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Volle Ladung, leeres Gut?
Der Standard

Billiger Wohnraum, stapelbares System, individuelles Einzelstück: Recycelte Schiffscontainer sind populär. Doch ist das Wohnen in der Stahlkiste wirklich eine gute Idee? Zwei Positionen.

11. August 2018 - Wojciech Czaja, Maik Novotny
Wojciech Czaja: Komm nur rein! Das ist mein Büro. Da schaust, was?“ Ho Kai Pong sitzt an seinem Schreibtisch, umzingelt von Aktenordnern und Gießkannen in allen möglichen Farben und Formen. Pong ist Projektleiter in der Urban Oasis, einer städtischen Biofarm im Norden von Hongkong, in der tausend Mitglieder aus der ganzen Stadt kleine Gemüseparzellen anmieten, auf denen sie Okra, Melanzani und Bittermelonen anbauen. „Ein klassisches Bürohaus kam für uns nicht infrage“, sagt der 33-Jährige. „Nicht hier in der Oase! Daher haben wir uns entschieden, ein paar alte Container anzukaufen. Das passt viel besser zu unserem ökologischen Gedanken, den wir hier pflegen.“

Das grün lackierte Bürohäuschen in der Urban Oasis ist nur ein Beispiel von mittlerweile Hunderten auf der ganzen Welt: ausrangierte Überseecontainer am Ende ihrer Lebenszeit, die, ihrer eigentlichen Funktion beraubt, ein Dasein als häusliche Hülle fristen – sei es zum Wohnen, zum Arbeiten oder für gewerbliche Zwecke. Die Liste an kreativen Lösungen findet kaum ein Ende.

In Zürich haben die Gebrüder Freitag vor vielen Jahren schon ein erstes Exempel statuiert, indem sie 19 alte Container zu einem Turm gestapelt haben, worin sie nun ihren Flagshipstore betreiben. In Johannesburg wurden 64 Container auf ein altes Getreidesilo gehievt und dienen nun als Boarding House. In Berlin besteht das Studentenheim Frankie & Johnny aus insgesamt 420 solcher Kisten. Und in den Pop-up-Dorms in der Seestadt Aspern wird ein alter, weitgereister Überseecontainer als Bar genutzt. Auf der Metallplakette ist noch deutlich die Aufschrift zu lesen: „Approved for transport under customs seal.“

Sexy, schicker Lifestyle-Faktor

In letzter Zeit kommt der Container vor allem bei Budget-Hotels sowie als bauliche Billiglösung für Flüchtlingsheime zum Einsatz. So geschehen in diversen Städten in Deutschland und in der Schweiz. In Leutschenbach errichtete die Asylorganisation Zürich (AOZ) ein Containerdorf für 250 Asylsuchende. Das dreigeschoßige Haus aus beigen, gelben und orangen Containern wirkt zwar billig und funktional, aber keineswegs unangenehm. Etliche Architektur- und Designblogs haben darüber berichtet.

Am Ende fragt man sich: Wozu der ganze Aufwand? Wozu 20 und 40 Fuß lange Kisten umbauen und mit größter Mühe technisch und funktional ertüchtigen? Das ginge doch viel einfacher! Die Antwort: weil der Container ein wichtiger Katalysator ist, um die breite Masse zum Nachdenken anzuregen – darüber, wie wir heute mit unseren materiellen Gütern umgehen und wie wir das in Zukunft zu tun gedenken.

Der Container als sexy, schicker Lifestyle-Faktor und Cradle-to-Cradle-Objekt XXL ist ein erster Schritt in Richtung Ressourcenschonung und Recycling. Denn Hand aufs Herz, davon ist die Baubranche allen Lobpreisungen zum Trotz in Wahrheit noch meilenweit entfernt.

Maik Novotny: Noch steht er da, wie ein Alien aus der Vergangenheit: der Nakagin Capsule Tower in Tokio, ein Stapel aus vorgefertigten Betonkisten mit kreisrunden Fenstern. 1972 von Kisho Kurokawa erbaut, ist er ein Überbleibsel der 60er-Jahre, als die Gruppe der japanischen Metabolisten von Gebäuden und Städten in ständiger Bewegung träumte. Elemente, die wie Container frei kombinierbar sind! Häuser, die sich den Bedürfnissen anpassen und weiterwachsen können! Ein Kosmos der unendlichen Flexibilität.

Es waren großartige und faszinierende Visionen. Dennoch ist der Metabolismus in der Praxis gescheitert. Häuser wachsen selten, und wenn, dann nicht nach vorgegebenem Plan. Der Mensch ist ein sesshaftes Wesen, er will einfach nicht flexibel werden. Trotzdem träumen Architekten heute noch von modularen Bauklotzsystemen, und in den Medien sind zu Wohnraum umgebaute Schiffscontainer präsenter denn je. Was ist an den Blechkisten so faszinierend?

Der Mensch ist keine Ware

Da hat sich die Menschheit über Jahrtausende Kulturtechniken angeeignet, um ihr Zuhause stabil, behaglich, hell, schön, raubtiersicher und wasserfest auszustatten. All dies soll stattgefunden haben, um dann auf ein willkürliches Standardelement aus dem Transportwesen zurückzugreifen, bei dessen Erschaffung diese Qualitäten gar keine Rolle spielten? Eine Box aus Stahl, 6,06 mal 2,44 mal 2,59 Meter groß: Das soll zivilisatorischer Fortschritt in der Architektur sein?

Sie seien halt so einfach und billig, heißt es. Doch wenn Container zu Wohnraum werden, dann nur mit enormem Aufwand. Fenster und Türen müssen hineingeschnitten werden, und damit man nicht friert oder verglüht, muss die Kiste gedämmt werden, wodurch der enge Raum noch enger wird. Am Ende ist das billige Standardprodukt zur teuren Stahlblechcollage geworden, zum aufwendigen Designer-Einzelstück mit einer Garnitur Industrieoptik. Eh nett. Aber Lösungen für den Wohnraummangel sind beim Basteln mit Containern nicht in Sicht.

Warum sollten sie auch? Man könnte auch fragen: Warum soll eigentlich etwas so Elementares wie Wohnen besonders billig sein? Wenn schon Schiffscontainer recyceln, warum nicht für eine Firmenzentrale oder ein Bankgebäude? Dazu würden die austauschbaren Kisten angesichts der Kurzlebigkeit des hyperflexiblen Finanzsektors doch viel besser passen.

Stattdessen wird bei Bankgebäuden kein Aufwand gescheut. Nach dem nächsten Merger oder der nächsten Pleite werden sie mit ebensolchem Aufwand umgebaut oder abgerissen. Währenddessen diskutiert man beim Wohnen über smarte Miniapartments, Tiny Houses und gestapelte Container, als wäre Wohnen etwas, das man am besten im Diskonter kaufen sollte, als wäre Wohnen nicht etwas Wertiges und Würdevolles, in das man alles Können und Wissen investieren sollte, das man hat. Der Mensch ist keine Ware. Deshalb: Lasst die Container dort, wo sie hingehören!

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