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Das Wiener Campusmodell: Bildung aus dem Regal
Alles unter einem Dach: Das Wiener Campusmodell sieht eine ganztägige Betreuung in Kindergarten, Volksschule und Unterstufe in einem Gebäude vor. In der Wiener Attemsgasse ist ein solcher „Campus plus“ seit einem Jahr in Betrieb. Ein erster Erfahrungsbericht.
28. Juli 2018 - Franziska Leeb
Die Abkürzungen „Biber“ und „Mufu“ gehören seit ein paar Jahren zum Wortschatz all jener, sie sich in der Bundeshauptstadt mit dem Neubau von Schulen befassen. Doch ist in vielen Fällen „Schule“ nicht mehr der korrekte Ausdruck, da das Wiener Campusmodell eine ganztägige Betreuung in Kindergarten, Volksschule und Unterstufe unter einem Dach vorsieht. Waren zunächst die einzelnen Stufen unter einem Dach als eigene Einheiten organisiert, wurde 2013 mit dem Konzept „Campus plus“ eine enge Verknüpfung zwischen Kindergarten und Schule angepeilt, um den Übergang zu erleichtern. Vier Schulklassen und zwei Kindergartengruppen werden zu Bildungsbereichen (Biber) zusammengefasst und nutzen gemeinsame Multifunktionsflächen (Mufu). Bis zu vier Biber beherbergt im Regelfall ein „Campus plus“, also 21 Schulklassen und zwölf Kindergartengruppen. Zudem werden weitere Einrichtungen integriert – etwa eine Musikschule beim Bildungscampus Attemsgasse, dem ersten nach diesem Konzept.
Wie alle Campus-plus-Projekte wurde auch dieses als PPP-Modell errichtet und war bereits lange vor seiner Erbauung Gegenstand hitziger Debatten (siehe „Wer braucht denn schon Details?“, „Spectrum“, 10. 3. 2018). Aus dem Architekturwettbewerb ging 2014 der Beitrag der Querkraft Architekten hervor. Diese präzisierten in der Folge im Auftrag der Stadt im Eiltempo den Entwurf bis zur Einreichplanung und erarbeiteten Hunderte von Leitdetails. Diese Planungen, die das Projekt bereits sehr genau, aber noch nicht bis in die letzten Feinheiten darstellen, dienten als Vorgabe für das Verfahren zur Findung eines PPP-Partners. Wegen der Befürchtung eines Vorteils gegenüber anderen Bewerbern und Ängsten, das Projekt laufe Gefahr, nicht mit den Maastricht-Kriterien konform zu sein, wurde dezidiert ausgeschlossen, dass der PPP-Partner mit dem Wettbewerbssieger weiterarbeitet. Den Zuschlag erhielt schließlich die Gesiba, mit der Ausführungsplanung wurde das Büro Skyline Architekten beauftragt – und Querkraft fortan nicht mehr eingebunden. In der Zwischenzeit wurden die Modalitäten geändert, und so ist bei den weiteren Campus-Projekten möglich, die Entwurfsarchitekten bis zum Schluss miteinzubinden, womit Entscheidungen über Gestaltungsfragen, die erst in späteren Phasen möglich sind, mit den Projektautoren getroffen werden.
Wie sich das neue Konzept und die von Querkraft entworfene Raumkonfiguration bewähren, interessierte auch Universitätsassistentin Corina Binder und 14 Studierende von der TU Wien. Im Zuge des Wahlseminars Gebäudelehre zum Thema Bildungsbau waren sie im Mai eine ganze Woche vor Ort, analysierten Raumstruktur und Nutzerverhalten, protokollierten den Tagesablauf und führten Gespräche mit Pädagoginnen und Architekten. Die Ergebnisse werden vertieft ausgearbeitet und danach der Stadt Wien als Feedback zur Verfügung gestellt. Dem „Spectrum“ wurde dankenswerterweise ein erster Einblick in die Erkenntnisse gewährt.
Wie ein riesiges Regal wirkt der quaderförmige Baukörper. Das kommt vom allseitig umlaufenden Stahlbetongerüst, das Balkonplatten, Pflanztröge sowie Fluchtstiegen aufnimmt. Die Architekten konzipierten es als Ereigniszone, die Kindern und Pädagogen eine Varianz an Bespielungsmöglichkeiten bietet, welche die Lebendigkeit des Betriebes nach außen abbildet. Drei Meter tief ist die äußerste Raumschicht, die Spielen und Aufenthalt im Freien in unmittelbarer Nähe zum Bildungsraum zulässt, wo kleine Gärten angelegt werden können, die mit entsprechendem Mobiliar wohnliche Freiluftzonen werden könnten. Wie gut die Aneignung gelingt, wird auch von der Bereitschaft und Kreativität des pädagogischen Personals und den finanziellen Ressourcen für diverse Zusatzausstattungen abhängen. Zudem gibt es Freiraum zu ebener Erde in Hülle und Fülle im abwechslungsreich gestalteten Schulgarten, der durch den unterirdisch mit der Schule verbundenen Turnsaaltrakt gegliedert ist.
Im Inneren setzt sich die Idee des variantenreich nutzbaren Regals fort. Die Ebenen wurden als Plattformen gesehen, auf denen innerhalb des Konstruktionsrasters die Räume nach dem Prinzip eines Hauses im Haus verteilt sind. Die Entscheidung gegen einen zentralen „Marktplatz“ für alle und für ein Gewirk an frei bespielbaren Bereichen sorgt für abwechslungsreiche Möglichkeiten der Nutzung. Weiß, Grau und Gelb sind die Leitfarben, die zusammen mit Sichtbetonflächen und unverkleideten Techniksträngen ein werkstattartiges Milieu entstehen lassen, das gut im Einklang mit der Veränderbarkeit und Flexibilität der Räume steht, aber auch erstaunlich wohnliche wirkende Räume anzubieten vermag. Im Kleinen wiederholt sich das Schema in den Wandverbauten. Es sind Patchworks aus unterschiedlich großen Regalfächern und Schränken, die neben Spiel- und Unterrichtsmaterial auch passgenau zugeschnittene Schaumstoffwürfel aufnehmen.
Herrscht nun Chaos, weil das Netzwerk an Erschließungs- und Multifunktionsflächen keine eindeutigen Wegeführungen vorgibt? Nein, so die Erkenntnisse der Studierenden. Es ergeben sich kaum Störungen zwischen den Zöglingen der verschiedenen Institutionen, da zum Beispiel der kürzeste Weg zu den Kindergartengruppen die Bereiche vor den Schulklassen nicht kreuzt. Zudem würden sich die ganz Kleinen auch nur zögerlich in die Reviere der Großen vorwagen. Mit dem Laufrad um die Lichthöfe Achterschleifen zu ziehen und durch die verglasten Flächen Einblick in den Schulunterricht zu bekommen hat aber eine Erlebnisqualität, die es sonst nicht gibt.
Ob umgekehrt die Verglasungen die Schulkinder dazu verleiten, sich ablenken zu lassen? Auch das haben die Studierenden untersucht. Nur ein paar lassen öfter als fünfmal den Blick auf das Geschehen vor dem Klassenraum schweifen, manche dafür gar nicht. Und ständiges Gewurl in den Mufus konnte auch nicht beobachtet werden. Das meiste spielt sich nach wie vor in den Klassen ab. Neuartige Gebäude ändern also nicht sofort langjährig eingeübte Verhaltensmuster. Aber, und das ist die wohl wichtigste Botschaft: Der Campus Attemsgasse lässt eine Fülle an Szenarien zu und ist baulich ein wichtiger Schritt in der oft an Lähmungserscheinungen leidenden Bildungslandschaft.
Wie alle Campus-plus-Projekte wurde auch dieses als PPP-Modell errichtet und war bereits lange vor seiner Erbauung Gegenstand hitziger Debatten (siehe „Wer braucht denn schon Details?“, „Spectrum“, 10. 3. 2018). Aus dem Architekturwettbewerb ging 2014 der Beitrag der Querkraft Architekten hervor. Diese präzisierten in der Folge im Auftrag der Stadt im Eiltempo den Entwurf bis zur Einreichplanung und erarbeiteten Hunderte von Leitdetails. Diese Planungen, die das Projekt bereits sehr genau, aber noch nicht bis in die letzten Feinheiten darstellen, dienten als Vorgabe für das Verfahren zur Findung eines PPP-Partners. Wegen der Befürchtung eines Vorteils gegenüber anderen Bewerbern und Ängsten, das Projekt laufe Gefahr, nicht mit den Maastricht-Kriterien konform zu sein, wurde dezidiert ausgeschlossen, dass der PPP-Partner mit dem Wettbewerbssieger weiterarbeitet. Den Zuschlag erhielt schließlich die Gesiba, mit der Ausführungsplanung wurde das Büro Skyline Architekten beauftragt – und Querkraft fortan nicht mehr eingebunden. In der Zwischenzeit wurden die Modalitäten geändert, und so ist bei den weiteren Campus-Projekten möglich, die Entwurfsarchitekten bis zum Schluss miteinzubinden, womit Entscheidungen über Gestaltungsfragen, die erst in späteren Phasen möglich sind, mit den Projektautoren getroffen werden.
Wie sich das neue Konzept und die von Querkraft entworfene Raumkonfiguration bewähren, interessierte auch Universitätsassistentin Corina Binder und 14 Studierende von der TU Wien. Im Zuge des Wahlseminars Gebäudelehre zum Thema Bildungsbau waren sie im Mai eine ganze Woche vor Ort, analysierten Raumstruktur und Nutzerverhalten, protokollierten den Tagesablauf und führten Gespräche mit Pädagoginnen und Architekten. Die Ergebnisse werden vertieft ausgearbeitet und danach der Stadt Wien als Feedback zur Verfügung gestellt. Dem „Spectrum“ wurde dankenswerterweise ein erster Einblick in die Erkenntnisse gewährt.
Wie ein riesiges Regal wirkt der quaderförmige Baukörper. Das kommt vom allseitig umlaufenden Stahlbetongerüst, das Balkonplatten, Pflanztröge sowie Fluchtstiegen aufnimmt. Die Architekten konzipierten es als Ereigniszone, die Kindern und Pädagogen eine Varianz an Bespielungsmöglichkeiten bietet, welche die Lebendigkeit des Betriebes nach außen abbildet. Drei Meter tief ist die äußerste Raumschicht, die Spielen und Aufenthalt im Freien in unmittelbarer Nähe zum Bildungsraum zulässt, wo kleine Gärten angelegt werden können, die mit entsprechendem Mobiliar wohnliche Freiluftzonen werden könnten. Wie gut die Aneignung gelingt, wird auch von der Bereitschaft und Kreativität des pädagogischen Personals und den finanziellen Ressourcen für diverse Zusatzausstattungen abhängen. Zudem gibt es Freiraum zu ebener Erde in Hülle und Fülle im abwechslungsreich gestalteten Schulgarten, der durch den unterirdisch mit der Schule verbundenen Turnsaaltrakt gegliedert ist.
Im Inneren setzt sich die Idee des variantenreich nutzbaren Regals fort. Die Ebenen wurden als Plattformen gesehen, auf denen innerhalb des Konstruktionsrasters die Räume nach dem Prinzip eines Hauses im Haus verteilt sind. Die Entscheidung gegen einen zentralen „Marktplatz“ für alle und für ein Gewirk an frei bespielbaren Bereichen sorgt für abwechslungsreiche Möglichkeiten der Nutzung. Weiß, Grau und Gelb sind die Leitfarben, die zusammen mit Sichtbetonflächen und unverkleideten Techniksträngen ein werkstattartiges Milieu entstehen lassen, das gut im Einklang mit der Veränderbarkeit und Flexibilität der Räume steht, aber auch erstaunlich wohnliche wirkende Räume anzubieten vermag. Im Kleinen wiederholt sich das Schema in den Wandverbauten. Es sind Patchworks aus unterschiedlich großen Regalfächern und Schränken, die neben Spiel- und Unterrichtsmaterial auch passgenau zugeschnittene Schaumstoffwürfel aufnehmen.
Herrscht nun Chaos, weil das Netzwerk an Erschließungs- und Multifunktionsflächen keine eindeutigen Wegeführungen vorgibt? Nein, so die Erkenntnisse der Studierenden. Es ergeben sich kaum Störungen zwischen den Zöglingen der verschiedenen Institutionen, da zum Beispiel der kürzeste Weg zu den Kindergartengruppen die Bereiche vor den Schulklassen nicht kreuzt. Zudem würden sich die ganz Kleinen auch nur zögerlich in die Reviere der Großen vorwagen. Mit dem Laufrad um die Lichthöfe Achterschleifen zu ziehen und durch die verglasten Flächen Einblick in den Schulunterricht zu bekommen hat aber eine Erlebnisqualität, die es sonst nicht gibt.
Ob umgekehrt die Verglasungen die Schulkinder dazu verleiten, sich ablenken zu lassen? Auch das haben die Studierenden untersucht. Nur ein paar lassen öfter als fünfmal den Blick auf das Geschehen vor dem Klassenraum schweifen, manche dafür gar nicht. Und ständiges Gewurl in den Mufus konnte auch nicht beobachtet werden. Das meiste spielt sich nach wie vor in den Klassen ab. Neuartige Gebäude ändern also nicht sofort langjährig eingeübte Verhaltensmuster. Aber, und das ist die wohl wichtigste Botschaft: Der Campus Attemsgasse lässt eine Fülle an Szenarien zu und ist baulich ein wichtiger Schritt in der oft an Lähmungserscheinungen leidenden Bildungslandschaft.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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