Artikel

Wie viel Raum braucht der Mensch?
Spectrum

Goldene Zeiten für Graz-Umgebung als zweitattraktivsten Bezirk Österreichs: Auf Teufel komm raus wird neu gebaut. Die Bodenversiegelung schreitet rasch voran – eine neue Raumordnung scheint notwendig.

25. Mai 2019 - Karin Tschavgova
Herrscht da Goldgräberstimmung? Als aufmerksame Beobachterin der massiven Bautätigkeit südlich von Graz konnte man auch ohne das neueste Zukunftsranking schlussfolgern, was nun schwarz auf weiß feststeht: In der Studie, die die Attraktivität und Entwicklungsfähigkeit der österreichischen Regionen untersuchte, nimmt Graz-Umgebung unter den 94 Bezirken den zweiten Platz ein und punktet vor allem in den Kategorien Arbeitsmarkt sowie Wirtschaft und Innovation.

Viel gebaut bedeutet Verbrauch von Boden, der in ländlichen Gemeinden meist hochwertiger, zuvor landwirtschaftlich genutzter Boden ist. Österreich ist europäische Spitze im Bodenverbrauch. Hier wird täglich dreimal so viel Agrarland in Siedlungs- und Verkehrsflächen umgewandelt wie in Deutschland. In der Schweiz gibt es Initiativen zum Flächenschutz von agrarischem Kulturboden. Davon erfahren wir nur, wenn, wie 2015, Österreichs Hagelversicherung einen dramatischen Appell zur Reduktion der Bodenversiegelung veröffentlicht, damit die Auswirkungen des Klimawandels nicht noch durch „toten Boden“ verstärkt werden, in dem kein Wasser versickern und kein Kohlendioxid gebunden werden kann. Bodenverbau soll in der Schweiz direkt an den Erhalt der Ernährungssicherheit durch ausreichende Flächen zur Versorgung der Bevölkerung mit heimischen Lebensmitteln aus der Region gekoppelt werden.

Solche Maßnahmen finden sich nicht in unserer überörtlichen Raumordnung, obwohl der Tenor ihrer Grundsätze Ähnliches enthält: Freihaltung von Gebieten mit der Eignung für eine Nutzung mit besonderen Standortansprüchen, Nutzung von Boden unter Beachtung eines sparsamen Flächenverbrauchs, einer wirtschaftlichen Aufschließung und Vermeidung von Zersiedelung, Entwicklung der Siedlungsstruktur unter Berücksichtigung von Klimaschutzzielen und sparsamer Verwendung von Energie und Ausrichtung an vorhandener Infrastruktur sind nur einige der Ziele, die auf dem Papier gut klingen.

Die örtliche Raumplanung, die den Kommunen obliegt und im Flächenwidmungsplan Bauland und/oder nicht zu bebauendes Freiland ausweist, ist also gefordert, Raum klug und weitsichtig zu ordnen, wie es das Steiermärkische Raumordnungsgesetz aus 2010 vorgibt: „Raumordnung ist die planmäßige, vorausschauende Gestaltung eines Gebietes, um die nachhaltige und bestmögliche Nutzung und Sicherung des Lebensraumes im Interesse des Gemeinwohles zu gewährleisten.“ Dies umzusetzen fällt wirtschaftlich schwachen Gemeinden nicht leicht, müssen doch etwa zwei Drittel ihres Gemeindebudgets aus Kommunal- und Grundsteuern aufgebracht werden. Das lässt verstehen, dass es in Gemeinden mit Mangel an Arbeitsplätzen und Abwanderung schwerfällt, Begehrlichkeiten zur Umwidmung von Grünland in Bauland abzuweisen. Anders sollte es in boomenden Regionen wie dem Umland von Graz sein. Wann, wenn nicht jetzt wäre es möglich, den Paradigmenwechsel vom sorglosen Bodenverbrauch zu sparsamer, ressourcensparender Bodenverwendung vorzunehmen? Was wie ein Widerspruch klingt, ist keiner, denn in konjunkturell guten Zeiten kann man sich Achtsamkeit und ökologische Überlegungen leisten. Ein Paradigmenwandel wäre jetzt angesagt, denn alles, was wir weiter verschwenderisch verbauen und zubetonieren, formt unumkehrbar den Lebensraum, den wir unseren Kindern hinterlassen.

