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Eine fruchtbare Romanze
Es war einmal eine kleine Villa an der Copacabana, im Besitz der Republik Österreich – ein letztes Monument der Moderne. 2012 wurde das „Rosa Haus“ verkauft, heute steht dort das Hotel Emiliano – ein würdiger Nachfolgebau samt innovativem Sonnenschutzsystem.
23. Juni 2018 - Ute Woltron
Wo, wenn nicht in der Architektur, kann man sich anschaulicher auf die Suche nach der verlorenen Zeit begeben, kann dem Geist untergegangener Epochen unmittelbar nachspüren und so das Gestern mit dem Heute gedanklich verknüpfen? Nicht alle alten Häuser sprechen eine sympathische Sprache, aber manche von ihnen doch, und meistens erzählen sie uns grundlegende Geschichten. Sie berichten aus der Zeit, in der sie gebaut wurden, von den Menschen, die sie in Auftrag gaben, die sie bewohnten, und von den Architekten, die sie entwarfen.
Lange Zeit besaß die Republik Österreich eines dieser Kleinodien - eine schmale Villa, die seit Mitte der 1920er-Jahre am Strand der Strände stand, direkt vorne an der Wasserlinie der Copacabana in Rio de Janeiro. Ab 1929 waren darin abwechselnd die österreichische Gesandtschaft, die Botschaft und zuletzt das Generalkonsulat untergebracht. Im Jahr 2012 verkaufte die Republik im Rahmen des allgemeinen Familiensilberverscherbelns schließlich auch das „Rosa Haus“ am anderen Ende der Welt an einen Immobilieninvestor. Der legte dafür wenig überraschend die stattliche Summe von 11,87 Millionen Euro auf den Tisch, weil es ihm natürlich nicht um das historische Gebäude ging, sondern um die etwa 1000 Quadratmeter Grund und Boden, auf dem es inmitten dichtester Bebauung stand.
Als der Architekt Julio de Abreu Junior das Häuschen für den 1865 auf dem Gebiet des heutigen Tschechien geborenen, nach Brasilien ausgewanderten Kaffee-Exporteur Hugo Ornstein plante, war die Avenida Atlântica gerade einmal ein Sträßchen, und die Atlantikwellen schäumten noch ungebändigt weit hinauf an den Strand. Die heute weltberühmte Skyline war noch nicht einmal als Ahnung vorhanden. Lediglich die historistische Prunkarchitektur des damals ebenfalls gerade fertiggestellten Hotels Copacabana Palace deutete auf eine möglicherweise glamouröse Zukunft dieses gottgeküssten Stadtstreifens zwischen Meer und Granitfelsen hin. Im Vergleich zum schnörkelreichen Hotelkasten war das zweigeschoßige Häuschen eine Winzigkeit, und doch war es etwas Besonderes. Denn im Gegensatz zu dem bereits zu seiner Entstehungszeit der Vergangenheit huldigenden Copacabana Palace, heute übrigens immer noch das erste Haus am Platz, war es als eines der ersten an der Strandpromenade dem neuen Zeitgeist der Moderne verpflichtet. Als zierlicher kleiner Kubus, rosa angepinselt, stand es da, hielt sozusagen fast hundert Jahre lang als eines der ersten, später als letztes verbliebenes Monument der Moderne die Stellung, wie ein Zwergenhäuschen zwischen all den Hochhäusern, die es über die Jahrzehnte von allen Seiten mächtig zu beschatten begannen.
Sein vormaliger Besitzer und Bauherr Hugo Ornstein, ein offenbar umtriebiger, kunstsinniger Geselle, der zum Generalkonsul der österreichischen Republik ernannt wurde, starb 1936. Laut dem Handbuch des Österreichischen Auswärtigen Dienstes stand die Immobilie bereits ab 1931 im Bundeseigentum, doch die Wertschätzung verlor sich über die Jahre. Und da es Immobilieninvestoren gewöhnlich nicht um die Architektur der Moderne geht, sondern um Filetstücke im Fleisch der Stadt, wurde das Häuschen abgerissen. Nun ist es endgültig Vergangenheit, und seine Geschichte wird sich im Treibsand der Zeit verlieren.
So weit der Nostalgieausflug ins Gestern, doch nun zurückgehüpft ins Heute: Obwohl brasilianische Kunst- und Architekturhistoriker sowie viele Bewohner der Copacabana den Verlust des charmanten Rosa Hauses betrauern, erwidert den Jammer zumindest eine erfreulich qualitätsvolle Architektur. Die Baulücke zeigt sich mit Würde und Eleganz mit einem Gebäude befüllt, das seinerseits nicht auf die Vergangenheit vergisst, sondern dem bereits Gedachten, Geplanten und für gut Befundenen in zeitgenössischer Interpretation huldigt.
