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Lernen vom Lapidaren
Spectrum

Die neue Schule braucht neue Räume. Doch wie sie offen und wandelbar konzipieren, in die Zukunft gedacht, ohne sie neutral und unpersönlich zu gestalten? Eine Nachschau in Graz-Eggenberg.

21. Januar 2017 - Karin Tschavgova
Viel wird gesprochen über die Notwendigkeit einer neuen Schule, die auf aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen reagiert. Wie der häufigen Erwerbstätigkeit beider Elternteile, wie der Alleinerzieher und der steigenden Zahl von Schulpflichtigen mit migrantischer Herkunft optimal entsprechen? Während große Lösungsansätze dieser gesellschaftspolitisch relevanten Fragen wie die Ganztagsschule und die Gesamtschule von konservativen Kräften als Gleichschaltung und Einschränkung individueller Entfaltungsmöglichkeit blockiert werden, muss der Schulalltag auch ohne große Reform an die neuen Aufgaben angepasst werden.

All das braucht neu gedachte Räume. Christian Kühn sprach an dieser Stelle (im „Spectrum“ vom 19. November 2016) von einer stillen Revolution im österreichischen Bildungsbau seit einigen Jahren, und tatsächlich gibt es bereits in mehreren Bundesländern sogenannte „Leuchtturmprojekte“ – Schulen mit differenziertem Raumangebot, wo jahrgangsübergreifend und in Kleingruppen auch außerhalb der Klasse gearbeitet werden kann und Arbeitstempo und Lernfortschritt individuell gefördert werden. Solche Schulen sind Orte für den ganztägigen Aufenthalt. Sie entsprechen dem natürlichen Bewegungsdrang von Kindern, erlauben Rückzug für besondere Konzentration und andererseits optimale Entspannung in Lernpausen.

Nicht immer kann ein neues Programm baulich neu umgesetzt werden – Veränderung muss auch in „alten Schläuchen“ möglich sein. Gerade jetzt steht die Sanierung und energetische Aufrüstung von Schulen an,die in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg gebaut wurden. Sie ist häufig mit größerem Platzbedarf und funktioneller Neuordnung verbunden. Für Architekten sind diese Aufgaben Herausforderungen in vergleichbarer Größe: das bauliche Umsetzen neuer Schulkonzepte auf der grünen Wiese ebenso wie die Umgestaltung der in die Jahre gekommenen Klassen-Gang-Schulen in einladende, neu dimensionierte Bildungsräume.

An beiden hat sich der Grazer Architekt Hans Mesnaritsch in 35-jähriger Tätigkeit im eigenen Büro erprobt. Er gilt als Schulbauspezialist. In seiner Werkliste finden sich knapp 20 Schulen und universitäre Bildungseinrichtungen, die vorwiegend in der Steiermark stehen und allesamt aus Architektenwettbewerben hervorgingen. Die genaue Zahl im Kopf zu haben ist nicht die Sache des nie marktschreierisch Auftretenden, der seit einigen Jahren mit Franz-Georg Spannberger als Juniorpartner plant. Die jüngste Realisierung eines gewonnenen Wettbewerbsdes Duos ist die Volksschule Algersdorf im Grazer Bezirk Eggenberg, direkt gegenüber der „Auster“ von Fasch & Fuchs.

Vorgabe war, die Schule, die zuvor gemeinsam mit der Neuen Mittelschule in einem mehr als 100 Jahre alten, Ehrfurcht gebietenden, mächtigen Solitär untergebracht war, als sogenannte Clusterschule zu konzipieren, in der je vier Jahrgangsstufen zu einer großzügigen Einheit zusammengefasst sind. Als Schulerhalter scheint die StadtGraz auf diesen Typus zu setzen, nachdem die 2014 in Betrieb genommene Volksschule Mariagrün (Architekturwerk Kalb Berktold) mit ihrer Gruppierung von Klassen und Lehrerzimmer um einen multifunktionalen „Dorfplatz“ nicht nur positive Resonanz, sondern auch mehrere Auszeichnungen erhalten hat.

Die Volksschule Algersdorf liegt in einemBezirk mit hohem Anteil an migrantischem Zuzug. In ihrem ersten Jahr des Bestehens wird Nachmittagsbetreuung angeboten, jedoch keine Ganztagsschule mit verpflichtendem Unterricht am Nachmittag. Der Direktor begründet dies damit, dass sich finanzschwache Familien die dafür zurzeit von den Eltern zu bezahlenden Kosten nicht leisten könnten und sich anderenfalls einen neuen Bezirk als Wohnort suchen würden.

Auch die Architekten folgten in ihrer Konzeption der Schule weniger ideologischerProgrammatik als vielmehr Grundsätzen für das Bauen, die sie in ihren Schulhäusern seit Langem anwenden und verfeinern. So sind es sorgfältig überlegte Lösungen für klassische Themen der Architektur – Belichtung und Durchblicke, einfache Orientierungsmöglichkeit, flexible Nutzung von Räumen und Möbeln –, die an dem kammartig nach Westen geöffneten Gebäude auffallen.

Der Baukörper wirkt zu den beiden Straßen hin monolithisch kompakt und einfach, wenngleich die Differenzierung der Funktionen sorgfältig vorgenommen wurde. Passivhausqualität war gefordert. Die Antwort: Selbst der Turnsaal ist Teil des großen Ganzen, innerhalb der Baufluchtlinien tiefer gelegt und zum Foyer hin großzügig verglast. Seine Dimension ist stimmig, stellt man sich vor, dass schon jetzt, vor dem möglichen Vollausbau auf 16 Klassen, innerhalb einer kurzen Zeitspanne 219 Kinder morgens das Schulhaus stürmen und ihren Arbeitsbereich in einem der beiden Geschoße ansteuern. Diese Eingangshalle ist zentraler Kreuzungspunkt aller Aktivitäten am Vormittag und Nachmittag. Hell und großzügig gestaltet, lässt sie Raum für schulische Aktivitäten, die heute vielleicht noch gar nicht angeboten werden. Als Rückgrat fungieren, additiv aneinandergereiht und klar getrennt von den Clustern, Sonderräume für Werken, den Englischunterricht und die Bibliothek, dazwischen Sanitärräume und auf der Eingangsebene Direktion und Konferenzraum. Die Gänge davor werden sicher nicht als solche wahrgenommen. Sie sind breit und hell, zu Terrasse und Garten hin belichtet und erlauben axiale Durchblicke über die gesamte Gebäudelänge.

Was sich angeblich kaum eine Lehrerin vor der Fertigstellung als angenehm einladend vorstellen konnte, zeigt nicht nur die hohe Qualität der Planung, sondern trägt maßgeblich zur freundlich-ruhigen Arbeitsatmosphäre bei: Die Wände, in Sichtbeton ausgeführt und roh belassen, werden mit präzise eingesetzten, schön detaillierten Tür- und Fensterelementen in Holz (Rüster) und einem Bodenbelag aus massivem Parkett nobilitiert. Nichts wirkt hier „billig“, keine Detaillösung unbewältigt. Das Lapidare entspricht den Architekten, die in ihrem Entwurf darauf bedacht waren, pädagogische Innovationen zu ermöglichen, nicht jedoch, solche inallzu starrem Rahmen für alle Zukunft festzulegen. Eine Schule mit so vielfältigem Raumangebot lässt Platz für Unterrichtskonzepte, die wir heute noch gar nicht kennen. So gesehen ist sie gerade wegen ihrer räumlichen Großzügigkeit und hohen Ausführungsqualität effizient und nachhaltig konzipiert.

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