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Bauen? Normen! Irrsinn!
Über Architektur zu sprechen ist heute ein philosophisches Privatvergnügen, Bürokratie und Vorschriften nehmen überhand – und übrig bleiben die Architekten. Zum Ist-Zustand des Bauwesens und zur Zukunft einer aussterbenden Zunft.
10. November 2018 - Ute Woltron
Die Baukonjunktur brummt. Die Auftragsbücher der Unternehmen sind voll. Nur eine Branche profitiert davon nicht, obwohl sie der Kern jedes Baugeschehens sein sollte: Die Architekten befinden sich im Würgegriff von industriegesteuerten Normen und Sicherheitsvorschriften, und sie gehen in Bürokratie unter. Konzerne und Manager haben den Bauherrn ersetzt, und wo kein Anspruchspartner mit Willen zur Qualität regiert, wo sich die Verantwortung für ein Projekt in der Masse von Controllern, Projekt- und Facility-Managern verliert, bleibt die Architektur auf der Strecke.
Der Architekt als Generalist, bei dem alle Fäden zusammenlaufen, der ein Projekt von A bis Z durchdenkt und optimiert, ist, auch aufgrund der zunehmenden Komplexität von Gebäuden, Geschichte. Ein paar wenige reiten zwar noch auf diesem Dinosaurier in Richtung Sonnenuntergang, doch alle wissen, dass sich die Branche in einem massiven Wandel befindet. Der betrifft letztlich nicht nur die Planer, sondern uns alle, die wir in dieser neu gebauten Umwelt unter dem Joch der Kleinkariertheit werden leben müssen. Christoph Chorherr von den Grünen führt ein Beispiel an: „Gnade uns Gott, würden wir heute die Ringstraße bauen!“ Laut der gängigen Vorschriften bräuchte sie eine Lärmschutzwand. Dafür gäbe es die Baumalleen nicht, weil sie der Feuerwehr im Weg stünden, und die Fassaden, so Chorherr, wolle man sich lieber gar nicht erst vorstellen. Auch an innovative, von der Freude an der Herstellung von bestmöglichem Wohnraum getragene Projekte, wie etwa der Maßstäbe setzende, 1993 fertiggestellte Wohnbau der Architekten Henke und Schreieck in der Wiener Frauenfelderstraße, wäre dieser Tage nicht einmal mehr zu denken. Marta Schreieck: „Kein Mensch würde sich da drübertrauen. Heute geht es vielmehr um Raumminimierung, um unendlich viele Zwei-Zimmer-Wohnungen mit Abstellraum und um Gewinnoptimierung, die Architekturqualität ist anscheinend egal.“ Für zukunftsweisende Entwicklung bleibe kein Raum.
Eine Flut an Normen, die das Bauen enorm verteuern, Auftraggeber, die jegliche Haftungen dafür an die Architekten abschieben, das Damoklesschwert der Juristerei stets über dem Haupt. Architekt Klaus Kada meint, über Architektur zu sprechen sei mittlerweile ein „philosophisches Privatvergnügen“ geworden. „Juristen, Banker, Manager, Versicherer sitzen überall, quatschen überall drein und haben von nichts Ahnung.“ Und sie schaffen einen Wust an unnötiger Bürokratie. Allein im Zuge eines einzigen Wohnbauprojekts in Wien habe er über 6500 E-Mails bekommen: „Die Bearbeitung jedes einzelnen kostet ein Büro gut 40 Euro, doch wenn du auch nur eines liegen lässt, dann haben sie dich schon irgendwo in der Haftung, weil du es widerspruchslos genehmigt hast. Mit Schriftverkehr und Herumtelefonieren verbrätst du fast das ganze Honorar.