Das Hotel Emiliano, davon ist sein Architekt, der US-Amerikaner Chad Oppenheim, überzeugt, befindet sich in der „bei Weitem schönsten Stadt der Welt“. Sein Entwurf sei „das Resultat einer Liebesbeziehung zu Rio“, der Stadt, die „das harmonische Zusammenspiel zwischen Mensch und Landschaft zelebriert“. Die Romanze erwies sich als fruchtbar. Die eigenwillige, doch gar nicht eitle Fassade des Hotels schmiegt sich harmonisch zwischen die benachbarten Wohnhäuser aus den 1950er-Jahren und nimmt dabei eine Idee auf, die Le Corbusier seinerzeit perfektionierte, jedoch in Rio erstmals in den 1930er-Jahren in einem gemeinsam mit Lucio Costa, Affonso Eduardo Reidy, Roberto Burle Marx und am Rande auch Oscar Niemeyer geplanten Ministeriumsgebäude ins historische Zentrum der Stadt stellte.
Die geschickt strukturierte Fassade des Palácio Gustavo Capanema schirmt sein Inneres mittels fixer vertikaler Betonscheiben sowie vorgesetzter, beweglicher, horizontaler Lamellen gegen die Tropensonne ab. Dieses Brise Soleil genannte System sorgt mit wenig Aufwand für Kühle, und Chad Oppenheim interpretierte es für das Hotel Emiliano mit vertikal verschiebbaren, geschoßhohen Fassadenpaneelen um. Die Gäste können die vorgesetzten Scheiben nach individuellen Bedürfnissen einstellen, was der Fassade eine fröhliche Lebhaftigkeit verleiht. Zwölf Geschoße beherbergen 90 Hotelzimmer sowie die erforderlichen Infrastrukturen wie Konferenzräumlichkeiten, Bars und – für ein Fünfsternehaus an der Copacabana unerlässlich – eine prachtvolle Pool- und Dschungellandschaft auf dem Dach. Für die elegante Innenausstattung zeichnet der brasilianische Architekt Arthur Casas verantwortlich, und auch der verneigt sich mit zeitgenössischem Knicks vor seinen Vorgängern, allen voran vor Landschafts- und Gartenarchitekt Roberto Burle Marx, der der Copacabana in den 1970er-Jahren ihr charakteristisches Pflastermuster gab.
Casas mixte klassisches brasilianisches Möbeldesign gekonnt mit eigenen Entwürfen, legte Bedacht auf lokale Materialien wie Hölzer und Steine und holte die Wellenlandschaft der Berge und Strände Rios mit geschwungenen Wandelementen und tropisch überwucherten Wänden in das Gebäudeinnere. Chad Oppenheim sagt, gemeinsam wollten sie die „Essenz Rios einfangen“ und die Gäste mit allem verwöhnen, was die Stadt zu bieten hat, mit „ihrem Geist, der Lebenslust ihrer Einwohner, der Liebe zur Natur und den majestätischen Ausblicken“. Auch am anderen Ende der Copacabana hat sich eine der raren Baulücken aufgetan und wird eben mit einem luxuriösen Wohngebäude befüllt. Der Entwurf dazu stammt von der 2016 verstorbenen Architektin Zaha Hadid. Auch in diesem Gebäude sind Anklänge an das seinerzeit in Rio etablierte Brise-Soleil-Prinzip erkennbar – wenngleich in exaltierter, doch etwas eitler Manier.
Lange Zeit besaß die Republik Österreich eines dieser Kleinodien - eine schmale Villa, die seit Mitte der 1920er-Jahre am Strand der Strände stand, direkt vorne an der Wasserlinie der Copacabana in Rio de Janeiro. Ab 1929 waren darin abwechselnd die österreichische Gesandtschaft, die Botschaft und zuletzt das Generalkonsulat untergebracht. Im Jahr 2012 verkaufte die Republik im Rahmen des allgemeinen Familiensilberverscherbelns schließlich auch das „Rosa Haus“ am anderen Ende der Welt an einen Immobilieninvestor. Der legte dafür wenig überraschend die stattliche Summe von 11,87 Millionen Euro auf den Tisch, weil es ihm natürlich nicht um das historische Gebäude ging, sondern um die etwa 1000 Quadratmeter Grund und Boden, auf dem es inmitten dichtester Bebauung stand.
Als der Architekt Julio de Abreu Junior das Häuschen für den 1865 auf dem Gebiet des heutigen Tschechien geborenen, nach Brasilien ausgewanderten Kaffee-Exporteur Hugo Ornstein plante, war die Avenida Atlântica gerade einmal ein Sträßchen, und die Atlantikwellen schäumten noch ungebändigt weit hinauf an den Strand. Die heute weltberühmte Skyline war noch nicht einmal als Ahnung vorhanden. Lediglich die historistische Prunkarchitektur des damals ebenfalls gerade fertiggestellten Hotels Copacabana Palace deutete auf eine möglicherweise glamouröse Zukunft dieses gottgeküssten Stadtstreifens zwischen Meer und Granitfelsen hin. Im Vergleich zum schnörkelreichen Hotelkasten war das zweigeschoßige Häuschen eine Winzigkeit, und doch war es etwas Besonderes. Denn im Gegensatz zu dem bereits zu seiner Entstehungszeit der Vergangenheit huldigenden Copacabana Palace, heute übrigens immer noch das erste Haus am Platz, war es als eines der ersten an der Strandpromenade dem neuen Zeitgeist der Moderne verpflichtet. Als zierlicher kleiner Kubus, rosa angepinselt, stand es da, hielt sozusagen fast hundert Jahre lang als eines der ersten, später als letztes verbliebenes Monument der Moderne die Stellung, wie ein Zwergenhäuschen zwischen all den Hochhäusern, die es über die Jahrzehnte von allen Seiten mächtig zu beschatten begannen.
