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Notre-Dame als Macrons mögliches Erbe
Der Standard

Frankreichs Parlament debattiert heute über die Restauration der Kathedrale. Die Opposition wirft Präsident Macron vor, mit Sondervollmachten ein modernes Projekt realisieren zu wollen. Stefan Brändle aus Paris

10. Mai 2019 - Stefan Brändle
Die nationale Eintracht nach dem Dachbrand der Notre-Dame hat weniger als einen Monat gewährt. Nicht ganz überraschend gehen die Meinungen über das zukünftige Antlitz des Pariser Wahrzeichens bereits weit auseinander. Die französische Urdebatte zwischen „Anciens“ (Traditionalisten) und „Modernes“ lebt wieder auf: Die Ersteren verlangen eine originalgetreue Restauration der zerstörten Bausubstanz. Letztere sind offen für Neues und wollen die Gelegenheit nutzen, den 800 Jahre alten Bau fortzuentwickeln.

Der Disput ist längst nicht nur kunsthistorischer oder ästhetischer Natur: Im Hintergrund geht es auch um die sehr politische Frage, ob Notre-Dame als Symbol der Christenheit zu bewahren und zu beschützen sei – oder ob sie selber mit der Zeit gehen soll. Entsprechend hoch wogt bereits die Debatte über ein Spezialgesetz, das heute, Freitag, vor die Nationalversammlung kommt. Es erlässt zum einen 75 Prozent der Steuern auf Spenden bis zu 100 Euro.

Zentraler sind zwei andere Gesetzesbestimmungen: Die in Staatsbesitz befindliche Kathedrale erhält ein öffentliches Gremium vorgestellt, ein „établissement publique“, das finanzielle und andere Fragen klären soll. Dazu soll die Regierung das Recht erhalten, auf dem Ordonnanzweg – also ohne Parlamentsvotum – „Ausnahmen“ von den geltenden urbanistischen und kunsthistorischen Normen zu erlassen.

Die Opposition wirft Präsident Emmanuel Macron vor, er wolle mit diesen zwei Bestimmungen das Zepter der Renovierung an sich reißen. Die kommunistische Abgeordnete Marie-George Buffet erklärte, die zwei bereits bestehenden Notre-Dame-Gremien – auf die der Staatschef weniger Einfluss hat – genügten vollauf.

Vorwurf des Größenwahns

Die konservativen Republikaner verdächtigen Macron megalomaner Absichten: So wie Georges Pompidou das gleichnamige Kulturzentrum, Valéry Giscard d’Estaing das Musée d’Orsay, François Mitterrand die Bastille-Oper und Jacques Chirac das Völkerkundemuseum Branly gebaut hätten, wolle der aktuelle Präsident der neuen Notre-Dame seine eigene Handschrift aufdrücken.

Will er ein modernes, progressives Zeichen setzen, wie es seinem politischen Credo gegen die „rückwärtsgewandten“ Populisten entspricht? Macron hat bereits erklärt, er könnte sich beim Wiederaufbau des abgebrannten Dachreiters – des zentralen Objekts des Wiederaufbaus – gut eine „zeitgenössische Geste“ vorstellen, also eine moderne Version der filigranen Turmspitze.

Diese Bemerkung ist nicht unbeachtet geblieben. Die Republikanerin Constance Le Grip versuchte deshalb in der vorberatenden Kommission, das Adjektiv „identisch“ vor das Wort „Restauration“ setzen. Die Macronisten lehnten dies aber ab.

In die gleiche Richtung zielt die Kritik, Macron handle übereilt, um sich mit der vollendeten Renovierung einen Platz in den Geschichtsbüchern zu sichern. Schon im April hatte er erklärt, der Wiederaufbau solle „binnen fünf Jahren“, also rechtzeitig für die Olympischen Spiele von Paris 2014, beendet sein.

Die republikanische Abgeordnete Brigitte Kuster fragte darauf in der Kommission: „Kathedralenbauer arbeiten für die Ewigkeit. Wer sind wir, dass wir uns auf die Restauration stürzen und die Urbanismus-Regeln vernachlässigen?“

Ein Schuss vor den präsidialen Bug ist auch eine Petition von 1170 französischen und internationalen Konservatoren, Architekten und Kunstexperten. „Herr Präsident, lassen Sie nicht die Kulturerbeexperten beiseite“ lautet ihr Titel, gefolgt vom Ratschlag: „Nehmen wir uns die Zeit, den richtigen Weg zu finden“. Unverhohlen werfen die Spezialisten Macron vor, er opfere die „Komplexität des Denkens“ der „zur Schau gestellten Effizienz“.

Kulturminister Franck Riester beschwichtigt, Frankreich kenne strikte Regeln für den Schutz historischer Güter. Dass aber gerade die Möglichkeit vorgesehen ist, darüber hinwegzusehen, ließ er unbeantwortet. Dank seiner absoluten Mehrheit dürfte Macrons Regierungslager keine großen Probleme haben, die Sondervollmacht für die Regierung – das heißt den Präsidenten – in der Nationalversammlung durchzubringen. Schwieriger dürfte es sein, die öffentliche Meinung auf seine Seite zu ziehen.

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