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Das Gfrett mit dem Grün
Zur Selbstversorgung und Erholung bestimmt, dominiert in Wiens Kleingärten heute die Wohn- vor der Gartennutzung. Hintergrund war eine politische Fehlentscheidung, die nun behoben wurde. Und jetzt? Ein vorsichtig optimistischer Blick in die Zukunft.
5. März 2021 - Stephanie Drlik
Kleingartenanlagen hatten bereits in ihren Anfängen im frühen 20. Jahrhundert einen wichtigen Platz in der Wiener Grünraumversorgung. Anfänglich und besonders in den Kriegs- und Zwischenkriegsjahren zur Selbstversorgung, später für Erholungs- und Freizeitzwecke genutzt, stand jedoch eines immer im Zentrum: der Garten. Das hat sich in den 1990er-Jahren drastisch geändert. Ein maßgeblicher Grund war die Einführung des neuen Kleingartengesetzes, gefolgt vom Diskontabverkauf der Stadt-Wien-Flächen.
Seit jeher gab es den Wunsch vieler Pächter und Pächterinnen, ihre Gärten ganzjährig bewohnen zu können. Und das taten sie auch zahlreich, trotz gegenteiliger gesetzlicher Regulierungen. Gepfuschter Dauerwohnraum war in Kleingartenanlagen gängige Praxis. Um den Wildwüchsen Einhalt zu gebieten, gab es politischen Handlungsbedarf. Die unter Planungsstadtrat Hannes Swoboda (SPÖ) erfolgte Einführung der neuen Widmung „EKlw – Erholungsgebiet Kleingarten – ganzjähriges Wohnen“ im Jahr 1992 war mehr der Realität als einer lang durchdachten Strategie der Stadtpolitik geschuldet. Gemeinsam mit der neuen Widmung kam eine bis heute gültige Lockerung der Bauvorschriften, die Kleingärtnern ermöglicht, 50 Quadratmeter beziehungsweise maximal 20 Prozent der Parzellenfläche zu bebauen. Zusätzlich dürfen 30 Quadratmeter Terrasse genutzt werden, die unterbaut eine Kellergeschoßfläche von 80 Quadratmetern zulässt.
Nicht von Swoboda, sondern durch den langjährigen Finanzstadtrat und SPÖ-Vizebürgermeister Hans Mayr vorangetrieben, folgte 1993 der Startschuss für den Verkauf der Kleingärten aus dem Stadt-Wien-Besitz. Verwaltungsinternen Zeitzeugen zufolge sah Mayr keine für die Stadt lukrativen Entwicklungsmöglichkeiten in den Kleingartenanlagen, strategisch zu unwichtig schienen diese meist peripheren Flächen lange vor den explodierenden Immobilienpreisen. Und so konnten Pächter in Anlagen mit Kanalanschluss und frostsicherer Trinkwasserversorgung fortan ihre Gärten nicht nur ganzjährig bewohnen, sondern diese auch erwerben. Und das mit einem Preisnachlass von bis zu 40 Prozent des Marktwertes. Zehn Jahre hielt die Stadt ein Vorkaufsrecht, danach stand einem Verkauf auf dem freien Markt nichts im Wege.
Der Zentralverband der Kleingartenvereine stand den Grundstücksveräußerungen als abwickelnde Serviceeinrichtung von Anfang an skeptisch gegenüber. Es erzeuge ein schwieriges Ungleichgewicht zwischen Pacht und Eigentum, zwischen Kleingarten- und Wohnnutzung. Zudem hat sich im Laufe der Jahre die Sorge bestätigt, dass Käufer eher Interesse an der Verwirklichung ihres Wohntraums vom eigenen Haus oder an der Schaffung einer Wertanlage zeigen würden als am Kleingartenwesen. Auch die vergünstigten Kaufpreise ließen den Zentralverband schon früh hellhörig bezüglich Immobilienspekulationen werden: „Wer glaubt denn, dass ein späterer Eigentümer bereit wäre, sein Grundstück mit Nachlass weiterzuverkaufen?“, so ein Textauszug aus der Verbandszeitschrift. Der Zentralverband behielt recht, verkauft wird natürlich nach dem marktwirtschaftlichen Prinzip von Angebot und Nachfrage mit möglichst großem Gewinn. Die Nachfrage stieg unaufhörlich – und mit ihr stiegen die Grundstückspreise.
