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Griss um die alten Fliesen
Die Werkserie „Nine Buildings, Stripped“ von Andreas Fogarasi erzählt in unsentimentaler Konzentriertheit von Transformationen des Stadtbilds. Fragmente nicht mehr existenter Bauten werden mit Materialmustern ihrer Nachfolgeprojekte kontrastiert. Aktuell zu sehen in der Kunsthalle Wien.
24. Januar 2020 - Franziska Leeb
Ein Stück gekantetes Aluminiumblech, darüber eine glattes eloxiertes Alupaneel, eine Steinzeugfliese und ein Stück Granit; zusammengehalten wird alles von einem Stahlumreifungsband, wie man es zur Sicherung von Palettenladungen verwendet. Der Künstler Andreas Fogarasi sichert solcherart Fragmente von Oberflächen nicht mehr existenter Bauten zusammen mit Materialmustern ihrer Nachfolgeprojekte. Das beschriebene Paket komprimiert auf 166 mal 125 mal 67 Zentimetern zwei Erscheinungsbilder des Gebäudes der einstigen Pensionsversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft auf der Wiedner Hauptstraße in Wien. Mit dem Wandel zur Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft (SVA) und jüngst zur Sozialversicherung der Selbständigen (SVS) veränderte sich auch das Äußere.
Andreas Fogarasi wohnt im Viertel. Der Beginn der Umbauarbeiten gab vor zwei Jahren die Initialzündung für eine Werkserie, die sich der Veränderung der Oberflächen von Gebäuden und damit der Transformation der Stadt widmet. „Nine Buildings, Stripped“ lautet der Titel der Ausstellung in der Kunsthalle Karlsplatz, kein zufälliger Ausstellungsort. Als provokanter gelb-blauer Blechcontainer abgetragen und 2002 als schnittiger Glaspavillon wiederauferstanden, beide als Provisorium geplant. Das erste blieb zehn Jahre statt vier, das zweite hat bald das Doppelte der prognostizierten zehn Lenze auf dem Buckel. Die beiden Bauten von Adolf Krischanitz sind ein Beispiel dafür, dass etwas sehr Gutem ebenso Gutes anderes folgen kann, ohne Verlustgefühle zu hinterlassen. So geht Weiterentwicklung, so wird Hoffnung geschürt, dass alles besser werden kann.
Neun Fallbeispiele – von der Opernpassage bis zum Rinterzelt – sind Thema der Ausstellung. Andreas Fogarasi hat entweder während des Abbruchs von der Baustelle Originalmaterialien vor der Entsorgung gerettet oder sie von Sammlern, Bauherren, Baufirmen oder Architekturbüros zur Verfügung gestellt bekommen. Am meisten bedauern Besucher den Verlust des Gründerzeithauses in der Hackengasse, erzählt der Künstler. Es war ein unscheinbares Haus zwischen Umspannwerk Schmelz und einem Möbelhaus. Um die Jahrhundertwende war hier die Hutfabrik Egidius Klenz ansässig, ab 1909 die Ebreichsdorfer Filzhutfabrik S. & J. Fraenkel, dann die NSDAP-Ortsgruppe Neubaugürtel.
Fogarasi ergatterte ornamentierte Zementfliesen und ein Stück Gusseisengeländer. Dazu collagiert er die Materialien des Nachfolgebaus, der dieses Jahr in Angriff genommen wird: ein Sechsgeschoßer mit Putzfassade, Metallelementen und 35 Wohnungen, geplant von Malek Herbst Architekten, lässt sich dem Begleittext von Wojciech Czaja im Ausstellungs-Booklet entnehmen. Das Material des Vorgängers lebt im Kunstwerk weiter, vielleicht auch auf anderen Baustellen; um die historischen Fliesen herrscht ja ein ziemliches Griss. Nachgetrauert hat man 1970 auch den beiden Häusern in der Wiedner Hauptstraße 84 und 86, die von Alois Ignaz Göll und Andreas Lechner in den Jahren 1826/27 für den Seidenfabrikanten Johann Georg Hartmann errichtet worden waren. Ende der 1960er-Jahre erwarb die Baufirma Adalbert Kallinger die Liegenschaften, die Umwidmung machte 1970 den Weg frei für den Bau des zehngeschoßigen Versicherungsgebäudes von Carl Appel (1911–1997), dessen gut beschäftigtes Büro das Baugeschehen der Nachkriegszeit bis in die 1970er-Jahre stark prägte. Obwohl es ein drastischer Eingriff ins Stadtbild war, ließen sich Qualitäten erkennen. Die an eine grobe Putz- oder Rindenstruktur erinnernde Reliefierung der fünf Millimeter starken Parapetbänder ist ein Entwurf des Metallkünstlers Hellmuth Gsöllpointner. Sie entschärfte die Brutalität des Kolosses und verlieh ihm ein Gesicht und Plastizität. Im Hohlraum wurden die Versorgungsleitungen geführt, das Hervorspringen aus der Fensterebene sollte die Sonneneinstrahlung mindern.
