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Kühle Adern durch die Stadt
Spectrum

Es wird nicht reichen, Fassaden überwuchern zu lassen. Vielmehr muss das Gesamtkonzept Stadt passen. Über vertikale Wälder, Gestaltung von Luftschneisen und die Sinnhaftigkeit großer Parkanlagen: Stadtklima in Zeiten sommerlicher Hitzerekorde.

22. Juni 2019 - Ute Woltron
Das vergangene Jahr war nicht nur hierzulande das heißeste in der 252 Jahre alten Messgeschichte, knapp gefolgt von 2017 und 2016, und wenn der Juni so weitermacht wie bisher, wird auch er den Rekord brechen und als bisher wärmster seiner Art in die Statistik eingehen. Die Produzenten von Klimageräten, die Betreiber von Freibädern und die Eisverkäufer mögen sich über die tropische Witterung freuen, doch insbesondere die Stadtbewohner stöhnen zunehmend unter der Sommerhitze.

Bis zu zwölf Grad beträgt der Temperaturunterschied zwischen Wien und dem vergleichsweise grünen Umland, und Grün ist auch schon das Stichwort: Wo Bäume wachsen, wo unversiegelte Flächen Wasser speichern und in Form kühlen Dunstes wieder abgeben, wo ausreichend Grün wuchert, bleiben die Temperaturen erträglich. Wo die Sonne Milliarden Kubikmeter Beton und Asphalt erwärmt, wo mangels Durchlüftungsschleusen die Hitze gewissermaßen stecken bleibt und auch der Sonnenuntergang keine Kühlung verschafft, wälzt sich die Bevölkerung schlaflos durch die Tropennächte und fragt sich, wie man sich denn davor schützen könnte. Sowohl die Architektur als auch Städtebau und Raumplanung suchen nach Antworten darauf, doch nur gemeinsam, gewissermaßen vom Einzelobjekt über die Freiräume und die großen Stadtstrukturen gedacht, werden sie das Problem in den Griff bekommen.

Ein Extrembeispiel dafür, wie sich eine Großstadt ihr eigenes Klima schafft, ist die brasilianische Megacity São Paulo. Wenn die Sonne wochenlang auf das Häusermeer knallt, steigen enorme Massen erhitzter Luft auf. Darunter bildet sich ein Sogeffekt, der die feuchten Luftschichten des nahe gelegenen Atlantiks ansaugt, was bisher nie dagewesene Wolkenbrüche und Überschwemmungen zur Folge hat. Das viel kleinere, grünere Wien beispielsweise ist in einer vergleichsweise günstigen Lage, da sich mit dem Wien- und dem Donautal natürliche Durchlüftungsschneisen durch die Stadt ziehen, doch in manch dicht bebautem Viertel ist davon nichts zu spüren.

Planer wie etwa der italienische Architekt Stefano Boeri sehen das Heil der künftigen Stadt in der aufwendigen Begrünung von Gebäuden. Sein 2014 fertiggestellter Mailänder „Bosco Verticale“, was so viel bedeutet wie „Vertikaler Wald“, mag als prototypisches Testobjekt beeindrucken, funktioniert jedoch nur, weil sowohl für die Errichtung als auch für die Bespielung der beiden Wohntürme mit zahlreichen Sträuchern und Bäumen genug Geld zur Verfügung stand. Auf je 27 Geschoßen wuchert hier tatsächlich ein ansehnliches Wäldchen, doch was so simpel anmutet, ist mit großem konstruktivem und haustechnischem Aufwand verbunden. Außerdem sorgen für die Erhaltung der Tausenden Sträucher, Hecken und Bäume nicht die Bewohner der Luxusapartments, sondern zwei angestellte Gärtner, die übrigens recht rüstig sein dürften, da sie sich gelegentlich an den Fassaden abseilen müssen, um am Hausgrün fachkundig Hand anzulegen.

Der Wiener Stadtbaudirektor Thomas Madreiter kann dieser Art der Stadtklimaverbesserung zwar viel abgewinnen, meint aber, nur das Zusammenspiel aller zur Verfügung stehender Maßnahmen wäre zielführend: „Wenn uns die wirklich urbane Stadt und nicht etwa eine ausgedehnte Gartenstadt ein Anliegen ist, werden wir alle Register ziehen müssen.“ Raumplanung und Städtebau werden sich künftig überlegen müssen, wie die Baukörper klug gestaffelt anzuordnen und Grünräume miteinander zu verbinden sind, dass Frischluftströme wie kühle Adern durch den Stadtkörper fließen. Die Objektplanung, sprich: die Architektur, wird nach weniger aufwendigen Lösungen jenseits der Luxusimmobilie à la Bosco Verticale suchen müssen, damit auch der weniger betuchte Stadtbewohner frisch über den Sommer kommt.

Die simple, jahrhundertealte Erfindung des außen liegenden Sonnenschutzes, früher Fensterladen genannt und in jedem mediterranen Dorf eine Selbstverständlichkeit, wäre hier beispielsweise in einer modifizierten, zeitgemäßen Form ein vergleichsweise unaufwendiger Anfang. Denn das Nachrüsten und Kühlen von Gebäuden mittels elektrisch betriebener Klimageräte kann nur die schlechteste, weil energieverschleißendste aller Lösungen sein. Stand in den vergangenen Jahren vor allem der Schutz vor der Kälte im Vordergrund, so sieht sich die Baubranche nun vor der nicht weniger relevanten Herausforderung, vielmehr die Hitze aus den Häusern auszusperren. Was macht man als Passivhausbewohner, wenn die Raumtemperaturen im super gedämmten Apartment ins Unerträgliche steigen?

Ein Beispiel: Anhand eines gemeinsam von Smart City Wien und Siemens untersuchten, nach allen Regeln der Haustechnik optimierten Testobjekts fand man heraus, dass alle im Winter erzielten positiven Effekte von Dämmung, Wärmepumpen und dergleichen mehr im Sommer zunichte gemacht werden, wenn bei der Planung die Gebäudekühlung kein Thema war. Tatsächlich wurde die Energieeinsparung des Winters in besagtem Fall durch den Stromverbrauch des Sommers bei Weitem überkompensiert, weil sich die hitzegeplagten Bewohner der Reihe nach mit Klimageräten versorgten, um das Raumklima in erträgliche Temperaturbereiche zu zwingen.

Es wird nicht reichen, die eine oder andere Fassade mit Kletterpflanzen überwuchern zu lassen, was wesentlich aufwendiger ist, als man annehmen sollte. Vielmehr muss das Gesamtkonzept Stadt passen. Laut Studien wirken etwa viele kleine Grünflächen, klug in das Stadtgefüge gestreut, deutlich besser in Sachen Kühlung als wenige große Parks. Die Entsiegelung zubetonierter Flächen, wo immer möglich, sowohl in Straßenräumen als auch in Gebäudehöfen, sowie deren Bepflanzung mit robustem, dem Stadtklima gewachsenem Grünzeug wird also eine der elementaren Maßnahmen darstellen. Auch fachgerecht begrünte Dächer tragen nachweislich zur Verbesserung des Stadtklimas bei, doch wird man sich von dem Gedanken verabschieden müssen, dass solche Maßnahmen, obwohl nach Möglichkeit lowtech, nichts kosten.

Pflanzen, Wasser, Erde, das alles wiegt außerordentlich schwer und erfordert bauliche Aufrüstung. Auch wird der durchschnittliche Stadtbewohner nicht in der Lage sein, Fassaden- oder Dachgrün entsprechend zu pflegen, was wiederum Fachpersonal erforderlich machen wird. Das angenehmste Kleinklima bieten an heißen Sommertagen die großformatigen, reich bewachsenen Höfe der sogenannten Superblocks des Roten Wien. Manch moderner Wohnbau wirkt dagegen wie ein Heizkörper, der die Umgebung auch nächtens warm hält. Madreiter dazu: „Unsere Gesellschaft wird sich darauf einstellen müssen, Gebäude so zu planen und zu errichten, dass sie die entsprechende Kühlleistung zurückgeben.“ Wie das mit möglichst geringem technischem Aufwand, etwa mittels Bauteilkühlung, erfolgen kann, wird ein Schlüsselthema der Zukunft sein.

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