Artikel

Von Weimar nach Kolkata und zurück – das Bauhaus agierte kosmopolitisch
Neue Zürcher Zeitung

Das Bauhaus ist nicht nur eine deutsche Geschichte. Einflüsse aus aller Welt prägten die Ideen von Lehrern und Schülern und wirkten international weiter.

11. Mai 2019 - Gregor Harbusch
Hätten Sie es gewusst? Die erste Bauhaus-Ausstellung ausserhalb Deutschlands fand 1922 in Kolkata statt. Sie ging auf eine Initiative der österreichischen Kunsthistorikerin Stella Kramrisch zurück, deren kosmopolitische Karriere auch an der indischen Kunstschule Kala Bhavan haltmachte. Von dort aus nahm sie Kontakt auf mit Johannes Itten für eine Präsentation von Bauhaus-Arbeiten an der Jahresausstellung der Indian Society of Oriental Art. 250 Werke von Lehrenden und Studierenden des Bauhauses wurden daraufhin nach Kolkata geschickt.

Die Kala Bhavan war 1919 gegründet worden, also im gleichen Jahr wie das Bauhaus. Die Schule wollte indische Kunst und indisches Handwerk vor dem Hintergrund der britischen Kolonialpolitik zusammendenken und neu beleben. Sie war vom bengalischen Kulturreformer und Literaturnobelpreisträger Rabindranath Tagore initiiert worden. Im geschützten Raum einer utopisch-reformerischen Landgemeinschaft schuf er eine Institution, die – unter Einbezug indischer, asiatischer und europäischer Kunst – mit ihrem ganzheitlichen Lehransatz eine durchaus vergleichbare Programmatik wie das Bauhaus verfolgte.

Das kosmopolitische Bauhaus verstehen

Die Wechselwirkungen zwischen Weimar und Westbengalen und unendlich viele weitere Geschichten zeichnen ein neues Bild der berühmtesten Kunstschule der Welt, die sich auch aussereuropäische und vormoderne Kunstpraktiken aneignete. Aus dieser neuen Perspektive wird das Bauhaus zum kosmopolitischen Projekt im grösseren Rahmen einer Moderne, die durch internationale Netzwerke und Wechselwirkungen entstand und bis heute weiterwirkt.

Die Berliner Kuratorin Marion von Osten, die sich viel mit Postkolonialismus und Migration beschäftigt hat, und der britische Design-Historiker Grant Watson haben im Berliner Haus der Kulturen der Welt eine grosse Ausstellung mit Fallbeispielen aus verschiedensten Ländern eingerichtet. Darin zeichnen sie die Rezeption und Transformation der Ideen des Bauhauses als transkulturelles Phänomen nach – von der Gründung der Schule 1919 über die Zeit des Kalten Krieges bis in die jüngste Vergangenheit.

Die deutschen Bauhaus-Schulen in Weimar, Dessau und Berlin rücken in der Ausstellung an den Rand, um Platz für bisher marginalisierte Phänomene zu machen und gerade dadurch in neue Kontexte gesetzt zu werden. Global ist die Ausstellung nicht nur in thematischer, sondern auch in methodischer Hinsicht: Sie versammelt in verdichteter Form zahlreiche Einblicke in die Arbeiten, die von den Kuratoren zusammen mit einem Team von achtzehn Forscherinnen und Forschern aus verschiedenen Kontinenten erarbeitet wurden. Kapitelweise wurden sie seit Anfang 2018 in Kyoto, Hangzhou, Moskau, São Paulo und Delhi gezeigt und werden nun in dieser grossen Schau zusammengeführt.

Eine Vielzahl selten gesehener Dokumente und eindrucksvoller Kunstwerke und Handwerksstücke entfalten in dieser neuen Perspektive ein Universum, das weit über das bisher bekannt gemachte Bauhaus hinausgeht. Zum Glück ist das heterogene Material in vier thematische Kapitel gegliedert, damit zumindest ein Gefühl von Struktur und Übersicht entsteht – allerdings nicht bei allen. Die vom Jubiläumsjahr Übersättigten freuen sich auf jeden Fall über diese unerwarteten Einsichten. Für die anderen bleibt die Zusammenstellung zuweilen kryptisch.

