogar Interessenten aus Asien zum Zielpublikum der hiesigen Großprojektentwickler. Diese bauen längst nicht mehr für den realen Bedarf an repräsentativen Headquarters und modernen Arbeitsplätzen. Ihr Blick richtet sich auf die langfristig zu veranlagenden Überschüsse ausländischer Vermögensverwalter. Insofern stellendie meisten Bürokomplexe der vergangenen 20 Jahre streng genommen keine Produkte für denlokalen Immobilienmarkt mehr dar, sondern Optionen für die globale Finanzwirtschaft: sei es der 202 Meter hohe Millennium Tower, der wie so viele Hochhäuser Wiensaus einem veritablen Bauskandal hervorging und nun schon zumdritten Mal zum Verkauf steht; sei es der 250 Meter hohe DC 1 in der Donau City, der lange Zeit als schwer vermittelbar galt, diesen Sommer aber mit der Frankfurter DekaBank doch einen Abnehmer fand; seien es die drei noch in Bau befindlichen Bürotürme von „The Icon Vienna“ direkt neben dem Hauptbahnhof, die im größten Immobiliendeal des Jahres um mehr als 500 Millionen Euro jüngst an die Münchner Allianz-Versicherung gingen.
Angesichts einer Vielzahl an Projekten in Planung und Bau – vom DC Tower 2 über das Forum Donaustadt bis hin zum Turm auf den Kometgründen – ist kein Ende des Booms absehbar. Für die nächsten Jahre rechnet man in Wien mit einem Neubauvolumen von mindestens 250.000 Quadratmeter Bürofläche – per annum. Aus dem Rathaus sind gegen die zunehmende Leerstandsproduktion keine Einwände zu erwarten. Denn zum einen sind die Interessen der Bauwirtschaft den Stadtvätern traditionell wichtiger als alle urbanistischen Ziele. Zum anderen verschafft jeder Spatenstich für ein weiteres „Wahrzeichen“ in der Skyline Wiens den Volksvertetern mediale Präsenz. Und schließlich werden gebaute Büroarbeitsplätze – ob genutzt oder ungenutzt – kurzerhand mit tatsächlich geschaffenen Jobs gleichgesetzt und als arbeitsmarktpolitischer Erfolg gefeiert.
Dabei tragen selbst vermietete Neubaubüros nicht zwangsläufig zum Jobwachstum bei, zumal sie vielfach nur Firmen aus älteren Bauten abwerben. Dies hat bereits zu einer merklichen Nutzungsentmischung bis hin zur Verödung gewachsener Bürostandorte in gründerzeitlich geprägten Bezirken geführt. Denn mit der Abwanderung der Büroangestellten verlieren Handel, Dienstleistungen und Gastronomie im Umfeld ein Gutteil ihrer Kunden – unddie ansässige Wohnbevölkerung in weiterer Folge oft ihre Nahversorgung. Selbst die historische Innenstadt ist vor diesem Strukturwandel nicht gefeit. Traditionsreiche Bankhäuser, Gerichtsgebäude, Verwaltungsbautenoder auch Zeitungsredaktionen wurden zuletzt hier aufgegeben – und deren Beschäftigte in neue, billigere Büros außerhalb der City umgesiedelt. Die Bawag P.S.K. etwa verlagert ihre Zentrale im kommenden Jahr in den mittleren der drei Tower von „The Icon Vienna“ und gibt dafür eine tatsächliche Ikone Wiens, Otto Wagners denkmalgeschützte Postsparkasse, preis. Auch hier werden wohl ein Nobelhotel, Luxusboutiquen oder Hochpreis-Apartments Einzug halten.
