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Ein Haus, das ohne Heizung auskommt
Das radikal reduzierte System des Architekten Dietmar Eberle überzeugt immer mehr Bauherren.
12. Mai 2020 - Andres Herzog
Sieben Jahre ist es her, seit Dietmar Eberle in Lustenau im Vorarlberg ein Haus ohne Heizung gebaut hat. Der Architekt wollte der Welt damit beweisen: Die Lösung für das Energieproblem ist nicht mehr Technik, sondern weniger. Das Bürogebäude wird nur von der Abwärme der Menschen, der Geräte und der Lampen geheizt. Statt einer kontrollierten Lüftung gibt es schlichte Klappen in der Fassade, die automatisch aufgehen, wenn die Luft zu stickig oder die Temperaturen zu hoch werden. Im Haus findet man keinen Heizkeller, keine Kühlrohre, keine Lüftungsschächte. Nicht einmal ein Untergeschoss.
Dafür hat das Haus Masse, Raum und Köpfchen. 75 Zentimeter dicke Mauern, die nur aus Backstein bestehen, isolieren gut und machen das Raumklima träge. Wenige, aber hohe Fenster lassen im Sommer nicht viel Hitze hinein und bringen das Licht im Winter bis tief in die überhohen Räume. Und eine intelligente Steuerung reagiert auf die Werte, die die Sensoren zu CO2-Gehalt, Luftfeuchte und Temperatur aufzeichnen, damit das Gebäude im Gleichgewicht bleibt. So bewegt sich die Raumtemperatur immer zwischen 22 und 26 Grad, daher der Name des Systems: «2226».
Zu extrem, zu anachronistisch
Kein Bauherr wollte Dietmar Eberle glauben, dass sein radikaler Ansatz funktionieren würde. Also bauten Baumschlager Eberle Architekten damals für sich selber, auf eigenes Risiko. Und konnten beweisen: Die Simulationen stimmen, das System hält, was es verspricht. Trotzdem dauerte es lange, bis sie jemand anderen davon überzeugen konnten. Zu neu, zu extrem, zu anachronistisch war die Idee, schliesslich werden die meisten Gebäude heute technisch auf-, nicht abgerüstet. In Emmenbrücke bei Luzern steht nun das zweite Haus mit dem Bausystem und das erste, das der Architekt für einen Auftraggeber geplant hat.
Das Haus gleicht dem Vorbild und Prototyp in Lustenau auffällig. Mit weiss verputzten, schweren Mauern steht es da. Tief zurückversetzt in der Fassade liegen die Fenster. Eine feine Auskragung bringt etwas Spiel in die gewichtige Architektur. Das Schrägdach ist eine Auflage der Denkmalpflege. Der Neubau ersetzt ein Haus der Viskosefabrik, die hier einst Garn herstellte und deren Areal in Emmenbrücke sich zur Viscosistadt für Arbeit, Wohnen und Bildung wandelte. Der geschützte Altbau daneben erinnert an früher, als die Baukunst noch mit viel weniger Technik auskam.
Das Haus ist ein Organismus
Das Gebäude ist keine Maschine, die bei Störungen einfach mehr Energie ins System pumpt, sondern eher ein Organismus, in dem alles subtil voneinander abhängt. Das müssen die Nutzerinnen erst begreifen. «Am Anfang lüfteten diese aus Gewohnheit zu oft, obwohl die Luft noch frisch war», sagt Stephan Marending, der Büroleiter von Baumschlager Eberle Architekten in Zürich. So sank die Temperatur jede Woche etwas ab. Als die Mieter dem CO2-Fühler vertrauten, war alles wieder im Lot. Trotzdem können sie die Klappen in der Fassade manuell öffnen, wenn sie wollen. Das Haus macht die Menschen nicht zu Sklaven der Technik wie in manchen vollklimatisierten Grossraumbüros, wo die Fenster versiegelt sind.
Die Haustechniklobby wird sich mit Händen und Füssen wehren gegen das System. Sie erklärt Architektinnen und Bauherren seit dreissig Jahren, dass die Lösung für alle Probleme im Bauen von noch mehr Technik ist. Doch Geräte müssen eingestellt, die Schächte gewartet und die Installationen bald erneuert werden. Das alles kostet Geld. Dies haben viele Bauherren, die langfristig rechnen, mittlerweile auch begriffen. Und beginnen umzudenken.