Durch die politischen Steuerungsfehler haben sich nicht nur die städtebauliche Struktur und die Freiraumtypologie Kleingarten als solche geändert, sondern auch die Bewohnerschaft, die heute vielerorts so gar keine gartengemeinschaftlichen Ambitionen mehr hat. Wohnbau im Kleingarteneigentum entsteht, um annehmbare Einheiten zu erzielen, immer unter maximaler Ausreizung aller Bauvorschriften. Gern mit Pool und anderen Außenraumverbauungen bleibt in den meisten Fällen kaum Garten übrig. So mancher Anlage mit kleinparzellierter Einfamilienboxenbebauung sieht man ihre EKl-Widmung nicht mehr an.
Die amtierende Wohnbaustadträtin und Vizebürgermeisterin Kathrin Gaál hat nun den längst überfälligen Schritt gesetzt und den Grundstücksverkauf gestoppt. Eine mutige Entscheidung, schließlich legt sie damit den parteieigenen Fehler aus den 1990er-Jahren offen und löst Kritik an der damals wie heute verantwortlichen SPÖ aus. Doch ihre Entscheidung war wichtig und richtig, weil sie nicht nur Grundstücksspekulanten einen Riegel vorschiebt, sondern auch die Attraktivität der Wohnraumschaffung in Kleingärten reduziert. Die ausufernden Einfamilienhaus-Exzesse sollten mit dem Verkaufstopp eingebremst sein, doch der Schaden durch die insgesamt 5363 Parzellenverkäufe aus dem Stadt-Wien-Eigentum ist geschehen. Neben den Qualitätsverlusten durch übermäßige Bau- und Infrastrukturtätigkeiten im Grünraum ist es insbesondere ein städtebauliches Dilemma. Denn die Möglichkeit, ganze Kleingartenareale in ihrer Flächengesamtheit für andere Freiraumtypologien wie etwa Parks oder Gemeinschaftsgärten umzunutzen, wurde für immer verspielt.
Nicht jede in den vergangenen Wochen medial kundgetane Idee scheint zukunftsfähig. Keinesfalls zeitgemäß sind Vorschläge, die Kleingartenanlagen für bauliche Nachverdichtungen auf den Plan rufen. In einer wachsenden, sich verdichtenden Stadt wie Wien, die bereits mit klimawandelbedingten Temperaturanstiegen zu kämpfen hat, muss kühlender Grünraum „grün“ bleiben, oder anders gesagt: Kleingärten dürfen im 21. Jahrhundert keine Bauland-, sondern müssen Grünlandreserven mit hohem Biodiversitätsfaktor sein. Laut dem Wiener „Fachkonzept Grün- und Freiraum“ sind sie integraler Teil des Grünraumnetzes und erfüllen wichtige Ökosystemleistungen.
Der Bestand weist heute große Unterschiede auf, es ist ein Fleckerlteppich aus Pacht und Eigentum, aus Kleingartenhütten und Wohnhäusern. Wie soll mit übrig gebliebenen Parzellen in eigentumsdominierten Anlagen umgegangen werden? Welche Schwerpunkte sollen künftig in dieser unruhigen Struktur gesetzt werden? Wie kann der ursprüngliche Gedanke des gemeinschaftlich organisierten Gartelns wieder aufgegriffen werden?
