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Das neue Stadion der Austria: Fan-Glück ohne Kreischen
Spectrum

Die Wiener Austria eröffnet dieser Tage ihr altes neues Stadion. Statt auf eine spektakuläre Schüssel setzten Verein und Architekten auf robuste Eleganz und eine aktive Rolle bei der Stadtentwicklung um den Verteilerkreis Favoriten.

14. Juli 2018 - Franziska Leeb
Nach einer Weile willst du nicht mehr von der Hand in den Mund leben, von Tag zu Tag, von Spiel zu Spiel, sondern willst den Rest deiner Tage abgesichert sein.“ So ähnlich wie Nick Hornby in seinem Fan-Roman „Fever Pitch“ das Gefühl nach dem Erwerb einer Sitzplatzdauerkarte im Stadion „seines“ Vereins, des Arsenal Football Club, schildert, muss es wohl nun auch der Wiener Austria ergehen. Denn eine echte Heimat hatte der 1911 gegründete Klub bislang so gut wie nie. Auf Initiative des sozialdemokratischen Abgeordneten und Präsidenten des Wiener Fußballverbandes Franz Horr landete die Austria schließlich 1973 in Favoriten, im ehemaligen Stadion des SK Slovan. Die Ausstattung war nicht besser als zur Errichtungszeit 50 Jahre zuvor. Da der projektierte Ausbau – auch dem Tod von Franz Horr geschuldet – auf sich warten ließ, musste die Austria erneut wandern. Erst Anfang der 1980er-Jahre wurden eine Nordtribüne und Flutlichtanlage errichtet, zögerlich folgten weitere Ausbauten.

Ab der Jahrtausendwende gab der Magna-Konzern ein einige Jahre währendes Gastspiel als Hauptsponsor. Mit dessen Rückzug erfolgte schließlich auch baulich ein Neustart. Zunächst 2008 mit einer neuen Osttribüne, 2010 folgte unweit des Stadions die Nachwuchsakademie (Franz Architekten/Atelier Mauch), die im Hinblick auf den Stadionumbau zuversichtlich stimmte. Austria-Vorstand Markus Kraetschmer nennt die Baumaßnahmen ein „Symbol für den neuen Stil nach Magna“. Dieser ist nicht von greller Zeichenhaftigkeit geprägt, wie sie heute im Stadionbau Usus ist. Fernsehtauglichkeit und Attraktivität für Fans und Geldgeber aus der Wirtschaft lassen sich auch ohne visuelles Gekreische realisieren, erkennen wir vor Ort.

Schon dass das Stadion nun per U-Bahn erreichbar ist, erhöht den Komfort für die Fans. Noch führt der Ausgang in die verkehrsumtoste Ödnis inmitten des Kreisverkehrs, und es fällt es schwer, sich hier – wie im Städtebau-Wettbewerb 2014 vorgesehen – einen Platz mit urbaner Aufenthaltsqualität vorzustellen. Es fehlt ein Fußgänger- und Radsteg zum Stadion und zum angrenzenden Entwicklungsgebiet, wo neben rund 800 Wohnungen auch die Wiener Ballsportakademie angesiedelt werden soll. „Viola Park“ heißt die Siedlung, und so lautet auch der werbefreie internationale Name des Stadions selbst, das sonst „Generali Arena“ heißt. (In diesem Zusammenhang fragt man sich ja, ob die Sitte, die Namensrechte von Stadien zu veräußern, sodass nun die meisten nach Versicherungskonzernen benannt sind und damit sprachlich austauschbar wurden, oft die Bauten exzentrischer werden ließ.)

Die „Generali Arena“ hat als erstes Stadion Mitteleuropas ein Nachhaltigkeitszertifikat, ist mit Fotovoltaik auf dem Dach und Regenwasserzisternen zur Platzbewässerung ausgestattet. Von den raffiniertesten Umwelttechnologien haben die Anrainer aber nichts, wenn ein Stadion Alltagswege behindert und die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum beeinträchtigt. „Wir wollen ein guter Nachbar sein“, betont Austria-Chef Kraetschmer. Die städtebauliche Dimension stand stets im Fokus, betonen Architekt Reinhardt Gallister und Projektleiter Michael Mauch. Daher sind die Flächen um das Stadion nun öffentlich zugänglich.