Inzwischen kannibalisieren die neuen Bürostandorte sogar schon sich selbst. PricewaterhouseCoopers werden 2018 ihre Niederlassung nebst TownTown nach nur 16 Jahren aufgeben und in die Donau City ziehen: eine für das heutige Wien nicht unübliche Verweildauer eines Unternehmens an ein und derselben Adresse. Zumindest dieses Phänomen sollte verantwortungsvolle Politiker davon überzeugen, dass ein unkontrollierter Immobilienmarkt die Stadt bloß als Monopoly-Spielfeld missbraucht – und langfristig zerstört. Um den Bürobau im Sinne einer geordneten Stadtentwicklung zu steuern, gäbe es mehrere Instrumente, die nicht gleich im Verdacht des Wirtschaftsdirigismus stünden. So könnte der Gesetzgeber mit steuerpolitischen Instrumenten den Investitionsbedarf der Finanzwirtschaft stärker auf erschwinglichen Wohnbau lenken, der immerhin stabile Renditen bietet.
Die Planungsbehörde wiederum sollte für die Genehmigung etwaiger weiterer Büroviertel seriöse Wirtschaftlichkeitskonzepte verlangen, zumal größere private Fehlinvestitionen immer auch zulasten der Allgemeinheit gehen: sei es durch die ineffiziente Nutzung teurer städtischer Infrastruktur wie Straßen, Kanalisation und öffentlicher Verkehr; sei es durch die Vergeudung von Grundund Boden durch halb leere Bürohäuser, während es an Bauland für dringend benötigte Wohnhäuser mangelt.
Je mehr Büroflächen auf den Markt drängen, umso unwahrscheinlicher wird es auch, dass die Immobilienbranche Geld für die Modernisierung älterer Leerstände in die Hand nimmt. Unmittelbar neben den Neubauten von TownTown verkam ab 2005 der Hochhauskomplex des früheren Hauptzollamts aus dem Jahr 1975. Anstatt über einen architektonisch interessanten Umbau und eine kreative ökonomische Neunutzung der beiden Büroscheiben nachzudenken – erfolgreiche Beispiele dafür gäbe es zuhauf –, werden sie seit dem Vorjahr etappenweise abgerissen. Nach nur 30-jähriger Funktionszeit machen sie Platz für drei Wohntürme derSoravia-Gruppe mit Blick auf das Autobahnkleeblatt, den der Investor als „Blickrichtung Sonnenaufgang“ verkauft. Diese Wegwerfmentalität passt weder zu Wiens Gerede über nachhaltiges Bauen noch zu den Phrasen von einer Smart City. Sie bedeutet eine Verschwendung von Rohstoffen und Energie –sowie ein baukulturelles Armutszeugnis. Alle Umwelt- und Technologiezertifikate, die sich die Immobilienbranche für ihre Neubauten selbst ausstellt, ändern nichts am ökologischen und urbanistischen Schaden, den Wirtschaft und Politik unbeirrt anrichten.
Anstatt dem seit den Neunzigerjahren grassierenden Bürobauboom stadtplanerische Zügel anzulegen und als Grundlage dafür Daten über den Büromarkt zu erheben, verfiel die Stadt Wien um das Jahr 2000 auf die Idee, auch selbst daran mitverdienen zu wollen. Wie geschaffen für ein Pilotprojekt schien das Areal eines ebenerdigen U-Bahn-Teilstücks samt einer U-Bahn-Remise in Erdberg, im Südosten Wiens, dem zu dieser Zeit hoffnungsvollsten Stadterweiterungsgebiet. Der auserkorene Standort, unmittelbar am Kreuzungspunkt der beiden Stadtautobahnen A4 und A23, war bereits weitgehend im Eigentum der Wiener Linien respektive der Wiener Stadtwerke. Durch eine Überplattung der U3 sollte ein vier Hektar großer Bauplatz inbester Verkehrslage – und darauf ein „neuer, selbstständig funktionierender Stadtteil“ entstehen. Zur Realisierung gingen die kommunalen Versorgungsbetriebe mit den Bauunternehmern Hanno und Erwin Soravia eine „Public Private Partnership“ ein, an der beide Seiten in etwa zur Hälfte beteiligt waren.
Aus den Entwürfen eines städtebaulichen Expertenverfahrens für dieses Großbauvorhaben wählten die Projektbetreiber den Vorschlag von Architekt Wilhelm Holzbauer und dessen Partnern aus, der bereits eine ansehnliche Dichte aufwies. Mit GustavPeichl und Coop Himmelb(l)au stießen dann noch zwei weitere prominente Büros zum Planungsteam, sodass auch die beabsichtigte Baumasse weiter wuchs. Schließlich sollten rund 20 Bürobauten, darunter auch Hochhäuser mit bis zu 120 Metern, knapp 130.000 Quadratmeter Bürofläche schaffen und erhofften 5000 Beschäftigten Platz geben.
„Die Idee zu TownTown wurde, nicht untypisch für solche Projekte, ohne jegliche Vorabstimmung mit der Wiener Stadtplanung geboren“, erinnert sich der inzwischen pensionierte Planungsbeamte Klaus Steiner. „Ebenso symptomatisch war dabei die Wahl von Architekten, deren Namen den nötigen Flächenwidmungsbeschluss im Gemeinderat quasi garantieren – und die dafür bekannt sind, bei nahezu jeder Aufgabenstellung eine sehr dichte Bebauung oder ein Hochhaus vorzuschlagen.“ Auf diese Weise, so Steiner, könne der Grundstückswert eines Remisendachs von null auf Tausende Euro pro Quadratmeter steigen. „So etwas ist für den Eigentümer bilanztechnisch sehr erfreulich, hat mit Städtebau allerdings nichts zu tun.“
Ab 2002 hätten die ersten Gebäude auf der Betonplatte entstehen sollen. Aufgrund des damals schon veritablen Büroleerstands in Wien sowie der Konkurrenz durch andere, vonder Planungspolitik inzwischen gehypte Entwicklungsgebiete fanden sich jedoch keine Interessenten. Für die Soravia-Gruppe war es nach einiger Zeit bloß ein wirtschaftliches Problem, dass die 47 Millionen Euro teure Einhausung der U-Bahn brachlag. Im Fall der Wiener Stadtwerke aber, die in den Jahren 2002 und 2003 laut Medienberichten zweistellige Millionendefizite verbuchten, wurde die Investition über kurz oder lang auch zu einem politischen Problem – und zwar für die Stadt Wien als hundertprozentige Eigentümerin des Konzerns. Denn zu dessen Aufgaben zählen Energieversorgung, öffentlicher Verkehr oder auch Bestattung, nicht aber die spekulative Entwicklung von Immobilien.
Im Bemühen, das Projekt trotz Stillstands zumindest medial am Leben zu halten, ging das Rathaus zunächst absonderliche Wege. So rief der damalige Planungsstadtrat, Rudolf Schicker, gemeinsam mit den Developern einen Ideen-Contest für Schüler aus dem Bezirk zur Gestaltung der geplanten „Piazza“ in TownTown aus – und pries den Zeichen- und Malwettbewerb nach Abschluss imSommer 2004 als „gelungene Einbindung der Bevölkerung in ein Großbauvorhaben“. Im Frühjahr 2005 erwog ein bereits resigniertwirkender Felix Joklik, Generaldirektor der Wiener Stadtwerke, in einem Interview sogar den Bau von Wohnungen statt Büros auf der Betonplatte – ungeachtet ihrer Lage direkt am Autobahnkreuz.