Nicht nur in Graz-Umgebung scheint diese Erkenntnis noch nicht angekommen zu sein. Wie sonst ist zu erklären, dass an Schotterteichen neuerdings mehrgeschoßige Wohnanlagen für Ganzjahreswohnen hochgezogen werden? In den Gemeinden Kalsdorf und Premstätten, das aufgrund von Betriebsansiedlungen zu einer der finanzstärksten Gemeinden der Steiermark aufstieg, wurden solche Bebauungen genehmigt. Was als wilde Seeverbauung mit Wochenendhütten begann, wurde später durch die Errichtung einer Kanalisation legalisiert und weiter ausgebaut, zuerst nur mit Ferienhaus-Widmung, nun als Ganzjahreswohnsitz. Der Eingriff in das Landschaftsbild ist unschön, doch schwerwiegender ist, dass die Aufschließungs- und Erhaltungskosten der Gemeinden aus öffentlichen Geldern in solch ortsfernen Gebieten wesentlich höher sind als in dichten Siedlungsstrukturen, dass es kaum Anschluss an den öffentlichen Verkehr gibt, im Umfeld weder Kindergärten, Schulen noch Nahversorger zu finden sind – kurz: dass für jede Versorgungsfahrt das Auto eingesetzt wird. Die Notwendigkeit einer Folgen- und Folgekostenabschätzung wird seit Jahren betont, doch wo bleibt sie, wenn sich an den Ortseinfahrten Gewerbezentren ausbreiten und Felder und Wiesen durch Supermärkte, Parkplätze und Hallen versiegelt werden?

Möglicherweise hat ein substanzielles Umdenken des Bürgermeisters der Marktgemeinde begonnen, wenn er im privaten Zwiegespräch betont, dass er vielen Ansuchen von Bürgern um Umwidmung eine Abfuhr erteilen muss, weil er jetzt nur noch im Ortskern und nahe an bestehender Infrastruktur bauen lässt. Wenn es um ressourcenschonendes Bauen geht, stellt sich die Frage des Wo, Wie und Wieviel. Das müsste allen Beteiligten, vom Bürgermeister als oberster Bauinstanz bis zum Ortsplaner, Architekten und Bauwerber, klar werden.

Besserer Bodenschutz, weniger bauen bedingen einen Bewusstseinsprozess, der sich bereits im Raumordnungsbeirat, dem beratenden Gremium in Angelegenheiten der übergeordneten Raumordnung, widerspiegeln müsste. Dort haben bis heute die Umweltanwältin und fallweise herangezogene Sachverständige nur beratende Funktion ohne Stimmrecht, im Gegensatz zu den Vertretern aller Landtagsklubs, der Wirtschafts- und Landwirtschaftskammer und des Gemeinde- und Städtebunds. Dass das Bewusstsein fehlt oder nicht genügt, um zukünftig Entwicklungen in die falsche Richtung zu verhindern, zeigt das Beispiel der geplanten Betriebserweiterung eines bekannten Industriellen im Bezirk. Die riesige Investition für die erweiterte Produktion geht einher mit einer enormen Versiegelung durch Neubau, Parkplätze, Zufahrten und Vorplätze. Das anlässlich des Spatenstichs publizierte Schaubild macht deutlich, dass minimierte Bodenversiegelung weder dem Architekten noch dem Bauherrn ein Anliegen ist. Was zählt, ist die wirtschaftliche Expansion. Das Lächeln des Landeshauptmanns zeigt Zufriedenheit.

Es braucht also mehr als Ausbildung und Bewusstsein, um die Entwicklung prosperierender ländlicher Regionen vom sorglosen Bodenverschleiß zur sparsamen Bodenverwendung zu steuern. Ohne weiterreichende Gesetze mit strengeren Ge- und Verboten wird es nicht gehen. Anreizsysteme zur Erhaltung von Grünland könnten wirksam sein. Aller Anfang läge in einer Raumordnung, die interdisziplinär eine Strategie erarbeitet, in der Klima- und Artenschutz, regionale Ernährungssicherung und die drastische Einschränkung des Bodenverbrauchs nicht papieren bleiben.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: