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Aufbruchstimmung – Sankt Pölten gibt den Ton an
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Offene Kommunikation, Bürgerbeteiligung, transparente Wettbewerbe, pfleglicher Umgang mit der Substanz: Die Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas blieb zwar erfolglos, verhalf der niederösterreichischen Hauptstadt aber zu einer neuen Planungskultur.

12. Januar 2021 - Franziska Leeb
Nachhaltig verfestigte sich das Bild der farblosen Provinzstadt – vor allem in den Köpfen jener, die Sankt Pölten nicht kennen. Als attraktive Stadt mit Potenzial wurde Sankt Pölten trotz zunehmend dynamischer Entwicklung und einer lebendigen Kulturszene von außen kaum wahrgenommen; auch die Innensicht war eine nur mäßig stolze. Hier das Regierungsviertel und der Kulturbezirk des schwarzen Landes, da die rote Arbeiter-, Kultur-, Bildungs- und Barockstadt. Ineinander verquickte und doch einander fremde Universen, die nicht so recht zusammenwachsen wollen, weder mental noch stadträumlich. Als „Ehefrau, die immer fleißig, geduldig, fruchtbar und vernünftig war, für Make-up blieb keine Zeit“, beschrieb der Schriftsteller Alfred Komarek Sankt Pölten vor zehn Jahren zum 25-Jahr-Jubiläum als Hauptstadt Niederösterreichs. Im Zuge der in partnerschaftlicher Allianz von Stadt und Land betriebenen Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas 2024 wurde Beziehungsarbeit geleistet. Nie wirkte die Stadt jünger und selbstbewusster als in dieser Phase, in der in Bürgerforen und Arbeitskreisen an der Zukunft gearbeitet wurde. Als im November 2019 der Kulturhauptstadttitel an die Kaiserstadt Bad Ischl ging, trat in der Sankt Pöltner Aufbruchsstimmung Plan B in Kraft: die Umsetzung der Kernprojekte der Bewerbung. Für eines davon, das KinderKunstLabor, wird Ende Jänner der Architekturwettbewerb entschieden sein, und vor Weihnachten 2020 nahm endlich der vehement eingeforderte Gestaltungsbeirat seine Arbeit auf.

Vorangetrieben wurde auch ein Vorhaben, das Stadtbild und urbanes Zusammenleben stark beeinflussen wird. Schon während des Bewerbungsprozesses entstand unter reger Beteiligung der Bevölkerung die Leitkonzeption Öffentlicher Raum für die Weiterentwicklung der Innenstadt. Ein Schlüsselbereich ist der Promenadenring um die Altstadt. Derzeit in erster Linie ein autodominierter Verkehrsraum, soll er in Hinkunft seinem Namen gerecht werden und als einladender Begegnungsraum sowie als Kontur der historischen Stadt gestärkt werden.

Präzisierung der Nutzerbedürfnisse

Für die Politik sei es wichtig, Argumente der Planung aus der Perspektive der Bevölkerung zu untermauern. Es bestehe sonst die Gefahr, dass aus einer großen Idee nur ein kleiner Wurf hervorgehe, so Stadtplaner Jens de Buck. Ehe im März der EU-weite Wettbewerb für Landschafts- und Verkehrsplaner zur Findung eines konkreten Konzepts ausgelobt wird, wurde daher zur Präzisierung der Nutzerbedürfnisse erneut die Bevölkerung eingebunden.

Die Corona-Pandemie brachte neue Beteiligungsformate in Gang. Via interaktiven Online-Fragebogen wurde eingeladen, Qualitäten und Defizite des Straßenzugs zu benennen sowie Bedürfnisse und Wünsche für die Zukunft zu artikulieren. In der einfach zu bedienenden Applikation konnten in einem Stadtplan aus Fußgänger-, Autofahrer- oder Radlersicht als unsicher empfunden Orte markiert oder fehlende Verbindungen eingetragen werden. Ergänzend standen in Online-Sprechstunden auf Facebook Fachleute Rede und Antwort. Carina Wenda, Mitarbeiterin im Stadtplanungsamt, war eine davon. Ohne die junge Kollegin wäre diese Form der Beteiligung nicht abwickelbar gewesen, meint ihr Chef, Jens de Buck. Die jüngere Generation in der Verwaltung habe gewiss eine geringere Hemmschwelle, soziale Medien und digitale Tools anzuwenden. Um die weniger Internetaffinen nicht auszuschließen, sei es dennoch wichtig, auf eine crossmediale Kommunikation zu setzen, betont Wenda. Die per Post versandten analogen Dialogkarten wurden vorwiegend von Personen in der zweiten Lebenshälfte – die Älteste war 92 – ausgefüllt. Digital hingegen erreichte man die Jüngeren und auch Externe, die in Sankt Pölten arbeiten oder studieren.

Die Erreichbarkeit der Zielgruppen sei entscheidend für das Resultat, ist Daniela Allmeier überzeugt. Ihr Planungsbüro Raumposition hatte bereits die Leitkonzeption erarbeitet und nun auch den Beteiligungsprozess für den Promenadenring aufgesetzt. Mehr Grün, eine klimasensitive und radfahrerfreundliche Planung sowie Kunst und Kultur im öffentlichen Raum wünschen sich tendenziell die Jungen. Bei den Älteren überwiegen konservativere, eher auf eine Behübschung abzielende Lösungen. Mit etwa 85 Prozent sei die Zustimmung zur vorgestellten Vision erfreulich hoch, so Carina Wenda. Im Februar werden die Ergebnisse präsentiert – in einer Ausstellung im öffentlichen Raum und digital. René Ziegler, wie Allmeier Partner bei Raumposition: „Wenn ich Menschen bitte, sich einzubringen, muss ich auch über die Ergebnisse informieren, schon allein als Zeichen der Höflichkeit!“

Beteiligung bedeutet Arbeit

Beteiligung bedeute auch Arbeit für jene, die sich beteiligen. „In Präsenzveranstaltungen reden oft stets die gleichen, womit hochgradig manipulative Situationen entstehen können. In digitalen Formaten werden auch andere Stimmen sichtbar“, benennt Allmeier Vorteile der Kommunikation im digitalen Raum. Obwohl niederschwelliger, seien sie allein nicht die Lösung, da atmosphärisch viel verloren gehe. An die 500 Personen haben sich eingebracht. So könne man besser verstehen, wo der Schuh drückt, und Politik wie Planung in der Marschrichtung bekräftigen. Bürgerbeteiligung sei nicht geeignet, Menschen zu bekehren, dämpft Ziegler allfällige Erwartungen, ebenso könne sie politische Entscheidungen nicht abnehmen oder planerische Kompetenz ersetzen. Sie schafft aber Verständnis für ein Thema und vermag die Komplexität einer Planungsaufgabe zu verdeutlichen.

Der Wunsch vieler, solche Tools öfter anzubieten, generiert Erwartungsdruck. Prinzipiell sei man dazu bereit, so Jens de Buck. Ob begrenzter personeller Ressourcen sei dies nur mit externer professioneller Begleitung möglich, was Kosten verursacht. „Partizipation muss früh, ehe es noch konkreten Planungsüberlegungen gibt, einsetzen.“ Ein weiterer Beteiligungsprozess steht jedenfalls bereits für den neuen Park auf dem ehemaligen Areal des Traditionsklubs FC Sturm 19 in den Startlöchern.

Wie sehr aus diesen ersten Ansätzen einer neuen Planungskultur robuste Lösungen hervorgehen, die gestalterisch und funktional europaweit präsentabel und nicht nur Schminke an der Oberfläche sind, wird sich weisen. Die richtig harte Arbeit – die Leitbilder mit allen anderen Instrumenten der Stadtplanung und der Arbeit des Gestaltungsbeirats gut zu verknüpfen – steht noch bevor. Mit guter Kommunikation gegenüber der Bevölkerung, sorgfältig vorbereiteten transparenten Wettbewerben und einem pfleglichen Umgang mit der reichlich vorhandenen wertvollen Substanz kann die Landeshauptstadt aus der duldenden Rolle in die Position des tonangebenden Vorbilds aufsteigen.

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