Es galt, mehrere Bauphasen in ein Ganzes zu gießen, dazu noch einen einst frei neben der Nordtribüne stehenden, unverrückbaren Funkmasten zu integrieren und alles in ein Umfeld einzubetten, das es zum Teil noch nicht gibt.

„Eine große Schüssel passt nicht an diesen Ort“, erklärt Michael Mauch. Wichtig sei auch gewesen, verschiedene Milieus für unterschiedliche Publikumsgruppen zu schaffen. Die Notwendigkeit, Vorhandenes weiterzuverwenden, mag dieser Milieubildung sogar förderlich gewesen sein. Die Osttribüne von 2008 gab die neue Höhe für das gesamte Karree und die neuen Tribünen im Westen und im Norden vor. Sie ist die Heimat der Veilchen-Fans, auf der sich die Fa-Kultur auch künstlerisch in Form von Graffitis manifestiert. Der Lückenschluss an den vier Ecken erfolgt mit der Erschließung und einer kaschierenden, aber lichtdurchlässigen Hülle aus Streckmetall.

17.500 Zuschauer fasst das Stadion, nicht immer kommen alle in friedlicher Absicht. Das Nordwesteck ist daher jenen gegnerischen Fan-Gruppen vorbehalten, die potenziell für Ärger sorgen. Sie werden, ähnlich wie die Löwen in die Manege, über einen eigenen Eingang zu ihren Plätzen gelotst. Hohe Gitter zu den benachbarten Sektoren und eine Überdeckung mit einem Netz sorgen dafür, dass rundum niemand zu Schaden kommt. Damit gehen zwar Einschränkungen ästhetischer Natur einher, aber es dient der Sicherheit und Freiheit der anderen. Denn die sollen sich möglichst frei bewegen können. Im ersten Rang sind alle Tribünen miteinander verbunden, um das ganze Stadion im Rundgang erleben zu können. Die Tragstruktur des zweiten Ranges kragt weit aus, sodass vom Umgang und den oberen Sitzen sich das Spielfeld quasi im Cinemascope-Format präsentiert.

Ein Familienbereich mit Kindergarten zur Betreuung des Fan-Nachwuchses wurde eingerichtet. Rollstuhlgerechte Plätze finden sich nicht nur in der untersten Reihe, wo sie einfach unterzubringen, allerdings auch stärker der Witterung ausgesetzt sind, sondern genauso auf den oberen Rängen und im VIP-Bereich. Ohne VIPs geht im Fußball ja schon längst nichts mehr, wobei sich die bevorzugte Behandlung selbstverständlich erkaufen lässt. Das Ambiente ist in den Logen und „Skyboxen“ auf der Nordtribüne dank Holzböden, Vorhängen und lederbezogenen Sitzmöbeln recht elegant, stets sind aber auch der Stahlbeton der Konstruktion und das Flair der Fußballarena präsent. Die Oberflächen sind außen wie innen materialsichtig oder unbunt. Selbst die Vereinsfarbe Violett ist, abgesehen von den Zuschauersitzen und Kunstrasenstreifen, der das Spielfeld säumt, sparsam dosiert. Dezenz dominiert, außen wie innen, und nicht nur in den nobleren Zonen, sondern auch dort, wo Robustheit gefragt ist.

Die Erkenntnis: Ein Stadion, das auch der Nachbarschaft guttut, geht nicht aus Bieterverfahren unter Baufirmen und einschlägigen Planungsfabriken hervor. Das können architektonische Universalisten, denen vom Städtebau bis zur Gestaltung der Fuge zwischen Boden und Wand alles wichtig ist, viel besser.

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