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Architektenduo Lacaton & Vassal: Luxus für alle
Das französische Architektenduo denkt Architektur radikal anders und zeigt, wie mehr Raum für weniger Geld entsteht. Eine Innsbrucker Schau stellt ihr Bauen vor
26. Juni 2018 - Nicola Weber
Das französische Architektenduo denkt Architektur radikal anders und zeigt, wie mehr Raum für weniger Geld entsteht. Eine Innsbrucker Schau stellt ihr Bauen vor
Ein schattiger Platz mit Aussicht, ein Sonnenbad vor der Fassade im 20. Stock, das leere Volumen einer Werfthalle nur zum Durchspazieren, ein luftiger Platz, um Freunde einzuladen oder zu tanzen – ist das Luxus? Nach den Maßstäben der französischen Architekten Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal unbedingt.
„Es besteht kein Zusammenhang zwischen Luxus und Geld. Luxus hat mit Vergnügen zu tun, mit Großzügigkeit und der Freiheit, genug Raum für die Entfaltung des Lebens zu haben.“ Also muss es Ziel der Architektur sein, ein Maximum an Raum mit einem Minimum an Material zu erzeugen, und das zu möglichst niedrigen Kosten. Eine anspruchsvolle Aufgabe in Zeiten von Minimal Housing, überbordenden Bauvorschriften und investorengesteuertem Städtebau. Das Innsbrucker Architektur und Tirol (Aut) stellt das Büro Lacaton & Vassal als einen der wichtigsten internationalen Vertreter einer ganz und gar sozialen Architektur vor: sozial in einem erfrischend anderen Wortsinn, der nichts mit Bedürftigkeit zu tun hat, sondern mit dem Anspruch, lebensnah, menschlich, klug und pragmatisch zu sein und das Bauen radikal anders zu denken – in Wohn- ebenso wie in Kulturprojekten. Die Schau inhabiting: pleasure and luxury for everyone kommt dabei so luftig und unaufgeregt daher, wie die gezeigte Architektur. Latapie zum Beispiel, das erste Einfamilienhaus der Architekten (1993), besteht aus einem einfachen Holzkörper mit allen notwendigen Funktionen, über den sich eine viel größere, gewächshausähnliche Hülle stülpt, die als erweiterter Lebensraum fungiert. 185 Quadratmeter entstanden so für damals rund 55.000 Euro.
Von da an blieb das Konzept des Gewächshauses eine ihrer zentralen Strategien. So konnten sowohl die Baukosten gering als auch die bioklimatischen Bedingungen ideal gehalten werden. Obendrein konnte die Wohnfläche um eine oft beträchtlich große Wintergartenzone, die alle Freiheiten zu Aneignung offen hält, erweitert werden. „Die Technologie von Gewächshäusern ist enorm hochentwickelt, weil sich die industrielle Landwirtschaft kein Versagen leisten kann“, erklärt Anne Lacaton. „Mit einfachsten Mitteln können die Bewohner Sonne, Licht und Luftzirkulation beeinflussen.“ Das heißt allerdings, sich dem Klima zu öffnen und aktiv damit zu agieren, anstatt dagegen anzukämpfen. „Ein Fenster zu öffnen gilt heute als Fehler“, ärgert sich Lacaton. Passivhaustechnologie? „Zu anspruchsvoll. Es geht einfacher und billiger.“ Sinnlose Baunormen gilt es da immer wieder zu bekämpfen, findet sie. Mag sein, dass an dieser Denkweise Jean-Philippe Vassals fünfjähriger Afrikaaufenthalt nicht ganz unschuldig ist. „Aus fast nichts etwas Nützliches und zugleich Poetisches zu machen, das hat mich sehr beeinflusst“, bestätigt er.
Die meisten Bilder ihrer Architekturen zeigen Innenräume in ihrer alltäglichen Unperfektheit. Für die Fotos wird nicht mal ein Häkeldeckchen entfernt oder eine Kaffeetasse verrückt. Das ist bezeichnend, denn „die Benutzung ist Teil unserer Architektur“, sagt Anne Lacaton. Sichtbar auch im großen Maßstab beim Tour Bois-le Prêtre, einem Pariser Wohnhochhaus aus den 1960er-Jahren, das die Architekten gemeinsam mit Frédéric Druot 2004 einer Transformation unterzogen haben. Reichtum des Raumes Als Reaktion auf die radikalen Abrisspläne des französischen Staats wies das Trio 2004 in ihrer vielbeachteten Studie „Plus“ nach, dass die Renovierung und Erweiterung der Wohnfläche mit klimatischen Pufferräumen zu einem Drittel der Kosten machbar wäre. Noch dazu müsse keiner der Bewohner abgesiedelt werden. Die Pilotprojekte zeigen, wie man in ganz Europa mit den ungeliebten Nachkriegsbauten umgehen könnte – und auch, dass es Sanierungsalternativen zum Verpacken von Häusern in zwanzig Zentimeter Vollwärmeschutz gibt. „Der wirkliche Reichtum ist der vorhandene Raum. Hätten wir den verbaut, wäre die ganze Qualität zerstört“, erklärt Jean-Philippe Vassal das Konzept für den Kulturbau des FRAC im nordfranzösischen Dünkirchen. Ein identischer „Zwilling“ ermöglichte den Erhalt der beeindruckenden alten Werfthalle als leeres Volumen und komprimierte die Funktionen der Kunstsammlung in einem zweiten Gebäude, die Kosten waren niedriger als gefordert.
Wie in vielen Projekten (etwa beim Pariser Palais de Tokyo, einem der international aufsehenerregendsten Kulturprojekte der beiden) wird hier eine zentrale Haltung von Lacaton & Vassal deutlich: Das Vorhandene verdient Wertschätzung, seine Geschichte ist ein Reichtum, der lohnt, erhalten und weiter verdichtet zu werden. Auch das ist Luxus.
Ein schattiger Platz mit Aussicht, ein Sonnenbad vor der Fassade im 20. Stock, das leere Volumen einer Werfthalle nur zum Durchspazieren, ein luftiger Platz, um Freunde einzuladen oder zu tanzen – ist das Luxus? Nach den Maßstäben der französischen Architekten Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal unbedingt.
„Es besteht kein Zusammenhang zwischen Luxus und Geld. Luxus hat mit Vergnügen zu tun, mit Großzügigkeit und der Freiheit, genug Raum für die Entfaltung des Lebens zu haben.“ Also muss es Ziel der Architektur sein, ein Maximum an Raum mit einem Minimum an Material zu erzeugen, und das zu möglichst niedrigen Kosten. Eine anspruchsvolle Aufgabe in Zeiten von Minimal Housing, überbordenden Bauvorschriften und investorengesteuertem Städtebau. Das Innsbrucker Architektur und Tirol (Aut) stellt das Büro Lacaton & Vassal als einen der wichtigsten internationalen Vertreter einer ganz und gar sozialen Architektur vor: sozial in einem erfrischend anderen Wortsinn, der nichts mit Bedürftigkeit zu tun hat, sondern mit dem Anspruch, lebensnah, menschlich, klug und pragmatisch zu sein und das Bauen radikal anders zu denken – in Wohn- ebenso wie in Kulturprojekten. Die Schau inhabiting: pleasure and luxury for everyone kommt dabei so luftig und unaufgeregt daher, wie die gezeigte Architektur. Latapie zum Beispiel, das erste Einfamilienhaus der Architekten (1993), besteht aus einem einfachen Holzkörper mit allen notwendigen Funktionen, über den sich eine viel größere, gewächshausähnliche Hülle stülpt, die als erweiterter Lebensraum fungiert. 185 Quadratmeter entstanden so für damals rund 55.000 Euro.
Von da an blieb das Konzept des Gewächshauses eine ihrer zentralen Strategien. So konnten sowohl die Baukosten gering als auch die bioklimatischen Bedingungen ideal gehalten werden. Obendrein konnte die Wohnfläche um eine oft beträchtlich große Wintergartenzone, die alle Freiheiten zu Aneignung offen hält, erweitert werden. „Die Technologie von Gewächshäusern ist enorm hochentwickelt, weil sich die industrielle Landwirtschaft kein Versagen leisten kann“, erklärt Anne Lacaton. „Mit einfachsten Mitteln können die Bewohner Sonne, Licht und Luftzirkulation beeinflussen.“ Das heißt allerdings, sich dem Klima zu öffnen und aktiv damit zu agieren, anstatt dagegen anzukämpfen. „Ein Fenster zu öffnen gilt heute als Fehler“, ärgert sich Lacaton. Passivhaustechnologie? „Zu anspruchsvoll. Es geht einfacher und billiger.“ Sinnlose Baunormen gilt es da immer wieder zu bekämpfen, findet sie. Mag sein, dass an dieser Denkweise Jean-Philippe Vassals fünfjähriger Afrikaaufenthalt nicht ganz unschuldig ist. „Aus fast nichts etwas Nützliches und zugleich Poetisches zu machen, das hat mich sehr beeinflusst“, bestätigt er.
Die meisten Bilder ihrer Architekturen zeigen Innenräume in ihrer alltäglichen Unperfektheit. Für die Fotos wird nicht mal ein Häkeldeckchen entfernt oder eine Kaffeetasse verrückt. Das ist bezeichnend, denn „die Benutzung ist Teil unserer Architektur“, sagt Anne Lacaton. Sichtbar auch im großen Maßstab beim Tour Bois-le Prêtre, einem Pariser Wohnhochhaus aus den 1960er-Jahren, das die Architekten gemeinsam mit Frédéric Druot 2004 einer Transformation unterzogen haben. Reichtum des Raumes Als Reaktion auf die radikalen Abrisspläne des französischen Staats wies das Trio 2004 in ihrer vielbeachteten Studie „Plus“ nach, dass die Renovierung und Erweiterung der Wohnfläche mit klimatischen Pufferräumen zu einem Drittel der Kosten machbar wäre. Noch dazu müsse keiner der Bewohner abgesiedelt werden. Die Pilotprojekte zeigen, wie man in ganz Europa mit den ungeliebten Nachkriegsbauten umgehen könnte – und auch, dass es Sanierungsalternativen zum Verpacken von Häusern in zwanzig Zentimeter Vollwärmeschutz gibt. „Der wirkliche Reichtum ist der vorhandene Raum. Hätten wir den verbaut, wäre die ganze Qualität zerstört“, erklärt Jean-Philippe Vassal das Konzept für den Kulturbau des FRAC im nordfranzösischen Dünkirchen. Ein identischer „Zwilling“ ermöglichte den Erhalt der beeindruckenden alten Werfthalle als leeres Volumen und komprimierte die Funktionen der Kunstsammlung in einem zweiten Gebäude, die Kosten waren niedriger als gefordert.
Wie in vielen Projekten (etwa beim Pariser Palais de Tokyo, einem der international aufsehenerregendsten Kulturprojekte der beiden) wird hier eine zentrale Haltung von Lacaton & Vassal deutlich: Das Vorhandene verdient Wertschätzung, seine Geschichte ist ein Reichtum, der lohnt, erhalten und weiter verdichtet zu werden. Auch das ist Luxus.
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