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Sehnsuchtsort Hütte: Vom Glück im Kleinen
Sie bietet eine versteckte Welt, ein Zwergen-Elysium im Abseits: die Hütte. Über einen Sehnsuchtsort, an dem der Mensch ungestört arbeiten, eine Auszeit nehmen, Dreck machen oder faul sein kann.
26. Januar 2019 - Ute Woltron
Der irische Literaturnobelpreisträger George Bernard Shaw lebte zuletzt in der kleinen britischen Ortschaft Ayot Saint Lawrence, wo er eine mit allen Annehmlichkeiten ausgestattete Arts and Crafts Villa inmitten eines Parks bewohnte. Die meiste Zeit zog er sich jedoch in eine Art winziges Hüttenbüro zurück, das er selbst entworfen hatte. Shaws kleine Schreibstube lag verborgen am Ende des Gartens, der flach gedeckte Kubus ist heute in den National Trust eingegliedert. Er sieht wie ein Werkzeugschuppen mit großzügigen Fenstern aus und verfügt über eine ausgeklügelte Basis in Form einer Drehscheibe, die es dem Schriftsteller erlaubte, das Hüttchen mittels kräftigen Rucks beliebig nach dem Sonnenstand auszurichten. Auf den wenigen Quadratmetern unbedingter Privatheit konnte er sich gründlicher von der Welt abschotten als irgendwo sonst. Raffiniert, wie er war, nannte er sein Gartenexil „London“. Wenn jemand in der Villa anrief und nach ihm fragte, musste keiner lügen, wenn die Antwort lautete, er sei nicht da, sondern in London.
Ob Schreib- oder Komponierstube, ob Werkstatt, minimalistisches Feriendomizil oder Meditationshäuschen – die Hütte ist ein Sehnsuchtsort, an dem der Mensch ungestört eine Auszeit nehmen, arbeiten, Dreck machen oder einfach faul sein kann. Sie ist eine versteckte Welt, ein Zwergen-Elysium im Abseits. Künstler, Schriftsteller, Maler, Komponisten zogen sich seit jeher in die Abgeschiedenheit von meist wenig komfortablen, doch mit dem Luxus der Einsamkeit und Stille gesegneten Gartenhüttchen zurück. Der Schriftsteller Dylan Thomas fand in einer umgebauten Garage seine Ruhe, Virginia Woolf in ihrer „Writing Lodge“, Martin Heidegger in einer Berghütte im Schwarzwald, Gustav Mahler in seinem Komponierhäuschen in Krumpendorf am Wörthersee.
Auch der Schweizer Architekt Le Corbusier zog phasenweise die Ruhe eines Ein-Raum-Häuschens an der französischen Riviera dem Trubel der Pariser Großstadt vor. Sein 13 Quadratmeter kleines „Le Cabanon“ sitzt auf einem Felsen über dem Meer. Von außen macht der Blockbau nicht viel her, doch das Innenleben ist mit Holzmöbeln und Einbauten so raffiniert funktional konzipiert wie eine Schiffskajüte.
Über eine ähnliche architektonische Brillanz auf kleinstem Raum verfügen zwar die wenigsten Gartenhütten, doch das tut ihrer Beliebtheit keinen Abbruch. Insbesondere die Briten zelebrieren die kleine Auszeit in den winzigen vier Wänden außerhalb des eigentlichen Wohngebäudes seit jeher. Seit 2001 prämiert der Publikumswettbewerb mit dem Titel „Shed of the Year“ die originellsten Gartenhütten in verschiedenen Disziplinen, vom ökologisch vorbildlichen Hüttchen über historische Gartengebäude bis zu kurzerhand in den Garten ausgelagerten Bürohäuschen. „Shed of the Year“-Gründer Andrew Wilcox hatte den Wettbewerb ins Leben gerufen, als er selbst ein Gartenrefugium andachte und nach Ideen suchte. Die Refugien sind meist ein Sammelsurium aus wiederverwendeten Materialien, wie Teilen von Schiffen und Autokarosserien, alten Fenstern und Ziegeln. Ausgediente Telefonzellen kommen genauso zum Einsatz wie riesige vormalige Industriegefrierschränke, Armeecontainer oder historische Eisenbahnwaggons. Manche sind an Kitschigkeit kaum zu überbieten, doch viele sind gemütliche und pfiffige kleine Rückzugsorte.
