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Wiens Dachlandschaft: Die fünfte Fassade
Die Wiener Dachlandschaft ist ein riesiger Bauplatz. Gestalterisch scheint bei gefinkelter Interpretation der Baugesetze alles möglich. Rar sind hingegen zeitgenössische Positionen, die sich analytisch mit dem umgebenden Bestand auseinandersetzen. Ein Beispiel.
12. Januar 2019 - Franziska Leeb
Als in den 1980er-Jahren vermehrt unter dem Titel der „Sanften Stadterneuerung“ die Idee artikuliert wurde, verstärkt das Potenzial von Wiener Dachböden zur Wohnraumschaffung zu nutzen, wurde in Wien erstmals für breitere Kreise denkbar, was zuvor noch exotisch gewesen war: sich dort, wo zuvor höchstens die Wäsche getrocknet hatte, ein Refugium in luftiger Höhe zu schaffen. Indes, so einfach war dies damals nicht. Erst die Stadtgestaltungsnovelle von 1996 erleichterte die Errichtung von Wohnraum in den Gründerzeitdächern. Von da an ging es Schlag auf Schlag, und es entstanden auch einige Kleinode, die dank ausgeklügelter Möblierungselemente zu wahren Raumwundern wurden. Etliche der damaligen jungen Architekturbüros verdienten mit spannenden Raumerweiterungen erste Meriten in der Dachzone, und so manchem Unternehmer gelang der Einstieg in die Bauwirtschaft. Mit der Zeit und steigenden Preisen wurden die Ausbauten größer, luxuriöser und exzentrischer.
Der berühmte Paragraf 69 der Wiener Bauordnung, der die Bedingungen für Abweichungen von den Vorschriften des Bebauungsplanes definiert, wurde zum Wegbegleiter der auf dem Dach tätigen Investoren und Planer. Sportsgeist bei der kreativen Auslegung der Gesetze und maximale Ausbeute des Möglichen sind längst wichtiger als Sensibilität gegenüber Bestand und Umgebung. Neben schillernden Tarnkappenbombern, aufgetürmten Staffelgeschoßen und konventionelleren, wenngleich meist nicht weniger ungeschlachten Lösungen wird im Überfluss der Möglichkeiten auf Teufel komm raus oben draufgesetzt.
Auf den Dächern macht sich eine Parallelstadt aus Penthäusern, Terrassen und Haustechnikanlagen breit, deren wildes Gefüge von der Straße aus nur ansatzweise erkennbar ist. Das Problem ist nicht das Neue, sondern dass Interventionen, die mit Gespür für die Proportionalität und Körnung des Stadtkörpers getätigt wurden, die Ausnahme sind. Die Homogenität der fünften Fassade ist in Wien außerhalb der Schutzzonen nicht das Ziel der Stadtgestaltung. Als Stadtbild gilt im Wesentlichen das, was man vom öffentlichen Straßenraum aus sehen kann (was sich vielleicht ändert, wenn Drohnen-Taxis jemals Teil der Alltagsmobilität werden). So haben es die Architekten, Baumeister und Bauträger verinnerlicht, und so wird bei den jährlich Hunderten Dachausbauten mehr Gehirnschmalz in das Ausreizen der Bauordnung und Flächenwidmung gelegt als in die Frage nach der angemessenen Form.
Auf die Suche nach derselben begaben sich hingegen Marie-Therese Harnoncourt und Ernst J. Fuchs (The Next Enterprise Architects), als die mit einem Dachausbau einhergehende Sanierung des Hauses an der Ecke von Ausstellungsstraße und Molkereistraße vis-à-vis dem Wiener Wurstelprater anstand. Entlang der Häuserflucht der Ausstellungsstraße lässt sich noch gut die ursprüngliche Konzeption ablesen: Einzelne der reich mit Erkern und Risaliten gegliederten Fassaden sind noch erhalten. Balkone bilden zusätzlich zur Vorgartenzone eine Schwelle zwischen Stadtraum und privater Wohnung. Besonders augenfällig ist aber die abwechslungsreich akzentuierte Dachlandschaft mit ihren Ecktürmen und Attiken. Wenngleich spätere Veränderungen die Harmonie beinträchtigen, so ist doch die Grundidee der spätgründerzeitlichen Konzeption bis heute erkennbar. Ihr aus einer Analyse dieser Dach- und Fassadentopografie hervorgehender Entwurf, der deren Charakteristik auf neue Art aufnimmt, war wegen Überschreitung der zulässigen Gebäudehöhe durch die gaubenartigen Baukörper auch nur unter Zuhilfenahme des Paragrafen 69 umsetzbar. Ehe ihn die Baubehörde genehmigte, holte sie sich die Rückendeckung des Fachbeirats für Stadtplanung und Stadtgestaltung, der ansonsten bei Vorhaben dieser Art nur in Schutzzonen konsultiert wird. Hunderte, meist weniger sensibel konzipierte Dachausbauten pro Jahr werden ohne diese zusätzliche Begutachtung bewilligt – wohl weil sie sich straßenseitig weniger deutlich artikulieren.