“ Überhaupt sei die gängige Meinung, Architekten würden sich goldene Armaturen verdienen, lachhaft. Kada: „Eine Architektenstunde kostet so viel wie die eines Automechanikers, doch dort regt sich keiner auf. Wir Architekten sind Hartz-IV-Typen.“ Andere verdienen bei deutlich weniger Aufwand erstaunlich viel mehr an dem Geschäft mit Gebäuden. Jakob Dunkl von Querkraft Architekten: „Wenn wir feststellen, dass ein von uns geplantes Haus zum Verkauf steht und allein der Makler mehr für die Vermittlung bekommt als wir für die gesamte Planung, ist das schon verwunderlich.“
Das Bezahlungssystem befinde sich in Schieflage, hoch qualifizierte Mitarbeiter würden unangemessen entlohnt, Direktaufträge seien inexistent. Dunkl: „Wir machen für zwei, drei Projekte 30 Wettbewerbe, das ist der helle Wahnsinn. Wenn ich hingegen einen Rechtsanwalt anrufe, verlangt der allein für den Erstkontakt 400 Euro, das kann ja nicht sein.“ Die Juristerei, darüber sind sich alle einig, nehme aufs Unangenehmste überhand. Schuld daran, so der Vorarlberger Architekt Johannes Kaufmann, seien letztlich wir alle, die wir zu einer „Hosenscheißergesellschaft“ verkommen wären, keinerlei Eigenverantwortung mehr zeigten und stets einen Schuldigen brauchten. „Der Kampf um qualitätsvolle Architektur“, so Kaufmann, der sich als Vorarlberger im Gegensatz zu der im Osten der Nation tätigen Architekturwelt zumindest noch kulturbewusster Bauherren erfreuen kann, müsse über die absurd ausufernden Normen geführt werden. Für Christoph Chorherr ist der Untergang der verantwortungsbewussten Bauherrschaft zwar immer noch das größere Problem, doch auch er empfindet den Normenwahn als Irrsinn. Vor allem, weil „ein jahrzehntelang politisch überhaupt nicht gesteuertes Normungsinstitut als privater Verein“ dafür zuständig ist: „In dieser Ausgeburt des Kapitalismus sitzen vor allem Lobbyisten verschiedener Unternehmen, die unter der Flagge der Sicherheit auf allen Ebenen eine Norm nach der anderen durchboxen. Und alles, was das Bauen teurer macht, ist für irgendjemanden ein Geschäft.“
Kaufmann meint, es werde im vermeintlichen Dienst an der Sicherheit „mit Kanonen auf Spatzen geschossen“, und zwar in jedem Gewerke, von der Brandsicherheit bis hin zum Schallschutz: „Es ist alles so dermaßen hochgeschraubt worden in den vergangenen 20 Jahren, das ist unvorstellbar, und es beeinflusst die Baukosten natürlich enorm.“ Decken werden aufgrund verschärfter Schallschutzvorschriften dicker, Fundamente wegen der Normen in Sachen Bodenmechanik unendlich viel aufwendiger als früher, von Wärmedämmung ganz zu schweigen. Kollegin Elke Delugan-Meissl sieht nur noch Sicherheits-, doch keine Wohlfühl- und Qualitätsnormen und schon gar keine Passion für Letztere: „Wer als Architekt keinen Namen hat, wird wie der letzte Dillo behandelt, du fühlst dich wie ein Zulieferer, du bist nur noch einer von vielen am Tisch.“ Dabei müsse Architektur fraglos wirtschaftlich sein, doch „jeder will mitschneiden, und am Ende des Tages bleibt für uns bei voller Verantwortung vom Kuchen wenig für die Planung über“.
