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Ein Wiener Manifest muss her!
Bevor Luxuswohnen auf die Brueghel’sche Eislaufidylle am Heumarkt herunterblickt, wäre zu überlegen, was die Stadt hier an urbanen Funktionen braucht. Wir sollten ungewöhnlich denken, besser noch: ungehörig.
23. März 2019 - Sabine Pollak
Der Streit um das Heumarkt-Projekt hat einen positiven Effekt: So heftig wurde in Wien schon lange nicht mehr über Stadtplanung diskutiert. Man traut sich kaum mehr, Stellung zu nehmen. Egal, wie man es macht, wird man kritisiert. Man ist altmodisch (Welterbe-Vertreter), Wien-Zerstörer (Turm-Verteidiger) oder ignorant (kein Unterstützer des Eislaufvereins). Ich möchte Folgendes anregen: Beginnen wir von vorn. Zurück zum Start. Zwei Jahre warten ist sehr wienerisch, wird aber wenig bringen. Zu klären wäre: Welche städtebaulichen Fragen stellen sich an diesem prominenten Wiener Ort? Wobei, zurzeit ist es weniger Ort und eher eine (fast) leere Stelle in der Stadt. Was ist denkbar, was möglich? Was wäre eine neue Position der Wiener Baukultur, um die Stelle zum Ort zu machen?
Wien hat viele gute Gebäude und wenig Städtebau. Die Stadt hat kaum Erfahrung damit, zumindest im Zentrum. An den Rändern ist dies anders. Da werden komplexe und sehr engagierte Verfahren entwickelt, die garantieren sollen, dass neue Projekte den Ansprüchen einer zukünftigen Stadt genügen. Im Zentrum setzt man auf Altbewährtes: Stararchitekten (obwohl, wer kannte ihn?), traditionelle Funktionen (Hotel und Luxuswohnen, da kann nichts schiefgehen) und Architektur, die in jeder Stadt stehen könnte. Ein Turm an sich ist auch kein Garant für Neues, das zeigen die meisten Türme zwischen Den Haag und Belgrad. Ein transeuropäisches Hochhausdesign greift um sich, Vorsicht!
Fragwürdiger Turm
Aber nicht nur Wien vertut sich in Proportionen, es passiert auch anderen Städten, Barcelona etwa. 2005 wurde der Torre Glòries des französischen (Star-)Architekten Jean Nouvel fertiggestellt. Er liegt nicht zentral, aber an einer prominenten Kreuzung an der Diagonale. Auf Bildern sah er lustig aus mit changierenden Farben. In der Realität erweist sich das phallische Ding als äußerst fraglich. Der Turm sticht aus dem von Ildefons Cerdà Mitte des 19. Jahrhunderts klug entwickelten Stadtraster unnötig heraus. Steht man davor, wirkt er abweisend, Dialog mit Kontext gleich null. Außerdem wurde kurz zuvor ein sehr ähnlicher Turm in London gebaut. Pech gehabt, Barcelona!
Rund um den Turm entstehen seit einigen Jahren jedoch gute Planungen, etwa das kleine Museum für zeitgenössische Kunst, das Can Framis, des Architektenteams Baas Arquitectura. Ein kluger Städtebau interpretiert das Cerdà-Raster unkonventionell, als Einfassung, als Serie schmaler, unterschiedlich hoher Scheiben, als flächige Masse mit Einschnitten. Die Eigenart des vormals industriellen Orts wird belassen und in Sichtbeton „gerahmt“.
Raster aufbrechen
Was sind die Eigenheiten des Heumarkt-Areals? Was macht man mit den Rändern des Bauplatzes? Welcher Raster könnte interpretiert werden? Wie schmal, breit, gedrungen oder hoch wären solche Interpretationen? Verstehen Sie mich nicht falsch – Stadt soll nicht wiederholt werden. Im Gegenteil, es geht um einen erfrischenden Umgang mit Stadt. Transformieren wir doch dieses Wien, interpretieren und durchlöchern wir es, brechen wir die sturen Raster auf. Alles nur keine Allerweltsarchitektur.
Der Eislaufverein drängt auf Realisierung? Das ist nachvollziehbar, aber kontraproduktiv. Es sollte nicht Druck aufgebaut werden, eher ist Entspannung angesagt. Auch was die zukünftige Programmierung betrifft. Bevor Luxuswohnen auf die Brueghel’sche Eislaufidylle herunterblickt, wäre zu überlegen, was die Stadt an dieser Stelle an urbanen Funktionen braucht. Und Urbanität wird notwendig sein, urbaner als hier wird Wien kaum werden. Wir sollten also ungewöhnlich denken, besser noch: ungehörig.
Es gibt kein Rezept für den Heumarkt. Es gibt städtebauliche Vorgaben, die ohnehin jedem einleuchten. Die Anbindung an den dritten Bezirk. Die Überwindung der Straßen. Der Konnex zum Ring samt Vision eines autofreien Rings, denn irgendwann werden die Autos weg sein. Die Synergie mit dem Gymnasium, das man bei dieser Gelegenheit gleich auch neu erfinden kann. Ein demokratisches Weiterdenken eines Konzerthauses. Würde der Investor mitspielen, könnte er maximal gewinnen, und die Stadt samt den Nutzern dazu.
„Delirious Vienna“
Wo liegen die Stärken des Plans von Wien? Welche Strukturen und Materialien erlauben wir uns? Was ist Wiener Urbanität? Wir sollten vorab ein Manifest für Wien und seine Urbanität schreiben, so wie es Rem Koolhaas 1978 für Manhattan tat. In Delirious New York erzählt er, unterstützt durch Illustrationen von Madelon Vriesendorp, wie Manhattan zu dem wurde, was es ist, ergänzt durch fiktive Geschichten, ein mutiges, nichtwissenschaftliches und sehr erfrischendes Buch.
