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Leben und träumen in der Smart City
Der Standard

Nicht alles, was technisch demnächst verwirklichbar ist, ist auch wirtschaftlich sinnvoll oder erfüllt einen Bedarf. Smarte Veränderungen werden sich nur durchsetzen, wenn sie von den Menschen benötigt werden.

16. Juli 2018 - Michael Bobik
Ob Digitalisierung der größte Umbruch ist, den die Geschichte der Menschheit beschert hat, wage ich zu bezweifeln. Man sehe sich nur an, welche gewaltigen Neuerungen etwa die Jahre um 1890 hervorgebracht haben: Flächendeckende Eisenbahnnetze, Autos, öffentliche Wasserversorgung, Stromnetze, Impfungen – all das haben unsere Vorfahren in sehr kurzer Spanne in ihr Leben integriert. Aber zweifellos schlägt der Puls des Alltags durch die Digitalisierung schneller, jedenfalls weltumspannender.

Aber damals wie heute entsteht dadurch Angst vor dem Abgehängtwerden. Um sich den Charme der neuen Zeiten auszumalen, wird die sehr vage Vision des Smart Livings in Smart Citys entworfen. Einige Ideen lassen große Hoffnungen entstehen, andere große Ängste, manche sind einfach Märchen. Wenn man einmal unrealistisch ausufernde Fantasien, wie Personentransportkapseln in unterirdischen Röhren mit Überschall, beiseitelässt, bleibt noch ein weites Feld an dem, was wir von der Zukunft erhoffen könnten.

Eher Grätzelkommunikation

Es gibt als Reaktion auf die Verunsicherungen nicht wenige Smart-City-Initiativen, die sich nicht als technische Evolution, sondern als Initiativen zur Grätzelkommunikation bezeichnen lassen. Ihr Ziel ist die Umkehr zu mehr schichtenübergreifender Gemeinschaftlichkeit in einer Umgebung, in der die Arbeitswelt teamfremder und die Freizeitwelt individualisierter wird. Möglicherweise ist gerade die Stärkung von Gemeinschaftsinitiativen der Weg, einer Entfremdung in disruptiven Zeiten gegenzusteuern.

Nicht alles, was technisch verwirklichbar ist, ist auch wirtschaftlich sinnvoll, eine Umfeldverbesserung oder erfüllt einen Bedarf. Auch smarte Änderungen werden sich nur durchsetzen, wenn Menschen nicht nur kurzen Hypes folgen, sondern etwas auch nachhaltig wollen.

Was sind also die Randbedingungen, die neue smarte Lösungen erfüllen müssen, um sich durchzusetzen? Nicht zufällig könnte man statt von Smart Living oft von digitaler Transformation sprechen. Denn eigentlich geht es vorwiegend darum, zur Beschleunigung von Alltagsprozessen. Nur smarte Elektromobilität hat ihren Ursprung nicht in einer digitalen Wende, sondern in der Klimawandelstrategie. Zumindest geht es um Entmaterialisierung und damit um die Ablösung von engen Vorgaben für Zeit und Raum. So wie es uns SMS erstmals ermöglichten, den Gesprächspartner schnell zu kontaktieren, ohne sofort am Telefon zu sein. Lassen wir einmal beiseite, dass uns gelegentlich versprochen wird, durch Entlastung von Routinen mehr Zeit für „Wesentliches“ zu haben: Was ist denn für die meisten wesentlich? Wirkt es noch immer so wesentlich, wenn ich mehr davon habe?

Folgende Bedingungen müssen also erfüllt werden:

1) Subjektiv deutlich fühlbarer Nutzen gegenüber Bestehendem, Erlösung von Belastungen. So waren Autos um 1900 die Erlösung von massiv zunehmenden Pferdeexkrementen auf den Straßen.

2) Subjektiv beherrschbare gefährliche Nebenwirkungen.

3) Keine gefühlten Zugangsbarrieren, gleichberechtigter Zugang für alle Bildungsschichten und Generationen.

4) Leistbarkeit aus liquiden Mitteln: Einzelne rechnen nicht mit langen Abschreibungszeiten, sondern damit, was sie aktuell ausgeben können.

Es geht also nicht um objektive Vorteile in den Augen von Anbietern oder Verwaltung, sondern um die subjektive Einschätzung der Einzelnen. Drei Beispiele dafür:

Die Nutzung von Smart Metern zur Stromverbrauchsmessung im Haushalt wurde als großer Kundenvorteil bejubelt. Aber sie sind nur ein Vorteil für Netzbetreiber. Denn wie viele Haushalte sind wirklich daran interessiert, für eine Kostenreduktion von vielleicht 20 Euro pro Jahr etwas zu installieren, das sie laufend beobachten müssen, um sinnvoll reagieren zu können? Wie viele Leute verfolgen ihren Stromverbrauch so akribisch, wenn sie doch gleichzeitig das Licht brennen lassen, sobald sie einen Raum für zwei Stunden verlassen? Und: Kann jemand unkontrolliert auf meine Wohnung zugreifen?

Oder: Kann jemand garantieren, dass meine Unterlagen nicht gehackt werden, wenn ich sie irgendwo in der Cloud ablege? Da schaffe ich mir lieber eine externe Festplatte an oder ein Notizbuch, das ich in meiner Schublade verschließen kann.

Natürlich gibt es auch den Ehrgeiz der Zukunftsorientierten und die Spielfreude der jungen Generation, bei den Ersten zu sein, die Neuheiten nutzen. Österreicher sind bei Autos weitaus spendabler gegenüber der Fahrzeugindustrie als z. B. Italiener. Aber so weit, sich auf die heute noch unsichere Investition in ein Elektroauto einzulassen, sind dann doch nur wenige Idealisten. Das würde den obigen Punkten 1 und 4 widersprechen.

Was also wird als Smart Living oder Smart City in absehbarer Zeit zum Durchbruch gelangen?

Was hat Chancen ...

1) Alles, was den Zeit- und Planungsaufwand des Umgangs mit Behörden und wichtigen Nebentätigkeiten reduziert: E-Government, elektronische Amtswege, Online-Banking. Aber auch Hilfen im Alltag wie die automatisierte Nachbestellung von Druckerpatronen. Allerdings ist die Voraussetzung geringer Zugangsbarrieren bei weitem nicht erfüllt, sodass noch lange eine analoge Parallelwelt bestehen wird.

2) Alles, was die Verfügbarkeit von Gütern, deren Vielfalt nicht im Kaufhaus Platz hat, erweitert, also nicht die haptische Auswahl ersetzt. Aber wenn ich das bestellte, untertags nicht zugestellte Paket erst abends in einem Hinterhofpaketshop abholen muss, habe ich wohl das Gegenteil von Entlastung erreicht.

3) Alles, was Stress durch mühsame oder gefährliche Mobilität, Stau und entnervende Parkplatzsuche ersparen kann. Dazu gehören elektronische Parkplatzreservierungen, aber auch Videokonferenzen.

4) Alles, was Ubiquität ermöglicht, etwa dass man kurzfristig in zwei oder drei entfernten Städten geschäftliche oder private Termine erledigen kann. Allerdings hat auch Jahre nach der Concorde kaum jemand Bedarf an Überschallverbindungen.

... und was wollen nur wenige

Hier dagegen Beispiele, die höchstens den Träumen einer kleinen Minderheit dienen:

1) Location-based Services, wobei an einem Geschäft vorbeigehende Passanten auf ein „heute günstiges Sonderangebot“ hingewiesen werden. Nur ein Wunschtraum der Marketer, nie der Passanten.

2) Individualisierte, nach Kriterien der Programmierer zugeschnittene Botschaften. Diese simple Kategorisierung in wenige Zielgruppeneigenschaften muss zu einer „Filterblase“ führen. Und wenn dann das On-Demand-Fernsehen nur noch Filme der einmal gesuchten Kategorie liefert, ist die geschlossene Anstalt fertig.

3) Selbstfahrende Privatautos, weil sie wohl kaum vor Markteinführung von Quantencomputern jeder Verkehrssituation ausreichend schnell gewachsen sein werden.

4) Dass das smarte Auto, wenn ich vom Büro wegfahre, die smarte Wohnungsheizung anruft und sie einschaltet. Hätte das tatsächlich Wirkung, wäre es nur ein Zeichen miserabler Wärmedämmung der Wohnung.

Wir sollten klarstellen, was wir unter Smart Living in Smart Citys verstehen wollen, und ein Szenario für diesen neuen Lebensstil entwerfen – und nicht vergessen, dass auch selbstlernende KI-Systeme nur Korrelationen erkennen können, nicht Kausalitäten: uns also niemals das Denken abnehmen können. Und wenn Smart Living nur dazu führen würde, durch den Entfall des Weges zur Bezirkshauptmannschaft wieder Zeit für ein Gespräch mit meinen Nachbarn zu haben, wäre auch das schon positiv genug.
Michael Bobik ist ehemaliger Leiter des Instituts für Energie-, Verkehrs- und Umweltmanagement an der FH Joanneum.

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