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Co-Housing: Neues Wohnen im Alter
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Was erwartet uns am Ende – nichts als ein Zimmer im Seniorenwohnheim? Eine Idee lautet: Co-Housing – Wohngemeinschaften. Anderswo bereits Usus, hierorts im Kommen.

1. Dezember 2019 - Ute Woltron
Die Nachrichtenlage zum Thema Alter befindet sich hierzulande in einer chronischen, ja geradezu skandalösen Schieflage. Heerscharen von Menschen haben jahrzehntelang gerackert, in diverse Töpfe eingezahlt und mitgeholfen, einen Wohlfahrtsstaat aufzubauen, um den uns die Welt beneidet. Medial werden alte Menschen jedoch so gut wie ausschließlich als eines der großen Probleme unserer Gesellschaft dargestellt. Sie sind zu viele, und sie werden immer mehr. Das Pensionssystem kracht. Die Pflege ist zu teuer und dergleichen mehr. Das mediale Bild zeichnet die Phase des Alters als ein die Gesellschaft belastendes Dauersiechtum, das unweigerlich im Pflegeheim sein Ende findet.

Das Thema Architektur für eine alternde Bevölkerung kommt in der Debatte erstaunlich selten in differenzierter oder sogar innovativer Form zur Sprache, dabei zeigt sich insbesondere hier, wie sehr gut Durchdachtes und pfiffig Gebautes das Wohlbefinden in der sogenannten dritten Lebensphase begünstigen kann. Nicht, weil Toiletten vorschriftsgemäß behindertengerecht ausgeführt sind, sich allerorten Rampen befinden oder neben dem Bett eine Notrufklingel angebracht ist, sondern weil mit fortschrittlichen, den speziellen Bedürfnissen angepassten Wohnprojekten eines der möglicherweise größten Probleme des Alters wegfällt – die Einsamkeit.

Ein besonders feines Beispiel für ein gelungenes Wohn- und Lebensmodell für Senioren entstand bereits ab 1989 in London und hat sich bis heute bewährt. Damals besuchten sechs ältere Damen einen Vortrag zum Thema Co-Housing und erfuhren, dass sich in Dänemark und den Niederlanden zusehends eine neue Kultur des Zusammenlebens älterer Menschen etablierte. Die Voraussetzung war die entsprechend angepasste Architektur. Zwar verfügte jeder Bewohner der vorgestellten Co-Housing-Anlagen über eine eigene, private Kleinwohnung, doch besonderes Augenmerk lag auf den Flächen, die man kollektiv nutzte, beispielsweise Gemeinschaftsgärten, Werkstätten, ein großer Aufenthaltswohnraum, Küche, Waschküche und andere Treffpunkte des Alltags.

Den alten Damen gefiel die Vorstellung, das Private mit dem Gemeinsamen zu verknüpfen, die Rückzugsmöglichkeit in den eigenen vier Wänden zu genießen und doch die anderen immer in der Nähe zu wissen. Sie suchten weitere Verbündete, beauftragten einen Architekten, gaben diesem präzise Angaben über ihre Vorstellungen und errichteten schließlich ein neues Zuhause, das den Titel OWCH trägt: Older Women's Co-Housing. Die Anlage im Norden Londons besteht aus 25 Wohneinheiten, 17 davon befinden sich im Eigentum, acht werden von der Damengemeinschaft vermietet und verwaltet. Männer sind willkommen, doch lediglich als Gäste erlaubt. Um sich eine Vorstellung zu machen, wie es sich in einer solchen Alterswohngemeinschaft lebt, sollte man die Videodokumentationen auf der Website des Projekts betrachten (www.owch.org.uk). Es wird gemeinsam gekocht, gegärtnert, gemalt, geturnt. Sie glaube, meint etwa eine der Bewohnerinnen, diese Art des Zusammenlebens erhalte alle länger jung. Auf die Frage, warum keine Männer als Mitbewohner zugelassen wären, zeigt sich eine andere abgeklärt: „Gäbe es hier auch Kerle, würden die möglicherweise das Kommando übernehmen wollen oder müssten betreut werden. Viele von uns waren verheiratet, und viele von uns denken: Gut, das haben wir hinter uns.“

