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Form für das Chaos
Spectrum

Kein städtischer Raumtypus bildet die Strukturen und Entwicklungen eines Gesellschaftssystems besser ab als öffentliche Grünflächen – so wächst die Verantwortung der Landschaftsarchitektur. Eine Konferenz in Wien widmete sich dem Thema.

16. Juni 2018 - Stephanie Drlik
Landschaftsarchitekten sind als Lebensraumgestalter ähnlichen Rahmenbedingungen unterworfen wie Planerinnen und Planer anderer kreativer Disziplinen. Eine Vielzahl an – sichtbaren und unsichtbaren – Regelwerken begleitet ihre Arbeit und formt folglich unsere Lebensräume. Neben bindenden legislativen Gesetzen, Verordnungen, Richtlinien und Normen und jenen Ansprüchen, die das Fach vorgibt, ist die Gestaltung des Freiraumes insbesondere an gesellschaftliche, kulturelle und baukulturelle Codes und Gebräuchlichkeiten gebunden.

Erst unlängst hat das Architekturzentrum Wien (AzW) in der Ausstellung „Form folgt Paragraph“ Zusammenhänge zwischen dem Vorschriftswesen, gesellschaftlichen und baukulturellen Paradigmen und der gebauten Architektur unter die Lupe genommen. Erfreulich, dass vergangene Woche die Auseinandersetzung mit dem wichtigen Thema vertieft und um den öffentlichen Raum, im Speziellen den öffentlichen Park, erweitert wurde. „Park Politics – Die Rolle der Politik für die Gestaltung des öffentlichen Raumes“, so der Name der internationalen Konferenz, veranstaltet vom Institut für Landschaftsarchitektur (ILA) der Boku in Kooperation mit dem AzW.

Kaum ein städtischer Raumtypus bildet die soziokulturellen, politischen und umweltpolitischen Strukturen und Entwicklungen eines Gesellschaftssystems deutlicher ab als der öffentliche Raum. Insbesondere öffentliche Parkanlagen sind ein Spiegel ihrer Zeit. Man denke an die großen, feudalen Wiener Parkanlagen, die noch Jahrzehnte nach der Demokratiewende mehr dem Repräsentieren als dem öffentlichen Nutzen dienten. Ein sauberes und aufgeräumtes Erscheinungsbild mit geregelten Nutzungen auf vorgegebenen Pfaden galt hierzulande bis in die späten 1970er-Jahre als Parkideal. So waren das Betreten und Benutzen der Rasenflächen untersagt. Erst der Kampf um die „Rasenfreiheit“, der im Wiener Burggarten seinen Anfang nahm, zeigte, dass die kommunalen Vorgaben nicht mehr den gesellschaftlichen Entwicklungen und Vorstellungen entsprachen. Auf Druck der Bevölkerung für mehr Nutzungsfreiheit im öffentlichen Raum wurde das Verbot aufgehoben.

Waren also lange Zeit politische Reglements raum- und nutzungsprägend, so hat sich in der postpolitischen Ära die Ökonomie als leitende Rationale für die Gestaltung des öffentlichen Raumes durchgesetzt: Errichtungs-, Pflege- und Erhaltungskosten spielen heute, so die Organisatorinnen der Konferenz, eine dominierende Rolle. Andererseits findet gerade in wachsenden Städten eine Repolitisierung im Bereich der Raumverteilung und -regulierung statt. Ein Paradoxon, denn dem deutlich zunehmenden Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger in Bezug auf ihre Rechte und dem emanzipierten Einfordern des verfügbaren öffentlichen Raumes steht eine Art Selbstentmündigung gegenüber. Die Verantwortung zur Herstellung, zur Instandhaltung und für die Konsequenzen des eigenen Handelns im urbanen Raum wird bereitwillig an Stadtverwaltungen abgegeben, was jedoch einen Wust an Reglementierungen bedingt. Und so ergibt diese Gegensätzlichkeit aus dem einerseits wachsenden Wunsch nach Beteiligung und Mitsprache der Nutzer und den andererseits zunehmenden Regulierungen der heimischen Verwaltungsabteilungen oftmals skurrile inhaltliche und gestalterische Raumlösungen, die es in vielerlei Hinsicht zu hinterfragen gilt.