Auch wenn selten Architekten mit der Planungsaufgabe einer Gartenhütte betraut werden, so gibt es doch Ausnahmen. Die Londoner Gianni Botsford Architects wurden etwa gebeten, einen Pavillon im Garten eines Privathauses in Zürich zu entwerfen, der nichts anderem als der „altmodischen Kunst des Rauchens“ gewidmet sein sollte. Ein schlichter Kubus aus lichtdurchlässigem, weil mit Glasfasern veredeltem Beton bietet den Qualmern auf acht Quadratmetern Schutz vor der Witterung und zugleich die kontemplative Aussicht in den Park.
Bewährte Hüttenbauer sind auch die niederländischen Künstler und Architekten rund um Joep van Lieshout. Sie schweißten etwa aus abgewrackten Booten geschnittene Stahlplatten als „Wohneinheit“ mit dem Titel „Vostok Cabin“ zusammen und statteten sie mit Holzofen und Möbeln aus wiederverwertetem Holz aus. Die französische Designertruppe Dansmonarbre hat sich überhaupt auf die Konstruktion pfiffiger Baumhäuser verlegt. Eines ihrer raffinierten Projekte, „The Hermitage“, ist ein Kubus aus Lärchenholz, der wie ein überdimensioniertes Vogelhaus in einem riesigen Baum hängt und sich rundum mit aufklappbaren Wand- und Deckenelementen völlig öffnen oder hermetisch abschließen lässt.
Die Prager Uhlik Architekti wiederum stellten für einen Waldbesitzer, der sich einen Ort der Ruhe und Kontemplation wünschte, ein kompaktes, teils schräg wie ein Ausguck in die Luft ragendes Holzhüttchen direkt auf tonnenschwere Findelsteine. Raumhohe Verglasungen holen den Wald und sein Getier in den kleinen Raum, können jedoch zur Gänze mittels Klappwänden geschlossen werden. Das Innere des Waldhäuschens ist ebenfalls fein ausgeklügelt. Eine raumbreite Treppe dient zugleich als Liege- und Sitzlandschaft und als Stauraum.
Eines der wohl verrücktesten Verstecke ist eine bewohnbare Skulptur des Bureau A aus Genf in den Schweizer Alpen. Ihr Name „Antoine“ ist angelehnt an einen fiktiven Charakter des Schriftstellers Charles-Ferdinand Ramuz, der in einer Kurzgeschichte den armen Kerl nach einem Felssturz sieben Wochen unter den Steinen verbringen lässt, bevor er sich endlich befreien kann. Antoine, die Hütte, ist zuinnerst ein Holzhäuschen, das rundum mit Beton umhüllt wie ein Fels auf einem Steilhang in der kargen Alpenlandschaft sitzt.
Die Flucht vor dem Zivilisationstrubel in unkonventionelle und je nach Bauvorschrift recht frei konzipierte Miniaturgebäude ist freilich nicht neu. Auch Henry David Thoreau wird nicht der Erste gewesen sein, der sich in eine Waldhütte zurückzog. Gut tat es ihm aber: „Ihr glaubt, dass ich mich selbst arm mache, indem ich mich von den Menschen zurückziehe, aber in meiner Einsamkeit habe ich mir ein seidenes Gewebe wie eine Schmetterlingspuppe gesponnen, und gleich einer Nymphe werde ich in Bälde als ein vollkommeneres Wesen hervorgehen, einer höheren Gesellschaft würdig.“
Ob Schreib- oder Komponierstube, ob Werkstatt, minimalistisches Feriendomizil oder Meditationshäuschen – die Hütte ist ein Sehnsuchtsort, an dem der Mensch ungestört eine Auszeit nehmen, arbeiten, Dreck machen oder einfach faul sein kann. Sie ist eine versteckte Welt, ein Zwergen-Elysium im Abseits. Künstler, Schriftsteller, Maler, Komponisten zogen sich seit jeher in die Abgeschiedenheit von meist wenig komfortablen, doch mit dem Luxus der Einsamkeit und Stille gesegneten Gartenhüttchen zurück. Der Schriftsteller Dylan Thomas fand in einer umgebauten Garage seine Ruhe, Virginia Woolf in ihrer „Writing Lodge“, Martin Heidegger in einer Berghütte im Schwarzwald, Gustav Mahler in seinem Komponierhäuschen in Krumpendorf am Wörthersee.
Auch der Schweizer Architekt Le Corbusier zog phasenweise die Ruhe eines Ein-Raum-Häuschens an der französischen Riviera dem Trubel der Pariser Großstadt vor. Sein 13 Quadratmeter kleines „Le Cabanon“ sitzt auf einem Felsen über dem Meer. Von außen macht der Blockbau nicht viel her, doch das Innenleben ist mit Holzmöbeln und Einbauten so raffiniert funktional konzipiert wie eine Schiffskajüte.
Über eine ähnliche architektonische Brillanz auf kleinstem Raum verfügen zwar die wenigsten Gartenhütten, doch das tut ihrer Beliebtheit keinen Abbruch. Insbesondere die Briten zelebrieren die kleine Auszeit in den winzigen vier Wänden außerhalb des eigentlichen Wohngebäudes seit jeher. Seit 2001 prämiert der Publikumswettbewerb mit dem Titel „Shed of the Year“ die originellsten Gartenhütten in verschiedenen Disziplinen, vom ökologisch vorbildlichen Hüttchen über historische Gartengebäude bis zu kurzerhand in den Garten ausgelagerten Bürohäuschen. „Shed of the Year“-Gründer Andrew Wilcox hatte den Wettbewerb ins Leben gerufen, als er selbst ein Gartenrefugium andachte und nach Ideen suchte. Die Refugien sind meist ein Sammelsurium aus wiederverwendeten Materialien, wie Teilen von Schiffen und Autokarosserien, alten Fenstern und Ziegeln. Ausgediente Telefonzellen kommen genauso zum Einsatz wie riesige vormalige Industriegefrierschränke, Armeecontainer oder historische Eisenbahnwaggons. Manche sind an Kitschigkeit kaum zu überbieten, doch viele sind gemütliche und pfiffige kleine Rückzugsorte.
Auch wenn selten Architekten mit der Planungsaufgabe einer Gartenhütte betraut werden, so gibt es doch Ausnahmen. Die Londoner Gianni Botsford Architects wurden etwa gebeten, einen Pavillon im Garten eines Privathauses in Zürich zu entwerfen, der nichts anderem als der „altmodischen Kunst des Rauchens“ gewidmet sein sollte. Ein schlichter Kubus aus lichtdurchlässigem, weil mit Glasfasern veredeltem Beton bietet den Qualmern auf acht Quadratmetern Schutz vor der Witterung und zugleich die kontemplative Aussicht in den Park.
Bewährte Hüttenbauer sind auch die niederländischen Künstler und Architekten rund um Joep van Lieshout. Sie schweißten etwa aus abgewrackten Booten geschnittene Stahlplatten als „Wohneinheit“ mit dem Titel „Vostok Cabin“ zusammen und statteten sie mit Holzofen und Möbeln aus wiederverwertetem Holz aus. Die französische Designertruppe Dansmonarbre hat sich überhaupt auf die Konstruktion pfiffiger Baumhäuser verlegt. Eines ihrer raffinierten Projekte, „The Hermitage“, ist ein Kubus aus Lärchenholz, der wie ein überdimensioniertes Vogelhaus in einem riesigen Baum hängt und sich rundum mit aufklappbaren Wand- und Deckenelementen völlig öffnen oder hermetisch abschließen lässt.
Die Prager Uhlik Architekti wiederum stellten für einen Waldbesitzer, der sich einen Ort der Ruhe und Kontemplation wünschte, ein kompaktes, teils schräg wie ein Ausguck in die Luft ragendes Holzhüttchen direkt auf tonnenschwere Findelsteine. Raumhohe Verglasungen holen den Wald und sein Getier in den kleinen Raum, können jedoch zur Gänze mittels Klappwänden geschlossen werden. Das Innere des Waldhäuschens ist ebenfalls fein ausgeklügelt. Eine raumbreite Treppe dient zugleich als Liege- und Sitzlandschaft und als Stauraum.
Eines der wohl verrücktesten Verstecke ist eine bewohnbare Skulptur des Bureau A aus Genf in den Schweizer Alpen. Ihr Name „Antoine“ ist angelehnt an einen fiktiven Charakter des Schriftstellers Charles-Ferdinand Ramuz, der in einer Kurzgeschichte den armen Kerl nach einem Felssturz sieben Wochen unter den Steinen verbringen lässt, bevor er sich endlich befreien kann. Antoine, die Hütte, ist zuinnerst ein Holzhäuschen, das rundum mit Beton umhüllt wie ein Fels auf einem Steilhang in der kargen Alpenlandschaft sitzt.
Die Flucht vor dem Zivilisationstrubel in unkonventionelle und je nach Bauvorschrift recht frei konzipierte Miniaturgebäude ist freilich nicht neu. Auch Henry David Thoreau wird nicht der Erste gewesen sein, der sich in eine Waldhütte zurückzog. Gut tat es ihm aber: „Ihr glaubt, dass ich mich selbst arm mache, indem ich mich von den Menschen zurückziehe, aber in meiner Einsamkeit habe ich mir ein seidenes Gewebe wie eine Schmetterlingspuppe gesponnen, und gleich einer Nymphe werde ich in Bälde als ein vollkommeneres Wesen hervorgehen, einer höheren Gesellschaft würdig.“
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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