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Was bleibt den Kindern?
Fachleute fordern, die Bauten der Nachkriegsmoderne systematisch zu erfassen, um Baudenkmäler dieser Zeit schützen zu können. Im Einzelfall zeigt sich, dass Expertise noch fehlt: zum Umbau des Speisesaals der Schulschwestern in Graz.
21. April 2018 - Karin Tschavgova
Wir befinden uns mitten im Jahr des Europäischen Kulturerbes, das die EU 2018 ausrief. Auch Österreichs Bundesdenkmalamt beteiligt sich daran und stellt seine Veranstaltungen unter das Motto „Der Zukunft eine Vergangenheit geben“. Das klingt auf den ersten Blick rätselhaft, weckt dadurch Interesse und lässt eine deckungsgleiche Interpretation mit dem Anliegen einer Aktionsgruppe zu, die sich vergangenen Herbst formiert hat. „Bauten in Not“ macht auf Baudenkmäler in Österreich aufmerksam, deren Zukunft ganz und gar noch nicht gesichert ist. Den sich vorwiegend zivilgesellschaftlich engagierenden Architekturwissenschaftlern und Architekten geht es um eine breite Bewusstseinsbildung für die Bedeutung der Baukultur des 20. Jahrhunderts – mit starkem Fokus auf die Nachkriegsmoderne.
Die Forderung, sich endlich systematisch und umfassend dieser Periode des Wiederaufbaus zu widmen, richtet sich an das Bundesdenkmalamt, das diese Notwendigkeit selbst schon 2008 angesprochen hat. Was davon ist es wert, in die jüngere österreichische Architekturgeschichte aufgenommen zu werden? Gefordert wird die Erarbeitung von Wissen und Beurteilungskriterien zur Thematik. Analysekompetenz ist die wichtigste Grundlage für den Diskurs zur respektvollen, adäquaten Erhaltung von wichtigen Baudenkmälern, der mit Eigentümern und Nutzern geführt werden muss. Zurzeit scheinen Kompetenz und eine klare Haltung noch nicht vorhanden. Das wird am Umgang mit Bauten in ganz Österreich, die akut gefährdet oder schon zerstört sind, sichtbar. In der Beschreibung des Aufgabenbereichs des BDA Steiermark findet sich ein bemerkenswertes Bekenntnis: „In Graz findet auch die jüngere Architektur in der Denkmalpflege Beachtung, die ,Grazer Schule‘ zählt dabei zu den bekanntesten Phänomenen der österreichischen Architektur des 20. Jahrhunderts.“
Der Speisesaal der Schulschwestern (1973–77) von Günther Domenig und Eilfried Huth in Graz-Eggenberg stellt ein Schlüsselwerk jener lokalen Architekturbewegung dar, die der verflachten, nur mehr funktionalistisch geprägten Moderne des Wiederaufbaus eine Abfuhr erteilte. Das Bauwerk im Innenhof des Klostergevierts „mit seiner frei geformten, animalisch anmutenden Struktur aus Spritzbeton“ (Achleitner) symbolisiert den Wertewandel zu einer individualisierten, auf den Ort bezogenen Bearbeitung jeder Bauaufgabe.
Nun wurde dem Speisesaal, der nach Paragraf 2a als Bau im öffentlichen oder kirchlichen Eigentum unter Schutz gestellt worden war, ein neuer Verbindungsgang zum Schultrakt des Klosters hinzugefügt – unter Einbeziehung und Begleitung der Altstadtkommission und des Bundesdenkmalamts in Graz. Die Architekten gingen an das kleine Bauwerk seinerzeit heran wie an eine Skulptur. In die Diagonale gesetzt, sollte es ein Kontrapunkt zur strengen Orthogonalität des Klostergevierts werden. Ein Merkmal solch plastisch-organischer Ausformung von Räumen ist, dass sie als solitäre Form Wirkkraft entfalten, auch dann, wenn wie beim Speisesaal der Baukörper (welch passender Ausdruck!) über einen offenen Gang an den Bestand angebunden wird. Auch eine zweite Verbindung zum Klostertrakt gab es von Anfang an – sorgfältig gewählt, von Besuchern gar nicht wahrgenommen war jene zur Küche, aus der die Speisen in den Saal gebracht wurden.
1988 ließ man die Spritzbetonschale aufwendig mit Rheinzink überziehen, um einer größeren Undichtheit des Daches zuvorzukommen. Veränderungen passierten also, die Solitärwirkung blieb. Vor wenigen Jahren stellten die Schwestern nun die Versorgung über die hauseigene Küche ein. Mit der externen Anlieferung der Speisen wollte man auch die Funktionsabläufe entflechten, weg vom internen Teil des Klosters. Die Lösung dafür sahen die Klosteroberin und die Architektin nur in der nun neu positionierten Essensausgabe, in einer im Schultrakt situierten Abwäsche und einem neuen Verbindungsgang. Die Altstadtkommission als Begutachterin und das Bundesdenkmalamt schlossen sich dieser Meinung an.
Ein großer Fehler, denn diese Maßnahme wirkt sich gravierend aus. Der von den Architekten präzise gesetzte frühere Ausgang in den liebevoll gepflegten Blumengarten mit exotischen Bäumen wurde geschlossen, fungiert nun als Anschluss zum Anbau. Dabei war das kleine Landschaftsstück mit organischer Anordnung von Wegen und Beeten schon in einer Zeichnung von Domenig als integraler Teil des Bauwerks angelegt. Nun wurde es in zwei Teile zerschnitten, von denen einer weitgehend der neuen Zufahrt zum Opfer fiel.
Die Architektin erzählt, dass ihr schlichter Erstentwurf des Verbindungsgangs von der Altstadtkommission abgelehnt und sie aufgefordert wurde, architektonischen Ausdruck und Form an das organische Gebilde anzupassen. Fatal, denn die Solitärwirkung der Architektur des Speisesaals ist massiv beeinträchtigt. Das Ergebnis kann nicht anders als misslungen bewertet werden, auch wenn der finanzielle Aufwand zur gewünschten qualitativen Analogie überproportional hoch war. Der Leiter des steirischen BDA, Christian Brugger, sieht darin keine (Zer-)Störung des Baudenkmals, „weil der Speisesaal so stark ist“, und ergänzt, dass die nunmehrige Hinzufügung „ein Bauwerk ist, das ja wieder einmal rückgebaut werden kann“.
Wer wie die Autorin diese Einschätzung nicht teilt, ist der Meinung, dass bei dem Schlüsselwerk der „Grazer Schule“ die Fachleute beider Institutionen versagt haben. Ihre Aufgabe wäre gewesen, Überzeugungsarbeit zu leisten und die jetzige Leitung der Schulschwestern für die Erkenntnis zu gewinnen, dass dieser Solitär keine zusätzliche Anbindung an das Klostergeviert verträgt. Aufgabe der Architektin des Umbaus wäre gewesen, eine Alternative für die gewünschte Entflechtung zu entwickeln, durch die der Verbindungsbau entfallen wäre. Ich behaupte, dass dies mit einer guten Idee und Überzeugungskraft hätte gelingen können. Erforderlich dafür wäre allerdings Expertise gewesen – sich der Bauaufgabe tiefgehend zu widmen, Charakteristik und Qualität des Denkmals umfassend zu analysieren und es aus dieser Erkenntnis heraus vor Verschandelung zu schützen.
Was an Baukultur dieser wichtigen Zeit des Aufbruchs in Österreich werden wir unseren Kindern und Kindeskindern hinterlassen, was wird der Zukunft eine identitätsstiftende Vergangenheit geben können?
Die Forderung, sich endlich systematisch und umfassend dieser Periode des Wiederaufbaus zu widmen, richtet sich an das Bundesdenkmalamt, das diese Notwendigkeit selbst schon 2008 angesprochen hat. Was davon ist es wert, in die jüngere österreichische Architekturgeschichte aufgenommen zu werden? Gefordert wird die Erarbeitung von Wissen und Beurteilungskriterien zur Thematik. Analysekompetenz ist die wichtigste Grundlage für den Diskurs zur respektvollen, adäquaten Erhaltung von wichtigen Baudenkmälern, der mit Eigentümern und Nutzern geführt werden muss. Zurzeit scheinen Kompetenz und eine klare Haltung noch nicht vorhanden. Das wird am Umgang mit Bauten in ganz Österreich, die akut gefährdet oder schon zerstört sind, sichtbar. In der Beschreibung des Aufgabenbereichs des BDA Steiermark findet sich ein bemerkenswertes Bekenntnis: „In Graz findet auch die jüngere Architektur in der Denkmalpflege Beachtung, die ,Grazer Schule‘ zählt dabei zu den bekanntesten Phänomenen der österreichischen Architektur des 20. Jahrhunderts.“
Der Speisesaal der Schulschwestern (1973–77) von Günther Domenig und Eilfried Huth in Graz-Eggenberg stellt ein Schlüsselwerk jener lokalen Architekturbewegung dar, die der verflachten, nur mehr funktionalistisch geprägten Moderne des Wiederaufbaus eine Abfuhr erteilte. Das Bauwerk im Innenhof des Klostergevierts „mit seiner frei geformten, animalisch anmutenden Struktur aus Spritzbeton“ (Achleitner) symbolisiert den Wertewandel zu einer individualisierten, auf den Ort bezogenen Bearbeitung jeder Bauaufgabe.
Nun wurde dem Speisesaal, der nach Paragraf 2a als Bau im öffentlichen oder kirchlichen Eigentum unter Schutz gestellt worden war, ein neuer Verbindungsgang zum Schultrakt des Klosters hinzugefügt – unter Einbeziehung und Begleitung der Altstadtkommission und des Bundesdenkmalamts in Graz. Die Architekten gingen an das kleine Bauwerk seinerzeit heran wie an eine Skulptur. In die Diagonale gesetzt, sollte es ein Kontrapunkt zur strengen Orthogonalität des Klostergevierts werden. Ein Merkmal solch plastisch-organischer Ausformung von Räumen ist, dass sie als solitäre Form Wirkkraft entfalten, auch dann, wenn wie beim Speisesaal der Baukörper (welch passender Ausdruck!) über einen offenen Gang an den Bestand angebunden wird. Auch eine zweite Verbindung zum Klostertrakt gab es von Anfang an – sorgfältig gewählt, von Besuchern gar nicht wahrgenommen war jene zur Küche, aus der die Speisen in den Saal gebracht wurden.
1988 ließ man die Spritzbetonschale aufwendig mit Rheinzink überziehen, um einer größeren Undichtheit des Daches zuvorzukommen. Veränderungen passierten also, die Solitärwirkung blieb. Vor wenigen Jahren stellten die Schwestern nun die Versorgung über die hauseigene Küche ein. Mit der externen Anlieferung der Speisen wollte man auch die Funktionsabläufe entflechten, weg vom internen Teil des Klosters. Die Lösung dafür sahen die Klosteroberin und die Architektin nur in der nun neu positionierten Essensausgabe, in einer im Schultrakt situierten Abwäsche und einem neuen Verbindungsgang. Die Altstadtkommission als Begutachterin und das Bundesdenkmalamt schlossen sich dieser Meinung an.
Ein großer Fehler, denn diese Maßnahme wirkt sich gravierend aus. Der von den Architekten präzise gesetzte frühere Ausgang in den liebevoll gepflegten Blumengarten mit exotischen Bäumen wurde geschlossen, fungiert nun als Anschluss zum Anbau. Dabei war das kleine Landschaftsstück mit organischer Anordnung von Wegen und Beeten schon in einer Zeichnung von Domenig als integraler Teil des Bauwerks angelegt. Nun wurde es in zwei Teile zerschnitten, von denen einer weitgehend der neuen Zufahrt zum Opfer fiel.
Die Architektin erzählt, dass ihr schlichter Erstentwurf des Verbindungsgangs von der Altstadtkommission abgelehnt und sie aufgefordert wurde, architektonischen Ausdruck und Form an das organische Gebilde anzupassen. Fatal, denn die Solitärwirkung der Architektur des Speisesaals ist massiv beeinträchtigt. Das Ergebnis kann nicht anders als misslungen bewertet werden, auch wenn der finanzielle Aufwand zur gewünschten qualitativen Analogie überproportional hoch war. Der Leiter des steirischen BDA, Christian Brugger, sieht darin keine (Zer-)Störung des Baudenkmals, „weil der Speisesaal so stark ist“, und ergänzt, dass die nunmehrige Hinzufügung „ein Bauwerk ist, das ja wieder einmal rückgebaut werden kann“.
Wer wie die Autorin diese Einschätzung nicht teilt, ist der Meinung, dass bei dem Schlüsselwerk der „Grazer Schule“ die Fachleute beider Institutionen versagt haben. Ihre Aufgabe wäre gewesen, Überzeugungsarbeit zu leisten und die jetzige Leitung der Schulschwestern für die Erkenntnis zu gewinnen, dass dieser Solitär keine zusätzliche Anbindung an das Klostergeviert verträgt. Aufgabe der Architektin des Umbaus wäre gewesen, eine Alternative für die gewünschte Entflechtung zu entwickeln, durch die der Verbindungsbau entfallen wäre. Ich behaupte, dass dies mit einer guten Idee und Überzeugungskraft hätte gelingen können. Erforderlich dafür wäre allerdings Expertise gewesen – sich der Bauaufgabe tiefgehend zu widmen, Charakteristik und Qualität des Denkmals umfassend zu analysieren und es aus dieser Erkenntnis heraus vor Verschandelung zu schützen.
Was an Baukultur dieser wichtigen Zeit des Aufbruchs in Österreich werden wir unseren Kindern und Kindeskindern hinterlassen, was wird der Zukunft eine identitätsstiftende Vergangenheit geben können?
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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