„Die Wiener Stadtwerke waren merklich verstimmt“, wusste der Immobilienjournalist Franz Artner damals zu berichten, „dass der politische Rückenwind für den Standort Erdberg nachgelassen hatte und sich die Rathaus-PR auf andere Hotspots der Stadterweiterung stürzte, allen voran auf die Vermarktung des Flugfelds Aspern.“ Auch private Unternehmen hätten sich von der Unberechenbarkeit der Wiener Standortpolitik enttäuscht gezeigt: So siedelten sich die global tätigen Wirtschaftsprüfer und Steuerberater PricewaterhouseCoopers 2002 – im guten Glauben, dass der Bürodistrikt zügig realisiert werde – unmittelbar neben TownTown an. Da das Großprojekt aber jahrelang auf Eis lag, blieben die Synergien mit anderen namhaften Firmen im Umfeld und die gute Adresse aus. „Ausländische Investoren fragten immer wieder, wo der zukunftsträchtigste Bürostandort Wiens sei, doch ließ sich diese Frage nie seriös beantworten“, so Artner. Wien ignorierte hier internationale Trends der Stadtentwicklung: „In Hamburg waren die Bürostandorte einst auch über die ganze Stadt verstreut. Als die Planungspolitik die Entwicklung aber auf die Hafencity konzentrierte, folgten ihr die Investoren bereitwillig dorthin.“
Schließlich gelang in Erdberg aber doch noch die Wende. Obwohl seitens des Rathauses mehrmals betonte wurde, dass die Stadt Wien keinen Quadratmeter in TownTown anmieten werde, wurde im Herbst 2005 bekannt, dass mit dem Wiener Krankenanstaltenverbund, der Landessanitätsdirektion und der Magistratsabteilung für Gesundheitswesen gleich drei städtische Institutionen an den bislang verwaisten Bürostandort übersiedeln sollen. So konnten die ersten 26.000 Quadratmeter Mietfläche endlich gebaut – und umgehend an einen deutschen Immobilienfonds weiterverkauft werden. Weiteren Gebäuden folgten weitere Dienststellen der Stadtverwaltung, etwa die Magistratsabteilung für Soziales oder jene für die Wiener Kindergärten. Sie verließen ihre Amtshäuser, um fortan an private Immobilieneigner Miete zu zahlen.
2009 verkaufte die Soravia-Gruppe ihre Beteiligung, unter anderem an einen – Medienberichten zufolge – rathausnahen Developer. Das diffuse Konstrukt dahinter vermochte auch ein Bericht des Stadtrechnungshofs von 2014 nur vage wiederzugeben, er legt aber nahe, dass dieser Deal klar zulasten der Wiener Stadtwerke gegangen sein dürfte. Nutznießer war offenbar die Soravia-Gruppe, zumal Erwin Soravia damals in einem Interview bekannte: „Wir haben an TownTown sehr gut verdient.“ Die TownTown AG selbst fuhr dagegen laut Zeitungsmeldungen jahrelang Verluste in Millionenhöhe ein. So waren nicht wenige bass erstaunt, als Erwin Soravia 2013 das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien verliehen wurde. Bürgermeister Michael Häupl sah es als „ein Dankeschön der Stadt für die unternehmerischen Leistungen Soravias“ und würdigte diesen auch als persönlichen Freund. Bei nüchterner Betrachtung dessen, was der Immobilientycoon in Wien hinterlassen hat, stechen freilich weniger die Verdienste Soravias um die Stadt als seine Verdienste an der Stadt ins Auge. TownTown, das „größte PPP-Hochbauprojekt Österreichs“, wurde jedenfalls schon vor seiner Fertigstellung zum Synonym für die Abfederung privater Spekulationsverluste durch die öffentliche Hand.
Den Abschluss der rund 15-jährigenEntwicklung des Viertels bildeten zwei gut 100 Meter hohe Türme. Als erste der beiden „beeindruckenden Landmarks“ entstand das in seiner äußeren Erscheinung banale und schon nach Kurzem schäbig wirkende Hochhaus der Architekten Baumschlager & Eberle. Durch seine abweisende, verschlossene Sockelzone über mehrere Geschoße hinweg erinnert es eher an Festungsarchitektur denn an ein urbanitätsstiftendes Gebäude. Damit schließt der Turm nahtlos an die restliche Bebauung des „Office Campus“ an, die sich aufgrund der U-Bahn-Überplattung meterhoch vom angrenzenden Straßenraum abhebt – und einen massiven Fremdkörper im Stadtgefüge darstellt, anstatt sich mit der umliegenden Struktur zu verweben. Auch innerhalb von TownTown mag nicht so recht das Gefühl einer Downtown aufkommen – „Piazza“ hin, vereinzelte Läden und Gastronomen her. Die Öffnungszeiten der beiden Lokale etwa sind deckungsgleich mit den Amtszeiten der umliegenden Magistratsabteilungen. Nach Dienstschluss und an Wochenenden ist die Beamtenburg ausgestorben.