In den dicken Mauern steckt viel graue Energie. Doch diesen Nachteil kompensiert das Haus in Emmenbrücke, weil es fast keine Haustechnik und kein Untergeschoss hat, beides energieaufwendige Bereiche. Die Konstruktion ist zudem langlebiger: Die Backsteinwände sind gebaut für ein Jahrhundert, die Technik in einem normalen Haus muss nach zwanzig Jahren ausgetauscht werden. Allerdings reduzieren die mächtigen Mauern die nutzbare Fläche, und die über drei Meter hohen Räume brauchen Platz, was sich je nach Baurecht unterschiedlich stark auf das maximal mögliche Bauvolumen auswirkt. «Die Technikschächte in einem herkömmlichen Gebäude nehmen allerdings auch Quadratmeter weg», sagt Stephan Marending. Die überhohen Räume bieten zudem mehr als Licht und Luft, sie erhöhen die Aufenthaltsqualität und damit potenziell die Mieteinnahmen.
Herausforderung Klimaerwärmung
Mit der Klimaerwärmung wird es im Sommer mehr Tropennächte geben. Wenn die Temperatur in der Nacht nie unter 20 Grad fällt, wird es schwierig, das Haus natürlich zu kühlen. «Dank der dicken Mauern spürt man die Sommerhitze im Innenraum allerdings erst mit einer grossen Verzögerung», erklärt Marending. Seine Berechnungen zeigen: Das System hält auch in Zukunft die Balance – bis auf ein paar Hitzetage pro Jahr, an denen es in exponierten Räumen etwas wärmer werden könnte. Ob das Konzept auch für Wohnbauten und in dichten Stadtlagen funktioniert, muss es erst noch in der gebauten Realität beweisen.
Anfang Jahr zogen die letzten Mieter ein in Emmenbrücke. Baumschlager Eberle Architekten bauen und planen derweil weitere Häuser ohne Heizung. Eines steht in einem Dorf im Bregenzerwald und zeigt, dass die Architektur auch anders sein kann, zum Beispiel mit Schindelkleid und Walmdach. Ein anderes Projekt entsteht bis 2022 in Schlieren, in einem viel grösseren Massstab: Das Bürogebäude füllt einen ganzen Block. In Deutschland und China verhandelt Dietmar Eberle über weitere Projekte. Sein System mit wenig Technik ist salonfähig geworden. Wenn auch andere Architekten die Vorteile erkennen, könnte das Bauen wieder einfacher, günstiger und robuster werden als lange gedacht.
Dafür hat das Haus Masse, Raum und Köpfchen. 75 Zentimeter dicke Mauern, die nur aus Backstein bestehen, isolieren gut und machen das Raumklima träge. Wenige, aber hohe Fenster lassen im Sommer nicht viel Hitze hinein und bringen das Licht im Winter bis tief in die überhohen Räume. Und eine intelligente Steuerung reagiert auf die Werte, die die Sensoren zu CO2-Gehalt, Luftfeuchte und Temperatur aufzeichnen, damit das Gebäude im Gleichgewicht bleibt. So bewegt sich die Raumtemperatur immer zwischen 22 und 26 Grad, daher der Name des Systems: «2226».
Zu extrem, zu anachronistisch
Kein Bauherr wollte Dietmar Eberle glauben, dass sein radikaler Ansatz funktionieren würde. Also bauten Baumschlager Eberle Architekten damals für sich selber, auf eigenes Risiko. Und konnten beweisen: Die Simulationen stimmen, das System hält, was es verspricht. Trotzdem dauerte es lange, bis sie jemand anderen davon überzeugen konnten. Zu neu, zu extrem, zu anachronistisch war die Idee, schliesslich werden die meisten Gebäude heute technisch auf-, nicht abgerüstet. In Emmenbrücke bei Luzern steht nun das zweite Haus mit dem Bausystem und das erste, das der Architekt für einen Auftraggeber geplant hat.
