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Wien-Wahl und Baukultur: Beim Grün sind alle einig
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Heute haben alle Parteien Politiker, die sich für Baukultur zuständig fühlen. Das war nicht immer so. Bei einer Podiumsdiskussion im Architekturzentrum Wien schwebten die Themen Architektur, Stadtentwicklung und Verkehr über dem Hickhack der Tagespolitik.

28. September 2020 - Christian Kühn
Der Auftritt hat Tradition: Seit den Nationalratswahlen 2002 lädt ein Verein namens „Plattform Baukulturpolitik“ die wahlwerbenden Parteien bei wichtigen Urnengängen auf Landes- und Bundesebene zu einem Streitgespräch. Vergangene Woche war es im Vorfeld der Wahlen in Wien wieder so weit. Das Architekturzentrum stellte seine Räume zur Verfügung und kompensierte die arg dezimierte zulässige Teilnehmerzahl durch eine Übertragung der Diskussion, die nun auf YouTube für die digitale Ewigkeit erhalten ist.

Alle derzeit im Gemeinderat vertretenen Parteien sandten ihre zuständigen Fachpolitiker, Omar Al-Rawi von der SP, Stefan Gara von den Neos, Peter Kraus von den Grünen, Elisabeth Olischar von der VP und Alexander Pawkowicz von der FP. Dass es bei allen Parteien Politiker gibt, die sich für Baukultur zuständig fühlen, ist ein Fortschritt. Bei früheren Anlässen entsandten manche Parteien weitgehend ahnungslose oder gleich gar keine Vertreter. Diesmal schienen die Themen Architektur, Stadtentwicklung und Verkehr ein paar Ebenen über dem Hickhack der Tagespolitik zu schweben. Untergriffe wie der von Blau in Richtung Grün, dass deren Planungshorizont am Gürtel ende, waren selten. Beim Thema Stellplatzregulativ ging es eher darum herauszustellen, wer sich bereits am längsten für eine Reduktion stark gemacht hatte. Dass in diesem Bereich inzwischen Leerstände produziert werden, die sich auf die Wohnkosten schlagen, und dass es klug wäre, die Anzahl der Pflichtstellplätze umgekehrt proportional zum Anschluss an hochrangige öffentliche Verkehrsmittel festzulegen, ist unumstritten. Überhaupt waren alle Diskutanten sich erstaunlich einig, Mobilität zu fairen Kosten als politisches Ziel zu sehen. Konsens herrschte selbst darüber, dass erst eine CO2-Bepreisung das Mobilitätsverhalten nachhaltig zum Besseren verändern werde.

Bezeichnend war die Reaktion der Diskutanten, als die Moderatoren Renate Hammer und Robert Temel die Behauptung in den Raum stellten, dass es in Wien zwar einiges an guter Architektur, aber wenig baukulturelles Bewusstsein gäbe. Elisabeth Olischar reagierte mit Schlagworten von mangelnder Vision, Qualität und Transparenz; Omar Al-Rawi mit dem Hinweis, dass eh alles gut sei und immerhin Jean Nouvel und Zaha Hadid in Wien gebaut hätten; Stefan Gara sah Hoffnung in der Fassadenbegrünung in Kombination mit Solartechnologie – ein weiteres Thema, bei dem sich alle Diskutanten einig waren. Für Alexander Pawkowicz sei es mit der Architektur in Wien seit Helmut Zilks Zeiten bergab gegangen; „topmoderne“ Architektur entstehe heute in echten Weltstädten wie Berlin: vom Vertreter einer Partei, die einmal davor warnte, dass Wien nicht Chicago werden dürfe, eine überraschende Aussage. Peter Kraus, dessen Partei seit zehn Jahren dem Planungs- und Stadtgestaltungsressort vorsteht, sprach vom Ziel, Stadtentwicklung als ganzheitlichen Prozess von den ersten Ideen bis zur Besiedlung eines Stadtgebiets zu ordnen und damit Qualität zu sichern.

Tatsächlich ist Wien von diesem Ziel noch weit entfernt. Dass die Bauordnung inklusive aller Kommentare von knappen 80 Seiten in den 1920er-Jahren auf 1500 Seiten angeschwollen ist, ist weniger problematisch als ihre Struktur, in der das Raumordnungsrecht mit technischen Fragen zu Standsicherheit, Hygiene oder Abwasserthemen vermischt ist. Eine radikale Reform des Raumordnungsteils ist schon deshalb angezeigt, weil wichtige Instrumente der Stadtplanung in der Bauordnung nicht vorkommen. Dazu zählt insbesondere der Stadtentwicklungsplan (StEP), der alle zehn Jahre neu erstellt wird. Er ist eine Art Panzerkreuzer der Stadtplanung, den Fachkonzepte als Fregatten begleiten. So imposant dieses Arsenal anzusehen ist, leidet es am Mangel an scharfer Munition: Weder StEP noch Fachkonzepte sind rechtlich verbindlich. Als Qualitätssicherungsinstrument findet sich zwar in der Bauordnung ein Fachbeirat für Stadtplanung und Stadtgestaltung, dem wesentliche Änderungen von Flächenwidmungs- und Bebauungspläne vorgelegt werden müssen. Neben diesem Beirat hat sich seit Mitte der 1980er-Jahre mit der aus Stadtpolitikern und Beamten gebildeten Stadtentwicklungskommission ein weiteres Gremium etabliert, das weitreichende Entscheidungen zur Stadtentwicklung trifft, oft ohne den Fachbeirat damit zu befassen.

Die Grundstimmung unter den Politikern berechtigt zur vorsichtigen Hoffnung, dass die Instrumente der Stadtplanung in der nächsten Legislaturperiode geschärft werden könnten. Anlass sollte der nächste StEP sein, der 2024 fällig ist und bis 2035 gelten wird, also mehr als ein Jahrzehnt, in dem sich die Stadt in Bezug auf Verkehr, Energie, Wohnen und öffentlichen Raum radikal verändern muss, um die gesetzten Entwicklungsziele inklusive Energiewende zu erreichen. Dem StEP mehr Verbindlichkeit zu geben und ihn dann über weitere Planungsverfahren auf die Ebene von Stadtteilkonzepten herunterzubrechen könnte diese Transformation beschleunigen.

Nicht einig waren sich die Diskutanten bezüglich der Widmungskategorie „geförderter Wohnbau“, die von der Stadtregierung als einer ihren größten Erfolge der vergangenen Legislaturperiode angesehen wird. Bei Neuwidmungen kann damit festgelegt werden, dass auf einem Grundstück geförderte Wohnungen zu errichten sind, wobei in begleitenden Planungsrichtlinien deren Anteil mit bis zu 66 Prozent festgelegt werden kann. Das drosselt die Grundstückpreise und macht leistbaren Wohnbau möglich. SP und Grüne wollen diese Kategorie bei Neuwidmungen immer anwenden, die Grünen wollen bei der Prozentzahl flexibel bleiben. Dient es der Qualität, sollen es in Sonderfällen 50 Prozent sein dürfen. Die VP hält die Widmungskategorie für kontraproduktiv, da dadurch nicht geförderte Wohnungen noch teurer würden. Die Neos und die FP halten zwar die Kategorie für sinnvoll, würden sie aber nicht flächendeckend nutzen, was die Frage aufwirft, nach welchen Kriterien sie dabei vorgehen wollen.

Ein Schönheitsfehler der neuen Widmungskategorie liegt woanders: Es gibt Zweifel, ob sie sie in höchstgerichtlichen Entscheidungen halten würden. Das teilt sie mit einem anderen jüngeren Instrument der Wiener Stadtplanung, den städtebaulichen Verträgen, privatrechtlichen Vereinbarungen zwischen Projektentwicklern und Stadt, in denen sich Erstere verpflichten, finanziell zur sozialen oder technischen Infrastruktur im Umfeld ihres Projekts beizutragen. Hier könnte eine Ankündigung aus dem Regierungsprogramm der türkis-grünen Bundesregierung greifen: diese Vertragsraumordnung aus dem zivilen ins öffentliche Recht zu überführen, sie damit verfassungsrechtlich abzusichern und transparent zu regeln.

Dass sich die öffentliche Meinung für solche Themen weniger erwärmt als etwa für neue Vorschriften zur Fassadenbegrünung, ist klar. Politiker dürfen sich davon nicht abschrecken lassen. Die anstehenden Veränderungen werden am System ansetzen müssen und nicht an der Oberfläche.

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