Wien, wie es Wien wurde und wie es einmal sein könnte, ein Wiener Architektur-Narrativ, das wäre etwas. Was macht Wien urban? Wie wurde es eine oder keine Großstadt? Was ist die urbane Fiktion von Wien? Das ergäbe eine gute Basis für einen zukünftigen urbanen Ort am Wiener Heumarkt. Herumdoktern am Turm? No way, führt zu nichts. Zurück zum Start? Yes! Aber mit neuen Spielregeln und Mitspielenden. Und allem voran, bitte ein Wiener Manifest!
Wien hat viele gute Gebäude und wenig Städtebau. Die Stadt hat kaum Erfahrung damit, zumindest im Zentrum. An den Rändern ist dies anders. Da werden komplexe und sehr engagierte Verfahren entwickelt, die garantieren sollen, dass neue Projekte den Ansprüchen einer zukünftigen Stadt genügen. Im Zentrum setzt man auf Altbewährtes: Stararchitekten (obwohl, wer kannte ihn?), traditionelle Funktionen (Hotel und Luxuswohnen, da kann nichts schiefgehen) und Architektur, die in jeder Stadt stehen könnte. Ein Turm an sich ist auch kein Garant für Neues, das zeigen die meisten Türme zwischen Den Haag und Belgrad. Ein transeuropäisches Hochhausdesign greift um sich, Vorsicht!
Fragwürdiger Turm
Aber nicht nur Wien vertut sich in Proportionen, es passiert auch anderen Städten, Barcelona etwa. 2005 wurde der Torre Glòries des französischen (Star-)Architekten Jean Nouvel fertiggestellt. Er liegt nicht zentral, aber an einer prominenten Kreuzung an der Diagonale. Auf Bildern sah er lustig aus mit changierenden Farben. In der Realität erweist sich das phallische Ding als äußerst fraglich. Der Turm sticht aus dem von Ildefons Cerdà Mitte des 19. Jahrhunderts klug entwickelten Stadtraster unnötig heraus. Steht man davor, wirkt er abweisend, Dialog mit Kontext gleich null. Außerdem wurde kurz zuvor ein sehr ähnlicher Turm in London gebaut. Pech gehabt, Barcelona!
Rund um den Turm entstehen seit einigen Jahren jedoch gute Planungen, etwa das kleine Museum für zeitgenössische Kunst, das Can Framis, des Architektenteams Baas Arquitectura. Ein kluger Städtebau interpretiert das Cerdà-Raster unkonventionell, als Einfassung, als Serie schmaler, unterschiedlich hoher Scheiben, als flächige Masse mit Einschnitten. Die Eigenart des vormals industriellen Orts wird belassen und in Sichtbeton „gerahmt“.
Raster aufbrechen
Was sind die Eigenheiten des Heumarkt-Areals? Was macht man mit den Rändern des Bauplatzes? Welcher Raster könnte interpretiert werden? Wie schmal, breit, gedrungen oder hoch wären solche Interpretationen? Verstehen Sie mich nicht falsch – Stadt soll nicht wiederholt werden. Im Gegenteil, es geht um einen erfrischenden Umgang mit Stadt. Transformieren wir doch dieses Wien, interpretieren und durchlöchern wir es, brechen wir die sturen Raster auf. Alles nur keine Allerweltsarchitektur.
Der Eislaufverein drängt auf Realisierung? Das ist nachvollziehbar, aber kontraproduktiv. Es sollte nicht Druck aufgebaut werden, eher ist Entspannung angesagt. Auch was die zukünftige Programmierung betrifft. Bevor Luxuswohnen auf die Brueghel’sche Eislaufidylle herunterblickt, wäre zu überlegen, was die Stadt an dieser Stelle an urbanen Funktionen braucht. Und Urbanität wird notwendig sein, urbaner als hier wird Wien kaum werden. Wir sollten also ungewöhnlich denken, besser noch: ungehörig.
Es gibt kein Rezept für den Heumarkt. Es gibt städtebauliche Vorgaben, die ohnehin jedem einleuchten. Die Anbindung an den dritten Bezirk. Die Überwindung der Straßen. Der Konnex zum Ring samt Vision eines autofreien Rings, denn irgendwann werden die Autos weg sein. Die Synergie mit dem Gymnasium, das man bei dieser Gelegenheit gleich auch neu erfinden kann. Ein demokratisches Weiterdenken eines Konzerthauses. Würde der Investor mitspielen, könnte er maximal gewinnen, und die Stadt samt den Nutzern dazu.
„Delirious Vienna“
Wo liegen die Stärken des Plans von Wien? Welche Strukturen und Materialien erlauben wir uns? Was ist Wiener Urbanität? Wir sollten vorab ein Manifest für Wien und seine Urbanität schreiben, so wie es Rem Koolhaas 1978 für Manhattan tat. In Delirious New York erzählt er, unterstützt durch Illustrationen von Madelon Vriesendorp, wie Manhattan zu dem wurde, was es ist, ergänzt durch fiktive Geschichten, ein mutiges, nichtwissenschaftliches und sehr erfrischendes Buch.
Wien, wie es Wien wurde und wie es einmal sein könnte, ein Wiener Architektur-Narrativ, das wäre etwas. Was macht Wien urban? Wie wurde es eine oder keine Großstadt? Was ist die urbane Fiktion von Wien? Das ergäbe eine gute Basis für einen zukünftigen urbanen Ort am Wiener Heumarkt. Herumdoktern am Turm? No way, führt zu nichts. Zurück zum Start? Yes! Aber mit neuen Spielregeln und Mitspielenden. Und allem voran, bitte ein Wiener Manifest!
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