Verwertungsprobleme gab es im Fall des Baumschlager-&-Eberle-Turms keine, da die Stadtwerke den Bau gleich selbst als neues Headquarter für sich und ihre Tochter Wien Energie in Anspruch nahmen. Allerdings kam auch dies dem Steuerzahler nicht eben billig. Denn zunächst sollte der Bau an die deutsche Commerzbank verkauft und zurückgemietet werden. Ein halbes Jahrnach der getroffenen Vereinbarung traten die Stadtwerke jedoch von diesem Deal zurück – was sich die Commerzbank mit 1,6 Millionen Euro abgelten ließ. Auch der eben fertig gewordene, gestalterischambitioniertere Orbi Tower nach Plänen der Architekten Zechner & Zechner kommt nicht ohne öffentliche Gelder aus. Die Wiener Stadtwerke Holding, die zu ihr gehörende Wipark Garagen GmbH und noch andere stadtnahe Mieter sorgen maßgeblich für seine derzeit rund 50-prozentige Auslastung. Noch vor wenigen Jahrzehnten hat man erst dann zu bauen begonnen, wenn ein Projekt etwa zur Hälfte vorvermietet war – am heutigen Wiener Büromarkt gibt dieser Verwertungsgrad bei Fertigstellung bereits Anlass zu Jubelmeldungen auf den Immobilienseiten der heimischen Medien. Jedenfalls fand der Orbi Tower schon vor seiner Eröffnung einen Käufer, nämlich die dem Rathaus eng verbundene Bank Austria. Dabei würde diese auch ohne ihr Engagement in TownTown über eigenen reichen Fundus an unausgelasteten Bürobauten verfügen: Ihre Immobilientochter BAI müht sich redlich ab, die eigenen Projekte an andere Banken und Versicherungen, vorzugsweise aus dem Ausland, abzustoßen.
Was beinah nach einem Pyramidenspiel klingt, bezieht seine innere Logik von den Finanzmärkten. Diese wurden ab den Neunzigerjahren durch die europaweite Teilprivatisierung der bis dahin öffentlichen Rentensysteme binnen Kurzem mit frischem Geld geradezu überschwemmt, zumal die Pensionsfonds in den ersten Jahren überwiegend Einnahmen verbuchten und noch kaum Auszahlungen anstanden. Als auch Österreich 2003 die „prämienbegünstigte Zukunftsvorsorge“ einführte, scheute sich die schwarz-blaue Regierung nicht, dies offen als „Förderung der privaten Altersvorsorge und des österreichischen Kapitalmarkts“ zu propagieren. In ganz Europa wurden die Pensionskassen von den Gesetzgebern zu sicherenVeranlagungen verpflichtetet, wobei als sicher vor allem Investitionen in Immobilien gelten. Bürobauten versprechen dabei höhere Erträge und problemlosere Mieter als Wohnbauten. Dass Büros heute im Unterschied zu Wohnungen oft leer stehen und damit gar keine Rendite abwerfen, scheint für die Fondsmanager von untergeordneter Bedeutung zu sein, werden die Folgen ihrer Entscheidungen doch erst in mittlerer bis ferner Zukunft schlagend – und dann von den künftigen Rentenbeziehern zu tragen sein.
