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87 und kein bisschen alt
Ohne Denkmalschutz und viel Gespür der neuen Besitzer wäre die Pension Bergheim im Tiroler Außerfern wohl den Verwertungsmechanismen der Tourismuswirtschaft anheimgefallen. Ihr Bestand ist nun für die Zukunft gerüstet.
9. Februar 2019 - Franziska Leeb
„Pension Bergheim“ künden azurblaue Lettern auf der dunkelbraunen Holzfassade im Ortszentrum von Berwang im Tiroler Außerfern. Das Haus mit Pultdach gegenüber der Kirche wirkt wie ein Relikt aus vergangener Zeit und doch hochmodern im Vergleich zu anderen, oft später errichteten oder ausgebauten Hotels und Gästehäusern im Ort, die mit Lüftlmalereien und Schnitzbalkonen auf Tirolerisch geschminkt wurden. Der Pension Bergheim fehlen diese vordergründigen Attribute einer bäuerlich-ländlichen Architektur, und doch speist sich ihre Konzeption auch daraus. Errichtet wurde sie 1932 nach Plänen von Siegfried Mazagg, der die Fertigstellung nicht mehr erlebte. Seine vielversprechende Architektenkarriere nahm ein jähes Ende, nachdem der erst 30-jährige Mazagg am 4. Juni 1932 in seinem Cabriolet in Innsbruck mit einem Botenauto zusammengestoßen war. Zehn Tage später erlag „einer der begabtesten und hoffnungsreichsten Architekten des modernen Tiroler Baugewerbes“ seinen schweren Verletzungen, wie eine Regionalzeitung berichtet.
Bis ins hohe Alter führte Waltraud Stummvoll, die Tochter des Erbauers Rudolf Engele, das gastliche Haus. Dieser Kontinuität und der Liebe und Wertschätzung der Besitzerin zu diesem Ort ist es wohl zu danken, dass es weitgehend unverändert inklusive des von Mazagg entworfenen Interieurs über die Jahrzehnte erhalten blieb und dieser Zeuge 2006 für die Frühzeit des modernen Bergtourismus unter Denkmalschutz gestellt wurde. Als sich abzeichnete, dass die betagte Besitzerin die Pension nicht mehr weiterführen würde, traf es sich, dass Cathrin und Jochen Diederichs – sie Sopranistin, er Bühnenbildner – auf der Suche nach einem Haus in Berwang mit ihr ins Gespräch kamen und handelseins wurden. Als privates Wohnhaus wäre dem Paar das Bergheim zu groß gewesen, und es fühlte sich auch verpflichtet, das Juwel der Öffentlichkeit weiterhin zugänglich zu machen. Eine Weiterführung als Hotel hätte beim Besitzerwechsel die Erfüllung allerhand heutiger Sicherheitsvorschriften notwendig gemacht, die den Bestand partiell in Mitleidenschaft gezogen hätten. Privatvermietung lautete daher die Lösung, die eine denkmalgerechte Renovierung und den weiteren Betrieb wirtschaftlich zu tragen versprach.
Nachdem 2013 der Kaufvertrag unterschrieben worden war, erbat sich Frau Stummvoll, noch einen letzten Winter Abschied vom Bergheim nehmen zu dürfen, während sich die Diederichs in einem Zimmer einmieteten, um eine Strategie für die Umwandlung in das eigene Wohnhaus mit vermietbaren Ferienappartements zu entwickeln. Sie nahmen Kontakt mit dem Denkmalamt auf, mit dem sich eine „unglaublich konstruktive“ Kooperation entwickelte, wie Jochen Diederichs betont. Blauäugig ging er an die Bauaufgabe keineswegs heran. Bereits als Student hatte er in Bonn ein Gründerzeithaus renoviert; nach und nach hatte sich das Häuserrenovieren zur Leidenschaft entwickelt. So befasste er sich mit Mazagg und seiner Ideenfindung, um sich zu konkreten Entscheidungen ermächtigt zu fühlen: „Ich wollte in seinen Kopf gelangen, und irgendwann war ich drin.“ So minimal wie möglich sollte der Umbau vonstattengehen. Bis zum nächsten Winter musste er fertig sein, vor allem weil die Elektriker im Winter als Skilehrer arbeiteten. Es seien eine Traumbaustelle und eine kongeniale Zusammenarbeit gewesen. Seine „spinnerten Ideen vom Theater“ und das Gewusst-wie routinierter lokaler Handwerker befruchteten sich gegenseitig, so Jochen Diederichs, der die ganze Zeit vor Ort mit Hand anlegte.
