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Das wussten schon die Römer
Recycling in der Architektur: Kubaturen von gestern dienten seit je als Steinbrüche für Neues. Was in Zeiten des Wirtschaftsaufschwungs vergessen wurde, ist heute wieder relevant – umgesetzt dank der Initiative von Privaten und Architekten.
11. August 2018 - Ute Woltron
Als im Jahr 1775 mit der Gloriette das prominenteste Gebäude der Schloss Schönbrunn in Wien angeschlossenen Gartenanlage errichtet werden sollte, erreichte den beauftragten Architekten ein Schreiben von Kaiserin Maria Theresia hochselbst. Die sparsame Monarchin hatte sich an das damals bereits leer stehende Schloss Neugebäude in Simmering erinnert und dekretierte: „Es befindet sich zu Neugebau eine alte Galerie von steinernen Säulen und Gesimsen, welche nichts nutzet.“ Man möge, hieß es weiter, „solche von dort abbrechen lassen und nacher Schönbrunn bringen lassen“.
Sowohl Galerie als auch Säulen, Stierköpfe und andere historische Bauteile wurden von Steinmetzen bearbeitet und in den neuen „Ruhmestempel“, in dessen Speisesaal Kaiser Franz Joseph sein Frühstück einzunehmen pflegte, integriert. Man stelle sich zeitgenössische Auftraggeber vor, die ihren Architekten ähnliche Ansinnen zutrügen und sie aufforderten, bestehende Gebäude zumindest in Teilen in neue Architektur einzufügen.
Die meisten Vertreter der Planergilde wären wohl, gelinde gesagt, empört. Tatsächlich jedoch ist das Thema Wiederverwendung von Bauteilen sowie Baumaterialien so alt wie die Architekturgeschichte selbst. Es war in Zeiten von Industrialisierung, Wirtschaftsaufschwung, Wohlstands- und Wegwerfgesellschaft dank vermeintlich unerschöpflicher Ressourcen nur in Vergessenheit geraten. Doch erst vergangene Woche beging die Menschheit, oder der Planet, je nach Perspektive, den sogenannten Welterschöpfungstag, an dem laut Berechnungen des „Global Footprint Network“ alle natürlich verfügbaren Ressourcen für das Jahr aufgebraucht sind. Ab nun lebt die Menschheit sozusagen auf Pump.
Zu dieser Ausbeutung des Planeten trägt die Bauwirtschaft einen guten Teil bei. Seit der Recycling-Baustoffverordnung 2016 müssen zwar unter anderem Abbruchmaterialien getrennt gesammelt werden, um eine qualitätsvolle Verwertung zu gewährleisten. Doch viele Materialien landen nach wie vor auf Deponien, etwa weil sie verklebt sind und nicht sortenrein zerlegt werden können.
Zukunftsorientierte Planer stellen diese Art der Verschwendung aktiv infrage. Als Vorreiternation kann Belgien genannt werden, wo 80 bis 90 Prozent von Bau- und Abbruchabfällen recycliert werden. Doch ein großer Anteil findet zerschreddert und zerkleinert als Füllmaterialien etwa im Straßenbau Verwendung, und das, so findet jedenfalls das 2005 gegründete Brüsseler Büro Rotor, greift zu kurz.
Das interdisziplinäre Team befasst sich mit den Möglichkeiten der Wiederverwendung und hat sich dabei auf Elemente moderner Bürogebäude spezialisiert. Qualitätsvolle Bauteile wie abgehängte Decken, Beleuchtungskörper, Steinbeläge, mobile Trennwände und dergleichen mehr müssen, so Rotor, nicht auf der Deponie landen, sondern können behutsam und nach architektonischen Kriterien an anderer Stelle wiederverwendet werden.
Ein Beispiel dafür stellt die 1971 vom renommierten belgischen Innenarchitekten Jules Wabbes gestaltete Innenausstattung eines Brüsseler Bankgebäudes dar. An die 230 Tonnen an Granitböden, Wandverkleidungen, Stahltüren, Holzelementen, Metalldecken, Möbeln und anderes wurden abgebaut, wanderten zur Reinigung oder in Restaurierwerkstätten und landeten schließlich in neuen Gebäuden.
Dabei wurde streng kalkuliert. Was kostet der Ausbau? Wie ist der Zustand der Materialien? Welchen funktionalen und symbolischen Wert besitzen sie? Idealerweise regelt, so das Büro Rotor, in einer nicht allzu fernen Zukunft ein rechtlicher Rahmen diese Art der Wiederverwertung, insbesondere im Fall öffentlicher Gebäude. Erst wenn die Vermögenswerte der einzelnen Bauteile und Einrichtungselemente in Zahlen daliegen, wird das Interesse steigen, sie in größerem Rahmen wieder in den Stoff- und Materialkreislauf einzuschleusen.
Die Wiederverwertung von Bauteilen war, wie erwähnt, über Jahrtausende nicht nur üblich, sondern teils sogar gesetzlich verankert. Im spätantiken, 438 veröffentlichten Codex Theodosianus regelte ein Kapitel den Umgang mit öffentlichen Gebäuden. Nur solche, die nicht mehr zu retten waren, durften überhaupt zerstört werden, und das nur unter der Voraussetzung, dass möglichst viele ihrer Baumaterialien und Bauteile einer Wiederverwendung zugeführt wurden.
Bereits zuvor hatten die Römer aus Abbruchmaterialien Beton hergestellt, und seit ewigen Zeiten waren verfallene Gebäude gewissermaßen als Steinbrüche für Neues verwendet worden. Wozu Holzbalken wegwerfen, wenn sie an anderer Stelle wieder eingebaut werden können? Wozu umständlich und kostenintensiv neue Ziegel brennen, wenn alte vorhanden sind und nur geputzt werden müssen? Private sind auf diesen Trend längst aufgesprungen. In diversen Internetforen tun sich regelrechte Börsen für Antiquitäten der anderen Art auf: Historische Sternparkettböden werden hier genauso feilgeboten wie Werkstattfenster, gebrauchte Stahlträger oder Betonrohre.
Einen verwandten Weg schlagen Architekten wie die Deutschen Dirk Hebel, Werner Sobek und Felix Heisel ein. In einem Interview in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Bauwelt“ fordern sie, den Begriff Abfall durch das Wort Materialressource zu ersetzen, und wie sich das in die Tat umsetzen lässt, demonstrieren sie im Schweizer Dübendorf. Dort befindet sich das Forschungsgebäude Nest, für das die drei die „Experimentaleinheit Urban Mining & Recycling“ geplant und umgesetzt haben.
Alle zur Herstellung eines Gebäudes benötigten Ressourcen, so ihr Postulat, müssen „vollständig wiederverwendbar, wiederverwertbar oder kompostierbar sein“. Material darf niemals verloren gehen, es ist lediglich eine Zeit lang in einem Gebäude gebunden, um später in den Materialkreislauf wieder zurückzukehren. Tragwerk und große Teile der Fassade bestehen denn auch aus Holz, wofür übrigens die österreichische Zimmerei und Tischlerei Kaufmann in Reuthe zuständig war.
Im Innenausbau kommen ausschließlich seriell verarbeitete Bauprodukte zum Einsatz, die nach dem Lebenszyklus des Gebäudes „sortenrein und rückstandsfrei in ihre unterschiedlichen Stoffkreisläufe zurückgeführt werden können“. Die Architekten orten auch bei Baustoffproduzenten ein zwar noch langsames, doch deutliches Umdenken. So kommen beispielsweise wieder Armaturen auf den Markt, die zerlegt und repariert werden können und nicht, wie derzeit gang und gäbe, weggeworfen werden müssen, weil irgendwo im Inneren eine nicht austauschbare Dichtung den Geist aufgegeben hat.
Möglicherweise befinden wir uns in der Morgendämmerung einer neuen Architekturära, die Häuser nicht lediglich in dämmende Sondermüllpullover packt, sondern endlich weiter denkt als über den Wärmedurchgangskoeffizienten hinaus.
Sowohl Galerie als auch Säulen, Stierköpfe und andere historische Bauteile wurden von Steinmetzen bearbeitet und in den neuen „Ruhmestempel“, in dessen Speisesaal Kaiser Franz Joseph sein Frühstück einzunehmen pflegte, integriert. Man stelle sich zeitgenössische Auftraggeber vor, die ihren Architekten ähnliche Ansinnen zutrügen und sie aufforderten, bestehende Gebäude zumindest in Teilen in neue Architektur einzufügen.
Die meisten Vertreter der Planergilde wären wohl, gelinde gesagt, empört. Tatsächlich jedoch ist das Thema Wiederverwendung von Bauteilen sowie Baumaterialien so alt wie die Architekturgeschichte selbst. Es war in Zeiten von Industrialisierung, Wirtschaftsaufschwung, Wohlstands- und Wegwerfgesellschaft dank vermeintlich unerschöpflicher Ressourcen nur in Vergessenheit geraten. Doch erst vergangene Woche beging die Menschheit, oder der Planet, je nach Perspektive, den sogenannten Welterschöpfungstag, an dem laut Berechnungen des „Global Footprint Network“ alle natürlich verfügbaren Ressourcen für das Jahr aufgebraucht sind. Ab nun lebt die Menschheit sozusagen auf Pump.
Zu dieser Ausbeutung des Planeten trägt die Bauwirtschaft einen guten Teil bei. Seit der Recycling-Baustoffverordnung 2016 müssen zwar unter anderem Abbruchmaterialien getrennt gesammelt werden, um eine qualitätsvolle Verwertung zu gewährleisten. Doch viele Materialien landen nach wie vor auf Deponien, etwa weil sie verklebt sind und nicht sortenrein zerlegt werden können.
Zukunftsorientierte Planer stellen diese Art der Verschwendung aktiv infrage. Als Vorreiternation kann Belgien genannt werden, wo 80 bis 90 Prozent von Bau- und Abbruchabfällen recycliert werden. Doch ein großer Anteil findet zerschreddert und zerkleinert als Füllmaterialien etwa im Straßenbau Verwendung, und das, so findet jedenfalls das 2005 gegründete Brüsseler Büro Rotor, greift zu kurz.
Das interdisziplinäre Team befasst sich mit den Möglichkeiten der Wiederverwendung und hat sich dabei auf Elemente moderner Bürogebäude spezialisiert. Qualitätsvolle Bauteile wie abgehängte Decken, Beleuchtungskörper, Steinbeläge, mobile Trennwände und dergleichen mehr müssen, so Rotor, nicht auf der Deponie landen, sondern können behutsam und nach architektonischen Kriterien an anderer Stelle wiederverwendet werden.
Ein Beispiel dafür stellt die 1971 vom renommierten belgischen Innenarchitekten Jules Wabbes gestaltete Innenausstattung eines Brüsseler Bankgebäudes dar. An die 230 Tonnen an Granitböden, Wandverkleidungen, Stahltüren, Holzelementen, Metalldecken, Möbeln und anderes wurden abgebaut, wanderten zur Reinigung oder in Restaurierwerkstätten und landeten schließlich in neuen Gebäuden.
Dabei wurde streng kalkuliert. Was kostet der Ausbau? Wie ist der Zustand der Materialien? Welchen funktionalen und symbolischen Wert besitzen sie? Idealerweise regelt, so das Büro Rotor, in einer nicht allzu fernen Zukunft ein rechtlicher Rahmen diese Art der Wiederverwertung, insbesondere im Fall öffentlicher Gebäude. Erst wenn die Vermögenswerte der einzelnen Bauteile und Einrichtungselemente in Zahlen daliegen, wird das Interesse steigen, sie in größerem Rahmen wieder in den Stoff- und Materialkreislauf einzuschleusen.
Die Wiederverwertung von Bauteilen war, wie erwähnt, über Jahrtausende nicht nur üblich, sondern teils sogar gesetzlich verankert. Im spätantiken, 438 veröffentlichten Codex Theodosianus regelte ein Kapitel den Umgang mit öffentlichen Gebäuden. Nur solche, die nicht mehr zu retten waren, durften überhaupt zerstört werden, und das nur unter der Voraussetzung, dass möglichst viele ihrer Baumaterialien und Bauteile einer Wiederverwendung zugeführt wurden.
Bereits zuvor hatten die Römer aus Abbruchmaterialien Beton hergestellt, und seit ewigen Zeiten waren verfallene Gebäude gewissermaßen als Steinbrüche für Neues verwendet worden. Wozu Holzbalken wegwerfen, wenn sie an anderer Stelle wieder eingebaut werden können? Wozu umständlich und kostenintensiv neue Ziegel brennen, wenn alte vorhanden sind und nur geputzt werden müssen? Private sind auf diesen Trend längst aufgesprungen. In diversen Internetforen tun sich regelrechte Börsen für Antiquitäten der anderen Art auf: Historische Sternparkettböden werden hier genauso feilgeboten wie Werkstattfenster, gebrauchte Stahlträger oder Betonrohre.
Einen verwandten Weg schlagen Architekten wie die Deutschen Dirk Hebel, Werner Sobek und Felix Heisel ein. In einem Interview in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Bauwelt“ fordern sie, den Begriff Abfall durch das Wort Materialressource zu ersetzen, und wie sich das in die Tat umsetzen lässt, demonstrieren sie im Schweizer Dübendorf. Dort befindet sich das Forschungsgebäude Nest, für das die drei die „Experimentaleinheit Urban Mining & Recycling“ geplant und umgesetzt haben.
Alle zur Herstellung eines Gebäudes benötigten Ressourcen, so ihr Postulat, müssen „vollständig wiederverwendbar, wiederverwertbar oder kompostierbar sein“. Material darf niemals verloren gehen, es ist lediglich eine Zeit lang in einem Gebäude gebunden, um später in den Materialkreislauf wieder zurückzukehren. Tragwerk und große Teile der Fassade bestehen denn auch aus Holz, wofür übrigens die österreichische Zimmerei und Tischlerei Kaufmann in Reuthe zuständig war.
Im Innenausbau kommen ausschließlich seriell verarbeitete Bauprodukte zum Einsatz, die nach dem Lebenszyklus des Gebäudes „sortenrein und rückstandsfrei in ihre unterschiedlichen Stoffkreisläufe zurückgeführt werden können“. Die Architekten orten auch bei Baustoffproduzenten ein zwar noch langsames, doch deutliches Umdenken. So kommen beispielsweise wieder Armaturen auf den Markt, die zerlegt und repariert werden können und nicht, wie derzeit gang und gäbe, weggeworfen werden müssen, weil irgendwo im Inneren eine nicht austauschbare Dichtung den Geist aufgegeben hat.
Möglicherweise befinden wir uns in der Morgendämmerung einer neuen Architekturära, die Häuser nicht lediglich in dämmende Sondermüllpullover packt, sondern endlich weiter denkt als über den Wärmedurchgangskoeffizienten hinaus.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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