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Wiener Stadtgestaltung: Mittelmaß ist nicht genug
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Die planerischen Instrumente, denen Wien seinen Ruf als lebenswerteste Stadt der Welt verdankt, haben dringenden Reformbedarf. Nun, nach der Wahl, wäre Gelegenheit, diese Herkulesaufgabe anzugehen.

28. Oktober 2020 - Christian Kühn
Die Wiener Wahl ist geschlagen. Ganz ist der „natürliche Zustand“ einer roten absoluten Mehrheit nicht wiederhergestellt, wie es Altbürgermeister Leopold Graz 2001 in einem legendären Statement ausdrückte: Damals hatte die SPÖ nach fünf Jahren Koalition mit der ÖVP wieder die „Absolute“ erreicht.

Das aktuelle Ergebnis lässt jedenfalls keinen Zweifel daran, in wessen „beste Hände“ eine deutliche Mehrheit der Wienerinnen und Wiener die Zukunft ihrer Stadt legen möchte. Ein entscheidender Faktor für dieses Ergebnis war die Tatsache, dass Wien dem Problem des leistbaren Wohnens trotz stark wachsender Bevölkerung erfolgreicher begegnen konnte als viele vergleichbare Städte. Dieses Problem im Zaum zu halten ist Voraussetzung für eine durchmischte Stadt mit geringen sozialen Spannungen, ein Umstand, der mit dazu beiträgt, dass Wien in den wichtigsten Rankings zur Lebensqualität seit Jahren in den Spitzenplätzen auftaucht.

Es wäre aber gefährlich, sich auf diesen Lorbeeren auszuruhen. Sie sind der Erfolg lange zurückliegender Entscheidungen. Der Beginn einer neuen Legislaturperiode muss Anlass sein, Ziele und Instrumente der Stadtplanung, der Stadtgestaltung und des Wohnbaus kritisch zu hinterfragen und nötigenfalls zu erneuern. Eines der wichtigsten Instrumente ist der „Fonds für Wohnbau und Stadterneuerung“, kurz „Wohnfonds“, hervorgegangen aus dem „Wiener Bodenbereitstellungsfonds“. Der Fonds ist für die Vergabe städtischer Wohnbau-Grundstücke als auch für die Qualitätsprüfung jener Projekte zuständig, die Bauträger mit Wohnbauförderungsmitteln errichten wollen.

Seit 25 Jahren kommt dafür das Instrument des „Bauträgerwettbewerbs“ zum Einsatz. Die zeitliche Koinzidenz mit Österreichs EU-Beitritt 1995 ist kein Zufall: Transparenz bei der Vergabe öffentlicher Mittel ist eines der zentralen Prinzipien der EU, und Österreich hatte in der Hinsicht durchaus Nachholbedarf.

Der Wiener Bauträgerwettbewerb ist ein kompliziertes Konstrukt. In der Regel dreht sich der Wettbewerb um ein Grundstück im städtischen Besitz, für das mehrere Bauträger eingeladen werden, ein Angebot zu machen, das in Bezug auf seine ökonomische, soziale, ökologische und architektonische Qualität – die sogenannten „vier Säulen“ – bewertet wird. Integraler Teil des Angebots ist ein architektonisches Projekt, mit dessen Ausarbeitung Bauträger Architekten ihrer Wahl beauftragen. Am Ende des Prozesses gibt es einen Sieger, der das Grundstück und die Wohnbauförderung erhält.

Etwas anders sieht die Sache aus, wenn das Grundstück nicht in städtischer Hand ist, sondern bereits im Besitz eines Bauträgers, der vom Fonds nur noch die Zusage einer Wohnbauförderung braucht. Bis zu einer Anzahl von 500 Wohneinheiten beurteilt der Wohnfonds die Qualität eines vom Bauträger in der Regel ohne Wettbewerb entwickelten Projekts nach den oben genannten vier Säulen. Ab 500 Wohneinheiten ist ein Wettbewerb durchzuführen. Allerdings wird bei Projekten dieser Dimension mit dem Bauträger meist eine Teilung des Projekts vorgenommen, bei der es nur in Teilbereichen zu einem echten Wettbewerb unter Architekten kommt, andere Bauteile aber bereits fix an ein Architekturbüro nach Wahl des Bauträgers vergeben sind. Auch diese müssen am Wettbewerb teilnehmen und werden als „Fixstarter“ bezeichnet. De facto sind sie „Fixgewinner“, was man der Architektur in den meisten Fällen ansieht. Der Wohnfonds kann diese Fixgewinner zwar zur Überarbeitung auffordern, hat aber keine Handhabe, eine Projektverbesserung zu erzwingen.

Für die Entscheidungen des Wohnfonds ist ein Beirat verantwortlich, der den irreführenden Namen „Grundstücksbeirat“ trägt. Tatsächlich ist dieser Beirat das zentrale Instrument der Qualitätssicherung im Wiener Wohnbau. Er entscheidet nicht über Grundstücke, sondern über Architekturprojekte, wobei er bei allen Bauträgerwettbewerben als Jury fungiert. Bisher waren die Vorsitzenden des Beirats ausgebildete Architekten, etwa Kunibert Wachten, Wolf Prix, Dietmar Steiner oder Kurt Puchinger. Mit dem Jahreswechsel wird mit Rudolf Scheuvens erstmals ein Raumplaner zum Vorsitzenden des Gremiums bestellt.

Das 25-Jahr-Jubiläum des Bauträgerwettbewerbs wäre ein Anlass, dieses Instrument kritisch auf seine Innovationskraft zu überprüfen. Es ist offensichtlich, dass sich in den vergangenen Jahren eine Routine eingeschlichen hat, bei der die architektonische Qualität als eine der vier Säulen geschwächt wurde. Selbst die Internationale Bauausstellung (IBA) zum Thema „Neues Soziales Wohnen“, die Wien gerade mit Zeithorizont 2022 ausrichtet, ist davon betroffen. Sie soll Wien als Welthauptstadt des sozialen Wohnbaus positionieren; die Ausstellung zum Zwischenstand der IBA unter dem Titel „Wie wohnen wir morgen?“ zeigte aber mehr Mittelmaß als Innovation.

Eine Ursache für diese Entwicklung ist der Trend zu immer größerer Verdichtung. Ein Beispiel dafür findet sich auf dem Areal, das die IBA für ihre Ausstellung genutzt hat, dem ehemaligen Sophienspital am Neubaugürtel. Hier wird das Ergebnis eines Bauträgerwettbewerbs mit 180 geförderten Wohnungen umgesetzt. In der Empfehlung der Stadtplanung war im Oktober 2019 noch von Bauklasse V, also maximal 26 Metern die Rede, mit „Akzentuierungen bis 35 Meter“. Das Projekt von Martin Kohlbauer ist fast durchgängig „akzentuiert“. Dass es nicht noch höher wird, liegt in erster Linie daran, dass nach der Wiener Bauordnung ab 35 Metern schärfere Hochhausregeln greifen, die den Bau verteuern.

Dass die 35 Meter in Wien zum neuen Standard werden, legen aktuelle Projekte nahe, etwa die Biotope-City auf dem Wienerberg oder die Bebauung an der Kreuzung Eichenstraße/Gaudenzdorfer Gürtel, die an den Erste Campus im Faschingskostüm erinnert. Für das Konzept der Biotope-City sind 35 Meter deutlich zu hoch; an der Eichenstraße wären dagegen Hochhäuser vorstellbar. Wenn eine Höhengrenze, die sich aus Fragen des Brandschutzes ableitet, den Städtebau dominiert, hat die Architektur wenig Chancen. Es überrascht nicht, dass sich auch Architekten mit langjähriger Erfahrung im geförderten Wiener Wohnbau aus dem Bereich zurückziehen.

Die nächste Wiener Stadtregierung sollte die Gelegenheit nutzen, die zahlreichen gewachsenen Instrumente der Architektur- und Stadtplanungspolitik zu reformieren. Das beginnt bei der Schaffung eines eigenen Raumordnungsgesetzes und reicht bis zur Reform des Fachbeirats für Stadtplanung und Stadtgestaltung und des Grundstücksbeirats. In beide sollten endlich auch Experten aus dem Ausland berufen werden. Für das Welterbe Innere Stadt braucht es einen seriösen Managementplan und dann einen Neustart des Projekts am Eislaufverein. Eine 100 Meter lange und 55 Meter hohe Scheibe, wie sie uns die Stadtregierung als Lösung verkaufen will, ist mindestens so skandalös wie der ursprünglich geplante Turm.

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