Mit seiner investorenfreundlichen Stadtplanung hat sich Wien jedenfalls als attraktiver Standort für in Beton gegossene Scheinwerte international positioniert: Weder engt man Developer durch städtebauliche Vorgaben ein, noch beschneidet man Flächenwidmungsgewinne bei Gewährung außergewöhnlicher Höhen – und selbst die Anwendung der seit Kurzem möglichen städtebaulichen Verträge, die private Gegenleistungen für die öffentliche Infrastruktur- und Verkehrserschließung von Großprojekten enthalten können, obliegt dem Gutdünken der Politik. Wer bauen will, dem wird nichts in den Weg gelegt. Dies lockte zunächst deutsche Kapitalanlagegesellschaften an, die in der Bundesrepublik um die Jahrtausendwende kaum mehr interessante Objekte fanden. Nach einer Analyse der Immobilienexperten von CB Richard Ellis stieg der Anteil deutscher Fonds an den gesamten Immobilieninvestitionen in Österreich allein von 2000 auf 2001 von 14 auf 33 Prozent – und erreichte in den Folgejahren mehr als 50 Prozent. In der Hauptstadt war dieser Wert noch viel höher.
Inzwischen tummeln sich in Wien auch niederländische, britische oder US-amerikanische Anleger – ja neuerdings zählen sogar Interessenten aus Asien zum Zielpublikum der hiesigen Großprojektentwickler. Diese bauen längst nicht mehr für den realen Bedarf an repräsentativen Headquarters und modernen Arbeitsplätzen. Ihr Blick richtet sich auf die langfristig zu veranlagenden Überschüsse ausländischer Vermögensverwalter. Insofern stellendie meisten Bürokomplexe der vergangenen 20 Jahre streng genommen keine Produkte für denlokalen Immobilienmarkt mehr dar, sondern Optionen für die globale Finanzwirtschaft: sei es der 202 Meter hohe Millennium Tower, der wie so viele Hochhäuser Wiensaus einem veritablen Bauskandal hervorging und nun schon zumdritten Mal zum Verkauf steht; sei es der 250 Meter hohe DC 1 in der Donau City, der lange Zeit als schwer vermittelbar galt, diesen Sommer aber mit der Frankfurter DekaBank doch einen Abnehmer fand; seien es die drei noch in Bau befindlichen Bürotürme von „The Icon Vienna“ direkt neben dem Hauptbahnhof, die im größten Immobiliendeal des Jahres um mehr als 500 Millionen Euro jüngst an die Münchner Allianz-Versicherung gingen.
Angesichts einer Vielzahl an Projekten in Planung und Bau – vom DC Tower 2 über das Forum Donaustadt bis hin zum Turm auf den Kometgründen – ist kein Ende des Booms absehbar. Für die nächsten Jahre rechnet man in Wien mit einem Neubauvolumen von mindestens 250.000 Quadratmeter Bürofläche – per annum. Aus dem Rathaus sind gegen die zunehmende Leerstandsproduktion keine Einwände zu erwarten. Denn zum einen sind die Interessen der Bauwirtschaft den Stadtvätern traditionell wichtiger als alle urbanistischen Ziele. Zum anderen verschafft jeder Spatenstich für ein weiteres „Wahrzeichen“ in der Skyline Wiens den Volksvertetern mediale Präsenz. Und schließlich werden gebaute Büroarbeitsplätze – ob genutzt oder ungenutzt – kurzerhand mit tatsächlich geschaffenen Jobs gleichgesetzt und als arbeitsmarktpolitischer Erfolg gefeiert.