Selbsterntebeete, Freiluftsupermärkte, Selbstversorger-Initiativen und Urban-Gardening-Bewegungen, all das liegt gerade im Trend und könnte eine neue Ära des Wiener Kleingartenwesens einläuten. Schafft man es, diese neuen Gartentrends räumlich auf die Anlagen zu übertragen und gesellschaftlich zu verankern, könnte nicht nur das verstaubte Kleingartenwesen neu belebt werden, sondern Wien auch dem Anspruch einer Selbstversorgerstadt nähergebracht werden. Den Fehler, Entwicklungen sich selbst zu überlassen, sollte man kein zweites Mal machen. Wohnbaustadträtin Gaál hat den ersten Schritt in die richtige Richtung getan, nun muss der nächste folgen: der Start eines transparent und fachbasiert geführten Dialogs, der neue Perspektiven auf eine alte, aber mehr als zeitgemäße Idee wirft.
Seit jeher gab es den Wunsch vieler Pächter und Pächterinnen, ihre Gärten ganzjährig bewohnen zu können. Und das taten sie auch zahlreich, trotz gegenteiliger gesetzlicher Regulierungen. Gepfuschter Dauerwohnraum war in Kleingartenanlagen gängige Praxis. Um den Wildwüchsen Einhalt zu gebieten, gab es politischen Handlungsbedarf. Die unter Planungsstadtrat Hannes Swoboda (SPÖ) erfolgte Einführung der neuen Widmung „EKlw – Erholungsgebiet Kleingarten – ganzjähriges Wohnen“ im Jahr 1992 war mehr der Realität als einer lang durchdachten Strategie der Stadtpolitik geschuldet. Gemeinsam mit der neuen Widmung kam eine bis heute gültige Lockerung der Bauvorschriften, die Kleingärtnern ermöglicht, 50 Quadratmeter beziehungsweise maximal 20 Prozent der Parzellenfläche zu bebauen. Zusätzlich dürfen 30 Quadratmeter Terrasse genutzt werden, die unterbaut eine Kellergeschoßfläche von 80 Quadratmetern zulässt.
Nicht von Swoboda, sondern durch den langjährigen Finanzstadtrat und SPÖ-Vizebürgermeister Hans Mayr vorangetrieben, folgte 1993 der Startschuss für den Verkauf der Kleingärten aus dem Stadt-Wien-Besitz. Verwaltungsinternen Zeitzeugen zufolge sah Mayr keine für die Stadt lukrativen Entwicklungsmöglichkeiten in den Kleingartenanlagen, strategisch zu unwichtig schienen diese meist peripheren Flächen lange vor den explodierenden Immobilienpreisen. Und so konnten Pächter in Anlagen mit Kanalanschluss und frostsicherer Trinkwasserversorgung fortan ihre Gärten nicht nur ganzjährig bewohnen, sondern diese auch erwerben. Und das mit einem Preisnachlass von bis zu 40 Prozent des Marktwertes. Zehn Jahre hielt die Stadt ein Vorkaufsrecht, danach stand einem Verkauf auf dem freien Markt nichts im Wege.
Der Zentralverband der Kleingartenvereine stand den Grundstücksveräußerungen als abwickelnde Serviceeinrichtung von Anfang an skeptisch gegenüber. Es erzeuge ein schwieriges Ungleichgewicht zwischen Pacht und Eigentum, zwischen Kleingarten- und Wohnnutzung. Zudem hat sich im Laufe der Jahre die Sorge bestätigt, dass Käufer eher Interesse an der Verwirklichung ihres Wohntraums vom eigenen Haus oder an der Schaffung einer Wertanlage zeigen würden als am Kleingartenwesen. Auch die vergünstigten Kaufpreise ließen den Zentralverband schon früh hellhörig bezüglich Immobilienspekulationen werden: „Wer glaubt denn, dass ein späterer Eigentümer bereit wäre, sein Grundstück mit Nachlass weiterzuverkaufen?“, so ein Textauszug aus der Verbandszeitschrift. Der Zentralverband behielt recht, verkauft wird natürlich nach dem marktwirtschaftlichen Prinzip von Angebot und Nachfrage mit möglichst großem Gewinn. Die Nachfrage stieg unaufhörlich – und mit ihr stiegen die Grundstückspreise.
Durch die politischen Steuerungsfehler haben sich nicht nur die städtebauliche Struktur und die Freiraumtypologie Kleingarten als solche geändert, sondern auch die Bewohnerschaft, die heute vielerorts so gar keine gartengemeinschaftlichen Ambitionen mehr hat. Wohnbau im Kleingarteneigentum entsteht, um annehmbare Einheiten zu erzielen, immer unter maximaler Ausreizung aller Bauvorschriften. Gern mit Pool und anderen Außenraumverbauungen bleibt in den meisten Fällen kaum Garten übrig. So mancher Anlage mit kleinparzellierter Einfamilienboxenbebauung sieht man ihre EKl-Widmung nicht mehr an.
Die amtierende Wohnbaustadträtin und Vizebürgermeisterin Kathrin Gaál hat nun den längst überfälligen Schritt gesetzt und den Grundstücksverkauf gestoppt. Eine mutige Entscheidung, schließlich legt sie damit den parteieigenen Fehler aus den 1990er-Jahren offen und löst Kritik an der damals wie heute verantwortlichen SPÖ aus. Doch ihre Entscheidung war wichtig und richtig, weil sie nicht nur Grundstücksspekulanten einen Riegel vorschiebt, sondern auch die Attraktivität der Wohnraumschaffung in Kleingärten reduziert. Die ausufernden Einfamilienhaus-Exzesse sollten mit dem Verkaufstopp eingebremst sein, doch der Schaden durch die insgesamt 5363 Parzellenverkäufe aus dem Stadt-Wien-Eigentum ist geschehen. Neben den Qualitätsverlusten durch übermäßige Bau- und Infrastrukturtätigkeiten im Grünraum ist es insbesondere ein städtebauliches Dilemma. Denn die Möglichkeit, ganze Kleingartenareale in ihrer Flächengesamtheit für andere Freiraumtypologien wie etwa Parks oder Gemeinschaftsgärten umzunutzen, wurde für immer verspielt.
Nicht jede in den vergangenen Wochen medial kundgetane Idee scheint zukunftsfähig. Keinesfalls zeitgemäß sind Vorschläge, die Kleingartenanlagen für bauliche Nachverdichtungen auf den Plan rufen. In einer wachsenden, sich verdichtenden Stadt wie Wien, die bereits mit klimawandelbedingten Temperaturanstiegen zu kämpfen hat, muss kühlender Grünraum „grün“ bleiben, oder anders gesagt: Kleingärten dürfen im 21. Jahrhundert keine Bauland-, sondern müssen Grünlandreserven mit hohem Biodiversitätsfaktor sein. Laut dem Wiener „Fachkonzept Grün- und Freiraum“ sind sie integraler Teil des Grünraumnetzes und erfüllen wichtige Ökosystemleistungen.
Der Bestand weist heute große Unterschiede auf, es ist ein Fleckerlteppich aus Pacht und Eigentum, aus Kleingartenhütten und Wohnhäusern. Wie soll mit übrig gebliebenen Parzellen in eigentumsdominierten Anlagen umgegangen werden? Welche Schwerpunkte sollen künftig in dieser unruhigen Struktur gesetzt werden? Wie kann der ursprüngliche Gedanke des gemeinschaftlich organisierten Gartelns wieder aufgegriffen werden?
Selbsterntebeete, Freiluftsupermärkte, Selbstversorger-Initiativen und Urban-Gardening-Bewegungen, all das liegt gerade im Trend und könnte eine neue Ära des Wiener Kleingartenwesens einläuten. Schafft man es, diese neuen Gartentrends räumlich auf die Anlagen zu übertragen und gesellschaftlich zu verankern, könnte nicht nur das verstaubte Kleingartenwesen neu belebt werden, sondern Wien auch dem Anspruch einer Selbstversorgerstadt nähergebracht werden. Den Fehler, Entwicklungen sich selbst zu überlassen, sollte man kein zweites Mal machen. Wohnbaustadträtin Gaál hat den ersten Schritt in die richtige Richtung getan, nun muss der nächste folgen: der Start eines transparent und fachbasiert geführten Dialogs, der neue Perspektiven auf eine alte, aber mehr als zeitgemäße Idee wirft.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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