Der Eisenstädter Architekt Klaus-Jürgen Bauer wirft ein weiteres Argument in den Ring: „Der normale Handwerker – eine aussterbende Spezies übrigens – hat gegen den Pfuscher, der in der Regel zumindest um die Differenz Mehrwertsteuer billiger ist, keine Chance auf dem Markt.“ Diese Klage führen viele. Vor allem für Wiener Baustellen müssen Architekten nicht selten früher Selbstverständliches detailliert in Pläne einzeichnen, weil oftmals ungelerntes Personal zugange ist, das keine Texte lesen kann. Bauer sieht, wie alle anderen auch, das Problem als eines unserer Gesellschaft: „Sorgfalt und Behutsamkeit brauchen Zeit, und die wird nicht bezahlt.“ Ob der Stellenwert des Architekten abgenommen habe? „Wenn die Zukunft unseres Bauens bedeutet, großmaßstäbliche Industrieanwendungsobjekte herzustellen, dann braucht man dafür keinen Architekten in unserem Ausbildungssinn, sondern eine Planungsmaschine, die geölt im Hintergrund läuft.“
Der Architekt als Generalist, bei dem alle Fäden zusammenlaufen, der ein Projekt von A bis Z durchdenkt und optimiert, ist, auch aufgrund der zunehmenden Komplexität von Gebäuden, Geschichte. Ein paar wenige reiten zwar noch auf diesem Dinosaurier in Richtung Sonnenuntergang, doch alle wissen, dass sich die Branche in einem massiven Wandel befindet. Der betrifft letztlich nicht nur die Planer, sondern uns alle, die wir in dieser neu gebauten Umwelt unter dem Joch der Kleinkariertheit werden leben müssen. Christoph Chorherr von den Grünen führt ein Beispiel an: „Gnade uns Gott, würden wir heute die Ringstraße bauen!“ Laut der gängigen Vorschriften bräuchte sie eine Lärmschutzwand. Dafür gäbe es die Baumalleen nicht, weil sie der Feuerwehr im Weg stünden, und die Fassaden, so Chorherr, wolle man sich lieber gar nicht erst vorstellen. Auch an innovative, von der Freude an der Herstellung von bestmöglichem Wohnraum getragene Projekte, wie etwa der Maßstäbe setzende, 1993 fertiggestellte Wohnbau der Architekten Henke und Schreieck in der Wiener Frauenfelderstraße, wäre dieser Tage nicht einmal mehr zu denken. Marta Schreieck: „Kein Mensch würde sich da drübertrauen. Heute geht es vielmehr um Raumminimierung, um unendlich viele Zwei-Zimmer-Wohnungen mit Abstellraum und um Gewinnoptimierung, die Architekturqualität ist anscheinend egal.“ Für zukunftsweisende Entwicklung bleibe kein Raum.
Eine Flut an Normen, die das Bauen enorm verteuern, Auftraggeber, die jegliche Haftungen dafür an die Architekten abschieben, das Damoklesschwert der Juristerei stets über dem Haupt. Architekt Klaus Kada meint, über Architektur zu sprechen sei mittlerweile ein „philosophisches Privatvergnügen“ geworden. „Juristen, Banker, Manager, Versicherer sitzen überall, quatschen überall drein und haben von nichts Ahnung.“ Und sie schaffen einen Wust an unnötiger Bürokratie. Allein im Zuge eines einzigen Wohnbauprojekts in Wien habe er über 6500 E-Mails bekommen: „Die Bearbeitung jedes einzelnen kostet ein Büro gut 40 Euro, doch wenn du auch nur eines liegen lässt, dann haben sie dich schon irgendwo in der Haftung, weil du es widerspruchslos genehmigt hast. Mit Schriftverkehr und Herumtelefonieren verbrätst du fast das ganze Honorar.“ Überhaupt sei die gängige Meinung, Architekten würden sich goldene Armaturen verdienen, lachhaft. Kada: „Eine Architektenstunde kostet so viel wie die eines Automechanikers, doch dort regt sich keiner auf. Wir Architekten sind Hartz-IV-Typen.“ Andere verdienen bei deutlich weniger Aufwand erstaunlich viel mehr an dem Geschäft mit Gebäuden. Jakob Dunkl von Querkraft Architekten: „Wenn wir feststellen, dass ein von uns geplantes Haus zum Verkauf steht und allein der Makler mehr für die Vermittlung bekommt als wir für die gesamte Planung, ist das schon verwunderlich.“
Das Bezahlungssystem befinde sich in Schieflage, hoch qualifizierte Mitarbeiter würden unangemessen entlohnt, Direktaufträge seien inexistent. Dunkl: „Wir machen für zwei, drei Projekte 30 Wettbewerbe, das ist der helle Wahnsinn. Wenn ich hingegen einen Rechtsanwalt anrufe, verlangt der allein für den Erstkontakt 400 Euro, das kann ja nicht sein.“ Die Juristerei, darüber sind sich alle einig, nehme aufs Unangenehmste überhand. Schuld daran, so der Vorarlberger Architekt Johannes Kaufmann, seien letztlich wir alle, die wir zu einer „Hosenscheißergesellschaft“ verkommen wären, keinerlei Eigenverantwortung mehr zeigten und stets einen Schuldigen brauchten. „Der Kampf um qualitätsvolle Architektur“, so Kaufmann, der sich als Vorarlberger im Gegensatz zu der im Osten der Nation tätigen Architekturwelt zumindest noch kulturbewusster Bauherren erfreuen kann, müsse über die absurd ausufernden Normen geführt werden. Für Christoph Chorherr ist der Untergang der verantwortungsbewussten Bauherrschaft zwar immer noch das größere Problem, doch auch er empfindet den Normenwahn als Irrsinn. Vor allem, weil „ein jahrzehntelang politisch überhaupt nicht gesteuertes Normungsinstitut als privater Verein“ dafür zuständig ist: „In dieser Ausgeburt des Kapitalismus sitzen vor allem Lobbyisten verschiedener Unternehmen, die unter der Flagge der Sicherheit auf allen Ebenen eine Norm nach der anderen durchboxen. Und alles, was das Bauen teurer macht, ist für irgendjemanden ein Geschäft.“
Kaufmann meint, es werde im vermeintlichen Dienst an der Sicherheit „mit Kanonen auf Spatzen geschossen“, und zwar in jedem Gewerke, von der Brandsicherheit bis hin zum Schallschutz: „Es ist alles so dermaßen hochgeschraubt worden in den vergangenen 20 Jahren, das ist unvorstellbar, und es beeinflusst die Baukosten natürlich enorm.“ Decken werden aufgrund verschärfter Schallschutzvorschriften dicker, Fundamente wegen der Normen in Sachen Bodenmechanik unendlich viel aufwendiger als früher, von Wärmedämmung ganz zu schweigen. Kollegin Elke Delugan-Meissl sieht nur noch Sicherheits-, doch keine Wohlfühl- und Qualitätsnormen und schon gar keine Passion für Letztere: „Wer als Architekt keinen Namen hat, wird wie der letzte Dillo behandelt, du fühlst dich wie ein Zulieferer, du bist nur noch einer von vielen am Tisch.“ Dabei müsse Architektur fraglos wirtschaftlich sein, doch „jeder will mitschneiden, und am Ende des Tages bleibt für uns bei voller Verantwortung vom Kuchen wenig für die Planung über“.
Der Eisenstädter Architekt Klaus-Jürgen Bauer wirft ein weiteres Argument in den Ring: „Der normale Handwerker – eine aussterbende Spezies übrigens – hat gegen den Pfuscher, der in der Regel zumindest um die Differenz Mehrwertsteuer billiger ist, keine Chance auf dem Markt.“ Diese Klage führen viele. Vor allem für Wiener Baustellen müssen Architekten nicht selten früher Selbstverständliches detailliert in Pläne einzeichnen, weil oftmals ungelerntes Personal zugange ist, das keine Texte lesen kann. Bauer sieht, wie alle anderen auch, das Problem als eines unserer Gesellschaft: „Sorgfalt und Behutsamkeit brauchen Zeit, und die wird nicht bezahlt.“ Ob der Stellenwert des Architekten abgenommen habe? „Wenn die Zukunft unseres Bauens bedeutet, großmaßstäbliche Industrieanwendungsobjekte herzustellen, dann braucht man dafür keinen Architekten in unserem Ausbildungssinn, sondern eine Planungsmaschine, die geölt im Hintergrund läuft.“
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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