Dabei tragen selbst vermietete Neubaubüros nicht zwangsläufig zum Jobwachstum bei, zumal sie vielfach nur Firmen aus älteren Bauten abwerben. Dies hat bereits zu einer merklichen Nutzungsentmischung bis hin zur Verödung gewachsener Bürostandorte in gründerzeitlich geprägten Bezirken geführt. Denn mit der Abwanderung der Büroangestellten verlieren Handel, Dienstleistungen und Gastronomie im Umfeld ein Gutteil ihrer Kunden – unddie ansässige Wohnbevölkerung in weiterer Folge oft ihre Nahversorgung. Selbst die historische Innenstadt ist vor diesem Strukturwandel nicht gefeit. Traditionsreiche Bankhäuser, Gerichtsgebäude, Verwaltungsbautenoder auch Zeitungsredaktionen wurden zuletzt hier aufgegeben – und deren Beschäftigte in neue, billigere Büros außerhalb der City umgesiedelt. Die Bawag P.S.K. etwa verlagert ihre Zentrale im kommenden Jahr in den mittleren der drei Tower von „The Icon Vienna“ und gibt dafür eine tatsächliche Ikone Wiens, Otto Wagners denkmalgeschützte Postsparkasse, preis. Auch hier werden wohl ein Nobelhotel, Luxusboutiquen oder Hochpreis-Apartments Einzug halten.
Inzwischen kannibalisieren die neuen Bürostandorte sogar schon sich selbst. PricewaterhouseCoopers werden 2018 ihre Niederlassung nebst TownTown nach nur 16 Jahren aufgeben und in die Donau City ziehen: eine für das heutige Wien nicht unübliche Verweildauer eines Unternehmens an ein und derselben Adresse. Zumindest dieses Phänomen sollte verantwortungsvolle Politiker davon überzeugen, dass ein unkontrollierter Immobilienmarkt die Stadt bloß als Monopoly-Spielfeld missbraucht – und langfristig zerstört. Um den Bürobau im Sinne einer geordneten Stadtentwicklung zu steuern, gäbe es mehrere Instrumente, die nicht gleich im Verdacht des Wirtschaftsdirigismus stünden. So könnte der Gesetzgeber mit steuerpolitischen Instrumenten den Investitionsbedarf der Finanzwirtschaft stärker auf erschwinglichen Wohnbau lenken, der immerhin stabile Renditen bietet.
Die Planungsbehörde wiederum sollte für die Genehmigung etwaiger weiterer Büroviertel seriöse Wirtschaftlichkeitskonzepte verlangen, zumal größere private Fehlinvestitionen immer auch zulasten der Allgemeinheit gehen: sei es durch die ineffiziente Nutzung teurer städtischer Infrastruktur wie Straßen, Kanalisation und öffentlicher Verkehr; sei es durch die Vergeudung von Grundund Boden durch halb leere Bürohäuser, während es an Bauland für dringend benötigte Wohnhäuser mangelt.
Je mehr Büroflächen auf den Markt drängen, umso unwahrscheinlicher wird es auch, dass die Immobilienbranche Geld für die Modernisierung älterer Leerstände in die Hand nimmt. Unmittelbar neben den Neubauten von TownTown verkam ab 2005 der Hochhauskomplex des früheren Hauptzollamts aus dem Jahr 1975. Anstatt über einen architektonisch interessanten Umbau und eine kreative ökonomische Neunutzung der beiden Büroscheiben nachzudenken – erfolgreiche Beispiele dafür gäbe es zuhauf –, werden sie seit dem Vorjahr etappenweise abgerissen. Nach nur 30-jähriger Funktionszeit machen sie Platz für drei Wohntürme derSoravia-Gruppe mit Blick auf das Autobahnkleeblatt, den der Investor als „Blickrichtung Sonnenaufgang“ verkauft. Diese Wegwerfmentalität passt weder zu Wiens Gerede über nachhaltiges Bauen noch zu den Phrasen von einer Smart City. Sie bedeutet eine Verschwendung von Rohstoffen und Energie –sowie ein baukulturelles Armutszeugnis. Alle Umwelt- und Technologiezertifikate, die sich die Immobilienbranche für ihre Neubauten selbst ausstellt, ändern nichts am ökologischen und urbanistischen Schaden, den Wirtschaft und Politik unbeirrt anrichten.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom