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Die Welt etwas besser bauen
Er galt als „Anwalt des Menschen“ und interessierte sich für die sozialen und politischen Dimensionen des Bauens: der aus Böhmen gebürtige Nachkriegsarchitekt Ferdinand Schuster. Anlässlich seines 100. Geburtstags widmet sich das Haus der Architektur Graz seinem Werk.
10. Juli 2020 - Karin Tschavgova
„Man kann natürlich auf Architektur verzichten und nur ,bauen‘, für die ,Wirtschaftsgesellschaft‘ etwa. Die Welt wird sich weiterdrehen. Aber sie wird dann ärmer, grauer und ,erbarmungslos praktisch‘ (Adorno) sein, wie unsere Sprache, wenn wir darauf verzichten, sie auch poetisch zu gebrauchen. Wer gegen die Verarmung unserer Existenz ist, muss Architektur wollen. Das, meine ich, ist aber ein politischer Akt.“ Wie oft wurde Ferdinand Schuster, der mit diesen Sätzen seinen Vortrag „Architektur als Medium“ schloss, oberflächlich als Funktionalist tituliert. Wer die in der äußerst kurzen Schaffensphase entstandenen, in einer klaren Bildwirkung gehaltenen Industriebauten – drei Kraftwerke und ein Umspannwerk – nur als dem Zweck dienende Gebäude sehen kann, lässt Kenntnis und vertieften Blick vermissen. Beides würde zeigen, dass nur der Ersatz eines traditionellen Brückenkrans durch einen von der Außenwand unabhängig funktionierenden Portalkran die heute noch so modern wirkende, filigrane Glasfassade der Maschinenhalle des Fernheizkraftwerks Graz-Süd (1963) möglich machte.
Schusters Bauten ist stets eine bis ins Kleinste durchdachte Konzeption abzulesen, auch wenn diese wie bei der Siedlung Kapfenberg-Redfeld (1958) in Form und Materialität einfach wirkt. Die für Mitarbeiter der Böhler-Stahlwerke errichteten Reihenhäuser könnte man auf den ersten Blick für Behelfswohnbau der frühen Nachkriegsjahre halten. Ihre sparsam dimensionierten Grundrisse waren jedoch Teil der Entwicklung eines Typs und passen sich ein in seine lebenslange Suche nach einer zeitgemäßen Definition von Architektur. Was Schuster unter „Architektur“ im Gegensatz zum „Bauen“ verstand, würde man heute als Baukultur oder hohe architektonischer Qualität im Sinne eines um Ästhetik und Wirkung erweiterten Begriffs von Funktionalität sehen.
Ab 1953 führte der Architekt ein Büro in Kapfenberg. 1952 hatte er seine Dissertation über die Grundlagen für die Ortsplanung der „Arbeiterstadt Kapfenberg“ fertiggestellt. „Der Architekt, vor eine Aufgabe gestellt, sollte immer zuerst versuchen, diese in einen größeren Zusammenhang einzuordnen“, schrieb er und handelte konsequent danach; nicht erst, als er 1960 zum Baureferenten der Stadt ernannt wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte Ferdinand Schuster die Stadt, die in ihrer Entwicklung maßgeblich von den Böhler-Werken beeinflusst wurde, mit Schulbauten, Kindergärten und dem Stadionbad schon sichtbar geprägt. Sein städtebauliches Engagement beeinflusste alle Planungen dieser Zeit. Dabei ging es dem als gänzlich uneitel beschriebenen Menschen sicher nicht darum, als Platzhirsch Aufträge zu ergattern.
Schuster war als Stadtplaner wie als Architekt durch „Anwalt des Menschen“ für eine lebenswerte Stadt. Der Wiederaufbau der Kriegszerstörungen und der Ausbau von Redfeld wurden forciert, es brauchte Wohnungsbau, Kindergärten und Schulen. In der Tradition des sozialistischen Städtebaus sah Schuster in Letzteren wichtige erweiterte Funktionen. Er bedachte dabei die Erwachsenenbildung, Vereinstätigkeiten und außerschulischen Sport und positionierte Schulen als zentrale Kultur- und Begegnungsorte nahe den Wohnsiedlungen. Kirchen und das Pfarrzentrum „Zur Heiligen Familie“ in Kapfenberg-Walfersam entstanden aus Schusters Feder. Achtzig Prozent aller Planungen aus Schusters Büro wurden in Kapfenberg umgesetzt. Solide Qualität und zeitlosen Gebrauchswert beweisen sie durch kontinuierliche Nutzung bis heute.
Schusters theoretisches Interesse galt herauszuarbeiten, was die Architekturform semantisch als Zeichen leisten kann und soll. Es ging ihm nicht allein um konventionelle Symbolkraft oder die ikonische Funktionsweise von Architektur. Er fasste die Kraft der Bedeutung eines Objekts viel komplexer auf und erweiterte sie um die Beziehungen zu den Benützern und Kommunikationsprozesse. Im erwähnten Vortrag über die Zeichenfunktion der Architektur sprach er auch von den Bedeutungen, die der Architektur (er meinte Formen) „zuwachsen“, ob wir wollen oder nicht. Damit bewies Schuster eine Offenheit gegenüber der Zukunft, die er nicht lange leben konnte.
Wenn im Seelsorgezentrum St. Paul in Graz-Waltendorf, das 1974 zur Pfarre erhoben wurde, die semantische Dimension der Kirchenarchitektur nicht existent ist, zumindest was die traditionelle Symbolik betrifft, so ist das nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. Schuster setzt hier die Öffnung der Kirche nach dem II. Vatikanischen Konzil in einen Mehrzweckraum um, die für ihn auch die Absenz von Zeichenhaftigkeit bedeutete. Das im Raster errichtete Stahlskelett mit der zart gegliederten Fassade aus liegenden Eternitsandwichplatten und Oberlichtbändern schätzte Achleitner noch 2000 als konsequentesten Bau ein, den eine offene Kirche in Österreich hervorgebracht hat. Dem Pfarrer war der Raum zu wenig sakral, daher setzte er eine Reihe von Veränderungen durch, die das heutige Erscheinungsbild des Kirchenraums prägen, aber seine einstige Originalität vermissen lassen.
1964 wurde Schuster als Institutsvorstand an die Lehrkanzel für Baukunst und Entwerfen an die TH Graz berufen. Seine Antrittsvorlesung lautete „Architektur und Politik“. Beim gleichnamigen Symposion im Jahr 2000 in Kapfenberg erinnerte Achleitner an die Situation in den damaligen Architekturzeichensälen: „Schusters Bemühen um eine mitteilbare, praktikable Architekturtheorie hat in Österreich nichts Vergleichbares, und – das war ihre Tragik – sie blieb im sprichwörtlichen Grazer Vakuum in Wirklichkeit ohne Resonanz.“ Die Studierenden teilten sich angeblich in zwei Gruppen: in die seiner Anhänger und jene, die „die Schubkraft der Grazer Emotionalität“ antrieb. Bei den Rebellen traf die analytischen Strenge des umfassend humanistisch Gebildeten nicht auf fruchtbaren Boden. Am 11. Juli 1972 ging Ferdinand Schuster im Hochschwabgebiet in den Freitod.
Im September jährt sich sein Geburtstag zum 100. Mal. Aus diesem Anlass spürt eine kleine, feine Ausstellung im Haus der Architektur Graz dem Leben und Werk von Ferdinand Schuster nach, und eine umfangreiche Publikation, erschienen bei Park Books, macht als Ergebnis eines Forschungsprojekts an der TU Graz die Relevanz seiner Schriften und Arbeitsweise für heute deutlich. Die Ausstellung wird danach in Kapfenberg und Wien zu sehen sein.
Schusters Bauten ist stets eine bis ins Kleinste durchdachte Konzeption abzulesen, auch wenn diese wie bei der Siedlung Kapfenberg-Redfeld (1958) in Form und Materialität einfach wirkt. Die für Mitarbeiter der Böhler-Stahlwerke errichteten Reihenhäuser könnte man auf den ersten Blick für Behelfswohnbau der frühen Nachkriegsjahre halten. Ihre sparsam dimensionierten Grundrisse waren jedoch Teil der Entwicklung eines Typs und passen sich ein in seine lebenslange Suche nach einer zeitgemäßen Definition von Architektur. Was Schuster unter „Architektur“ im Gegensatz zum „Bauen“ verstand, würde man heute als Baukultur oder hohe architektonischer Qualität im Sinne eines um Ästhetik und Wirkung erweiterten Begriffs von Funktionalität sehen.
Ab 1953 führte der Architekt ein Büro in Kapfenberg. 1952 hatte er seine Dissertation über die Grundlagen für die Ortsplanung der „Arbeiterstadt Kapfenberg“ fertiggestellt. „Der Architekt, vor eine Aufgabe gestellt, sollte immer zuerst versuchen, diese in einen größeren Zusammenhang einzuordnen“, schrieb er und handelte konsequent danach; nicht erst, als er 1960 zum Baureferenten der Stadt ernannt wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte Ferdinand Schuster die Stadt, die in ihrer Entwicklung maßgeblich von den Böhler-Werken beeinflusst wurde, mit Schulbauten, Kindergärten und dem Stadionbad schon sichtbar geprägt. Sein städtebauliches Engagement beeinflusste alle Planungen dieser Zeit. Dabei ging es dem als gänzlich uneitel beschriebenen Menschen sicher nicht darum, als Platzhirsch Aufträge zu ergattern.
Schuster war als Stadtplaner wie als Architekt durch „Anwalt des Menschen“ für eine lebenswerte Stadt. Der Wiederaufbau der Kriegszerstörungen und der Ausbau von Redfeld wurden forciert, es brauchte Wohnungsbau, Kindergärten und Schulen. In der Tradition des sozialistischen Städtebaus sah Schuster in Letzteren wichtige erweiterte Funktionen. Er bedachte dabei die Erwachsenenbildung, Vereinstätigkeiten und außerschulischen Sport und positionierte Schulen als zentrale Kultur- und Begegnungsorte nahe den Wohnsiedlungen. Kirchen und das Pfarrzentrum „Zur Heiligen Familie“ in Kapfenberg-Walfersam entstanden aus Schusters Feder. Achtzig Prozent aller Planungen aus Schusters Büro wurden in Kapfenberg umgesetzt. Solide Qualität und zeitlosen Gebrauchswert beweisen sie durch kontinuierliche Nutzung bis heute.
Schusters theoretisches Interesse galt herauszuarbeiten, was die Architekturform semantisch als Zeichen leisten kann und soll. Es ging ihm nicht allein um konventionelle Symbolkraft oder die ikonische Funktionsweise von Architektur. Er fasste die Kraft der Bedeutung eines Objekts viel komplexer auf und erweiterte sie um die Beziehungen zu den Benützern und Kommunikationsprozesse. Im erwähnten Vortrag über die Zeichenfunktion der Architektur sprach er auch von den Bedeutungen, die der Architektur (er meinte Formen) „zuwachsen“, ob wir wollen oder nicht. Damit bewies Schuster eine Offenheit gegenüber der Zukunft, die er nicht lange leben konnte.
Wenn im Seelsorgezentrum St. Paul in Graz-Waltendorf, das 1974 zur Pfarre erhoben wurde, die semantische Dimension der Kirchenarchitektur nicht existent ist, zumindest was die traditionelle Symbolik betrifft, so ist das nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. Schuster setzt hier die Öffnung der Kirche nach dem II. Vatikanischen Konzil in einen Mehrzweckraum um, die für ihn auch die Absenz von Zeichenhaftigkeit bedeutete. Das im Raster errichtete Stahlskelett mit der zart gegliederten Fassade aus liegenden Eternitsandwichplatten und Oberlichtbändern schätzte Achleitner noch 2000 als konsequentesten Bau ein, den eine offene Kirche in Österreich hervorgebracht hat. Dem Pfarrer war der Raum zu wenig sakral, daher setzte er eine Reihe von Veränderungen durch, die das heutige Erscheinungsbild des Kirchenraums prägen, aber seine einstige Originalität vermissen lassen.
1964 wurde Schuster als Institutsvorstand an die Lehrkanzel für Baukunst und Entwerfen an die TH Graz berufen. Seine Antrittsvorlesung lautete „Architektur und Politik“. Beim gleichnamigen Symposion im Jahr 2000 in Kapfenberg erinnerte Achleitner an die Situation in den damaligen Architekturzeichensälen: „Schusters Bemühen um eine mitteilbare, praktikable Architekturtheorie hat in Österreich nichts Vergleichbares, und – das war ihre Tragik – sie blieb im sprichwörtlichen Grazer Vakuum in Wirklichkeit ohne Resonanz.“ Die Studierenden teilten sich angeblich in zwei Gruppen: in die seiner Anhänger und jene, die „die Schubkraft der Grazer Emotionalität“ antrieb. Bei den Rebellen traf die analytischen Strenge des umfassend humanistisch Gebildeten nicht auf fruchtbaren Boden. Am 11. Juli 1972 ging Ferdinand Schuster im Hochschwabgebiet in den Freitod.
Im September jährt sich sein Geburtstag zum 100. Mal. Aus diesem Anlass spürt eine kleine, feine Ausstellung im Haus der Architektur Graz dem Leben und Werk von Ferdinand Schuster nach, und eine umfangreiche Publikation, erschienen bei Park Books, macht als Ergebnis eines Forschungsprojekts an der TU Graz die Relevanz seiner Schriften und Arbeitsweise für heute deutlich. Die Ausstellung wird danach in Kapfenberg und Wien zu sehen sein.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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