Zwecks Generalsanierung des Gebäudekomplexes lobte 2016 die SVA ein Verhandlungsverfahren zur Findung eines Generalplaners aus. Die Architektenkammer kritisierte, dass die hohen Anforderungen hinsichtlich Mindestumsatz und Höhe der Berufshaftpflichtversicherung den Kreis potenzieller Teilnehmer auf weniger als 0,1 Prozent der Kammermitglieder einschränken würden. Die Pointe: Die Berufsgruppe der Architekten wurde nach einigen Jahren in die SVA eingegliedert. Drei Büros bewarben sich, der Zuschlag ging an die Arbeitsgemeinschaft ATP Wien Planungs GmbH/Hinterwirth Architekten. Das Gebäude wurde völlig entkernt, die Fassade demoliert und laut Beschreibung der Architekten „das äußere Erscheinungsbild zeitgemäß und freundlich gestaltet“. Beige eloxierte Aluminiumpaneele glätten das Gesicht der robusten alten Dame wie zu dick aufgetragenes Camouflage-Make-up. Dabei ist ihre Materialstärke viel geringer als die der Gsöllpointner-Bleche. Ein vorgehängtes Raster aus weißen Balken und unterschiedlich dimensionierten Streben versucht aufzufrischen. Welch rhythmischer Systematik er folgt, ist nicht zu erkennen, Horizontalgliederung und Plastizität der Fassade gingen völlig verloren. Auf die Wandskulptur sind über das alte und neue Aluminium eine dünne Keramikfliese und ein vier Zentimeter dickes Stück Granit geschnallt. Welches der beiden von der alten Sockelverkleidung stammt, errät man leicht. In Zeiten klammer Kassen und gebotener Ressourcenschonung ist es richtig, den Materialeinsatz zu minimieren. Dass alles billig ausschauen muss, gebietet hingegen keine Klimastrategie.
Andreas Fogarasis Arbeit ist sachlich, nicht wertend oder plakativ anklagend. Das Dokumentarische steht im Vordergrund, die politisch-kritische Dimension ist dennoch präsent. Es werden Fragen losgetreten, nach dem Umgang mit dem kulturellem Erbe, dem heute Angemessenen und Richtigen, der Botschaft von Werkstoffen, unserem Anspruch an die Haptik und Ästhetik jener Materialien, die den Stadtkörper bilden und unsere öffentlichen Räume umranden. Bei den neun Skulpturen der Ausstellung wird es nicht bleiben, weitere Arbeiten und damit neue Fallbeispiele, die (Um-)Denkprozesse auszulösen vermögen, sind geplant.
[ Die Ausstellung „Nine Buildings, Stripped“ ist noch bis 2. Februar in der Kunsthalle Wien zu sehen, www.kunsthallewien.at ]
Andreas Fogarasi wohnt im Viertel. Der Beginn der Umbauarbeiten gab vor zwei Jahren die Initialzündung für eine Werkserie, die sich der Veränderung der Oberflächen von Gebäuden und damit der Transformation der Stadt widmet. „Nine Buildings, Stripped“ lautet der Titel der Ausstellung in der Kunsthalle Karlsplatz, kein zufälliger Ausstellungsort. Als provokanter gelb-blauer Blechcontainer abgetragen und 2002 als schnittiger Glaspavillon wiederauferstanden, beide als Provisorium geplant. Das erste blieb zehn Jahre statt vier, das zweite hat bald das Doppelte der prognostizierten zehn Lenze auf dem Buckel. Die beiden Bauten von Adolf Krischanitz sind ein Beispiel dafür, dass etwas sehr Gutem ebenso Gutes anderes folgen kann, ohne Verlustgefühle zu hinterlassen. So geht Weiterentwicklung, so wird Hoffnung geschürt, dass alles besser werden kann.
Neun Fallbeispiele – von der Opernpassage bis zum Rinterzelt – sind Thema der Ausstellung. Andreas Fogarasi hat entweder während des Abbruchs von der Baustelle Originalmaterialien vor der Entsorgung gerettet oder sie von Sammlern, Bauherren, Baufirmen oder Architekturbüros zur Verfügung gestellt bekommen. Am meisten bedauern Besucher den Verlust des Gründerzeithauses in der Hackengasse, erzählt der Künstler. Es war ein unscheinbares Haus zwischen Umspannwerk Schmelz und einem Möbelhaus. Um die Jahrhundertwende war hier die Hutfabrik Egidius Klenz ansässig, ab 1909 die Ebreichsdorfer Filzhutfabrik S. & J. Fraenkel, dann die NSDAP-Ortsgruppe Neubaugürtel.