Aussereuropäische Vorbilder

Walter Gropius’ Bauhaus-Manifest von 1919 dient als Anker der weit ausgreifenden Themen der Ausstellung. Es steht als paradigmatischer Gegenstand aus dem historischen Bauhaus am Anfang des ersten Teils. So wird jedes der vier Kapitel, immer mit kulturwissenschaftlich weitgespanntem Bogen, an konkrete Objekte zurückgebunden und dadurch sozusagen fassbar gemacht. Nicht die weltbekannten Bauten und Objekte werden gezeigt, sondern weniger Bekanntes: Im ersten Teil sind es Skizzen, Notizen und Materialübungen aus dem Unterricht bei Josef Albers, Paul Klee und Joost Schmidt, also nicht Meister-, sondern Schülerarbeiten.

Diese Mikroperspektive auf die künstlerische Ausbildung ist vor allem durch die programmatische Konfrontation mit zwei asiatischen Kunstschulen wirkungsvoll, nämlich der anfangs erwähnten Kala Bhavan und der 1931 in Japan gegründeten Kunstschule Seikatsu Kosei Kenkyusho. Nicht mehr das singuläre Phänomen Bauhaus steht im Fokus, sondern der Trend zur antiakademischen, umfassenden und experimentellen Kunstausbildung mit gesellschaftlichem Veränderungsanspruch während der Zwischenkriegszeit.

Nicht vergessen gehen sollten hier allerdings die gemeinsamen Wurzeln dieser über den Globus verteilten Kunstschulen in der «Arts and Crafts»-Bewegung. Diese stellte 1919 mit der «Grossherzoglich-Sächsischen Kunstgewerbeschule Weimar» unter der Leitung von Henry van der Velde die lokale Ausgangslage für das Bauhaus. Walter Gropius führte die Schule mit der Kunstschule zusammen und wechselte den Namen. Diese Vorgeschichte ist wichtig, denn das Bauhaus arbeitete in und mit den Traditionen aus Kunst und Handwerk.

Eine kleine Zeichnung Paul Klees aus dem Jahr 1927 dient als Anker zum Kapitel zu den aussereuropäischen Vorbildern. Darin beschäftigt sich der Maler mit der abstrakten Formensprache maghrebinischer Teppiche. Die Protagonisten des Bauhauses eigneten sich aussereuropäische und vormoderne Kunst- und Handwerkstechniken in ihren eigenen Arbeiten an und führten sie in den Unterricht ein. In der nächsten Generation, nach dem Zweiten Weltkrieg, führten deren Schüler diese Ideen wiederum an internationalen Kunstschulen ein.

Anni Albers war eine solche Studentin Klees und reiste ab Mitte der 1930er Jahre mit ihrem Mann immer wieder nach Süd- und Mittelamerika, um sich dort mit indigenen Webtechniken zu beschäftigen und diese dann in der Nachkriegszeit am Black Mountain College in North Carolina zu vermitteln. Die in diesem Kontext gezeigten abstrakten Textilarbeiten der amerikanischen Fibre-Art-Bewegung aus den 1960er Jahren gehören zu den eindrucksvollsten Objekten in der ganzen Ausstellung.

Die Ecole des Beaux-Arts in Casablanca, wo der Transfer via Dekolonialisierung und künstlerisch-politische Neupositionierung geschah, zeigt, dass der Einfluss des Bauhauses sich auf unterschiedlichen Wegen in der Welt verteilte. In Berlin fliessen nun all diese lokalen Erzählungen zusammen und schaffen eine neue Metaerzählung des Bauhauses jenseits von weissen deutschen Villen und streng geometrischen Freischwingern ­– vielmehr farbig, vielfältig, und manchmal weit weg von Europa.
Ausstellung «bauhaus imaginista», bis 10. Juni im Haus der Kulturen der Welt, Berlin, in Zusammenarbeit mit der Bauhaus-Kooperation Berlin Dessau Weimar und dem Goethe-Institut.

In der Schweiz ab dem 20. September im Zentrum Paul Klee, Bern.

Der Katalog zur Ausstellung ist bei Scheidegger & Spiess erschienen.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: