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Normal wie in der Krise
Wenn das Zuhausebleiben ver-ordnet wird, zählt mehr als die Größe der Wohnung. Vom gemeinschaftlichen Projektieren im Rahmen von Baugruppen lässt sich einiges lernen, um nicht nur in Virenzeiten besser zu leben, sondern auch um der Klimakrise wirksam zu begegnen.
17. April 2020 - Franziska Leeb
Kurz bevor Covid-19 den Alltag veränderte und der Sturm auf die Supermärkte einsetzte, lief im Veranstaltungssaal des Gleis 21 der Film „Anders essen – Das Experiment“ von Kurt Langbein und Andrea Ernst. Es geht darin um den Flächenbedarf, der hierzulande entsteht, um den Nahrungsmittelkonsum einer Person zu decken und die Fläche durch bewussteres Ess-/Einkaufsverhalten zu verringern. 4400 Quadratmeter müsste dieses Feld groß sein, nur ein Drittel davon liegt im Inland, nur die Hälfte stünde uns zu, wären die Flächen gerecht verteilt. Zugleich geht ein Teil des Bodenverbrauchs zulasten landwirtschaftlicher Produktionsflächen auf das Konto unkontrollierter Siedlungsentwicklungen an den Ortsrändern. Im Zuge der Viruskrise werden längst bekannte und hartnäckig ignorierte Fakten wie die Flächenversiegelung und ihr Zusammenhang mit der Versorgungssicherheit auf einmal im Frühstücksfernsehen diskutiert.
„Das Dorf in die Stadt bringen“ heißt es in der Vision der Initiatoren des Gleis 21, des im Sommer 2019 bezogenen Wohnprojekts im Wiener Sonnwendviertel. Sie hatten dabei nicht verwaiste Ortszentren und wild wuchernde Siedlungsränder vor Augen, sondern Bilder vom guten Leben im solidarischen Miteinander. Die Idee für das selbst organisierte Baugruppenprojekt hatten Architekt Markus Zilker und der Prozessbegleiter Gernot Tscherteu vor sechs Jahren gehabt. Das von Einszueins Architektur geplante Wohnprojekt Wien im Nordbahnviertel, das für das von Zilker und Büropartnerin Katharina Bayer geführte Büro den Beginn einer erfolgreichen Karriere als Spezialisten für partizipativen Wohnbau bedeutete, war gerade fertig geworden. Ein weiteres Haus für eine Baugruppe in der Seestadt Aspern stand vor Vollendung, und die Lust war groß, selbst etwas zu initiieren.
Von den Mühen der partizipativen Projektentwicklung spürt man heute nichts mehr. Das Gleis 21 ist das am meisten einladend wirkende Haus im Quartier. Das liegt an charmanten Einzelheiten wie der mit offenem Bücherregal und Sitzbank möblierten Stirnwand. Oder am Holzbau, der aus Kostengründen zu scheitern drohte, aber dank der Kooperationsbereitschaft des Holzbauunternehmens, mit dem ein hochgradig vorgefertigtes Holz-Beton-Verbundsystem entwickelt wurde, doch Realität wurde. Vor allem liegt es an der Struktur des Hauses, die in Dialog mit dem Umfeld tritt. Zwei abgesenkte Höfe verschränken den öffentlichen Raum mit dem Untergeschoß, wo sich eine Musikschule angesiedelt hat. Im Erdgeschoß wird der Veranstaltungsbereich mit einem hochklassigen Programm bespielt. Neben den individuell geplanten Wohnungen gibt es ein Gästeapartment und vier Einheiten für Schutzbedürftige, die bei Bedarf einer angrenzenden Wohnung zugeschlagen werden können. Auf dem Dach bilden Gemeinschaftshaus, Bibliothek und Saunahaus den Rahmen für den Dorfplatz mit Aussicht: mehr als so manches Dorf zu bieten hat auf einer Fläche, die zwei Einfamilienhäuser verbrauchen würden.
Parallel zum Gleis 21 entstand in ländlicher Abgeschiedenheit ein weiteres Wohnprojekt nach Plänen von Einszueins. Es begann mit drei Städtern, die beschlossen, ihren ökologischen Fußabdruck zu verringern. Ein ökologisches Leuchtturmprojekt hatten sie im Sinn, um in einer nach Einkommen, Beruf und Alter heterogenen Gruppe solidarisch Nachbarschaft zu leben und gemeinsamen statt individuellen Besitz zu schaffen. In Wien fand sich nichts Passendes, also verlegte man die Grundstückssuche ins Umland und wurde in Hasendorf am Rand des Tullnerfelds fündig, wo der Verein Wohnprojekt Hasendorf ohne Wohnbauförderung und Bauträger mit einem hohen Anteil an Eigenleistung den Holzwohnbau im Passivhausstandard in Angriff nahm. Aus der Ferne wie eine Kette aus sechs giebelständigen Reihenhäusern erscheinend, schmiegt er sich entlang der Dorfstraße an den Hang. Miteinander, nicht nebeneinander wohnen auf 1000 Quadratmeter bebauter Fläche 23 Erwachsene und 15 Kinder. Der Sockelbau und das Volumen unter den zwei nördlichen Giebeln werden kollektiv genutzt. Moderate 22 Quadratmeter stehen pro Person an individueller Wohnfläche zur Verfügung. Eng wird es aber nicht. Platz für Büroarbeit oder Sport findet sich in den gemeinschaftlichen Räumen, auch auf ein Backrohr verzichteten die meisten, gibt es doch eine gut ausgestattete Gemeinschaftsküche für größere Kochaktionen. Als gemeinsame Speis dient der Lagerraum der eigenen Foodcoop, die Bio-Lebensmittel en gros einkauft; sehr groß ist der Fahrradraum, klein der Platz für Autos, die geteilt werden. So kommt man auf unter 40 Quadratmeter pro Kopf, immer noch fünf weniger als der österreichische Durchschnitt. Ein Bewohnerpaar betreibt im Ort eine solidarische Landwirtschaft, die regionales Obst und Gemüse liefert.
„Es war nie unser Ziel, den Leuten das richtige Leben auf dem Land zu erklären, sondern hier in Harmonie mit der Dorfgemeinschaft zu leben“, betont Mitbegründer Maximilian Wollner. Der missionarische Anspruch hält sich also in Grenzen. Dennoch wäre es kein Schaden, würden sich die Akteure im geförderten Geschoßwohnbau vom Hasendorf abschauen, wie man Dichte und attraktive Freiräume vereint, größere Kubaturen in die Dorflandschaften einbettet, und mit welchen Inhalte gute Nachbarschaft stimuliert werden kann. Wenn es in Krisenzeiten „zu Hause bleiben“ heißt, ist das alles Gold wert. Im Wohnprojekt ergriff man unter der Leitung eines kleinen Krisenteams ähnliche Maßnahmen wie die staatlichen Autoritäten. Gemeinschaftliches ist auf das Notwendige reduziert, die sozialen Kontakte sind dennoch da. Dank der Foodcoop ist die Vorratskammer gefüllt, zusätzliche Einkäufe werden zweimal pro Woche erledig. Wird das gegenseitige Unterstützen auch im Normalmodus praktiziert, ist es in der Krise nichts Besonderes.
„Das Dorf in die Stadt bringen“ heißt es in der Vision der Initiatoren des Gleis 21, des im Sommer 2019 bezogenen Wohnprojekts im Wiener Sonnwendviertel. Sie hatten dabei nicht verwaiste Ortszentren und wild wuchernde Siedlungsränder vor Augen, sondern Bilder vom guten Leben im solidarischen Miteinander. Die Idee für das selbst organisierte Baugruppenprojekt hatten Architekt Markus Zilker und der Prozessbegleiter Gernot Tscherteu vor sechs Jahren gehabt. Das von Einszueins Architektur geplante Wohnprojekt Wien im Nordbahnviertel, das für das von Zilker und Büropartnerin Katharina Bayer geführte Büro den Beginn einer erfolgreichen Karriere als Spezialisten für partizipativen Wohnbau bedeutete, war gerade fertig geworden. Ein weiteres Haus für eine Baugruppe in der Seestadt Aspern stand vor Vollendung, und die Lust war groß, selbst etwas zu initiieren.
Von den Mühen der partizipativen Projektentwicklung spürt man heute nichts mehr. Das Gleis 21 ist das am meisten einladend wirkende Haus im Quartier. Das liegt an charmanten Einzelheiten wie der mit offenem Bücherregal und Sitzbank möblierten Stirnwand. Oder am Holzbau, der aus Kostengründen zu scheitern drohte, aber dank der Kooperationsbereitschaft des Holzbauunternehmens, mit dem ein hochgradig vorgefertigtes Holz-Beton-Verbundsystem entwickelt wurde, doch Realität wurde. Vor allem liegt es an der Struktur des Hauses, die in Dialog mit dem Umfeld tritt. Zwei abgesenkte Höfe verschränken den öffentlichen Raum mit dem Untergeschoß, wo sich eine Musikschule angesiedelt hat. Im Erdgeschoß wird der Veranstaltungsbereich mit einem hochklassigen Programm bespielt. Neben den individuell geplanten Wohnungen gibt es ein Gästeapartment und vier Einheiten für Schutzbedürftige, die bei Bedarf einer angrenzenden Wohnung zugeschlagen werden können. Auf dem Dach bilden Gemeinschaftshaus, Bibliothek und Saunahaus den Rahmen für den Dorfplatz mit Aussicht: mehr als so manches Dorf zu bieten hat auf einer Fläche, die zwei Einfamilienhäuser verbrauchen würden.
Parallel zum Gleis 21 entstand in ländlicher Abgeschiedenheit ein weiteres Wohnprojekt nach Plänen von Einszueins. Es begann mit drei Städtern, die beschlossen, ihren ökologischen Fußabdruck zu verringern. Ein ökologisches Leuchtturmprojekt hatten sie im Sinn, um in einer nach Einkommen, Beruf und Alter heterogenen Gruppe solidarisch Nachbarschaft zu leben und gemeinsamen statt individuellen Besitz zu schaffen. In Wien fand sich nichts Passendes, also verlegte man die Grundstückssuche ins Umland und wurde in Hasendorf am Rand des Tullnerfelds fündig, wo der Verein Wohnprojekt Hasendorf ohne Wohnbauförderung und Bauträger mit einem hohen Anteil an Eigenleistung den Holzwohnbau im Passivhausstandard in Angriff nahm. Aus der Ferne wie eine Kette aus sechs giebelständigen Reihenhäusern erscheinend, schmiegt er sich entlang der Dorfstraße an den Hang. Miteinander, nicht nebeneinander wohnen auf 1000 Quadratmeter bebauter Fläche 23 Erwachsene und 15 Kinder. Der Sockelbau und das Volumen unter den zwei nördlichen Giebeln werden kollektiv genutzt. Moderate 22 Quadratmeter stehen pro Person an individueller Wohnfläche zur Verfügung. Eng wird es aber nicht. Platz für Büroarbeit oder Sport findet sich in den gemeinschaftlichen Räumen, auch auf ein Backrohr verzichteten die meisten, gibt es doch eine gut ausgestattete Gemeinschaftsküche für größere Kochaktionen. Als gemeinsame Speis dient der Lagerraum der eigenen Foodcoop, die Bio-Lebensmittel en gros einkauft; sehr groß ist der Fahrradraum, klein der Platz für Autos, die geteilt werden. So kommt man auf unter 40 Quadratmeter pro Kopf, immer noch fünf weniger als der österreichische Durchschnitt. Ein Bewohnerpaar betreibt im Ort eine solidarische Landwirtschaft, die regionales Obst und Gemüse liefert.
„Es war nie unser Ziel, den Leuten das richtige Leben auf dem Land zu erklären, sondern hier in Harmonie mit der Dorfgemeinschaft zu leben“, betont Mitbegründer Maximilian Wollner. Der missionarische Anspruch hält sich also in Grenzen. Dennoch wäre es kein Schaden, würden sich die Akteure im geförderten Geschoßwohnbau vom Hasendorf abschauen, wie man Dichte und attraktive Freiräume vereint, größere Kubaturen in die Dorflandschaften einbettet, und mit welchen Inhalte gute Nachbarschaft stimuliert werden kann. Wenn es in Krisenzeiten „zu Hause bleiben“ heißt, ist das alles Gold wert. Im Wohnprojekt ergriff man unter der Leitung eines kleinen Krisenteams ähnliche Maßnahmen wie die staatlichen Autoritäten. Gemeinschaftliches ist auf das Notwendige reduziert, die sozialen Kontakte sind dennoch da. Dank der Foodcoop ist die Vorratskammer gefüllt, zusätzliche Einkäufe werden zweimal pro Woche erledig. Wird das gegenseitige Unterstützen auch im Normalmodus praktiziert, ist es in der Krise nichts Besonderes.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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