Fogarasi ergatterte ornamentierte Zementfliesen und ein Stück Gusseisengeländer. Dazu collagiert er die Materialien des Nachfolgebaus, der dieses Jahr in Angriff genommen wird: ein Sechsgeschoßer mit Putzfassade, Metallelementen und 35 Wohnungen, geplant von Malek Herbst Architekten, lässt sich dem Begleittext von Wojciech Czaja im Ausstellungs-Booklet entnehmen. Das Material des Vorgängers lebt im Kunstwerk weiter, vielleicht auch auf anderen Baustellen; um die historischen Fliesen herrscht ja ein ziemliches Griss. Nachgetrauert hat man 1970 auch den beiden Häusern in der Wiedner Hauptstraße 84 und 86, die von Alois Ignaz Göll und Andreas Lechner in den Jahren 1826/27 für den Seidenfabrikanten Johann Georg Hartmann errichtet worden waren. Ende der 1960er-Jahre erwarb die Baufirma Adalbert Kallinger die Liegenschaften, die Umwidmung machte 1970 den Weg frei für den Bau des zehngeschoßigen Versicherungsgebäudes von Carl Appel (1911–1997), dessen gut beschäftigtes Büro das Baugeschehen der Nachkriegszeit bis in die 1970er-Jahre stark prägte. Obwohl es ein drastischer Eingriff ins Stadtbild war, ließen sich Qualitäten erkennen. Die an eine grobe Putz- oder Rindenstruktur erinnernde Reliefierung der fünf Millimeter starken Parapetbänder ist ein Entwurf des Metallkünstlers Hellmuth Gsöllpointner. Sie entschärfte die Brutalität des Kolosses und verlieh ihm ein Gesicht und Plastizität. Im Hohlraum wurden die Versorgungsleitungen geführt, das Hervorspringen aus der Fensterebene sollte die Sonneneinstrahlung mindern.
Zwecks Generalsanierung des Gebäudekomplexes lobte 2016 die SVA ein Verhandlungsverfahren zur Findung eines Generalplaners aus. Die Architektenkammer kritisierte, dass die hohen Anforderungen hinsichtlich Mindestumsatz und Höhe der Berufshaftpflichtversicherung den Kreis potenzieller Teilnehmer auf weniger als 0,1 Prozent der Kammermitglieder einschränken würden. Die Pointe: Die Berufsgruppe der Architekten wurde nach einigen Jahren in die SVA eingegliedert. Drei Büros bewarben sich, der Zuschlag ging an die Arbeitsgemeinschaft ATP Wien Planungs GmbH/Hinterwirth Architekten. Das Gebäude wurde völlig entkernt, die Fassade demoliert und laut Beschreibung der Architekten „das äußere Erscheinungsbild zeitgemäß und freundlich gestaltet“. Beige eloxierte Aluminiumpaneele glätten das Gesicht der robusten alten Dame wie zu dick aufgetragenes Camouflage-Make-up. Dabei ist ihre Materialstärke viel geringer als die der Gsöllpointner-Bleche. Ein vorgehängtes Raster aus weißen Balken und unterschiedlich dimensionierten Streben versucht aufzufrischen. Welch rhythmischer Systematik er folgt, ist nicht zu erkennen, Horizontalgliederung und Plastizität der Fassade gingen völlig verloren. Auf die Wandskulptur sind über das alte und neue Aluminium eine dünne Keramikfliese und ein vier Zentimeter dickes Stück Granit geschnallt. Welches der beiden von der alten Sockelverkleidung stammt, errät man leicht. In Zeiten klammer Kassen und gebotener Ressourcenschonung ist es richtig, den Materialeinsatz zu minimieren. Dass alles billig ausschauen muss, gebietet hingegen keine Klimastrategie.
Andreas Fogarasis Arbeit ist sachlich, nicht wertend oder plakativ anklagend. Das Dokumentarische steht im Vordergrund, die politisch-kritische Dimension ist dennoch präsent. Es werden Fragen losgetreten, nach dem Umgang mit dem kulturellem Erbe, dem heute Angemessenen und Richtigen, der Botschaft von Werkstoffen, unserem Anspruch an die Haptik und Ästhetik jener Materialien, die den Stadtkörper bilden und unsere öffentlichen Räume umranden. Bei den neun Skulpturen der Ausstellung wird es nicht bleiben, weitere Arbeiten und damit neue Fallbeispiele, die (Um-)Denkprozesse auszulösen vermögen, sind geplant.
[ Die Ausstellung „Nine Buildings, Stripped“ ist noch bis 2. Februar in der Kunsthalle Wien zu sehen, www.kunsthallewien.at ]
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