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Wien so grün? Zu Wiens neuem Leitbild Grünraum
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Wege zu einer kühleren Stadt: Grünraum zählt zu den wichtigsten Maßnahmen gegen den Klimawandel – da kommt das neue Wiener Leitbild für Grünräume gerade recht. Gleichzeitig wird in Parks an technischen Lösungen getüftelt.

18. Juli 2020 - Stephanie Drlik
Ende Juni dieses Jahres wurde das Wiener „Leitbild Grünräume neu“ im Gemeinderat mehrheitlich beschlossen. Das Leitbild ist ein neues Stadtentwicklungskonzept der Stadt Wien, das räumlich-strategische Vorgaben für die kommenden Jahrzehnte festlegt, mit dem übergeordneten Ziel, die Grün- und Freiräume der Stadt zu bewahren und nachhaltig weiterzuentwickeln. Das neue Strategiepapier ist ein Produkt der Magistratsabteilung 18 für Stadtentwicklung und Stadtplanung, die zu der grünen Stadträtin und Vizebürgermeisterin Birgit Hebein ressortiert. Erwartungsgemäß haben sich daher nicht alle Fraktionen begeistert über das neue Leitbild gezeigt. So ist man etwa vonseiten der ÖVP „alles andere als glücklich“, dass nun ein weiteres Konzept zu den vielen vorhandenen hinzukommt. Der Aufwand sei enorm gewesen, und auch eine Anwendung wäre zu aufwendig. Die FPÖ tut das Leitbild als „Wahlkampfgetöse“ ab.

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung des „Leitbilds Grünraum“ ist, kurz vor der wichtigen Wien-Wahl, politisch tatsächlich günstig gelegt. Doch hinter dem Konzept steht als Motiv etwas ganz anderes als die Gemeinderatswahlen: Es setzt eine historische Tradition der Wiener Grünraumplanung fort, deren Bestreben eben genau solch ein Leitbild Grünraum als finales Ergebnis war. Gut, dass es nun fertig ist, denn ein solches Strategiepapier mit Anwendungscharakter ist gerade jetzt, da wir dringend Maßnahmen zur Klimawandelanpassung setzen müssen, mehr als relevant. Das Papier soll als Grundlage für die nachhaltige Stadtentwicklung und die Flächenwidmung neuer Gebiete dienen. Es wurden Ausschluss-Zonen räumlich und zeitlich festgelegt, strategische Vorgaben zur Grünraumentwicklung gegeben und Flächen mit unterschiedlichen Funktionen besetzt, also etwa Flächen mit besonderer Klimafunktion oder für mehr Grünraumgerechtigkeit ausgewiesen.

Gerade in Städten sind Bewohnerinnen und Bewohner von Klimawandelauswirkungen massiv betroffen. Wenig Grün, dichte Gebäudestrukturen und überwiegend versiegelte Oberflächen wirken wie Katalysatoren des Klimawandels und fördern die Bildung von Hitzeinseln. Experten tüfteln bereits seit Jahren an Strategien und Konzepten, wie Städte grüner und dadurch kühler werden können. Dabei sind Naherholungsgebiete, große Parkanlagen oder Wasserflächen und natürlich Bäume wichtige Elemente. Doch kommen meist dort, wo grüne Infrastruktur nicht realisierbar ist, zunehmend technische Lösungen zum Einsatz. Zum Beispiel Sprühtechnik zur Erzeugung von feinstem Wassernebel, der durch Abkühlung der Umgebungsluft Aufenthaltsqualität im Freien schaffen soll. Solche Vernebler liegen im „grünen“ Wien gerade hoch im Kurs – Stichwort „Coole Straßen“ oder „Kühle Meile“.

Dieser durch Förderungen der Stadt Wien gehypte Trend um Wassernebelanlagen ist nicht unumstritten, denn technische Lösungen sind wartungs- und somit kostenintensiv. Das macht sie nicht gerade zur nachhaltigsten Klimaanpassungslösung. Zudem merken Kritiker an, dass Vernebler eine Menge Wasser verbrauchen – eine Ressource, die im Klimawandel immer kostbarer wird. Eines steht jedenfalls fest: Eine Nebeldusche kann niemals die Klimawirksamkeit eines ausgewachsenen Baumes erreichen, der durch Beschattung und Evapotranspiration kühlt und ganz nebenbei CO2 bindet und in Sauerstoff verwandelt.

Der 10.600 Quadratmeter große Esterházypark im sechsten Wiener Gemeindebezirk, eine im späten 18. Jahrhundert entstandene Parkanlage, wird derzeit umgestaltet. Und zwar nicht auf konventionelle Art und Weise – zumindest nicht nur. So wird die Anlage zum Cooling-Park, und dafür greift das beauftragte Ziviltechnikerbüro Carla Lo Landschaftsarchitektur neben klassischen Gestaltungsmaßnahmen zur Aufwertung des Parks auch auf technische Lösungen zur Kühlung des freiräumlichen Aufenthaltsbereiches zurück. Durch Entsiegelung von Beton und Asphaltflächen können neue Gräser- und Staudenbeete sowie etliche schattenspendende Bäume hinzukommen. Wasserelemente wurden reaktiviert, helle strahlungsabweisende Bodenbeläge und viele neue Sitzgelegenheiten angebracht. Und nun kommt das kühlende Hightech: Im Zentrum der Anlage wird ein rund 30 Quadratmeter großer Coolspot errichtet. Dabei handelt es sich um einen kreisförmigen Aufenthaltsort mit schattenspendenden Rankgerüsten und zwei Klimabäumen, die durch drei Meter hohe Sprühnebelduschen die Umgebungsluft kühlen. In Zusammenspiel mit dem landschaftsarchitektonischen Planungs- und Gestaltungskonzept soll der Park so nicht nur gestalterisch aufgewertet, sondern um bis zu sechs Grad Celsius gekühlt werden.

Für die technische Entwicklung der Coolspots zeichnen Breathe Earth Collective und Green4Cities verantwortlich, die diese neue Technologie im Rahmen des Förderprogramms Smart Cities Demo – Living Urban Innovations des Klima- und Energiefonds in ihrem Forschungsprojekt Tröpferlbad 2.0 entwickelt haben. Um aus dem Versuch Lehren für weitere Planungsvorhaben ziehen zu können, betreuen und begleiten die externen Konsulenten den Cooling-Park über die geplante Fertigstellung im Herbst 2020 hinaus zwei weitere Jahre. Das ermöglicht die Evaluierung und Anpassung der Coolspots sowie den so wichtigen Wissenstransfer zwischen Forschung und Praxis. Und so wird der Esterházypark künftig nicht nur ein Ort der Entspannung und Hitze-Entlastung, sondern auch ein Wissenspool für klimawirksame Maßnahmen. Die Umbauten des Esterházyparks erfolgen in enger Zusammenarbeit der Planer und Forscher mit der Stadt Wien, dem Bezirk Mariahilf und dem Haus des Meeres. Letztgenanntes ist seit 1958 im Flakturm im Esterházypark untergebracht und hat im Zuge der Erweiterungen am Gebäude den Umbau des umgebenden Parks angestoßen.

Auch der Flakturm wurde Teil der Klimakühlungsmaßnahmen. Auf der nördlichen Flakturmmauer wächst seit Kurzem Wiens höchste Fassadenbegrünung mit rund 8500 Pflanzen. Für Konstruktion und Wartung zeichnen die Stadtbegruener verantwortlich. Und genau wie die Coolspots wird auch dieses Projekt erst beweisen müssen, ob es technisch funktioniert und die 400 Quadratmeter große vertikale Grünfläche auf lange Sicht die erwarteten positiven Klimaeffekte bringt. Denn ebenso wie Vernebelungsanlagen stehen derart große Fassadenbegrünungen am Anfang ihrer Entwicklung. Oftmals fehlen langjährige Versuchsreihen und technische Daten wie Lebenszykluskosten, CO2-Bilanz, Lebensdauer oder Erfahrungswissen über die Akzeptanz in der Bevölkerung. Nicht jede Technologie wird sich langfristig durchsetzen. Zudem bleibt in einer sich wandelnden Klimasituation abzuwarten, ob Konzepte, die heute gut funktionieren, in Zukunft noch sinnvoll sein werden. Jedenfalls wird Flexibilität gefragt sein: ausprobieren, weiterentwickeln oder eben auch wieder gut sein lassen.

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