Das Thema der Parkpolitik ist also reichlich komplex. Und die erwähnte Konferenz hat es mit sechs Keynotes, acht Sessions und 29 Vorträgen, die von Ankara über Bangkok und Brasilien bis nach Medellin, Oslo und Tel Aviv führten, auch durchaus weit aufgespannt. Jedenfalls tut der Blick über den österreichischen und landschaftsarchitektonischen Tellerrand gut. Man lud neben zahlreichen namhaften Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten wie Johanna Gibbons und Neil Davidson (J&L, London), Marti Franch Batllori (EMF, Girona), Leonard Grosch (Atelier Loidl, Berlin) und Isolde Rajek (Rajek Barosch, Wien) auch renommierte nationale und internationale Wissenschaftler und Redner fachverwandter Disziplinen nach Wien. Es referierte etwa der bekannte Schweizer Grafikdesigner Ruedi Baur über die territoriale Identität und das Corporate Design von Städten. Die amerikanische Künstlerin Emily Eliza Scott, die das Kunstkollektiv Los Angeles Urban Rangers verantwortet, gewährte Einblicke in ihre partizipative Arbeit im Raum und erweiterte die landschaftsarchitektonische Sicht um eine konzeptionell-künstlerische Dimension. Ebenso unter den Vortragenden war der deutsche Geograf Bernd Belina, der sich mit Fragen zur Regulierung und Überwachung des öffentlichen Raumes auseinandersetzte, was als Beitrag zu den Geschehnissen am Wiener Praterstern nicht passender hätte sein können.

Die zahlreichen Vorträge aus Wissenschaft und Praxis veranschaulichten die Vielfalt des Themas, aber auch das sehr verschiedenartige Verständnis von Park Politics, das je nach disziplinärem Schwerpunkt, kulturellem Hintergrund und Wirkungsbereich der Vortragenden unterschiedlich interpretiert wurde. So ging es um die Verfügbarkeit und gerechte Verteilung von Raum, um Landnutzungstransformationen, um Aneignungs- und Beteiligungsprozesse, um Maßstäblichkeiten, um Privatisierungstendenzen, um das Recht auf Natur in der Stadt, um behördliche Gestaltungs- und Nutzungsreglementierungen, um Ethik, Moral und soziale Verantwortung, um Gentrifizierung und gelungenere Steuerungsprozesse, um den Erhalt historischer Werte, um das Recht auf Ökologie und Biodiversität, um Werte, Kosten und Finanzierungswege, um Bäume, um Tourismus und nicht zuletzt um formale Gestaltungskonzepte, die stabil und gleichzeitig flexibel genug sein müssen, um all den diskutierten gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen standzuhalten.

Aus den zahlreichen präsentierten Steuerungsmöglichkeiten der Landschaftsarchitektur konnten nur wenige allgemeingültige Strategien abgelesen werden. Zu heterogen waren die Beiträge und zu einzigartig und speziell sind lokale Gegebenheiten und Anforderungen jedes Projektes. Doch eines wird nach drei Tagen Konferenz auch hier klar: Das alles ist sehr kompliziert. Und wie der eben zitierte Fred Sinowatz schon einstmals ergänzend hinwies, so gilt auch in Sachen Park Politics, dass es in einer pluralistischen Demokratie nun mal keine perfekten Lösungen für alles und für jeden geben kann. Was die Konferenz jedenfalls klargemacht hat, ist die wachsende Verantwortung, die bei den planenden, gestaltenden und prozessbegleitenden Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten liegt. Denn – um das vorangegangene Zitat mit einem ebenso sinnhaften Ausspruch von Samuel Beckett zu bekräftigen – eine Form zu finden, die das Durcheinander fasst, das ist nunmehr die Aufgabe des Künstlers.

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