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Ein Stall, der wandern kann: Architektur für Hühner
Artgerechte Hühnerhaltung auf der Wiese: Der Mobei-Hühnerstall bietet ausgeklügelte Technik und den Tieren alles, was sie brauchen – inklusive Aufenthaltsraum. Zu Besuch in Rohrbach bei Ternitz.
13. Juni 2020 - Ute Woltron
Bereits im Jahr 1977 stellte der britische Schriftsteller und Kunstkritiker John Berger eine betrübliche Entwicklung in den Mittelpunkt seines berühmten und eindringlichen Essays „Why Look at Animals?“: „Überall verschwinden die Tiere.“ Seine Betrachtungen über den Umgang des modernen Menschen mit dem Tier, zumal mit dem Nutztier, lesen sich heute aktueller denn je, und die Ursache ist bekannt: „In Westeuropa und Nordamerika setzte im 19. Jahrhundert ein Prozess ein – an dessen Ende heute der korporierte Kapitalismus des 20. Jahrhunderts steht –, durch den alle Traditionen, die bisher zwischen dem Menschen und der Natur vermittelt hatten, zerbrachen.“ Der moderne Mensch verhätschelt zwar ein Haustier, doch Kuh und Schwein begegnen ihm nur noch im Kühlregal, portioniert und zerlegt, säuberlich und ohne Fell und Borsten, abgepackt und zur Ware degradiert. Ihr Leben haben diese Tiere meist dicht gepackt in Ställen verbracht, ohne je die Sonne gesehen zu haben.
Auch die Hühner, die bis in die 1970er-Jahre in ländlichen Gegenden ein allgegenwärtiger Anblick waren, sind aus dem Blickfeld Richtung Legebatterie verschwunden. Doch das ändert sich da und dort gerade, und die Wiederkehr des Huhnes im Freien ist nicht zuletzt der formidablen Erfindung des mobilen Hühnerstalls zu verdanken. Diese charmante Konstruktion verknüpft artgerechte Tierhaltung mit moderner Technologie, und alle haben was davon. Die Hühner, weil sie damit wieder ihren Lieblingsbeschäftigungen nachgehen, Gras und Käfer picken und Gruben ausscharren können, in denen sie so gerne sandbaden und ihr Gefieder reinigen. Die Kunden, weil sie die besten aller Wieseneier geliefert bekommen. Die Landwirte, weil ihnen die kleine Stallmaschine enorm viel Arbeit abnimmt und sie mit Fug und Recht behaupten können, glückliche Hühner zu beherbergen.
Aber zuerst zum Huhn. Man kann es zwar einsperren, doch benötigt es für sein Wohlbefinden viel Platz. Es fühlt sich an der frischen Luft am wohlsten, idealerweise in einer Wiese, durch die es scharrend und pickend schreiten kann. Es braucht sehr viel Trinkwasser und eine eiweißreiche Nahrung – schließlich legt es fast jeden Tag ein Ei. Zu alledem benötigt es Sicherheit in Form eines abgeschlossenen, zugfreien Raums, in dem es nächtens auf einer Stange aufsitzt, und in dem ihm Marder und Fuchs nichts anhaben können. Das klingt einfacher, als es ist. Denn Hühner pflegen den Wiesenboden binnen kürzester Zeit mit erstaunlich kräftigen Krallen zu einer Art Wüstenei zu zerscharren – eines der Hauptprobleme der Freilandhaltung. Nackten Boden mögen Hühner nicht, sie vertragen ihn auch schlecht und werden darauf krank.
Die beiden Jungbauern Magdalena und David Posch aus Rohrbach bei Ternitz waren die längste Zeit ein Geheimtipp als Lieferanten frischer Wieseneier, doch ihre drei Dutzend Hühner, bis dahin beheimatet im Stall samt Auslauf, waren der Nachfrage nicht gewachsen. Die Lösung dieses Problems steht nun seit Februar in Form eines sogenannten Mobei-Hühnerstalls auf einer großen Wiese. Der mit ausgeklügelter Technologie bestückte Container von einem deutschen Start-up-Unternehmen beherbergt 280 Legehennen und versorgt sie mit allem, was sie brauchen.
Im oberen Geschoß befinden sich der Länge nach die Sitzstangen und die mit weichem Material ausgekleideten Legenester. Letztere sind so konstruiert, dass die Eier sanft in eine vertiefte Rinne kollern, wo sie eingesammelt werden können. Der Kot fällt durch ein Gitter auf eine auf Rollen gelagerte Plane, die das Ausmisten vergleichsweise zum Vergnügen macht. Auf Knopfdruck setzt sich der Mechanismus in Bewegung, und der Hendldreck kann an der Schmalseite des Stalls einfach aufgefangen werden. Die untere, bodennahe Etage ist mit der oberen durch eine kleine Treppe verbunden und dient als Aufenthaltsraum für die Vogelschar. Morgens öffnen sich automatisch die Klappen, sodass die Damen ins Freie schreiten können. Abends schließen sie sich ebenso automatisch wieder, wenn die Sonne untergegangen und das letzte Huhn nach Hause gegangen ist.
Für die Stromversorgung des Hühnerheims ist eine Fotovoltaikanlage verantwortlich, als Speicher dienen zwei Batterien. Notfalls kann der Stall an das Stromnetz angeschlossen werden, doch das war bisher nie der Fall. Auch das Füttern und Tränken erfolgt automatisiert. Ein Förderband transportiert das Futter in einer Rinne durch die gesamte Länge des Stalls, sodass die Hühner genug Platz haben, um zu speisen und nicht um das Futter raufen müssen. Parallel dazu verläuft die Tränke, die dank eines Ausgleichsgefäßes auch in leichter Schräglage immer Wasser spendet. Das ist unbedingt notwendig, da der mobile Stall alle paar Wochen seinen Standort auf der Wiese wechselt, damit auch sie gesund bleibt. Zu diesem Zweck erhebt sich der Container hydraulisch auf seine Räder und wird mit dem Traktor ein paar Hundert Meter ins frische Gras weitergezogen und abgestellt. Dann muss nur noch der elektrische Hühnerzaun versetzt werden, und die Damen verfügen wieder über saftig frisches Wiesengrün.
Die Eier gibt es gleich nebenan im 24-Stunden-Shop, sieben Tage die Woche. Denn was sich mit Gemüse und Obst aus eigener Produktion bereits seit einigen Jahren bewährt, funktioniert auch mit den Eiern. Magdalena Posch: „Durch die immer längeren Öffnungszeiten von Betrieben und Firmen ist es manchen nicht mehr möglich, in Ruhe Einkäufe zu erledigen. Daher wollten wir jedem die Möglichkeit bieten, rund um die Uhr frisches, saisonales Gemüse zu erwerben.“ Das Selbstbedienungsprinzip wird so gut angenommen, dass die Eier schon wieder ständig ausverkauft sind. Deshalb wird es demnächst ein paar Wiesen weiter noch einen mobilen Hühnerstall geben.
John Berger, der in seinem französischen Bergexil nur dann Besucher empfing, wenn keine agrarische Beschäftigung ihn davon abhielt, hätte das Mobei bestimmt gefallen. Noch bleibt die Ausnahme die Regel, noch hat der große alte Mann recht: „Überall verschwinden die Tiere. In den Zoos sind sie das lebende Monument ihres eigenen Untergangs geworden.“ Doch was die Zukunft der Landwirtschaft anlangt, irrt er hoffentlich, denn gerade die klugen Nahversorger, also sowohl unternehmerisch als auch mit dem Herzen denkende Leute wie die Familie Posch, könnten den Beginn einer Veränderung markieren. Möge Berger also wenigstens in diesem Detail fehlgehen, wenn er sonst schon in allem recht hat: „Der Verdrängung der Tiere folgen heute die Verdrängung und die Abschaffung der einzigen Klasse, die in der Geschichte immer mit Tieren vertraut war und sich jene Weisheit bewahrt hat, die eine solche Vertrautheit mit sich bringt: der mittlere und der kleine Bauer. Diese Weisheit besteht im Akzeptieren des Dualismus, der der Beziehung zwischen Mensch und Tier zugrunde liegt. Wahrscheinlich ist die Ablehnung dieses Dualismus ein wichtiger Faktor, dem modernen Totalitarismus den Weg zu ebnen.“
Auch die Hühner, die bis in die 1970er-Jahre in ländlichen Gegenden ein allgegenwärtiger Anblick waren, sind aus dem Blickfeld Richtung Legebatterie verschwunden. Doch das ändert sich da und dort gerade, und die Wiederkehr des Huhnes im Freien ist nicht zuletzt der formidablen Erfindung des mobilen Hühnerstalls zu verdanken. Diese charmante Konstruktion verknüpft artgerechte Tierhaltung mit moderner Technologie, und alle haben was davon. Die Hühner, weil sie damit wieder ihren Lieblingsbeschäftigungen nachgehen, Gras und Käfer picken und Gruben ausscharren können, in denen sie so gerne sandbaden und ihr Gefieder reinigen. Die Kunden, weil sie die besten aller Wieseneier geliefert bekommen. Die Landwirte, weil ihnen die kleine Stallmaschine enorm viel Arbeit abnimmt und sie mit Fug und Recht behaupten können, glückliche Hühner zu beherbergen.
Aber zuerst zum Huhn. Man kann es zwar einsperren, doch benötigt es für sein Wohlbefinden viel Platz. Es fühlt sich an der frischen Luft am wohlsten, idealerweise in einer Wiese, durch die es scharrend und pickend schreiten kann. Es braucht sehr viel Trinkwasser und eine eiweißreiche Nahrung – schließlich legt es fast jeden Tag ein Ei. Zu alledem benötigt es Sicherheit in Form eines abgeschlossenen, zugfreien Raums, in dem es nächtens auf einer Stange aufsitzt, und in dem ihm Marder und Fuchs nichts anhaben können. Das klingt einfacher, als es ist. Denn Hühner pflegen den Wiesenboden binnen kürzester Zeit mit erstaunlich kräftigen Krallen zu einer Art Wüstenei zu zerscharren – eines der Hauptprobleme der Freilandhaltung. Nackten Boden mögen Hühner nicht, sie vertragen ihn auch schlecht und werden darauf krank.
