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Quer gedacht
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Wenn es um das Glück der Nutzer ihrer Architektur geht, können Gunar Wilhelm und Sandra Gnigler sehr hartnäckig sein. Den Sachzwängen mögen sie sich fügen – sie heben aber sogar dort Qualitäten, wo andere gar nicht suchen.

14. April 2018 - Romana Ring
Sie begehen dieser Tager ihr Fünf-Jahres-Firmenjubiläum: Gunar Wilhelm und Sandra Gnigler, die als harter Kern einer in wechselnden Konstellationen zusammenarbeiten den Gruppe von Absolventinnen und Absolventen der Linzer Kunstuniversität die mia2/Architektur ZT KG gegründet haben. Sie stehen für eine Generation junger Architekten, die den Umgang mit den als zukunftsweisend gepriesenen digitalen Medienund Planungswerkzeugen aus dem Handgelenk beherrschen. Mit der guten alten Frage, was Architekturschaffende eigentlich leisten, sind sie dennoch konfrontiert. Die schier grenzenlose Zugänglichkeit von Information hat es bisher nicht vermocht, das Bewusstsein der breiten Masse über den Mehrwert von Architektur für Individuum und Gemeinschaft zu schärfen.

Ein Blick auf die Arbeit der mia2 kann da weiterhelfen, denn das Spektrum ihrer Themen ist breit. Es reicht vom Städtebau über den Geschoßwohnungsbau, das private Wohnhaus und Räume für die Arbeitswelt bis zum Entwurf kleinster Objekte. Gunar Wilhelm und Sandra Gnigler haben sich mit Wettbewerbsbeiträgen für prominente Bauvorhaben zu Wort gemeldet, sie haben mit knappen Budgets spannende Ausstellungen realisiert, Mediationsräume in leer stehenden Objekten geschaffen, die verfahrenen Planungskarren anderer wieder flottgemacht und sich immer wieder mit Kunst am Bau oder der Gestaltung grafischer Leitsysteme befasst.

Abseits der Trampelpfade

Kein Unterfangen ist zu komplex, um nicht in Angriff genommen, keine Aufgabe zu bescheiden, um nicht mit Gedanken bereichert, kein Kostenrahmen zu eng, um nicht mit maximalem Gewinn für die Nutzer ausgeschöpft zu werden. Und immer geht es um das Denken abseits der Trampelpfade, um eine beharrliche Suche nach Übereinstimmung von Inhalt und Form und nicht zuletzt um die konsequente Sauberkeit der Umsetzung.

Quer gedacht, technologisch experimentell, räumlich großzügig bei sparsamem Umgang mit Geld und anderen Ressourcen: So ließe sich in aller Kürze ein kleines Wohnhaus beschreiben, das mia2 in Steyr-Münichholz geplant haben. Der Bauplatz ist ebenso idyllisch wie herausfordernd. Das von Bäumen dicht bestandene Grundstück fällt schon wenige Meter hinter der erschließenden Siedlungsstraße im Süden jäh zur Enns im Norden ab, wo es überdies regelmäßig von Hochwässern betroffen ist. Ein Wohnhaus üblichen Zuschnittes hätte wohl die gesamte ebene und dauerhaft trockene Fläche der Liegenschaft verbraucht. Um das zu vermeiden, drehten mia2 den rechteckigen Grundriss desHauses kurzerhand um 90 Grad. So steht das zweigeschoßige, aus gutem Grund „Baumhaus“ genannte Gebäude nur zu einem kleinen Teil auf festem Boden und greift über die Geländekante hinaus weit in den bewaldeten Raum. Ein filigran anmutendes Stahlgerüst mit drei hölzernen Plattformen findet sich, einem Hochstand nicht unähnlich, an die nördliche Stirnseite des Hauses geschoben und dient den in den Längswänden verborgenen Trägern als Auflager.

Eine weitere Besonderheit des zur Gänze aus Holz konstruierten Baumhauses ist ebenfalls nicht sichtbar: Auf ausdrücklichen Wunsch des Bauherrn besteht die Dämmung der Gebäudehülle gänzlich aus Stroh. Die Tragkonstruktion aus massiven verleimten Holzelementen prägt die Innenräume mit ihrer Oberfläche aus unbehandelter Weißtanne. Davor hat der Bauherr eigenhändig die Strohpakete aufgeschichtet, die mithilfe einer eigens entwickelten, materialsparendenRückhängung in Position gehalten werden. Eine hinterlüftete horizontale Holzschalung bildet die äußerste Schicht des Wandaufbaus. Der hohe Vorfertigungsgrad der Konstruktion, der Wunsch nach einem Maximuman Eigenleistungen seitens des Bauherrn undvor allem die hundertprozentige, späteren Korrekturen entzogene Sichtbarkeit der Bauelemente im Inneren des Hauses erforderten kompromisslose Planungsgenauigkeit seitens der mia2. Insbesondere die fließenden, sich keineswegs mit der schlichten Stapelung zweier Geschoße begnügenden Raumfolgen konnten nur dank der sorgfältigen Überlegung jeder Kante und jedes Plattenstoßes in der erreichten Qualität gelingen.

Volumen wird im Baumhaus grundsätzlich nicht verschenkt. Das Badezimmer wird zum Flur, die Galerie zum Arbeitszimmer, und selbst im Boden des Stiegenpodestes gibt eine Luke noch Stauraum unter der Stiege frei. Die Raumhöhen korrespondieren mit der Nutzung, die Öffnungen sind so gesetzt, dass Ausblick und Lichteinfall der Intimität des Wohnens keinen Abbruch tun. Der Wald aber bildet einen stets gegenwärtigen, mit Jahreszeit und Witterung wechselnden Hintergrund und bewahrt so in jedem Raum des Hauses jenen besonderen Charakter des Ortes, der für den Bauherrn das wesentliche Motiv des Unterfangens geblieben ist. Die in Planung und Ausführung des Baumhauses gezeigte Fähigkeit der mia2, die Grundstimmung einer Aufgabe zu finden und in Architektur zu fassen, ist wie ihre Bereitwilligkeit, sich ohne Preisgabe des gestalterischen Anspruchs auf die Wünsche der Bauherrschaft einzulassen, in allen Projekten sichtbar, die sie bisher verwirklicht haben.

„Wege zum Glück“ im Nordico

Besonders gut lässt sich das gezielte Erschaffen einer bestimmten Atmosphäre in den Ausstellungsgestaltungen der mia2 nachvollziehen. So haben sie etwa im Vorjahr mit der Architektur und Grafik für die Ausstellung „Wege zum Glück“ im Nordico Stadtmuseum Linz all die Initiativen und Gruppen, die in Linz an einem gelingenden Miteinander basteln, auf berührende Weise porträtiert. Gleichzeitig ist es ihnen mithilfe eines ebenso einfachen wie erfindungsreichen interaktiven Mobiliars gelungen, das Publikum ein Stück dieser Wege zum Glück entlangzuführen.

Wenn es um das Glück der Nutzer ihrer Architektur geht, können Gunar Wilhelm und Sandra Gnigler sehr hartnäckig sein. Den Sachzwängen mögen sie sich fügen, aber am Ende gelingt es ihnen, selbst dort noch Qualitäten zu heben, wo andere sich nicht einmal auf die Suche machen würden. Das ist nicht zuletzt für den sozialen Wohnungsbau eine gute Nachricht.

2008 hat Gunar Wilhelm die Talentförderungsprämie des Landes Oberösterreich erhalten, 2014 Sandra Gnigler. Im Jänner dieses Jahres haben Max Luger und Franz Maul mia2 anlässlich ihrer eigenen Würdigung mit dem Heinrich-Gleißner-Preis für den damit verbundenen Förderpreis nominiert. Ihre Erfolge hindern Wilhelm und Gnigler nicht daran, die Dinge klar zu sehen und deutlich zu benennen: „Der wirtschaftliche Gedanke hat in der heutigen Gesellschaft mehr Gewicht als die räumliche Qualität, egal in welchem Maßstab.“ Das zu ändern sehen sie durchaus als ihre Pflicht.

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