Wie auch immer, ob rein weiblich, männlich oder bunt gemischt: Fest steht, dass nach der Phase der Babyboomer im 20. Jahrhundert mit dem 21. Jahrhundert vorerst einmal das der Älteren angebrochen ist. Bis zum Jahr 2030 wird laut Prognosen fast ein Viertel der österreichischen Bevölkerung die 65 überschritten haben, erst ab 2050 könnte sich das Verhältnis wieder rückentwickeln. Die entsprechenden Wohnformen, die auf die Bedürfnisse dieser doch stattlichen Bevölkerungsgruppe zurechtgeschnitten sind, beschränken sich derzeit – noch – hauptsächlich auf die eingangs erwähnten Altenwohn- und Pflegeheime. Für Maria Brenton, eine der Gründerinnen von OWHC, war die Übersiedelung in ein Pensionistenheim keine Option. Altenwohnen, meint sie, scheine auf der Idee zu fußen, dass man plötzlich ein ganzes Leben in eine Zimmerbox packen könne und Ältere keinen Raum für Hobbys oder Familienbesuch benötigten. Das bestehende Angebot locke die Leute sicher nicht aus ihren Häusern, zumindest nicht die Rüstigen unter den Ruheständlern, auch wenn die liebend gerne in überschaubare Wohneinheiten übersiedeln würden.

Ähnliches trifft sicher auch auf die hiesige Bevölkerung zu. Insbesondere in ländlichen Gegenden sitzen viele alte Menschen allein in ihren viel zu groß gewordenen Häusern und würden gerne in kleineren, weniger aufwendig zu erhaltenden Wohneinheiten leben. Doch das Angebot an Alterssitzen ist überschaubar und qualitativ Hochwertiges oft zu teuer. Die Immobilienindustrie könnte jedoch im Begriff sein umzudenken, denn Co-Housing-Projekte gelten anderswo, etwa in Großbritannien, in der auf diesem Gebiet überaus fortschrittlichen Schweiz, vor allem aber in den skandinavischen Ländern, mittlerweile als hochinteressante und zukunftsträchtige Anlageobjekte.

Wie das Fachmagazin „A3Bau“ vorrechnet, sind österreichweit bis 2029 etwa 87.000 Wohneinheiten für betreutes Wohnen vonnöten, was einem geschätzten Investitionsbedarf im Sektor des altersgerechten Wohnens von rund 14,5 Milliarden Euro entspricht. Die durchschnittlichen Investitionskosten pro Einheit betragen etwa 167.000 Euro. Dabei könnte der Trend zum Co-Housing allen Beteiligten zum Vorteil gereichen und helfen, die dauerbeklagten Kosten von Pflege und Betreuung zu bündeln und zu reduzieren. Gemeinschaftliche Wohn- und Quartierkonzepte für die große Bevölkerungsgruppe der durchaus rüstigen Rentner würden jedenfalls dazu beitragen, auch deren Miet- und Erhaltungskosten auf ein leistbares Niveau herunterzuschrauben.

Viele Veteranen von privat organisiertem Co-Housing geben bereitwillig Tipps, was die Organisation, Planung und Umsetzung solcher Projekte anlangt, welche Finanzierungs- und Beteiligungsformen möglich sind, und worauf bei den Vorgaben für die Architekten dringend zu achten ist. Parallel dazu beginnt auch die Immobilienwirtschaft an Angeboten zu feilen, und Architekten rücken das dritte Lebensalter ebenfalls aktiv in den Fokus der Aufmerksamkeit. Etwa die Salzburger Architektin Ursula Spannberger, die dem „Neuen Wohnen 70+“ einen neuen Impuls verleihen will. Auf ihrer Website schreibt sie treffend: „Wir, die nächste Generation, haben andere Vorstellungen vom Älterwerden. (...) Wir wollen mittendrin bleiben und nicht nur dabei sein. (...) Wir wollen die Freiheit nach dem langen Erwerbsleben genießen, noch einmal die Welt erobern. Und wir wollen möglichst lange selbständig leben, auch dann, wenn wir einmal Hilfe brauchen sollten.“

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