Die Lärchenverschalung bedurfte nur eines neuen Anstriches; recht einfach war auch die Erhöhung der Balkonbrüstungen. Die Fenster wurden saniert oder nach altem Vorbild erneuert. Eine umfassende Erneuerung erhielt das Dach, dessen originale Torfdämmung gegen Mineralwolle ausgetauscht, die Schalung saniert und die Blechdeckung durch Kupfer ersetzt wurde. Die bessere Dämmung erhöhte den Dachaufbau, womit der über die im Einklang mit den Fensterstöcken blau akzentuierte Dachkante hinausragte. Indem das originale blaue Band in der Fassadenfarbe gestrichen und die neue Dachoberkante neu blau eingefasst wurde, blieb die Optik des schlanken Dachs gewahrt.
Rot markierte im Inneren Mazagg alles, was Energie war: die Radiatoren und Heizungsrohre ebenso wie die Leuchten. Alles blieb erhalten, auch der schöne Leuchtkörper, der in einer Trennwand des Windfangs mit einer Glühbirne zwei Raumzonen erhellt. Originalgetreu erneuert wurden die zylindrischen Wand- und Deckenleuchten aus Pergamentpapier mit dekorativen roten Nähten. Sofern die ursprünglichen Bakelitschalter und Steckdosen nicht mehr vorhanden waren, wurden passende Modelle aus alten Beständen ausfindig gemacht. Die Fliesen der Sanitärräume nahm der Hausherr Stück für Stück ab und säuberte sie, um sie in den neu konfigurierten Badezimmern wieder anzubringen. Detailarbeit leistete auch der Installateur, der passende Ventileinsätze für die Wasserhähne auftrieb, um sie ebenso weiterzuverwenden. Die mit 190 auf 100 Zentimeter bemessenen Originalbetten wurden vom Tischler auf findige Weise auf heutiges Standardmaß umgebaut. Nach wie vor werden sie von Mazaggs genial kompakten Schrank-Nachtkästchen-Kombinationen flankiert, so blieb das Interieur der Schlafzimmer unverändert. Die räumliche Umorganisation gelang ohne große bauliche Eingriffe. Vormalige Zimmertüren wurden als Wohnungseingangstüren in den Mittelgang gesetzt, wobei darüber eingefügte Oberlichten dessen ursprüngliche Raumflucht weiterhin nachvollziehbar machen.
Dass Renovierung und Umnutzung so vorbildhaft gelingen konnten, ist gewiss eine glückliche Fügung, aber jedenfalls einer Baugesinnung zu danken, bei der Intellekt und Handwerk auf Augenhöhe zusammenwirken und sich Leidenschaft für das Detail und Sinn für Pragmatik die Waage halten. In Pertisau am Achensee steht seit den 1960er-Jahren der Alpenhof leer. Das um 1900 entstandene Hotel wurde von Siegfried Mazagg 1929 erweitert und neu ausgestattet. Aufgrund des schlechten Zustandes des Daches wurden vor etwa einem Jahr Notsicherungsmaßnahmen am denkmalgeschützten Gebäude vorgenommen. Mögen sich auch dafür neue Besitzer finden, die mit viel Herz und Sachverstand dem Haus neues Leben geben.
Bis ins hohe Alter führte Waltraud Stummvoll, die Tochter des Erbauers Rudolf Engele, das gastliche Haus. Dieser Kontinuität und der Liebe und Wertschätzung der Besitzerin zu diesem Ort ist es wohl zu danken, dass es weitgehend unverändert inklusive des von Mazagg entworfenen Interieurs über die Jahrzehnte erhalten blieb und dieser Zeuge 2006 für die Frühzeit des modernen Bergtourismus unter Denkmalschutz gestellt wurde. Als sich abzeichnete, dass die betagte Besitzerin die Pension nicht mehr weiterführen würde, traf es sich, dass Cathrin und Jochen Diederichs – sie Sopranistin, er Bühnenbildner – auf der Suche nach einem Haus in Berwang mit ihr ins Gespräch kamen und handelseins wurden. Als privates Wohnhaus wäre dem Paar das Bergheim zu groß gewesen, und es fühlte sich auch verpflichtet, das Juwel der Öffentlichkeit weiterhin zugänglich zu machen. Eine Weiterführung als Hotel hätte beim Besitzerwechsel die Erfüllung allerhand heutiger Sicherheitsvorschriften notwendig gemacht, die den Bestand partiell in Mitleidenschaft gezogen hätten. Privatvermietung lautete daher die Lösung, die eine denkmalgerechte Renovierung und den weiteren Betrieb wirtschaftlich zu tragen versprach.
Nachdem 2013 der Kaufvertrag unterschrieben worden war, erbat sich Frau Stummvoll, noch einen letzten Winter Abschied vom Bergheim nehmen zu dürfen, während sich die Diederichs in einem Zimmer einmieteten, um eine Strategie für die Umwandlung in das eigene Wohnhaus mit vermietbaren Ferienappartements zu entwickeln. Sie nahmen Kontakt mit dem Denkmalamt auf, mit dem sich eine „unglaublich konstruktive“ Kooperation entwickelte, wie Jochen Diederichs betont. Blauäugig ging er an die Bauaufgabe keineswegs heran. Bereits als Student hatte er in Bonn ein Gründerzeithaus renoviert; nach und nach hatte sich das Häuserrenovieren zur Leidenschaft entwickelt. So befasste er sich mit Mazagg und seiner Ideenfindung, um sich zu konkreten Entscheidungen ermächtigt zu fühlen: „Ich wollte in seinen Kopf gelangen, und irgendwann war ich drin.“ So minimal wie möglich sollte der Umbau vonstattengehen. Bis zum nächsten Winter musste er fertig sein, vor allem weil die Elektriker im Winter als Skilehrer arbeiteten. Es seien eine Traumbaustelle und eine kongeniale Zusammenarbeit gewesen. Seine „spinnerten Ideen vom Theater“ und das Gewusst-wie routinierter lokaler Handwerker befruchteten sich gegenseitig, so Jochen Diederichs, der die ganze Zeit vor Ort mit Hand anlegte.
Die Lärchenverschalung bedurfte nur eines neuen Anstriches; recht einfach war auch die Erhöhung der Balkonbrüstungen. Die Fenster wurden saniert oder nach altem Vorbild erneuert. Eine umfassende Erneuerung erhielt das Dach, dessen originale Torfdämmung gegen Mineralwolle ausgetauscht, die Schalung saniert und die Blechdeckung durch Kupfer ersetzt wurde. Die bessere Dämmung erhöhte den Dachaufbau, womit der über die im Einklang mit den Fensterstöcken blau akzentuierte Dachkante hinausragte. Indem das originale blaue Band in der Fassadenfarbe gestrichen und die neue Dachoberkante neu blau eingefasst wurde, blieb die Optik des schlanken Dachs gewahrt.
Rot markierte im Inneren Mazagg alles, was Energie war: die Radiatoren und Heizungsrohre ebenso wie die Leuchten. Alles blieb erhalten, auch der schöne Leuchtkörper, der in einer Trennwand des Windfangs mit einer Glühbirne zwei Raumzonen erhellt. Originalgetreu erneuert wurden die zylindrischen Wand- und Deckenleuchten aus Pergamentpapier mit dekorativen roten Nähten. Sofern die ursprünglichen Bakelitschalter und Steckdosen nicht mehr vorhanden waren, wurden passende Modelle aus alten Beständen ausfindig gemacht. Die Fliesen der Sanitärräume nahm der Hausherr Stück für Stück ab und säuberte sie, um sie in den neu konfigurierten Badezimmern wieder anzubringen. Detailarbeit leistete auch der Installateur, der passende Ventileinsätze für die Wasserhähne auftrieb, um sie ebenso weiterzuverwenden. Die mit 190 auf 100 Zentimeter bemessenen Originalbetten wurden vom Tischler auf findige Weise auf heutiges Standardmaß umgebaut. Nach wie vor werden sie von Mazaggs genial kompakten Schrank-Nachtkästchen-Kombinationen flankiert, so blieb das Interieur der Schlafzimmer unverändert. Die räumliche Umorganisation gelang ohne große bauliche Eingriffe. Vormalige Zimmertüren wurden als Wohnungseingangstüren in den Mittelgang gesetzt, wobei darüber eingefügte Oberlichten dessen ursprüngliche Raumflucht weiterhin nachvollziehbar machen.
Dass Renovierung und Umnutzung so vorbildhaft gelingen konnten, ist gewiss eine glückliche Fügung, aber jedenfalls einer Baugesinnung zu danken, bei der Intellekt und Handwerk auf Augenhöhe zusammenwirken und sich Leidenschaft für das Detail und Sinn für Pragmatik die Waage halten. In Pertisau am Achensee steht seit den 1960er-Jahren der Alpenhof leer. Das um 1900 entstandene Hotel wurde von Siegfried Mazagg 1929 erweitert und neu ausgestattet. Aufgrund des schlechten Zustandes des Daches wurden vor etwa einem Jahr Notsicherungsmaßnahmen am denkmalgeschützten Gebäude vorgenommen. Mögen sich auch dafür neue Besitzer finden, die mit viel Herz und Sachverstand dem Haus neues Leben geben.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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