Die Ecke des dreistöckigen Hauses, seiner ursprünglichen Fassade durch Bombenschäden im Zweiten Weltkrieg und einen Umbau in den 1950er-Jahren beraubt, war zunächst von einem gedrungenen Turm mit Walmdach akzentuiert. Die neue Dachlandschaft über einer zäsurbildenden neuen Gesimslinie und einem gläsernen Attikageschoß orientiert sich an der Behäbigkeit des Vorgängerturms und entwickelt durch die mit Zinkblech umhüllten prismatischen Aufbauten eine Verspieltheit, die gut im Einklang mit der Nachbarschaft steht. Ergänzend zu den bestehenden bringen weit ausladende Balkone ein zusätzliches Element der Bewegtheit in die Gründerzeitfassade und werten die Bestandswohnungen um privaten Freiraum auf. Das an die Farbigkeit der neuen Metalloberflächen angeglichene kühle Hellgrau der Fassade vereint Alt und Neu zu einem stimmigen Baukörper, der selbstbewusst Präsenz an der Ecke zeigt.
Vier Maisonetten birgt das als Stahlkonstruktion mit ausfachenden Holzelementen errichtete Dach. Ihre Grundrisse sind um die Nasskerne weitgehend disponibel konfigurierbar, womit die Mietwohnungen auch langfristig anpassbar sind. Wesentlich dafür, dass die Homogenität nicht nur eine äußerliche bleibt, sondern auch das Innenleben durchdringt, ist die dem Dachausbau vorangegangene Totalsanierung des Bestandes. Sie verhalf den Gründerzeitwohnungen zum Beispiel zu neuen Badezimmern, die als niedrige Einbauten mit darüber liegendem Stauraum konzipiert wurden. Überarbeitet wurde auch die Erdgeschoßzone, die neben Geschäftsflächen eine Gästewohnung mit Gartenzugang enthält.
Es entstand ein neues Ganzes, von dem alle Bewohner profitieren. Die Idee eines energieautarken Hauses musste zum Bedauern der Architekten verworfen werden, da die Errichtung einer Erdwärmepumpe finanziell nicht umsetzbar war. Die einfachste, trotz schädliche Begleiterscheinungen immer noch munter praktizierte Methode der Energieeinsparung mittels Wärmedämmverbundsystems kam aus gestalterischen und ökologischen Gründen nicht infrage. So blieb es bei einer Solaranlage, die zur Deckung des Warmwasserbedarfes beiträgt und in den Heizkreislauf eingebunden werden kann. Es ist aber alles vorgesehen, um das ursprüngliche Energiekonzept irgendwann umsetzen zu können.
Der berühmte Paragraf 69 der Wiener Bauordnung, der die Bedingungen für Abweichungen von den Vorschriften des Bebauungsplanes definiert, wurde zum Wegbegleiter der auf dem Dach tätigen Investoren und Planer. Sportsgeist bei der kreativen Auslegung der Gesetze und maximale Ausbeute des Möglichen sind längst wichtiger als Sensibilität gegenüber Bestand und Umgebung. Neben schillernden Tarnkappenbombern, aufgetürmten Staffelgeschoßen und konventionelleren, wenngleich meist nicht weniger ungeschlachten Lösungen wird im Überfluss der Möglichkeiten auf Teufel komm raus oben draufgesetzt.
Auf den Dächern macht sich eine Parallelstadt aus Penthäusern, Terrassen und Haustechnikanlagen breit, deren wildes Gefüge von der Straße aus nur ansatzweise erkennbar ist. Das Problem ist nicht das Neue, sondern dass Interventionen, die mit Gespür für die Proportionalität und Körnung des Stadtkörpers getätigt wurden, die Ausnahme sind. Die Homogenität der fünften Fassade ist in Wien außerhalb der Schutzzonen nicht das Ziel der Stadtgestaltung. Als Stadtbild gilt im Wesentlichen das, was man vom öffentlichen Straßenraum aus sehen kann (was sich vielleicht ändert, wenn Drohnen-Taxis jemals Teil der Alltagsmobilität werden). So haben es die Architekten, Baumeister und Bauträger verinnerlicht, und so wird bei den jährlich Hunderten Dachausbauten mehr Gehirnschmalz in das Ausreizen der Bauordnung und Flächenwidmung gelegt als in die Frage nach der angemessenen Form.
Auf die Suche nach derselben begaben sich hingegen Marie-Therese Harnoncourt und Ernst J. Fuchs (The Next Enterprise Architects), als die mit einem Dachausbau einhergehende Sanierung des Hauses an der Ecke von Ausstellungsstraße und Molkereistraße vis-à-vis dem Wiener Wurstelprater anstand. Entlang der Häuserflucht der Ausstellungsstraße lässt sich noch gut die ursprüngliche Konzeption ablesen: Einzelne der reich mit Erkern und Risaliten gegliederten Fassaden sind noch erhalten. Balkone bilden zusätzlich zur Vorgartenzone eine Schwelle zwischen Stadtraum und privater Wohnung. Besonders augenfällig ist aber die abwechslungsreich akzentuierte Dachlandschaft mit ihren Ecktürmen und Attiken. Wenngleich spätere Veränderungen die Harmonie beinträchtigen, so ist doch die Grundidee der spätgründerzeitlichen Konzeption bis heute erkennbar. Ihr aus einer Analyse dieser Dach- und Fassadentopografie hervorgehender Entwurf, der deren Charakteristik auf neue Art aufnimmt, war wegen Überschreitung der zulässigen Gebäudehöhe durch die gaubenartigen Baukörper auch nur unter Zuhilfenahme des Paragrafen 69 umsetzbar. Ehe ihn die Baubehörde genehmigte, holte sie sich die Rückendeckung des Fachbeirats für Stadtplanung und Stadtgestaltung, der ansonsten bei Vorhaben dieser Art nur in Schutzzonen konsultiert wird. Hunderte, meist weniger sensibel konzipierte Dachausbauten pro Jahr werden ohne diese zusätzliche Begutachtung bewilligt – wohl weil sie sich straßenseitig weniger deutlich artikulieren.
Die Ecke des dreistöckigen Hauses, seiner ursprünglichen Fassade durch Bombenschäden im Zweiten Weltkrieg und einen Umbau in den 1950er-Jahren beraubt, war zunächst von einem gedrungenen Turm mit Walmdach akzentuiert. Die neue Dachlandschaft über einer zäsurbildenden neuen Gesimslinie und einem gläsernen Attikageschoß orientiert sich an der Behäbigkeit des Vorgängerturms und entwickelt durch die mit Zinkblech umhüllten prismatischen Aufbauten eine Verspieltheit, die gut im Einklang mit der Nachbarschaft steht. Ergänzend zu den bestehenden bringen weit ausladende Balkone ein zusätzliches Element der Bewegtheit in die Gründerzeitfassade und werten die Bestandswohnungen um privaten Freiraum auf. Das an die Farbigkeit der neuen Metalloberflächen angeglichene kühle Hellgrau der Fassade vereint Alt und Neu zu einem stimmigen Baukörper, der selbstbewusst Präsenz an der Ecke zeigt.
Vier Maisonetten birgt das als Stahlkonstruktion mit ausfachenden Holzelementen errichtete Dach. Ihre Grundrisse sind um die Nasskerne weitgehend disponibel konfigurierbar, womit die Mietwohnungen auch langfristig anpassbar sind. Wesentlich dafür, dass die Homogenität nicht nur eine äußerliche bleibt, sondern auch das Innenleben durchdringt, ist die dem Dachausbau vorangegangene Totalsanierung des Bestandes. Sie verhalf den Gründerzeitwohnungen zum Beispiel zu neuen Badezimmern, die als niedrige Einbauten mit darüber liegendem Stauraum konzipiert wurden. Überarbeitet wurde auch die Erdgeschoßzone, die neben Geschäftsflächen eine Gästewohnung mit Gartenzugang enthält.
Es entstand ein neues Ganzes, von dem alle Bewohner profitieren. Die Idee eines energieautarken Hauses musste zum Bedauern der Architekten verworfen werden, da die Errichtung einer Erdwärmepumpe finanziell nicht umsetzbar war. Die einfachste, trotz schädliche Begleiterscheinungen immer noch munter praktizierte Methode der Energieeinsparung mittels Wärmedämmverbundsystems kam aus gestalterischen und ökologischen Gründen nicht infrage. So blieb es bei einer Solaranlage, die zur Deckung des Warmwasserbedarfes beiträgt und in den Heizkreislauf eingebunden werden kann. Es ist aber alles vorgesehen, um das ursprüngliche Energiekonzept irgendwann umsetzen zu können.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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