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Hof, streck dich!
Spectrum

Abenteuer Restaurierung: Die Wiederbelebung von Altbestand in Dorflage muss nicht teurer sein als ein Neubau. Ein Architekt zeigt vor, wie man die traditionellen Streckhöfe retten kann. Besuch im Burgenland.

8. November 2020 - Ute Woltron
Manche Bilder bleiben erinnerlich, auch wenn sie nur im Kopf entstehen. Ein solches zeichnete Axel Corti vor langer Zeit allein mit seiner Stimme und seiner Sprache: In einem seiner legendären „Schalldämpfer“ betrauerte er das Verschwinden eines schmalen alten Hauses, das ihm von seinen Spaziergängen lieb und vertraut gewesen war. Es war abgerissen worden, und an seiner Stelle klaffte nun ein Loch in der Häuserzeile. Im zuvor tadellosen Gebiss des Dorfes sei eine Zahnlücke entstanden, ein unnötiger Verlust.

Tatsächlich haben viele über Jahrhunderte gewachsene und gepflegte Dörfer seit Cortis Zeiten nicht dazugewonnen, im Gegenteil. Die Wegwerfgesellschaft radiert ein altes Haus nach dem anderen aus, die Zentren verkommen, dafür rahmt das Passepartout der hässlichen Speckgürtel und Einfamilienhaus-Schachbrettmuster das vormals stimmige Bild ein. Zugleich ist Österreich trauriger Europameister, was den Bodenverbrauch anlangt. Die jährlich hierzulande verbaute Fläche entspricht der Größe Eisenstadts. Der dort ansässige Architekt Klaus-Jürgen Bauer verbrachte den ersten Lockdown im März damit, nachzudenken und ein optimistischeres, möglicherweise revolutionäres Bild zu malen. Ihm geht es um die leistbare und ökologisch sinnvolle Rettung der traditionellen Streckhöfe, die lange Zeit die Landschaft Pannoniens bis nach Rumänien prägten: „Unendliche Abfolgen von geschlossenen Häuserzeilen, bestehend aus weiß gekalkten, meistens nur zweifenstrigen, übergiebelten Hausfronten und großen Toreinfahrten bildeten hierzulande einmal Dorflandschaften von unfassbarer Schönheit und Harmonie.“

Viele dieser Landschaften sind verschwunden oder zumindest löchrig geworden, vieles wurde abgerissen oder steht heute leer und verfällt. Bauer ruft potenzielle Häuslbauer dazu auf, Mut zu fassen und die noch vorhandene Substanz zu retten und aufzuwerten. Vor allem will er den Leuten die Angst vor der Sanierung vermeintlicher Halbruinen nehmen, denn bei geschickter Planung und mit dem richtigen Know-how sei die Wiederbelebung eines solchen Objekts keinesfalls teurer als ein Neubau. Zu diesem Zweck arbeitete er im Frühjahr das Konzept eines Streckhof-Instituts aus. In den vergangenen Jahren hatte er sich an die zwei Dutzend dieser alten, schlichten Häuser angenommen. Er analysierte verwahrloste, teils einsturzgefährdete Gebäude, restaurierte sie mit traditionellem Können und entsprechenden Materialien und veredelte sie zu außergewöhnlichen Wohnhäusern. Mittels Streckhof-Instituts will er das gewonnene Wissen weitergeben, denn, so Bauer: „Obwohl die Höfe mitunter auf den ersten Blick schrecklich ausschauen, kann man jedes Haus retten und in einen zeitgenössischen Standard überführen.“

Zugleich soll jedoch erhalten bleiben, was man an alten Häusern so schätzt. Etwa ihre Unregelmäßigkeiten, die schönen Details, das besondere Flair einer Geschichte, die nicht unter dicken Wärmedämmschichten und anderen erdölbasierten Materialien erstickt werden darf. Wer nach zeitgenössischen Kriterien des Bauens und Sanierens an die Sache herangeht, ist Bauer überzeugt, wird teuer und ungesund bauen. Sein Interesse bestehe vielmehr darin, die teils an die 200 Jahre alte Baustruktur mit architektonischem Geschick, aber unter Verwendung jener traditionellen Mittel wiederzubeleben, die sie so lange Zeit gesund erhielten: „Ich will diese Welten wieder miteinander versöhnen.“ Die Häuser seien von einfachen Leuten auf simple, doch erprobte Weise gebaut, gepflegt und erhalten worden, sie zeichnen sich durch eine ausgesprochen robuste Substanz aus, wie die im Vergleich zu vielem Zeitgenössischen methusalemisch lange Lebensdauer untermauere.

Tatsächlich regt sich zunehmend Interesse an den alten Gemäuern, was unter anderem, doch nicht nur der herrschenden Pandemie geschuldet ist, in der das Haus auf dem Land verstärkt wieder zum Sehnsuchtsobjekt wurde. Bauer registriert auch bei der jüngeren Bauherrschaft eine Trendumkehr, die Hoffnung nach einer „Alternative zur ewig gleichen Schuhschachtelwelt“ der Einfamilienhauszonen. Die traditionellen Streckhöfe des Ostens passen ausgezeichnet in dieses Bild. Die langen schmalen Gebäude zeichnen sich meist durch eine straßenseitig gelegene Wohnzone aus, die in adaptierbare und erfreulich großzügige Wirtschaftsgebäude übergeht, Hof und eingefasster Garten inklusive. Wer Glück hat, findet auch Keller mit großartigen Gewölben vor, Dachstühle, die freigelegt und in die Wohnlandschaft integriert werden können. Man müsse, so der Architekt, diese Objekte als „Rohbauten in optimaler Dorflage“ betrachten, die „mit Fingerspitzengefühl wieder aktiviert werden können“.

Das Burgenland hat dazugelernt und eine Streckhof-Förderung erwirkt, doch nützt diese nichts, wenn die leer stehenden Wohngebäude von ihren Besitzern zurückgehalten werden und weiter verfallen. Deshalb wird zurzeit eine Novelle der Raumordnung erarbeitet, die über diverse Regulierungen darauf abzielt, Grundstückspreise zu deckeln und den Bestand an historischer Bausubstanz insbesondere in den verkommenden Ortszentren zu aktivieren und verfügbar zu machen. Die Höfe sind von überschaubarer Dimension und derzeit noch halbwegs preiswert.

Das Streckhof-Institut versteht sich als Ratgeber für alle Fragen, die bei der Sanierung auftauchen: von der Trockenlegung feuchter Fundamente über die Planung der Raumfolgen bis zum Erhalt schöner Kastenfenster und anderer Elemente wie des Katzensteigs auf dem Dach, des gemauerten Spions neben dem Portal und dergleichen. „In den Städten“, so der Architekt, „etablieren sich zunehmend Repair-Cafés, in denen Bastler sitzen und Verschiedenes für ein paar Euro reparieren. Genau so eine Kultur brauchen wir auch beim Bauen, und das insbesondere auf dem Land.“ Wer überlegt, sich in ein solches Abenteuer zu begeben, könnte einen Blick in das Streckhöfe-Lookbook werfen und sich vom Reiz dieser einfachen, doch in dörflicher Summe so raffinierten Bauform überzeugen.

Fest steht, dass die Nachfrage steigt. Mehrere Anfragen pro Woche, so Bauer, belegen das, wobei die potenziellen Streckhof-Interessenten aus dem gesamten Bundesgebiet stammten, sogar aus Vorarlberg. Man habe die Schönheit des Burgenlandes wiederentdeckt und auch die Lust, scheinbar wertlos Gewordenes liebevoll und mit den richtig gesetzten Handgriffen aufzuwerten und wieder mit Leben zu befüllen.

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