Sein vormaliger Besitzer und Bauherr Hugo Ornstein, ein offenbar umtriebiger, kunstsinniger Geselle, der zum Generalkonsul der österreichischen Republik ernannt wurde, starb 1936. Laut dem Handbuch des Österreichischen Auswärtigen Dienstes stand die Immobilie bereits ab 1931 im Bundeseigentum, doch die Wertschätzung verlor sich über die Jahre. Und da es Immobilieninvestoren gewöhnlich nicht um die Architektur der Moderne geht, sondern um Filetstücke im Fleisch der Stadt, wurde das Häuschen abgerissen. Nun ist es endgültig Vergangenheit, und seine Geschichte wird sich im Treibsand der Zeit verlieren.
So weit der Nostalgieausflug ins Gestern, doch nun zurückgehüpft ins Heute: Obwohl brasilianische Kunst- und Architekturhistoriker sowie viele Bewohner der Copacabana den Verlust des charmanten Rosa Hauses betrauern, erwidert den Jammer zumindest eine erfreulich qualitätsvolle Architektur. Die Baulücke zeigt sich mit Würde und Eleganz mit einem Gebäude befüllt, das seinerseits nicht auf die Vergangenheit vergisst, sondern dem bereits Gedachten, Geplanten und für gut Befundenen in zeitgenössischer Interpretation huldigt.
Das Hotel Emiliano, davon ist sein Architekt, der US-Amerikaner Chad Oppenheim, überzeugt, befindet sich in der „bei Weitem schönsten Stadt der Welt“. Sein Entwurf sei „das Resultat einer Liebesbeziehung zu Rio“, der Stadt, die „das harmonische Zusammenspiel zwischen Mensch und Landschaft zelebriert“. Die Romanze erwies sich als fruchtbar. Die eigenwillige, doch gar nicht eitle Fassade des Hotels schmiegt sich harmonisch zwischen die benachbarten Wohnhäuser aus den 1950er-Jahren und nimmt dabei eine Idee auf, die Le Corbusier seinerzeit perfektionierte, jedoch in Rio erstmals in den 1930er-Jahren in einem gemeinsam mit Lucio Costa, Affonso Eduardo Reidy, Roberto Burle Marx und am Rande auch Oscar Niemeyer geplanten Ministeriumsgebäude ins historische Zentrum der Stadt stellte.
Die geschickt strukturierte Fassade des Palácio Gustavo Capanema schirmt sein Inneres mittels fixer vertikaler Betonscheiben sowie vorgesetzter, beweglicher, horizontaler Lamellen gegen die Tropensonne ab. Dieses Brise Soleil genannte System sorgt mit wenig Aufwand für Kühle, und Chad Oppenheim interpretierte es für das Hotel Emiliano mit vertikal verschiebbaren, geschoßhohen Fassadenpaneelen um. Die Gäste können die vorgesetzten Scheiben nach individuellen Bedürfnissen einstellen, was der Fassade eine fröhliche Lebhaftigkeit verleiht. Zwölf Geschoße beherbergen 90 Hotelzimmer sowie die erforderlichen Infrastrukturen wie Konferenzräumlichkeiten, Bars und – für ein Fünfsternehaus an der Copacabana unerlässlich – eine prachtvolle Pool- und Dschungellandschaft auf dem Dach. Für die elegante Innenausstattung zeichnet der brasilianische Architekt Arthur Casas verantwortlich, und auch der verneigt sich mit zeitgenössischem Knicks vor seinen Vorgängern, allen voran vor Landschafts- und Gartenarchitekt Roberto Burle Marx, der der Copacabana in den 1970er-Jahren ihr charakteristisches Pflastermuster gab.
Casas mixte klassisches brasilianisches Möbeldesign gekonnt mit eigenen Entwürfen, legte Bedacht auf lokale Materialien wie Hölzer und Steine und holte die Wellenlandschaft der Berge und Strände Rios mit geschwungenen Wandelementen und tropisch überwucherten Wänden in das Gebäudeinnere. Chad Oppenheim sagt, gemeinsam wollten sie die „Essenz Rios einfangen“ und die Gäste mit allem verwöhnen, was die Stadt zu bieten hat, mit „ihrem Geist, der Lebenslust ihrer Einwohner, der Liebe zur Natur und den majestätischen Ausblicken“. Auch am anderen Ende der Copacabana hat sich eine der raren Baulücken aufgetan und wird eben mit einem luxuriösen Wohngebäude befüllt. Der Entwurf dazu stammt von der 2016 verstorbenen Architektin Zaha Hadid. Auch in diesem Gebäude sind Anklänge an das seinerzeit in Rio etablierte Brise-Soleil-Prinzip erkennbar – wenngleich in exaltierter, doch etwas eitler Manier.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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