Das Haus gleicht dem Vorbild und Prototyp in Lustenau auffällig. Mit weiss verputzten, schweren Mauern steht es da. Tief zurückversetzt in der Fassade liegen die Fenster. Eine feine Auskragung bringt etwas Spiel in die gewichtige Architektur. Das Schrägdach ist eine Auflage der Denkmalpflege. Der Neubau ersetzt ein Haus der Viskosefabrik, die hier einst Garn herstellte und deren Areal in Emmenbrücke sich zur Viscosistadt für Arbeit, Wohnen und Bildung wandelte. Der geschützte Altbau daneben erinnert an früher, als die Baukunst noch mit viel weniger Technik auskam.
Das Haus ist ein Organismus
Das Gebäude ist keine Maschine, die bei Störungen einfach mehr Energie ins System pumpt, sondern eher ein Organismus, in dem alles subtil voneinander abhängt. Das müssen die Nutzerinnen erst begreifen. «Am Anfang lüfteten diese aus Gewohnheit zu oft, obwohl die Luft noch frisch war», sagt Stephan Marending, der Büroleiter von Baumschlager Eberle Architekten in Zürich. So sank die Temperatur jede Woche etwas ab. Als die Mieter dem CO2-Fühler vertrauten, war alles wieder im Lot. Trotzdem können sie die Klappen in der Fassade manuell öffnen, wenn sie wollen. Das Haus macht die Menschen nicht zu Sklaven der Technik wie in manchen vollklimatisierten Grossraumbüros, wo die Fenster versiegelt sind.
Die Haustechniklobby wird sich mit Händen und Füssen wehren gegen das System. Sie erklärt Architektinnen und Bauherren seit dreissig Jahren, dass die Lösung für alle Probleme im Bauen von noch mehr Technik ist. Doch Geräte müssen eingestellt, die Schächte gewartet und die Installationen bald erneuert werden. Das alles kostet Geld. Dies haben viele Bauherren, die langfristig rechnen, mittlerweile auch begriffen. Und beginnen umzudenken.
In den dicken Mauern steckt viel graue Energie. Doch diesen Nachteil kompensiert das Haus in Emmenbrücke, weil es fast keine Haustechnik und kein Untergeschoss hat, beides energieaufwendige Bereiche. Die Konstruktion ist zudem langlebiger: Die Backsteinwände sind gebaut für ein Jahrhundert, die Technik in einem normalen Haus muss nach zwanzig Jahren ausgetauscht werden. Allerdings reduzieren die mächtigen Mauern die nutzbare Fläche, und die über drei Meter hohen Räume brauchen Platz, was sich je nach Baurecht unterschiedlich stark auf das maximal mögliche Bauvolumen auswirkt. «Die Technikschächte in einem herkömmlichen Gebäude nehmen allerdings auch Quadratmeter weg», sagt Stephan Marending. Die überhohen Räume bieten zudem mehr als Licht und Luft, sie erhöhen die Aufenthaltsqualität und damit potenziell die Mieteinnahmen.
Herausforderung Klimaerwärmung
Mit der Klimaerwärmung wird es im Sommer mehr Tropennächte geben. Wenn die Temperatur in der Nacht nie unter 20 Grad fällt, wird es schwierig, das Haus natürlich zu kühlen. «Dank der dicken Mauern spürt man die Sommerhitze im Innenraum allerdings erst mit einer grossen Verzögerung», erklärt Marending. Seine Berechnungen zeigen: Das System hält auch in Zukunft die Balance – bis auf ein paar Hitzetage pro Jahr, an denen es in exponierten Räumen etwas wärmer werden könnte. Ob das Konzept auch für Wohnbauten und in dichten Stadtlagen funktioniert, muss es erst noch in der gebauten Realität beweisen.
Anfang Jahr zogen die letzten Mieter ein in Emmenbrücke. Baumschlager Eberle Architekten bauen und planen derweil weitere Häuser ohne Heizung. Eines steht in einem Dorf im Bregenzerwald und zeigt, dass die Architektur auch anders sein kann, zum Beispiel mit Schindelkleid und Walmdach. Ein anderes Projekt entsteht bis 2022 in Schlieren, in einem viel grösseren Massstab: Das Bürogebäude füllt einen ganzen Block. In Deutschland und China verhandelt Dietmar Eberle über weitere Projekte. Sein System mit wenig Technik ist salonfähig geworden. Wenn auch andere Architekten die Vorteile erkennen, könnte das Bauen wieder einfacher, günstiger und robuster werden als lange gedacht.
Für den Beitrag verantwortlich: TagesAnzeiger
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