Die beiden Jungbauern Magdalena und David Posch aus Rohrbach bei Ternitz waren die längste Zeit ein Geheimtipp als Lieferanten frischer Wieseneier, doch ihre drei Dutzend Hühner, bis dahin beheimatet im Stall samt Auslauf, waren der Nachfrage nicht gewachsen. Die Lösung dieses Problems steht nun seit Februar in Form eines sogenannten Mobei-Hühnerstalls auf einer großen Wiese. Der mit ausgeklügelter Technologie bestückte Container von einem deutschen Start-up-Unternehmen beherbergt 280 Legehennen und versorgt sie mit allem, was sie brauchen.
Im oberen Geschoß befinden sich der Länge nach die Sitzstangen und die mit weichem Material ausgekleideten Legenester. Letztere sind so konstruiert, dass die Eier sanft in eine vertiefte Rinne kollern, wo sie eingesammelt werden können. Der Kot fällt durch ein Gitter auf eine auf Rollen gelagerte Plane, die das Ausmisten vergleichsweise zum Vergnügen macht. Auf Knopfdruck setzt sich der Mechanismus in Bewegung, und der Hendldreck kann an der Schmalseite des Stalls einfach aufgefangen werden. Die untere, bodennahe Etage ist mit der oberen durch eine kleine Treppe verbunden und dient als Aufenthaltsraum für die Vogelschar. Morgens öffnen sich automatisch die Klappen, sodass die Damen ins Freie schreiten können. Abends schließen sie sich ebenso automatisch wieder, wenn die Sonne untergegangen und das letzte Huhn nach Hause gegangen ist.
Für die Stromversorgung des Hühnerheims ist eine Fotovoltaikanlage verantwortlich, als Speicher dienen zwei Batterien. Notfalls kann der Stall an das Stromnetz angeschlossen werden, doch das war bisher nie der Fall. Auch das Füttern und Tränken erfolgt automatisiert. Ein Förderband transportiert das Futter in einer Rinne durch die gesamte Länge des Stalls, sodass die Hühner genug Platz haben, um zu speisen und nicht um das Futter raufen müssen. Parallel dazu verläuft die Tränke, die dank eines Ausgleichsgefäßes auch in leichter Schräglage immer Wasser spendet. Das ist unbedingt notwendig, da der mobile Stall alle paar Wochen seinen Standort auf der Wiese wechselt, damit auch sie gesund bleibt. Zu diesem Zweck erhebt sich der Container hydraulisch auf seine Räder und wird mit dem Traktor ein paar Hundert Meter ins frische Gras weitergezogen und abgestellt. Dann muss nur noch der elektrische Hühnerzaun versetzt werden, und die Damen verfügen wieder über saftig frisches Wiesengrün.
Die Eier gibt es gleich nebenan im 24-Stunden-Shop, sieben Tage die Woche. Denn was sich mit Gemüse und Obst aus eigener Produktion bereits seit einigen Jahren bewährt, funktioniert auch mit den Eiern. Magdalena Posch: „Durch die immer längeren Öffnungszeiten von Betrieben und Firmen ist es manchen nicht mehr möglich, in Ruhe Einkäufe zu erledigen. Daher wollten wir jedem die Möglichkeit bieten, rund um die Uhr frisches, saisonales Gemüse zu erwerben.“ Das Selbstbedienungsprinzip wird so gut angenommen, dass die Eier schon wieder ständig ausverkauft sind. Deshalb wird es demnächst ein paar Wiesen weiter noch einen mobilen Hühnerstall geben.
John Berger, der in seinem französischen Bergexil nur dann Besucher empfing, wenn keine agrarische Beschäftigung ihn davon abhielt, hätte das Mobei bestimmt gefallen. Noch bleibt die Ausnahme die Regel, noch hat der große alte Mann recht: „Überall verschwinden die Tiere. In den Zoos sind sie das lebende Monument ihres eigenen Untergangs geworden.“ Doch was die Zukunft der Landwirtschaft anlangt, irrt er hoffentlich, denn gerade die klugen Nahversorger, also sowohl unternehmerisch als auch mit dem Herzen denkende Leute wie die Familie Posch, könnten den Beginn einer Veränderung markieren. Möge Berger also wenigstens in diesem Detail fehlgehen, wenn er sonst schon in allem recht hat: „Der Verdrängung der Tiere folgen heute die Verdrängung und die Abschaffung der einzigen Klasse, die in der Geschichte immer mit Tieren vertraut war und sich jene Weisheit bewahrt hat, die eine solche Vertrautheit mit sich bringt: der mittlere und der kleine Bauer. Diese Weisheit besteht im Akzeptieren des Dualismus, der der Beziehung zwischen Mensch und Tier zugrunde liegt. Wahrscheinlich ist die Ablehnung dieses Dualismus ein wichtiger Faktor, dem modernen Totalitarismus den Weg zu ebnen.“
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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